Schulerfahrungen aller Art
11.01.2014 um 15:05
Erfahrungen aller Art?
Letztes Jahr im Februar verstarb unser Klassenlehrer - der Lehrer den wir alle am liebsten mochten. Und das wurde uns nicht bewusst, weil er starb, sondern es war eine unumstrittene Tatsache von Anfang an. Jeder Schüler liebte diesen Lehrer, weil er mit seiner lockeren, aber weisen Art wie jemand sagte "als einziger die Mauer zwischen Schülern und Lehrern niederzureißen vermochte".
Er starb zwei Tage vor Ende der Ferien - ich erfuhr davon zuerst über Email, dann hörte ich es im Radio und in den Nachrichten, weil er eine relativ bekannte Persönlichkeit war. Am nächsten Tag begann die Schule und ich war irgendwie gespannt darauf, wie die Lehrer reagieren würden. Immerhin war es unser Klassenlehrer gewesen und ein fester Bestandteil unserer Schule.
In der ersten Stunde kam der Religionslehrer, der uns erzählte, was genau passiert war, denn er und einige andere, waren beim Tod anwesend gewesen. Nachdem er es uns erzählt hatte, sagte er, er teile uns Zettel und Mandalas aus und ließe Musik laufen. Wir könnten aufschreiben, was uns durch den Kopf ginge oder einfach nur malen. Ich fand die Musik zwar eher unangebracht (klang ein bisschen wie Karunesh oder irgendetwas Japanisches), aber die Geste war in Ordnung und rücksichtsvoll. Der Deutschlehrer, dem diese erste Stunde gehört hätte, erklärte uns in den letzten Minuten, dass der Test, der diese Woche gewesen wäre, natürlich verschoben sei.
In der nächsten Stunde war Englisch. Tragisch sei, was geschehen sei, sagte sie. Sie könne es ja selbst kaum glauben, sie hätte den Lehrer zwar nicht so gut gekannt, aber immerhin sei er ein Arbeitskollege gewesen. Tragisch! Es sei daher nur gut und recht, nun 5 Minuten einfach mal zu schweigen und in Gedanken bei ihm zu verweilen.
Nach exakt 5 Minuten schlug sie das Register zu und sagte, wir sollten unsere Zettel herausnehmen, mit denen wir vor den Ferien begonnen hätten. Als die Aufmerksamkeit der Klasse angesichts der britischen Geschichte nicht ganz so war, wie sie es sich wohl vorgestellt hätte, sagte sie, ob denn ein bisschen Aufmerksamkeit zu viel verlangt sei.
In der nächsten Stunde war Französisch, die zu dem "Vorfall" allerdings nicht viel zu sagen hatte. Sie kam rein, mit der üblichen Begrüßung und schien sich nur daran zu erinnern, weil ein zweiter Lehrer reinkam und und mitteilte, wann die Trauerfeier und die Beerdigung waren. Er verließ die Klasse und Madame sagte mit hochgezogenen Augenbrauen: "Ja, so schnell kann's gehen."
Auf unsere Frage, ob wir die Prüfung morgen verschieben könnten, antwortete sie mit einem klaren Nein, sie wüsste nicht wieso. Nach der Schularbeit am Mittwoch fragten wir sie erst gar nicht.
Ich war davon ausgegangen, dass man uns vielleicht den Nachmittagsunterricht erlassen würde, aber Fehlanzeige. Die Lehrer dieser Fächer erwähnten den "Vorfall" nicht einmal, der Physiklehrer sagte mir nur, dass am Donnerstag (Tag nach der Beerdigung) meine Aufholprüfung sei.
Naja, ich weiß ja nicht. Vielleicht ist es nur meine Empfindung, aber ist der Tod eines Menschen gewöhnlich nicht eines Wortes bedürftig? Ist der Tod eines Menschen so unwichtig, dass man darüber hinwegsehen kann wie über ein herabfallendes Blatt im Herbst?
Jemand anderer erzählte mir, dass in ihrer Klasse eine Mitschülerin übers Wochenende ums Leben kam. Beim montaglichen Appell sagte die Klasse, als der Lehrer den Namen verlas, dass die Mitschülerin tot sei, woraufhin dieser angeblich nur "Ah" antwortete und den nächsten Namen nannte.
Vielleicht ist der Tod ja unwichtig geworden angesichts so vieler anderer Dinge. Vielleicht ist die Französische Konjugation, der Logarithmus, das Berechnen von Hebelwirkung oder die Geschichte Großbritanniens wichtiger geworden als der Mensch an sich.
Wer weiß.