@Venice2009 Die Sache ist doch gar nicht so aussergewöhnlich. Wir haben hier:
1. Eine Tochter, die ein tiefsitzendes Problem mit ihren Eltern hat. Diese haben sie die meiste Zeit ihres Lebens in ein Internat in England abgeschoben. Der Vater war ein hoher Manager einer Firma. Vermutlich wenig Zeit für Kinder und noch weniger Verständnis für Kinder, die nicht genauso sind, wie er das erwartet. EH hat vermutlich nicht sonderlich viel Liebe und Geborgenheit zu Hause erfahren, und sich dann immer mehr hineingesteigert in Ablehnung ihrer Eltern. Andererseits hat sie genossen, relativ wenig Kontrolle unterworfen zu sein. Sowas kommt leider tausendfach vor. Sie schreibt ihre Gedanken auch nieder. Aber: sie hat noch nie den Mut besessen, ihre extrem negativen Gedanken in eine Gewalttat umzusetzen. Zwischen Mordphantasien und der Wirklichkeit einer solchen Tat an den eigenen Eltern liegen doch noch Welten. Das kann jeder Psychologe bestätigen.
2. Einen verklemmten, arroganten und sehr einsamen "nerd", der von sich denkt, er ist der intelligenteste Mensch auf dem Planeten, der aber mit 18 keine Freunde hat und kaum Aussicht irgendwo eine Freundin zu bekommen. Er trifft nun auf diese andere Aussenseiterin und aus verschiedenen Gründen werden sie ein Paar. Er hat sicherlich schnell bemerkt -dazu ist er intelligent genug- dass seine Freundin eben auch nicht das "normale" Mädel von nebenan ist. Er ist sich bewusst, dass er einen Lottotreffer gemacht hat: sie sieht gut aus, sie ist ebenfalls sehr intelligent, sie ist in ihn verliebt: wenn er diese Sache verbaselt, wer weiss, ob er wieder eine Freundin findet? Wer gewinnt zweimal hintereinander im Lotto. Auf dieser Basis ist klar, dass JS "alles" tun wird, um diese Freundin zu behalten .
3. Und da beginnt die Tragik: Nun kommen alle diese Voraussetzungen zusammen wie Teile eines Puzzles: Sie hat auf einmal eine Möglichkeit, ihre Mordphantasie durchzuführen ohne selbst Hand anlegen zu müssen: sie hat einen ihr treu ergebenen Freund, der, um sie zu behalten, das tun wird. Und er: er ist so arrogant und von seiner eigenen Überlegenheit überzeugt, dass er sich einredet, es kann eigentlich gar nichts passieren: der Mord wird nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden, seine Freundin und er haben schliesslich das Alibi geplant. Und, falls das Unwahrscheinliche eintritt, dass sie doch verdächtigt werden, nun, dann gibt es ja noch Europa, wo man sich hin verziehen kann, die liefern ja eh nicht an die USA aus, und wenn, dann ist er ja noch Diplomatensohn mit Immunität und im alleschlimmsten Fall gibt es in Deutschland eine kurze Strafe im Kuschelknast. So hoch ist also der Einsatz gar nicht, aber die Belohnung: er behält diese tolle Freundin - und sie wird ihm dafür ewig dankbar sein.
4. Diese Konstellation aus weltfremden Überlegenheitsgefühlen, aber auch angstvollen Abhängigkeit vom einzigartigen Partner, den in Jahren der Entfremdung angestauten Hassgefühlen gegen die Eltern, und einer gewissen jugendlichen Unerfahrenheit und Unfähigkeit die Konsequenzen des eigenen Handelns eben wirlklich realistisch zu beurteilen hat dann zu dieser Tat geführt. Hier sind zwei zusammen gekommen, die nur in dieser Kombination diese Tat vollbringen können. Jeder für sich wäre vermutlich nie Mörder geworden.
Im antiken Griechenland schrieb man aus solchem Stoff die berühmten Tragödien. Heutzutage liest man das alles als einen aussergewöhnlichen Kriminalfall. Aber, wenn man genau hinschaut, ist er eben gar nicht so aussergewöhnlich. Wie die meisten Verbrecher machen auch EH und JS Fehler, gravierende Fehler. JS hinterlässt Spuren am Tatort. EH hinterlässt ihre Aufzeichnungen. Ihre Flucht ist wie alles nicht langfristig genug ausgelegt, sie müssen mit Kleinkriminalität ihren Lebensunterhalt bezahlen und werden dabei geschnappt: das ist schon wieder fast klassisch. Und dann schlägt die Realität mit voller Wucht zu. Und JS kommt damit nicht klar: er, der immer fest geglaubt hat, dass keiner ihm das Wasser reichen kann. Der noch im Gericht verächtlich über den Staatsanwalt lacht, obwohl ihm klar sein müsste, wie sehr ihn das in den Augen der Jury blosstellt.
Und am Ende ist es JS, der sich in eine Phantasie rettet, bevor er im Knast durchdreht: die Phantasie, dass er unschuldig ist, dass es an den Dummen in der Welt liegt, die eben nicht wie er so schlau sind, das alles zu durchschauen. Und er baut auf die Hoffnung, dass er diese Dummen noch einmal übers Ohr hauen kann und dazu bringen kann, ihn freizulassen.
Ein Drama ist diese ganze Geschichte ganz gewiss. Aber kein Justizirrtum.