@Oskura Oskura schrieb:Das heißt also es gibt Narzissten,die sich nach Macht und gewaltsamer Ausübung sehnen,so wie andere nach Liebe? Das ist interessant,denn ich kannte mal jemanden,auf den genau das zutreffen würde...
Das mit dem Über-ich hört sich sehr interessant an,ich möchte unbedingt mehr darüber erfahren,daher bitte ich dich,mir dies zu erklären.
Gerne.
Charakteristisch für Narzissten ist u.a. ihre Grandiosität. Auch die hat mit dem Über-Ich zu tun.
Alle Narzissten haben eine Über-Ich-Pathologie, d.h. ihr Über-Ich ist nicht zur vollen Entfaltung gekommen.
Volle Entfaltung bedeutet, dass das Über-Ich, wenn alles gut geht, sich in drei Schichten entwickelt. Diese drei Schichten sind Erfahrungen, die jedes Kind sammelt und die sich, wie Sediment auf dem Meeresgrund, in der Psyche ablagern. Die erste Schicht ist dabei immer eine sadistisch-verfolgende, auch dann wenn man die liebsten Eltern der Welt hat. Um das zu verstehen, muss man die Welt aus der Perspektive des Kindes zu erleben versuchen. Wir reden von Kindern im ersten und zweiten Lebenjahr.
Diese Kinder sehen etwas und haben Impulse, den Hund am Schwanz zu ziehen, auf die Wendeltreppe zuzukrabbeln, alles Dinge, die nicht gut ausgehen würden und selbst die liebevollsten Eltern werden aus Sorge einschreiten, das Kind hochnehmen, vielleicht mit einem erschreckten "Nein". Tenor, Kind möchte die Welt erobern und wir immer wieder daran gehindert. Aus Sicht der Eltern, ist das vorausschauend und liebevoll, das Kind versteht dies jedoch noch nicht so und erlebt, dass es permanent gehindert wird, mit ständigem "Nein" von Riesen konfrontiert ist und
aus seiner Sicht ist das ein Akt der Willkür. Ich will was und eine mächtige Instanz verhindert das.
Diese Summe an Erfahrungen bildet die erste Schicht es Über-Ich aus.
Irgendwann, so um das zweite, dritte Lebensjahr ist das Kind zu einem Perspektivwechsel fähig. Es erkennt, dass die Eltern nicht nur willkürliche Verfolger und Verhinderer sind, sondern das Kind in bestimmten Situationen auch gelobt wird.
Und das Kind erkennt, dass es selber etwas tun kann, damit es gelobt wird. Nett lächeln, artig die Hände waschen, irgendwas, um Mamas Sonnenschein zu sein. Das ist die zweite Schicht, in der das Kind merkt, dass es Mama glücklich machen kann, geliebt und gelobt wird. Diese Phase dauert so etwa bis zum vierten, fünften Lebensjahr und die Kinder spüren recht genau, dass es bestimmte Verhaltensweisen sind (und welche das sind), für die sie in ihrer Familie Lob, Beachtung und Bewunderung bekommen. Die für Narzissten typische Selektivität - sie interessieren sich total für ein Thema, der Rest interessiert sie aber überhaupt nicht - hat hier ihren Ursprung.
Diese Kinder steigern und trainieren das wofür sie Aufmerksamkeit und Bewunderung bekommen ins Exzessive, sind oft hübsch oder haben besondere Talente.
Wenn alles normal verläuft, werden diese ersten Schichten schließlich ausbalanciert in einer dritten, realistischen Schicht des Über-Ich. Wenn etwas nicht klappt oder man einen Wunsch nicht erfüllt bekommt, dann ist das nicht das Ende der Welt. Wenn man Lob und Anerkennung bekommt, dann nicht, weil man sowieso der großartigste Mensch ist, sondern man macht die gesunde Erfahrung, dass Enttäuschungen und Glücksmomente sich abwechseln und es im besten Sinne normal ist, dass es mal gut und mal schlecht läuft.
Die dritte, realistische Schicht hilft einem Frustration zu tolerieren, Kritik zu verarbeiten und anzunehmen und nicht als vernichtend zu erleben und auch, andere angemessen zu kritisieren, ohne sie vollkommen zu entwerten.
Ein solches Über-Ich ist kein starrer Monolith, sondern eine hochdynamische Einheit, die einem bei der Weiterentwicklung hilft.
