OnkelJule schrieb:Was ich aber weiß ist, dass es aufgrund der Beweislage und der Indizienlage in Deutschland niemals zur eine Verurteilung gekommen wäre: in dubio pro reo heißt eben, dass sobald die kleinsten Zweifel bestehen, der Angeklagte frei zu sprechen ist - und diese sind in diesem Fall genügend vorhanden.
Wenn jemand sagt, dass er etwas ganz genau weiß, ist immer schon größte Skepsis geboten. Der Angeklagte ist nicht freizusprechen, wenn „kleinste Zweifel“ bestehen. Die können nämlich immer bestehen, theoretisch kann
immer alles ganz anders gewesen sein.
Deshalb wird auch in Deutschland “nur“ ein Grad an Gewissheit verlangt, der (wie man so schön sagt) „vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen“. Das ist soweit ich weiß sinngemäß dasselbe, was auch in den USA verlangt und dort mit „beyond reasonable doubt“ beschrieben wird. Vielleicht kann @Enconium da als Experte weiterhelfen und das bestätigen.
Insgesamt fällt auf, dass in Deutschland immer wieder behauptet wird, dass hier in Strafverfahren alles ganz anders (und rechtsstaatlicher) als in den USA abliefe. Wenn man aber mal genauer hinschaut, sind die behaupteten Unterschiede oft überhaupt keine und teilweise sind die Transparenz, die Anforderungen an eine Verurteilung und die Berufungs-/Revisionsmöglichkeiten hier sogar geringer.
In Folge 3 des Podcasts mit GR hackt dieser z.B. unentwegt darauf rum, wie falsch es gewesen sei, Sörings Geständnisse nicht aufzuzeichnen oder zumindest im Wortlaut schriftlich festzuhalten. Das sei ein ganz schwerer und nicht nachvollziehbarer Fehler gewesen. Dazu muss man sagen:
1. Es fehlt (auch von den anderen Protagonisten, die das immer wieder monieren) zunächst schon jede Angabe dazu, was JS denn Wesentliches gesagt haben soll, als der Tonrekorder ausgeschaltet war (was JS übrigens selbst verlangt hat, nicht die Ermittler) und nur Notizen gemacht wurden. Inwiefern sollen sich seine wahre Aussagen von dem unterscheiden, was handschriftlich festgehalten wurde, und inwiefern ist das für den Fall relevant?
Ohne Erklärungen dazu ist die Kritik nämlich eine reine Nebelkerze.
2. In Deutschland werden die Aussagen von Angeklagten und Zeugen nur am Amtsgericht ins Protokoll aufgenommen. Ab Landgericht aufwärts steht im Verhandlungsprotokoll nur: Der Angeklagte/Zeuge sagte zur Sache aus.
Das wars. Ein Richter der Strafkammer schreibt während der Verhandlung handschriftlich mit, aber auch nicht wörtlich (das könnten nur Stenographen). Die Aufzeichnungen des Richters werden weder veröffentlicht noch den Beteiligten zugänglich gemacht. Erst im Urteil liest der Angeklagte dann, was er und die Zeugen angeblich gesagt haben sollen (aber auch nicht vollständig, sondern nur das, was der Richter für seine Entscheidung braucht). Es ist gar nicht selten, dass hinterher Unstimmigkeiten darüber entstehen, ob das, was im Urteil steht, wirklich von Angeklagtem und Zeugen
so gesagt wurde. Nur hat man als Angeklagter keine Möglichkeit, das mit Erfolg zu rügen, da es für die Revisionsgerichte nicht überprüfbar ist (die haben nur das Protokoll, und dort stehen die Aussagen ja gerade nicht drin).
Soll heißen: In Deutschland ist es Usus, dass Angeklagten Aussagen von sich und von Zeugen vorgehalten werden, die niemand nachprüfbar dokumentiert hat und gegen deren Verwertung man sich auch nicht wehren kann. Und auch in GR‘s Landgericht Hannover läuft das tagtäglich so. Und dann setzt er sich trotzdem da hin und lässt sich lang und breit darüber aus, dass die Engländer und Amerikaner Sörings Aussagen nicht vollständig im Wortlaut erfasst haben (was JS selbst verhindert hat, indem er verlangt hat, dass bestimmte Dinge nicht aufgenommen werden)?
Der Prozess gegen JS wurde außerdem gefilmt, sodass man problemlos überprüfen kann, wer dort was gesagt hat. In Deutschland wäre das undenkbar.
Ein weiterer Punkt ist, dass JS seinen Fall in den USA durch zig Instanzen bringen konnte. In Deutschland dagegen hat man bei Urteilen des Schwurgerichts nur das Rechtsmittel der Revision, über die der BGH entscheidet. Und dann ist auch schon Feierabend. Auch sind die Rügemöglichkeiten im Revisionsrecht sehr eingeschränkt und eine Wiederaufnahme ist auch hier an sehr enge Voraussetzungen geknüpft. Das sollte man wissen, bevor man sich beschwert, wie ungerecht es sei, dass JS angeblich irgendwelche tollen Beweise nicht mehr vorlegen durfte.
Und noch etwas: In den USA muss die Jury einen Schuldspruch einstimmig treffen, in Deutschland die Richter nicht. Da reichen bestimmte Mehrheiten aus.
Es gibt bestimmt noch mehr interessante Punkte, aber auch so merkt man schon, dass es mehr als lächerlich ist, das US-Strafsystem anzuprangern und das deutsche als überlegen darzustellen, ohne überhaupt Ahnung zu haben und zur Kenntnis zu nehmen, dass die Angeklagten in den USA teilweise bessere Rechte haben als hier und in entscheidenden Punkten auch die Transparenz größer ist als hier.
Es ist eigentlich unfassbar, was deutsche Politiker, Richter, Medien etc. sich insoweit anmaßen. Da reist das ehemalige Staatsoberhaupt mit weiteren Diplomaten in die USA und fordert eine Freilassung von JS, da wird er am Flughafen wie ein Star empfangen, durch Talkshows gereicht, ein deutscher Richter lässt ihn in einem Gerichtssaal einen Vortrag halten und prangert in einem Podcast sowohl die Verurteilung als auch die Ermittler und das gesamte System der USA an. Das ist die typische deutsche Überheblichkeit, die vom Ausland schon oft genug kritisiert wurde.
Wie fände man es wohl in Deutschland, wenn hier ein Amerikaner 2 Menschen ermordet, rechtmäßig verurteilt wird, und irgendwann steht Obama auf der Matte und erzählt uns, dass derjenige zu Unrecht im Knast säße und freigelassen werden müsse. Und als das dann passiert, würde er nach Rückkehr in die USA dort auch noch hofiert und wir würden von dortigen Funktionsträgern noch für unser System kritisiert.
Absurder und überheblicher geht es nicht. Ich hoffe den Amerikanern ist bekannt, dass das auch viele Deutsche ganz anders sehen.