Herbert Heftner - AlkibiadesDer Wiener Althistoriker Herbert Heftner hat 2011 eine Biographie einer der prägenden sowie des wohl umstrittendsten politischen und militärischen Athener Persönlichkeiten des Peloponnesischen Kriegs im späten fünften vorchristlichen Jahrhundert vorgelegt.
Alkibiades stammte aus einer hocharistokratischen Athener Familie, nach dem Tod seines Vaters war sein Onkel Perikles, der Former der athenischen Hochdemokratie, sein Vormund und einer seiner Lehrer war Sokrates. Sein Bruder galt als schwererziehbar, und auch Alkibiades hatte seit seiner Kindheit eine Neigung, seine Hochrangigkeit voll auszukosten. So schildert Heftner, dass es in Athen üblich war, dass erwachsene Männer päderastische Neigungen mit Knaben auskosteten, so auch mit Alkibiades, der jedoch den Spieß umdrehte und sich mit seinen "Liebhabern" wilde Späße erlaubte und einen von ihnen mit seinen Freunden ausraubte, ohne dass dieser es wagte, eine Klage gegen ihn zu erheben. Ab jungen Jahren war Alkibiades den Überlieferungen nach ein Frauenheld, dem es auch egal war, verheiratete Frauen zu verführen, auch wenn dies ein schweres Vergehen gegen die Ehre war, das zur Blutfehde führen konnte, nur wagte es niemand aufgrund seiner hohen Abkunft gegen ihn vorzugehen.
Heftner beginnt mit einem politische Überblick über Griechenland des fünften Jahrhunderts, in dem Athen als Führer des Seebunds nach der Abwehr der persischen Eroberungsversuche seine Bündnispartner nicht nur bei Stange hielt, sondern ausplünderte (mit diesem Geld wurden die Akropolis wie auch die Langen Mauern zum Hafen von Piräus ausgebaut bzw. errichtet) und mit seiner Flotte militärisch im Bündnis hielt. Durch diese Politik fühlte sich Sparta extrem bedroht, was schließlich zu einem langjährigen Krieg zwischen Athen und Sparta führte.
Athen selbst war eine Demokratie aller freien Männer (Frauen, Nicht-Bürger [Metöken] und Sklaven waren von politischen Entscheidungen ausgeschlossen), auf Basis der Verfassungsregelungen von Solon, Kleisthenes und Perikles waren Reichtum und lokale Seilschaften nicht prägend für politische Entscheidungen. Ämter wurden jährlich neu gewählt oder gelost, Amtsträger waren nach Beendigung zu einer Rechenschaftslegung vor der Volksversammlung verpflichtet. Beamte und Geschworene erhielten seit Perikles einen Sold, um Bestechung und Korruption zu vermindern. Alle wesentlichen Entscheidungen wurden von der Volksversammlung getroffen. Die wichtigsten Ämter waren die Strategen (Militärbefehlshaber) und der Vorsteher der Volksversammlung. Letzterer war Meinungsführer bei der Volksversammlung und brachte die zu diskutierenden Themen ein.
Im Winter 432/31 brach der Konflikt zwischen Athen und Sparta aufgrund lokaler Streitigkeiten zwischen Kerkyra (auf Athener Seite) und Korinth (auf Seite Spartas) erneut aus. Perikles zeigte sich nicht kompromissbereit. Ab diesem Zeitpunkt fielen die Spartaner regelmäßig in das Athener Bündnisgebiet ein. Das von Flüchtlingen überfüllte Athen war 430/29 einer Seuche ausgesetzt, die etwa ein Drittel seiner Bewohner hinraffte, schließlich auch Perikles selbst. An den nicht sehr erfolgreichen Feldzügen war auf Athener Seite auch Alkibiades beteiligt (der Überlieferung nach auch als Fußsoldat, Hoplit, an der Seite von Sokrates) und erhielt hohe Auszeichnungen.
Die nächsten zehn Jahre versuchte Sparta erfolglos Athen und seine Verbündeten anzugreifen, doch militärisch war ein Patt eingetreten. Unter Führung des Strategen Nikias wurde 421 ein Frieden geschlossen, der fünfzig Jahre hätte währen sollen. Dieser beinhaltete eine Aufteilung der Einflusssphären vor dem Krieg, Städte in der Chalkidike erhielten einen Sonderstatus und Gefangene wurden ausgetauscht. Nicht gerechnet wurde mit dem Machtverlust von Sparta, dessen Verbündete Böotien, Korinth, Elis und Megara verweigerten die Annahme der Bedingungen, die zwischen Athen und Sparta ausgehandelt waren. Die nordpeloponnesische Stadt Argos ergiff die Chance und errichtete mit den Unzufriedenen ein eigenes Bündnissystem.