Ohne das jetzt exzessiv zu vertiefen, ist das psychoanalytische Bild des Ich, das einer ebenfalls dynamischen Einheit, in der es zu einer dauernden Abwägung kommt, zwischen unseren biologisch ererbten Triebwünschen und angeborenen Affekten, also dem Es, und dem bremsenden Über-Ich, das eine schrittweise verinnerlichte Kontrollinstanz darstellt und einem Spritzer Realismus, so dass man sich auch etwas wünscht, was möglich ist.
D.h. es gibt einen dauernden Austausch von Ich, Es und Über-Ich.
Bei Narzissten ist die dritte, realistische Schicht des Über-Ich immer ganz oder teilweise zerstört, so dass es zu einem Austausch zwischen Ich, Es und der zweiten, grandiosen Schicht des Über-Ich kommt. D.h. das Selbstempfinden ist (zwar kompensatorisch) schon so wie man ist vollkommen in Ordnung zu sein. Bewundert zu werden und eine Extrawurst zu bekommen, ist für sie das normalste Gefühl der Welt, wer sonst, wenn nicht ich?
Das ist für Narzissten selbstverständlich und sie sind verdattert und entsetzt, wenn die anderen nicht dasselbe denken und auf ihre Wünsche unverzüglich eingehen.
Das Erleben ist, so wie ich bin, bin ich großartig und auch wenn es Bereiche im Leben gibt, in denen ich vielleicht nicht so gut bin ... keiner, der bei Trost ist, gibt sich doch freiwillig mit so einem lächerlichen Quatsch ab.
Die Bereiche, die ein Narzisst beherrscht sind für ihn die bedeutensten der Welt und sie entwerten die anderen Bereiche. Ob das Schönheit, Intelligenz, Sportlichkeit, Reichtum, Bekanntschaften sind für Narzissten ist
das der Lebensbereich, um den es wirklich geht. Davon sind sie überzeugt und das können sie in der Regel auch gut verkaufen.
Ihre Fähigkeit zu kühler Entwertung und zum Abservieren in einem Nebensatz ist schon nicht ohne.
Man weiß heute, es ist kompensatorisch. Narzissten lieben sich nicht, sondern sie können sich nicht leiden, weil sie nicht so perfekt sind, wie sie meinen, dass man sein sollte. Sie sind zwar näher dran, als alle anderen, aber da gibt es Luft nach oben und das wurmt sie.
Sie brauchen Lob und Beachtung von anderen, aber das erfüllt sie nicht, weil die anderen, die sie loben, ja ohnehin Trottel sind, die keine Ahnung haben, damit vergiften sie das erhaltene Lob, ohne es eigentlich zu wollen, selbst. Einzig, wenn sie von einer idealisierten Person gelobt werden, ist einer kurzer Moment der Seligkeit da.
Das sind die gutartigen Narzissten und es ist die Überzahl, die einfach mit dem Gefühl besonders zu sein, durch die Welt gehen, beliebt sein und geliebt werden wollen und die gutartigen sind jene, bei denen das Ich mit der zweiten Schicht des Über-Ich kommuniziert.
Doch die Entwicklung des Über-Ich kann auch früher gestoppt werden und dann kommuniziert das Ich mit der ersten Schicht des Über-Ich. Klinisch heißt das, dass diese Narzissten mehr oder weniger starke - auch hier ist der Grad der Zerstörung des Über-Ich entscheidend - antisoziale Züge aufweisen.
In der leichten Form setzen sie sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit über bestimmte Normen und Gesetze hinweg, "Gesetze sind gut, da man die Menschen führen muss, aber ich spiele natürlich in einer anderen Liga, für mich gilt das nicht", könnte so eine Einstellung sein.
Das in der Entstehung externe Über-Ich, wird bei jedem von uns später verinnerlicht, so dass das Gefühl entsteht: Ich bin so, das will ich, das ist exakt meine Einstellung.
Narzissten, deren Ich mit der ersten Schicht es Über-Ich kommuniziert, erleben sich als besonders, nicht weil sie beliebt und besonders befähigt sind, sondern weil sie grausam und mächtig sind (und sich im äußersten Fall als sadistische Herren über Leben und Tod empfinden).
Sie sind diejenigen die durchziehen, wenn die anderen Halt machen, sie sind besonders krass, besonders skrupellos. Wie gesagt, es gibt leichte Formen, die sozial im Wesentlichen bestens integriert sind, aber zugleich der festen Überzeugung, ihnen stünde ganz einfach mehr zu als den anderen, auch wenn das in den illegalen Bereich geht.
Es beginnt mit leichten antisozialen Tendenzen (und die sind bei Narzissten prognostisch immer ungünstig) und eskaliert weiter zu routinemäßigem Lügen, Stehlen auf der stillen Seite der Krankheit und es geht über zu Gewalt und Grausamkeiten auf der temperamental extravertierten Seite der Krankheit.
