@melli.tina Lese bitte auch mal das hier (auf die Gefahr hin, dass ein paar User das schon kennen, aber die mögen bitte Nachsicht haben):
So, nochmal was Grundsätzliches (wenn man nicht schlafen kann ... ):
Aus dem Artikel, der bereits verlinkt wurde:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article132118191/Die-Moerder-des-IS-nehmen-Mohammed-eben-woertlich.htmlRadikale Anhänger der Botschaft Mohammeds können nicht tolerant sein. Um es präzise postmodern zu sagen: tolerant nach unserer westlichen Definition. Die Intoleranz gegenüber einem Abfall vom Glauben, Ehebruch, Homosexualität, Polytheismus, Atheismus ist ohne Zweifel essenziell für den Islam, auch wenn die meisten Muslime nicht gewalttätig werden gegenüber Ungläubigen oder Homosexuellen. Dennoch kann man die institutionelle Intoleranz nicht leugnen.
Der Autor beruft sich da, wie so viele, auf den wortwörtlich genommenen Koran und wirft Mohammed seine Militanz vor. Kann man machen.
Nun berufen sich alle Christen, wenn man sie auf die Grausamkeit und Intoleranz, die sich im Alten Testament finden, immer auf das Neue Testament, in dem das alles sich fundamental gewandelt habe. Deshalb sei man ja Christ, weil man eben nicht das Alte Testament alleine zur Grundlage habe, sondern das NT es quasi abgelöst habe (zumindest in all dem, was man nicht so schick am AT findet).
Die Geschichte ist auch voll von Massakern im Namen Christi – sie waren immer losgelöst von der Botschaft des sanftmütigen Jesus, wie er in den Werken seiner Apostel beschrieben wird.
Richtig, aber: Das bedeutet doch auch, dass selbst der ach so sanftmütige Jesus des Neuen Testamentes die Massaker nicht verhindern konnte, obwohl er doch die zentrale Rolle für die Christen spielt und seine Botschaft kinderleicht zu verstehen ist.
Und auch Wissenschaft und Humanismus konnten die größten Massaker unserer Geschichte nicht verhindern. Im Gegenteil lieferten sie die Legitimation für die Nazis, die behaupteten, dass die Juden eben wissenschaftlich nachweisbar grundsätzlich schlechte Menschen seien.
Es muss also andere Gründe für die intolerante Brutalität der Radikalismen geben, als die wortwörtlich genommenen Grundlagen der Religion.
Und nun verlangt der Autor, dass wir darüber diskutieren, dass
Die Anwendung des reinen Islam zum Massenmord führen (kann) (...)
Da fällt mir doch als Christ spontan ein: Wenn es das Neue Testament ist, das uns vor Massenmorden schützt (was ja ganz offensichtlich nicht der Fall war, aber sei´s drum), und das Alte Testament im Tenor doch so kriegerisch ist und Massenmorde beschreibt und einen unversöhnlichen, strafenden Gott ... Intoleranz gegenüber Homosexuellen, Unterdrückung von Frauen ... dann müsste doch das Judentum ...
Interessant, wie man an der Stelle einen intellektuellen Schluckauf bekommt, denn da kann und will und darf man gar nicht weiter denken.
Denn dann müsste man all den in Europa und Amerika und Israel lebenden Juden, die nicht orthodox nach den Gesetzen des AT leben, ja auch vorwerfen, dass sie eigentlich gar nicht richtig glauben. Dann müsste man ihnen vorhalten, dass ihre "reine" Religion, wenn sie sie wörtlich nähmen, diese und jene Folgen habe. Und dann merkt man, noch mitten während man den Satz denkt, dass das exakt das ist, was manche den Juden vorwerfen ... bloß möchte man sich wirklich nicht, ehrlich nicht mit irgendwelchen amerikanischen Ultrachristen identifiziert sehen, die Israel unterstützen, damit sich für sie die Offenbarung Johannes´ erfüllt und sie in den Himmel kommen u.s.w. , und die ihre Kinder dem staatlichen Schulsystem entziehen um ihnen beizubringen, dass die Erde in sieben Tagen geschaffen wurde. Wörtlich.
Und erst recht nicht mit jenen, die den "Fehler" im jüdischen Glauben schon immer zum Anlass nahmen, weder an Juden, noch an Israel ein gutes Haar zu lassen. Oder sie gleich dafür umzubringen.
Ganz eindeutig führt dieses Denken nicht in die richtige Richtung, nämlich zu Verständigung, Integration und Toleranz. Wie sollte auch intolerantes Denken das können ...
Gefragt ist nicht Toleranz gegenüber Radikalen. (Es war noch nie tolerant, Intoleranz zuzulassen, sondern ignorant.)
Gefragt ist Toleranz gegenüber den Nicht-Radikalen, den Nicht-Wörtlich-Nehmern, denen die ihre Schriften für sich interpretieren, so wie wir das auch tun, und dabei Wissenschaft und gesellschaftliche Entwicklung einbeziehen.
Werfen wir ihnen vor, dass sie die lascheren Gläubigen sind, dann müssten wir uns auch an die eigenen Nasen fassen ... und den Juden dasselbe vorwerfen.
Der Autor wirft den toleranten Muslimen geradezu vor, dass sie eben jene Entwicklung durchgemacht haben, die man vom Islam unentwegt verlangt. Aber anstatt sie dafür zu respektieren, werden sie angefeindet, so wie auch in diesem Forum teilweise.
Eine Religion verändert sich nicht auf dem Papier. Sie verändert sich zuerst in den Gläubigen, und irgendwann folgt das Papier dem nach. Längst wussten die Leute, dass die Erde keine Scheibe ist, und nicht in sieben Tagen erschaffen wurde (was im NT nicht zurückgenommen wird), schon lange bevor es endlich von den Institutionen anerkannt wurde.
Wir wissen auch, dass die Apokalypse nicht ablaufen wird wie im NT beschrieben, und müssen uns dennoch nicht mit Gewissensbissen quälen, weil wir unserer Schrift nicht wörtlich folgen und sie auch nicht umgeschrieben haben.
Wir sollten die Muslime, die sagen, dass die IS-Kämpfer für sie keine Muslime sind, dafür respektieren, und sie darin unterstützen. Nur so wird es eine Lösung für unsere gemeinsamen Probleme geben.