Der etwa 30-jährige Alkibiades ergriff 420, zum ersten Mal zum Strategen gewählt, die Chance und schloss mit den Städten des Argos-Bündnisses ein Abkommen zum bewaffneten Beistand. Die Lage blieb aber instabil, da sich Städte wie Korinth nicht gegen Sparta entschieden. Auch brutale Eroberungsversuche konnten Korinth und andere nordpeloponnesische Städte nicht überzeugen. 418 schließlich erlitten das Argos-Bündnis und Athen bei der Schlacht von Mantineia eine desaströse Niederlage. In Argos wurde eine Oligarchenherrschaft eingerichtet und nach einem pro-athenischen Aufstand richteten spartanische Soldaten unter der Bevölkerung von Argos ein Massaker an.
In Athen wurden 300 Bürger, die als spartafreundlich galten, in die Verbannung geschickt, und es wurde beschlossen, gegen die neutrale Insel Melos (heute: Milos) einen Feldzug zu führen, um sie in den attischen Seebund zu integrieren. Melos beschloss sich zu verteidigen. Das Resultat der Belagerung im Jahr 416/415 war, dass Melos keine Chance hatte, sämtliche männliche Bürger ermordet, alle Frauen und Kinder versklavt wurden. Athen hat gegen eine Insel einen genozidalen Feldzug geführt. Der griechische Geschichtsschreiber Thukydides hat in seinem "Melierdialog" festgehalten, dass Athen ausschließlich nach dem Recht des Stärkeren verfahren ist: „In menschlichen Disputen entscheidet nur dann das Recht, wenn die Kräfteverhältnisse ausgeglichen sind, ansonsten aber führen die Überlegenen das, was in ihrer Macht steht, durch und die Schwächeren geben nach". Athen, so Heftner, sei eine von Herrschafts- und Expansionswillen getriebene Großmacht, die sich das Recht auf unlimitierte Gewaltanwendung zugestehe und sich dabei weder durch rechtliche noch durch moralische Bedenken hemmen ließe. Einige griechische Quellen überliefern, dass Alkibiades eine treibende Kraft bei der Umsetzung dieses Genozids gewesen sei. Der Volksheld mit seinen alten militärischen Erfolgen und seinen großartigen Reden vor der Volksversammlung sei bei einigen Athenern zu einer hässlichen Figur eines unbeherrschten Gewaltmenschen geworden.
Auch sein verschwenderischer, luxuriöser wie auch anstößiger Lebensstil wurde immer mehr zu einem Kritikpunkt. Wie schon als Jüngling neigte Alkibiades im Erwachsenenalter zum Tabu- und Regelbruch. In seinem Haus hätte er Sexorgien gefeiert, und als sich seine Gattin Hipparete auf dem Weg zum Scheidungsrichter befand (sie hatte Recht dazu), soll Alkibiades sie mit Gewalt auf offener Straße und vor Zeugen ins Haus zurückgeholt haben. Aber auch sein Olympiasieg als Pferdestallbesitzer 416 wurde angeprangert. Er sei mit so vielen Pferden angetreten, sodass nicht so reiche wie er keine Chance hatten zu gewinnen. Und eines der Gespanne habe er überhaupt von einem "Freund" gestohlen. Der Volksredner wird immer mehr als möglicher Tyrann gesehen.
Von den privaten Ungemach lenken Ereignisse in Sizilien ab. Syrakus ist eine Stadt im Bündnis mit Sparta und hat die Stadt Leontinoi im Osten zerstört, da sie sich mit Athen verbünden wollte. In Reaktion darauf hat die Stadt Egesta einen Hilferuf an Athen gesendet, jedoch vorgespiegelt, dass die Stadtkassen prallvoll seien und sie für jeglichen Aufwand zahlen könnten. Dem war schließlich nicht so. Für Athen war dieses Hilfeansuchen auch deshalb sehr reizvoll, da Sizilien und Süditalien sowohl als Kornkammern als auch strategisch von großer Bedeutung waren. Die Expansionisten, darunter Alkibiades, setzten sich durch, Athen baute eine riesige Flotte auf allerhöchstem Niveau und drei Strategen wurden deren Oberbefehlshaber: der Expansionist Alkibiades, der erfahrene Feldherr Lamachos sowie der vorsichtige, aber gründliche und eigentlich versöhnliche Nikias (der Aushandler des Friedens von 421).
