Hab ich gerade gefunden.
Jens Aßling leitet das Verfahren gegen Sanel M.Wie „Richter Streng“ die Wahrheit über Tugces Tod herausfinden willSelten erhebt Richter Jens Aßling die Stimme, doch wenn er es tut, so sind seine Sätze markant und direkt. Mit wachen Augen blickt er den Zeugen an, der sich immer wieder in Widersprüche verrennt, und sagt: „Wahrheit ist, alles zu sagen.“Der Richter setzte schon zu Beginn des Prozesses ein klares Zeichen. Als er unter anderem die Großeltern der Verstorbenen anhielt, ihre weißen T-Shirts mit dem Tugce-Konterfei zu bedecken. Das Verfahren solle „etwas klären“, so der Jurist – Provokationen seien da fehl am Platze.
Der Richter ist Jens Aßling, er sitzt derzeit dem Verfahren gegen Sanel M. vor. Jenem jungen Mann, der im November 2014 die junge Lehramtsstudentin Tugce A. mit einem Schlag niederstreckte. Sie starb, M. muss sich vor dem Landgericht Darmstadt für die Tat verantworten.
Provokationen duldet er nichtAßling führt in seiner ruhigen, selten mal ironischen Art. Er gilt als streng, als Mann großer Fälle – bekannt wurde er durch eines der größten Kinderporno-Verfahren in Deutschland, diese Herausforderung meisterte er. Und auch das hochemotionale Verfahren um Tugce gilt als Herausforderung.
Denn im Gerichtssaal 3 am Mathildenplatz von Darmstadt soll aufgeklärt werden, was in dieser verhängnisvollen Nacht am McDonald’s-Parkplatz in Offenbach wirklich passiert ist. Junge Zeugen und Zeuginnen aus dem Lager des Angeklagten und der Verstorbenen werden vorgeladen, ihre Befragung ist nicht immer leicht.
Widersprüche lässt er nicht durchgehenVerständnisvoll und fair geht Aßling auf sie ein, hört ihnen zu. Ruhig wartet er, wenn sie zusammenbrechen und schluchzen, die blutende Tugce vor Augen, bis sie wieder sprechen können. Wenn sie nicht genau weiterwissen, hilft er ihnen, ebenso, wenn sie der Druck verunsichert.
Doch wenn sie etwas sagen, was offensichtlich nicht zum Tatverlauf passt, wie er beispielsweise durch Überwachungsvideos rekonstruiert werden konnte, zeigt sich ein anderer Typ. Aßling lässt dann seinen scharfen Blick schweifen, fixiert Anwälte, Verteidiger und den Staatsanwalt, wie, um ihnen zu signalisieren: Leute, hier gilt es noch einmal nachzufragen – und diese offenen Punkte halten Einzug in die Befragung der anderen Juristen.
Kein Verständnis für schlechte VorbereitungÜberhaupt kein Verständnis zeigt der Richter für redundante Fragen und schlechte Vorbereitung. Als einer der Verteidiger am dritten Verhandlungstag in seiner Befragung noch einmal wissen will, wo die soeben vernommene Zeugin auf dem Parkplatz gestanden habe, schreitet Richter Aßling ein. Er lehnt sich nach vorne, knapp weist er den Juristen zurecht: „Jetzt ist aber gut. Sie müssen schon aufpassen, was die Zeugin gesagt hat.“
Eine Polizistin, die sich nicht zum weiteren Ablauf der Befragungen am Tag nach der Tat äußern kann, kanzelt er mit den Worten ab: „Sie müssen sich schon vorbereiten, wenn Sie hier her kommen.“ Sie könnte noch einmal geladen werden. Da versteht der Richter keinen Spaß.
Dieser Mann hat AutoritätDabei schwingt Aßling nie große Reden. Mit Halbsätzen wie „Die Stimmung war …“ lockt er immer wieder weitere Details bei den Zeugen heraus. Selten gibt er sein Zepter in dem Verfahren ab. Und dann ausgerechnet in einer Situation, die er eigentlich ganz anders gemeint hatte.
Als nämlich ein Beteiligter aus dem Lager des Angeklagten im Zeugenstand sitzt, sagt der Richter mit dem aschblonden Haar mitten in seinem Verhör: „Sie gehen also raus.“ Der Zeuge erhebt sich daraufhin, wendet sich zum Ausgang – großes Gelächter im Saal. Eigentlich wollte der Richter aber nur in der Chronologie des Tatablaufs weiter springen. Der Zeuge stockt und Richter Aßling sagt: „Da sehen Sie mal, was passiert ...“ Was er genau meint, lässt er offen – doch jedem im Saal ist klar: Dieser Mann hat Autorität.
„Wir fangen auch noch zehn Mal an“Und das ist wichtig, gerade in diesem Fall: Die Zeugen und Zeuginnen verstricken sich immer wieder in Widersprüche. Wissen plötzlich nicht mehr, was sie selbst gesehen, was im Freundeskreis besprochen und was sie beispielsweise von dem zuvor veröffentlichten Überwachungsvideo übernommen haben.
Gerade beim letzten Zeugen am dritten Verhandlungstag, einem jungen Mann aus der Gruppe des Angeklagten, kommt Aßling nicht mehr weiter. „Wir fangen auch noch zehn Mal an“, sagt der Richter zu dem Jungen mit militärisch kurz geschorenen Haaren. Doch auch das gelingt nicht. Der junge Mann kann oder will nicht verstehen, was der Richter von ihm will.
Mit seinem sonoren „Ja, gut“, beendet Richter Aßling seine Befragung, legt seine viereckige Lesebrille auf den Tisch und sagt: „Noch jemand, der sein Glück versuchen will?“ Es ist einer der seltenen Momente, in dem er in diesem Aussagen-Dschungel den klaren Pfad verlässt.
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