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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 15:55

Die Wächterin

Stumm harrt das Volk. Aus unerkannter Reih'
Erscheint, die stets ein Traum der Besten war
Und tiefe Sehnsucht geistesedler Frau'n.
Sie naht ursprünglich wie die Liebe, frei
In Haltung und Gebärde, wunderbar
Gelassen, ohne rechts und links zu schau'n,
Der Bühne tief verhangenem Heiligtum
Und wendet sich und überblickt das Haus. –
Hoch in der Linken hebt mit starkem Arm
Den Spiegel sie, darin das Flammenherz
Der Menschheit unverschüttet widerscheint,
Und mit der Rechten deutend kündet sie:
»Dem Ort der Weihe bin ich Wächterin,
Den hinter mir des Vorhangs Hülle schließt.
Wenn er sich öffnet, öffnet sich die Welt,
In Ausdruck, Wort und Bild gebannt, dem Aug'
Und Ohr. Gestalten wachsen wahr heraus,
Die euch mit ihrer Menschlichkeiten Macht
Und Ohnmacht mahnen an verwandtes Los
Und zeugen von dem bindenden Gesetz,
Das sternensicher Heil und Unheil fügt.
Dem Ort der Weihe bin ich Wächterin,
Und Opferflammen will ich lodern sehn
Zur Abwehr falschen, wesensfremden Spiels,
Zum Hort der hohen, lebensläuternden Kraft.
In Kraft und Fülle soll ein Tatgebild
Vor euch sich traumhaft heben. Alle Not
Und Niedrigkeit und majestätischer Stolz
Der Menschheit, was sie schändet und erlöst,
Soll euch zur Seligkeit durch Feuer führen.
Kennt ihr die herzerobernd kühne Kunst,
Die gleich der weißen Lichtwalküre steigt
Durch Sturmgewölk zu lichter Götter Saal,
Indes im Sumpf sich die Gewohnheit krümmt
Der ewig ehrfurchtlosen Ehrbarkeiten?
Dem Ort der Weihe bin ich Wächterin,
Den Ort des Weltbilds weih' ich allem Volk,
Das Sehnsucht tief durchzittert, sich zu baden
Im Meer der ungeheuren Leidenschaft,
Im Quell der heiligen Aufrichtigkeiten.
So lauscht und feiert, sammelt euch zum Bild,
Das sinnentzückend, grausig, zart und wild,
Entfesselnd und beherrschend sich im wahren
Weltspiel des Dichters sehnt zu offenbaren!«

Karl Henckell
(Ein Prolog, gesprochen an der Tagung für neue Bühnenkultur
September 1917 in der Festvorstellung des Mannheimer Hoftheaters)




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 15:56

Der Fluch des Derwisch

In Indien auf weitem Meer
Da schwimmt ein großes Schiff,
Ein Schiff so grausig öd' und leer
Als wie ein Felsenriff.

Am Tage braust es durch die Fluch
Wie eine Windsbraut schnell,
Und doch am andren Morgen ist's
Noch an derselben Stell'.

Ein weitgefürchtet' Kaperschiff
Durchkreuzt's das wilde Meer,
Es kreuzt und sucht und findet doch
Den Hafen nimmermehr.

Ein Derwisch bieder, fromm und mild
War einst an seinem Bord,
Der richtet' an das Schiffervolk
Sein ernstes Mahnungswort.

Doch die Gesellen frech und roh
Verspotteten den Greis,
Der Hauptmann gab ihn ihrer Wuth
Und ihrem Hohne Preis.

Die banden ihn und warfen ihn
In's Meer, den frommen Mann —
Doch auf den Frevlern ruhte schwer
Des Alten Fluchesbann.

Sie hatten weder Rast noch Ruh —
Und in der nächsten Nacht
Da kam's auf ihrem eignen Schiff
Zur wilden, blut'gen Schlacht.

Der fiel durch's Schwert, der durch's Geschoß
Mit Wunden übersät,
So lagen sie auf dem Verdeck,
Als kühl die Frühluft weht.

Sie leben nicht sie sind nicht todt,
Doch kommt die Nacht herbei
Dann tobt's auf dem Piratenschiff
Wie Kampf und Wuthgeschrei.

Ein Theil der Mannschaft rudert dann,
Er rudert lang und heiß,
Bis daß die braunen Stirnen all'
Gebadet sind in Schweiß.

Der Hauptmann und der Steuermann
Die sitzen still beim Spiel,
Bis daß des Frühroths erster Strahl
Dem Treiben setzt ein Ziel.

Dann liegen sie als Leichen rings
Auf dem Verdeck umher —
Und wieder schießt dann pfeilgeschwind
Das Todtenschiff durch's Meer.

Karl Stelter




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 16:14

Faunsflötenlied

Ich glaube an den großen Pan,
Den heiter heiligen Werdegeist;
Sein Herzschlag ist der Weltentakt,
In dem die Sonnenfülle kreist.

Es wird und stirbt und stirbt und wird;
Kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.

Otto Julius Bierbaum




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 16:15

Abschied von England

Ich habe deinen Boden kaum betreten,
schweigsames Land, kaum einen Stein berührt,
ich war von deinem Himmel so hoch gehoben,
so in Wolken, Dunst und in noch Ferneres gestellt,
daß ich dich schon verließ,
als ich vor Anker ging.

Du hast meine Augen geschlossen
mit Meerhauch und Eichenblatt,
von meinen Tränen begossen,
hieltst du die Gräser satt;
aus meinen Träumen gelöst,
wagten sich Sonnen heran,
doch alles war wieder fort,
wenn dein Tag begann.
Alles blieb ungesagt.

Durch die Straßen flatterten die großen grauen Vögel
und wiesen mich aus.
War ich je hier?