Gegner des Sizilienunternehmens zogen nun die religiöse Karte. Alkibiades wird unterstellt, dass er unberechtigter Weise privat im Rahmen eines Festgelages die Eleusis-Mysterien nachgespielt habe (ein Frevel, der im doch sehr religiösen Athen mit hohen Strafen belegt wurde). Mehr oder weniger gleichzeitig wurden die Hermenbilder in Athen während einer Nacht verstümmelt. Die Hermenbilder waren Statuen mit Büsten zur Ehre des Gottes Hermes, auf dessen Sockeln sich erigierte Penise befanden. Diese wurden abgeschlagen, nur wenige dieser Statuen sind vollständig erhalten (siehe eine vollständige Hermenbüste aus Siphnos -
Wikimedia). Auch der Hermenfrevel wurde dem Umkreis von Alkibiades zugeschrieben, auch wenn sich dieser Vorwurf als falsch herausgestellt hat, da ihn ein Zirkel junger Aristrokaten als eine Art Bonding verübt hat. Die Täter wie auch derjenige, der fälschlicherweise Alkibiades denunziert hatte, wurden hingerichtet.
Im Juni 415 fuhr die Flotte ab und die Strategen konnten sich nicht auf einen sofortigen, vermutlich erfolgreichen Angriff auf Syrakus entscheiden. Während die Lage sondiert wurde, kamen Emissäre aus Athen, die den Auftrag hatten, Alkibiades wegen des Eleusis-Frevels festzunehmen und nach Athen zu bringen. Angesichts der drohenden Todesstrafe entschied sich Alkibiades zur Flucht zu Verbündeten von Syrakus (was muss da im Hintergrund abgelaufen sein, dass diese Kontakte möglich waren!). Der erste Exilort war die mit Sparta verbündete peloponnesische Stadt Elis, wo ihm eine Einladung nach Sparta zukam, die Alkibiades annahm.
Der Syrakus-Feldzug wurde für die athenische Flotte zur Katastrophe. Syrakus konnte ein Entsatzheer herbeirufen und in einer Nachtschlacht wurde die athenische Flotte 414 vernichtet. Etwa zehntausend athenische Soldaten fanden den Tod, das war ein Drittel der gesamten athenischen Streitmacht.
In Sparta wurde 413 Alkibiades Opfer des Gerüchts, dass er mit Timaia, der Frau des Spartanerkönigs Argos, ein Liebesverhältnis hätte, aus der ein Sohn, Leotychidas, hervorgegangen sei. Argos ließ diesen Sohn verstoßen. Ob es dieses Liebesverhältnis gegeben hat, ist bis heute nicht gesichert. Sicher ist, dass es in Sparta gelaubt wurde. Alkibiades wird nach seinem Tod in den Mund gelegt, er habe der Stammvater des künftigen Königsgeschlechts von Sparta sein wollen. Auf jeden Fall werden die Beziehungen immer verflochtener. Er zieht nach Chios und nimmt noch als spartanischer Gesandter Kontakt mit dem persischen Satrapen Tissaphernes auf, dessen Vertrauen er gewinnt.
412 wird Alkibiades von Sparta verstoßen und er intrigiert, dass Persien die Chance nutzen soll, den Einfluss in Griechenland auszubauen. Er bietet sich Athen als Vermittler an, mit Persien ein Bündnis abzuschließen, wenn die Demokratie beseitigt und eine Oligarchie eingerichtet wird. Selbst hofft er darauf, das Todesurteil, das in seiner Abwesenheit gefällt worden ist, abzuwenden. Im Juni 411 beseitigt die Volksversammlung in Athen die Demokratie und richtet einen oligarchischen Rat der 400 mit weitgehenden Machtbefugnissen ein. Nur dieser kann eine Versammlung der 5000 einberufen, welche die Volksversammlung ablöst. Damit war die Macht in den Händen der Reichen.
Nur: Persien wollte davon nichts wissen. Damit war die Oligarchie für Alkibiades wertlos, da schwach. Er stellte sich in Samos an die Spitze der athenischen Seeleute und Soldaten. Mit ihrer Hilfe soll ein Kompromiss zwischen gemäßigten Oligarchen und Demokraten angestrebt werden. Eine Annäherung zwischen Sparta und Persien war ohne Erfolg. Der Weg für Alkibiades war offen, Athen letztlich froh, den Rat der 400 wieder loszuwerden und die Macht der Versammlung der 5000 zu übergeben (eine Teildemokratie war wieder errichtet).
Alkibiades ging nun daran, die peloponnesische Flotte am Hellespont (Dardanellen) anzugreifen. Bei Kyzikos wurde 410 diese vernichtet. Die peloponnesischen Bündnisstädte Kalchedon, Selymbria und Byzantion konnten nun neutralisiert oder auf die Seite Athens gezogen werden. Die Athener hatten nun den Hellespont und den Bosporus unter ihrer Kontrolle.
