sunshinelight schrieb:In dem selten weinen sehe ich durchaus was positives, aber auch ich weine selten, obwohl ich sehr emotional bin.
Freude leb ich aber total lebhaft aus, das ist einer der besten Momente im Leben. Also das, was das Leben meiner Ansicht nach erfüllt. Von daher stelle ich mir ein Leben ohne wirkliche Freude extrem düster vor und nicht gerade lebenserweckend. Das bringt mich zu dem Punkt, dass es auch so schon quasi einer Depression gleicht, auch wenn es gefühlt weniger belastend ist ohne die anderen Symptome. Aber so als Ganzes betrachtet, ist es schon relativ nah an der Nichtexistenz.
Ich denke, es ist schon relativ schwierig, sich so einen Zustand vorzustellen, wenn man ihn nicht kennt, ebenso wie es mir kaum möglich ist, mich in normal fühlende oder gar sehr emotionale Menschen hinein zu denken.
Kurz das Psychiatrische vorweg, da du das Thema Depression ansprichst: Mir wurde im Laufe der Zeit auch eine Dysthymie diagnostiziert - eine chronische Form der Depression, deren Ausprägung meist eher leicht, aber dafür anhaltend ist. Allerdings ist das immer so eine Sache - es kann auch gut sein, dass die Symptome hauptsächlich von der Persönlichkeitsstörung ausgehen. Ich hatte allerdings bereits depressive Episoden mittleren und schweren Grades, weswegen ich an dieser Stelle sagen muss, dass mein jetziger Zustand damit nicht unbedingt vergleichbar ist. Sicher, wenn man es so will, befinde ich mich in einem permanent gedämpften Zustand, aber ich habe im Gegensatz zu meinen akuten depressiven Episoden durchaus Antriebskraft und Motivation meinen Alltag zu bewältigen und meine Interessen auszuleben.
Zur Freude: Ich bin ebenfalls dazu in der Lage, Freude zu empfinden, allerdings stelle ich fest, dass die Intensität im Vergleich zu "normalen" Menschen eine andere ist. Es fällt mir schwer aus mir heraus zu kommen und ich empfinde Freude eher als einen Zustand der inneren Zufriedenheit und habe leider meine Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, was andere darunter verstehen.
Wenn ich allerdings an einen Zustand der ausgelassenen Freude denke, muss ich mir unweigerlich die Kehrseite der Medaille vorstellen - ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass besonders emotionale Menschen häufig in alle Richtungen emotional sind und dementsprechend auch deutlich empfänglicher für Leid. Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege - ich habe in einem anderen Thread gelesen, dass du Borderliner bist. Ich glaube die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist so ziemlich der absolute Gegensatz zur Schizoiden Persönlichkeitsstörung. Ich war in meiner Jugendzeit mal mit einer Borderlinerin befreundet und es war traurig mit anzusehen, wie sehr sie von ihren Emotionen beherrscht wurde und von Extrem zu Extrem schlitterte. Sicher konnte sie absolut nichts dafür und war ein liebenswerter Mensch, aber ich persönlich war und bin ehrlich gesagt auch froh, dass ich dieser "Naturgewalt" an Gefühlen nicht ausgesetzt bin. Ich stelle es mir sehr belastend vor - vor allem, weil ich damit keine Erfahrung habe.
Von daher empfinde ich meinen Zustand persönlich sogar als recht angenehm. Sicherlich wäre eine totale Emotionslosigkeit etwas absolut nicht Wünschenswertes - auf der anderen Seite bedeuten starke Emotionen auch starkes potenzielles Leid.
sunshinelight schrieb:Vermutlich ist es so, dass du nicht auf sie zugreifen kannst, da du dich selbst davor hemmst.
Du bist Analytiker, das ruft in mir den Verdacht auf, dass du wirklich alles so sehr zerdacht hast, dass die Ergebnisse auf jeden Fall auch dem inneren Häcksler entsprechen und nicht mehr als Ganzes zu betrachten sind und falsch interpretiert? Aber wie gesagt: mein persönliches Fenster Gelehne und eine gewagte Äußerung.
Mit deiner Vermutung triffst du sogar ziemlich ins Schwarze. Ich bin absoluter Kopfmensch und neige sehr dazu, alles um mich herum zu rationalisieren - auch meine Gefühle. Ich analysiere jeden meiner Gedanken bis ins kleinste Detail, es gibt keine Unterhaltung mit anderen Menschen, die nicht in ihre Einzelteile zerlegt wird und Dinge, die auf den ersten Blick irrational erscheinen (und es wahrscheinlich auch sind), werden im Nachhinein rational erklärt. Ich habe ein sehr großes Problem damit, mir Dinge nicht (wissenschaftlich) erklären zu können, weswegen ich z.B. nie verstehen werde, wie Menschen sich dem Glauben an einen Schöpfer oder Gott hingeben können, der sich faktisch niemals beweisen lassen wird.