Der Narzissmus mit antisoziakeb Zügen geht fließend über in eine Form, die man Narzissmus auf offenem Borderline-Niveau nennt, das sind Narzissten, bei denen die an sich recht gut ausgebildete Fähigkeit zur Impulkskontrolle (die auch aus dem Über-Ich stammt) wegfällt und dann in das Syndrom des malignen/bösartigen Narzissmus, eine weite Eskalationsstufe des Narzissmus, die aus den Komponenten volle narzisstische PST und volle paranoide PST, sowie Sadismus und ich-syntone Aggression besteht (Aggression, mit der man innerlich einverstanden ist).
Das Syndrom des malignen Narzissmus zeichnet aus, dass noch irgendwo in der Psyche ein minimaler Rest von Über-Ich besteht, durch den es möglich ist, den Narzissten zu erreichen.
Das kann die Ganovenehre sein, eine Freundschaft zu einem Tier, jedenfalls irgendeine Form der Beziehung die nichtausbeutend ist, d.h. aus der man keinen direkten Gewinn zieht.
Ist dieser Rest nirgends vorhanden, hat man es mit den seltenen Fällen den antisozialen Persönlichkeitsstörung zu tun, der extremsten Form der narzisstischen PST, die als unheilbar gibt. Null Über-Ich, aber es ist wichtig zu begreifen, dass das nicht unbedingt Menschen sind, die ständig wüten und grölen, sondern es sind Menschen, die
von keinerlei Gewissen gebremst andere manipulieren, wie sie es gerade wollen. Sie lügen ohne Gewissensbisse und erzählen allen Menschen, um des eigenen Vorteils willen, genau das, von dem sie meinen, dass die anderen es hören wollen.
Sie können, wenn sie intelligent sind, Einsicht, Reue und was auch immer ihnen helfen könnte, auf Knopfdruck vorspielen und die können selbst Experten an der Nase herumführen.
Oskura schrieb:Hmmm,das macht mir Hoffnung..aber es verwundert mich auch etwas,denn mein Therapeut sagte mir letztens erst,dass man sein ganzes Leben narzisstisch bleiben wird und es keine Chancen auf Heilung gäbe..allenfalls auf Besserung.
Keine Ahnung, warum man solche Merkwürdigkeiten immer wieder hört.
Was den Narzissmus zur schweren PST macht ist das gleichzeitig diagnostische und symptomatische Kriterium der Identitätsdiffusion. Das bedeutet kurz gesagt, für Narzissten, dass sich zwar gute Auskunft über ihr Innenleben geben können (wenngleich etwas idealisiert und grandios), aber das Innenleben anderer Menschen, die ihnen nahe und intim vertraut sind (oder sein müssten) grausam schlecht beschreiben können.
Jemand ist seit 20 Jahren beste Freundin, aber was sie eigentlich ausmacht, was sie für Ideale und Ängste im Leben hat, ob sie spontan oder grüblerisch, gewissenhaft oder wie auch immer ist, das bekommen Narzissten überhaupt nicht mit.
Aber das kann man lernen und wie gesagt, jedes Lebensjahrzehnt erhöht die Chancen deutlich und die Prognose Narzissmus in späteren Jahren loszuwerden ist nicht 50:50 oder gut, sondern hervorragend und die Einschätzung ist nicht von mir, sondern von Otto Kernberg, der sich wie kaum ein zweiter mit der Thematik beschäftigt hat.
Wenn du andere Menschen, die dir nahe stehen, beste Freundin, Partner, Eltern in Tiefe beschreiben kannst, mach einfach mal den Test und vergleich das mit Beschreibungen anderer Menschen, dann ist deine Identitätsdiffusion weg und du hast keine schwere PST mehr.
Es gibt andere Indikatoren, etwa, dass du dich über Lob aufrichtig(er) freuen und Kritik annehmen kannst, dass du das Gefühl eine von vielen zu sein nicht nur als Katastrophe, sondern auch positiv bewerten kannst, dass psychososmatische und hypochondrische Anwandlungen besser werden oder verschwinden und last not least, dass du wirklich merkst und ertragen kannst, dass andere anders sind und auch ein Recht darauf haben und du dich für deren Geschichte und überhaupt für Dinge interessieren kannst, die nicht nur deinem Ich nutzen.
All das greift irgendwann ineinander und verändert den Blick auf die Welt, lässt dich gelassener werden, ein Stück weit ist so eine Welt natürlich auch banal und bieder, das ist der Preis.