Nun wagt es Alkibiades, nach Athen zurückzukehren. Im Juni 408 landet er in Piräus und nachdem eindeutig war, dass keine Feinde ihm entgegentraten, zog er im Triumph ein. Er wird völlig rehabilitiert und erhält sein Vermögen zurück. Ernannt wird er zum Oberbefehlhaber über Land- und Seestreitkräfte. Das Ziel war, den Peloponnesischen Krieg mit einem Sieg oder einem für Athen günstigen Frieden zu beenden.
Einzig die Ionischen Inseln waren noch nicht unter Kontrolle Athens. Um diese zu unterwerfen, wurde 408 wieder eine riesige Flotte errichtet. Doch Sparta hat nun mit dem persischen Prinzen Kyros ein Abkommen geschlossen und ebenfalls mit Hilfe persischer Gelder hochgerüstet. Die Flotte der Athener war auf Samos, die der Peloponneser auf Ephesos stationiert. Da der spartanische Oberbefehlshaber Lysandros nicht zu einer offenen Seeschlacht bewegt werden konnte, kümmerte sich Alkibiades 407 um die Sicherung der nördlichen ionischen Inseln und übertrug den Befehl über die Hauptflotte seinem Steuermann Antiochos mit der strikten Anweisung, Lysandros nicht zu provozieren. Dieser Anweisung folgte er nicht und die Flotte der Athener wurde überrascht und geschlagen.
Alkibiades wusste, dass er für diese Niederlage zur Verantwortung gezogen wird und floh abermals, diesmal auf seine Besitzungen auf der Krim und am Schwarzen Meer, wo er wie ein Söldnerführer lebte und die Region nach Belieben plünderte. Was er nicht wusste: In Athen hatte niemand Interesse, ihn wegen der verlorenen Schlacht zur Rechenschaft zu ziehen oder gar anzuklagen.
Währenddessen gab es sowohl in Sparta wie auch in Athen interne Streitigkeiten. Nach einem Sieg der Athener 406 bei der Inselgruppen der Arginusen wurden führende Offiziere in Athen angeklagt, da ertrinkende Seeleute nicht gerettet wurden. In Sparta wurde Lysandros von einem Konkurrenten abgesetzt, aber nach der Niederlage seines Kontrahenten bei den Arginusen wieder eingesetzt. So stellte er eine Flotte mit 200 Schiffen zusammen und konnte schließlich die athenische Flotte 405 völlig vernichten. Alkibiades hat nochmal versucht, Kontakt mit der athenischen Armee aufzunehmen und bot Hilfe durch thrakische Truppen an, doch er war nicht mehr erwünscht. Athen wurde von den Spartanern belagert, konnte aber nicht eingenommen werden.
404 wurde Friede geschlossen. Athen musste alle Gebiete außerhalb Attikas räumen, die langen Mauern zwischen Piräus und Athen wurden niedergerissen, der Rest der Flotte musste übergeben werden und ein "Freundschaftsvertrag" bedeutete eine Unterwerfung unter Sparta. Gesetzgebung und Regierung übernahmen 30 Sparta freundlich gesinnte Oligarchen.
Dass bereits ein Jahr danach Athen wieder Demokratie wurde (unter Straffreiheit der Oligarchen) sowie vier Jahre danach das Bündnis zwischen Persien und Sparta sich in einen Krieg gewandelt hat und der athenische Feldherr Konon in Athen mit Hilfe der Perser einziehen konnte, erlebte Alkibiades nicht mehr. Er wurde 404 im Alter von 46 Jahren ermordet. Wer den Auftrag gegeben hat, ist bis heute nicht geklärt.
Als Fazit sieht Heftner Alkibiades nicht als den begnadeten Feldherrn, den einige antike wie auch moderne Historiker in ihm erkennen wollen. Er habe durch eine überzeugende Rednerkraft mit hochfliegenden Plänen wie auch mit Charisma das Volk von Athen gewinnen können, sei aber persönlich von Egoismus und Selbstherrlichkeit getrieben gewesen und habe sich nicht an gültige Regeln gebunden gefühlt, ohne jedoch eine Tyrannis anzustreben. Dazu habe er zu wenig Unterstützung gehabt. Militärisch sei er überdurchschnittlich begabt gewesen und wohl mit hoher Körperkraft ausgestattet, aber die Feldzüge in Sizilien wie auch gegen die Ionischen Inseln seien zu fehlerhaft gewesen. Fehler, die Athen großen Schaden zugefügt haben. Bei Melos, aber auch während seines zweiten Exils habe sich eine sehr dunkle Seite seines Charakters gezeigt. Letztlich bleibe das Bild eines eigensinnigen Perikleszöglings, eines aristokratischen Volkslieblings, eines kriegstreibenden Staatsmanns, eines geächteten Überläufers am Spartanerherd, eines Freundes orientalischer Potentaten, aber auch eines Meisters der Selbstinszenierung. Auch sei das Eigeninteresse immer über allem anderen gestanden.