Ich schätze es liegt mitunter daran, dass ich ein ziemlicher Kontrollfreak bin - ich brauche immer den Überblick über mein Leben und bestimme sämtliche Abläufe gern selbst. Emotionen, die nicht vorher die "Kontrollschranke" passiert haben, lösen in mir Unsicherheiten aus, die ich tunlichst vermeiden möchte. Daher ist der Alkoholverzicht z.B. auch ein Schutz vor Kontrollverlust.
sunshinelight schrieb:Ja, sich in eine Gesellschaft zu pressen kann ganz schön zehrend sein.
Einen gewissen Abstand braucht man da definitiv, aber sich innerlich so abzukapseln? War das der Notschalter? Hätte auch sicher eine bessere Lösung gefunden. Falls du sie nicht schon gesucht hast. :)
Tja, da liegt Hund begraben. Die Schizoide Persönlichkeitsstörung ist in ihrem Kern eine Kontaktstörung. Auch, wenn das die Komplexität nicht so ganz wiedergibt, so ist es doch recht typisch, dass Menschen mit dieser Störung ein generelles Problem damit haben, sich selbst von ihrer Umwelt abzugrenzen. Kontakte zu Mitmenschen werden häufig als grenzüberschreitend wahrgenommen, insbesondere intensivere Kontakte. Mir persönlich fällt es aufgrund dessen und auch aufgrund zurückliegender traumatischer Erlebnisse, sehr, sehr schwer Vertrauen zu Menschen zu aufzubauen und mich auf eine persönliche Ebene zu begeben, die mich (aus meiner Sicht) anderen gegenüber angreifbar macht. Mitunter empfinde ich Nähe als etwas so Übergriffiges, dass ich das Gefühl habe, der andere Mensch würde ich mich eindringen und mir meine Identität stehlen. Daher belasse ich es bei unverbindlichen Kontakten, denen ich mich jederzeit entziehen könnte - da gelingt es mir dann auch, mich relativ normal zu präsentieren und Gefühle zu imitieren, die ich eigentlich nicht habe. Das ist allerdings auch sehr kräftezehrend.
Eine bessere Lösung ist leider schwierig. Ja, selbstverständlich gibt es auch in mir einen Wunsch nach Normalität, nach Nähe zu anderen und nach Gemeinschaft, aber ich musste im Laufe meines Lebens feststellen, dass dieser Wunsch mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, die den Nutzen nicht rechtfertigen.
Dazu muss ich sagen, dass ich im Kontakt mit anderen Menschen grundsätzlich das Gefühl habe, geistig auf einem anderen Stern zu leben. Nicht nur meine Denkmuster und meine mangelnde Emotionalität scheinen sich grundlegend von anderen zu unterscheiden, nein, auch meine Interessen sind leider sehr eingegrenzt und spezifisch, sodass die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu finden, der dort ähnlich ambitioniert ist, ziemlich gering ist. Zudem pflege ich äußerst unkonventionelle Moralvorstellungen zu vertreten, die ich in der Regel für mich behalte, um keinen Eklat auszulösen. Ergo, muss ich mich im Kontakt mit anderen permanent hemmen und stelle auf der anderen Seite fest, dass ich die meisten Menschen ziemlich langweilig finde. Es baut sich einfach keine Verbindung auf und ich habe dann auch nicht das Bedürfnis mich weiter auszutauschen, sondern versinke, wie immer, eher in mich selbst.
Hilfe habe ich bereits gesucht, dann aber schnell wieder verworfen. Mir wurden in Kliniken meist Gruppentherapien angeboten, die mir einfach absolut zuwider laufen. Zudem fällt es mir auch schwer, Vertrauen zu einem Therapeuten aufzubauen. Es ist in Deutschland ja leider auch nicht so, als würden einem die Hilfsangebote um die Ohren gehauen - es heißt zwar immer, jedem könne geholfen werden, aber oft sind das auch Phrasen von Leuten, die noch nie psychisch erkrankt waren. Es gibt einfach Menschen, die besonderen Bedarf hätten, der in unserer profitorientierten, schnelllebigen Zeit kaum erfüllt werden kann. Solche Leute wie ich werden dann schnellstmöglich in die Frühverrentung abgeschoben. Was in meinem Fall allerdings ein Segen (!) war.
Ich hoffe, ich konnte deine Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantworten und entschuldige mich für diesen irrsinnig langen Monolog. Kurzfassungen sind nicht unbedingt meine Stärke.
:)