Ursula Poznanski - ScandorDer nächste Thriller von Ursula Poznanski, der dieses Jahr erschienen ist. Streckenweise ist er der beste, da zumindest die Skizzierung einer der Hauptfiguren gelungen ist. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los: Handwerklich gut geschrieben, aber am Reißbrett konstruiert. Die Idee, einen mutmaßlich fehlerfreien Lügendetektor von 100 Leuten im Echtleben austesten zu lassen und der Gewinner:in 5 Millionen Euro zuzusprechen, hat durchaus seinen Reiz. Schräg ist der Einsatz: Die Verlierer müssen etwas durchleben, wovor sie panische Angst haben.
Hauptfiguren sind die etwa 20-jährigen Tess und Philipp, die sich im Lauf der Challenge näher kommen. Vor allem die Szenen von Tess in der Bar, in der sie einen Studentenjob hat, sind köstlich. Sie darf die Gäste nicht anlügen, was ihr schließlich den Job kostet.
Die Auflösung ist jedoch wie oft bei Poznanski, dass eine Person mit persönlichen Interessen hinter den Machinationen steckt, in diesem Fall der Technologie-Unternehmer Xaver Colmar. Dessen Bruder Melvin ist vor zwei Jahrzehnten bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen und sein Ziel ist, die Wahrheit über dessen Tod herauszufinden.
Das Set-up: Vor etwa 20 Jahren waren die Eltern von Tess und Philipp gemeinsam mit Tess' Onkel Henrik und dessen Frau/Freundin Loreen auf der griechischen Insel Skiathos. Melvin Colmar stalkt Loreen und bei einer Nachtfahrt auf einem Schnellboot rammt Henrik das Boot von Melvin, der sie verfolgt. Melvin und der einjährige Philipp fallen ins Wasser. Tess' Vater springt nach und kann Philipp vor dem Ertrinken retten, aber irgendwer beschleunigt das Schnellboot rückwärts. Die Schiffsschraube zerfetzt Tess' Vater das Bein, Melvin wird getötet.
Eigentlich hätten statt Tess und Henrik die Erwachsenen an der Challenge teilnehmen sollen, aber der Zufall wollte es nicht. Womit sich jedoch die Frage stellt, ob Scandor manipuliert ist oder das ganze Set-up nur konstruiert. Denn wer kann garantieren, dass diejenigen nicht früh ausscheiden, weil sie fahrlässig lügen oder eine Frage nicht beantworten (Philipp oder Tess beantwortet einmal wirklich eine Frage nicht - Fehler im Manunskript oder versteckter Hinweis?). Auch weiß man nicht, ob die Zufallskandidat:innen wirklich ihren Einsatz durchführen müssen (von einem Mann in einem Quallenaquarium bzw. einer Frau beim Bungee-Jumping berichtet der an einem Arm angebrachte Scandor). Ein Mann wird eine Stunde lang lebendig begraben (aber er ist einer der handverlesenen Zeugen). Auf jeden Fall sind Tess und Philipp die letzten beiden in der Challenge, sie kennen bereits die Hintergründe und Philipp lässt Tess gewinnen (ihr Vater ist seit dem Unfall arbeitsunfähig). Der Roman endet, dass er einen Taucheranzug anlegt - seit dem Kindheitstrauma hat er panische Angst vor Wasser.
Wenn das letztlich unlogische Konstrukt nicht wäre, ein interessantes Buch. Das letzte Viertel, in dem die Fäden aufgelöst werden, war dann aber doch etwas langweilig, da sehr aufgesetzt.