Ich wollte nicht gesehen werden.

Meine Augen sind offen.
Meerhauch und Eichenblatt?
Unter den Schlangen des Meers
seh ich, an deiner Statt,
das Land meiner Seele erliegen.

Ich habe seinen Boden nie betreten.

Ingeborg Bachmann




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 16:17

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 18:59

Eisblumen

I.

Im Winter, wenn sich erdenwärts
Die eisigen Flocken schwingen,
Da soll das liebende Sängerherz
In Liedern hell erklingen.

Da sollen die Freuden der Frühlingszeit,
Die jubelnd ins Herz gezogen,
Aus Liedern klingen mit Seligkeit
Auf goldenen Sangeswogen.

Da soll aus den Keimen, die traumverhüllt,
Im Lenz in die Herzen gefallen,
Mit Liederblüten, dufterfüllt,
Ein klingender Frühling wallen.

Da sollen der Erde eisigen Traum
Die Sänger jubelnd versingen,
Und in den trüben, kalten Raum
Den Frühling der Lieder bringen.

II.

Entfalte deinen Blütenglanz,
Du volles Liederleben,
Du sollst der Erde einen Kranz
Aus Liedern, für Blumen geben.

Es hat der Wald ja aufgehört
Zu blühen und zu klingen,
O Herz, nun kannst du ungestört
Blühn und jubeln und singen.

Im Frühling singt die Nachtigall -
Da mußt du wieder schweigen;
Nun kannst du mutig deinen Schall
Und deine Blüten zeigen!

III.

Du arme Wiese, du öder Wald,
Ihr blättelosen Bäume,
Wie hat der Herbst so bald, so bald
Vernichtet eure Träume.

Wie hat der Sturm so baldd verweht
Den Traum der Blätter und Blüten,
Und Lust und Leben und alles vergeht
In des Wintersturmes Wüten.

Und hätte nicht das Sängerherz
Sich ewigen Frühling erworben,
Wer trüge den großen, langen Schmerz,
Daß Blumen und Lieder gestorben.

lV.

Entringe dich der Trauer
In kalter Winternacht,
Es flieht des Frostes Schauer -
Der Geist der Liebe wacht.

Es löschte die Blütenflammen
Des Wintersturmes Gebraus,
Doch er streute auch die Samen
Zu neuem Leben aus.

V.

Nun stelle deinen Zweifel ein
Und all dein Widerstreben,
Und glaube jetzt, und füge dich drein -
Es gibt ein Geisterleben!

Im Traum hat eine Nachtigall
Mir laut ins Herz geflötet,
Und mir träumte von den Blumen all,
Die der kalte Winter getötet.

Da kamen im Traume still und bleich
Die Blumengeister gezogen,
Und hauchten mich an und verschwanden zugleich
Und schwebten und webten und flogen.

Und Morgens, als ich aufgewacht,
Da standen sie eisig am Fenster,
In kalter, schimmender Geistertracht
Die weißen Blumengespenster.

Hermann Rollett




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27.12.2012 um 19:00

Eisblumen

Was sitzt er denn und brütet still im Traum? –
Laut heult der Winter draußen durch die Gassen
Mit Sturm und Schnee; – vier Monden sind es kaum,
Seit man ihm schrieb, sie habe ihn verlassen.

Nun wacht er auf, es weckt ihn das Gebraus
Aus seinem Traum', darin er still vergangen;
Er fährt empor, und wie er blickt hinaus,
Sieht all' die Blumen er am Fenster prangen.

Da funkelt es in seinen Augen hell,
Es wollt', als ob er Tränen hätt', ihm scheinen;
O, öffne dich, du längst versiegter Quell,
Noch einmal möcht' um seinen Schmerz er weinen!

Jüngst saßen noch sie draußen, Herz an Herz
Und Hand in Hand und Blick in Blick versunken;
Von ihren Lippen hat den süßen Schmerz
Der Liebe bis zur Neige er getrunken.

Und aus den Blumen haben sie vereint
Die schönsten sich in heil'ger Stund' gebrochen; –
Und Freudentränen haben sie geweint
Und durch die Blumen haben sie gesprochen.

Und als er ging, als er den letzten Gruß
Ihr scheidend gab, da weinte sie aufs neue,
Und einen Blumenstrauß zum letzten Kuß
Gab sie als Pfand ihm ew'ger Liebestreue.

Ha, schneller als die Blumen welken hin,
Schwand ihre Treu', die ewig sie verheißen!
Was wollt ihr nun an seinem Fenster glüh'n,
Ihr Blumen, neu die Wunde aufzureißen?!

Er sitzt und sinnt, das dunkle Herz so schwer;
Wo eine Blume, die ihn noch erfreute? –
Sie welkten all' und keine blieb ihm mehr,
Als eisige, die ihm der Winter streute! –

Und eisig fährt der Winter durch das Herz,
Das, einst so reich, des Glück's so viel besessen,
Das, nun so arm, so arm in seinem Schmerz,
Die eine, die es brach, nicht kann vergessen.

Warum auch schwand der süße Wahn so bald?
Getäuscht, – verlassen, – einsam – und betrogen?!
O, fort mit euch, ihr Blumen bleich und kalt,
Er weint, daß eure Schwester ihm gelogen!

Johann Meyer




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27.12.2012 um 19:01

Die Ritter und die Nixen

Zwölf Ritter reiten durch den Wald
Mit Schwert und Schild und Sporen;
Sie scherzen und lachen und haben bald
Den rechten Weg verloren.

Und plötzlich seh'n sie durch den Tann
Ein stilles Wasser blinken;
Sie reiten hinzu, sie halten an
Und lassen die Rösslein trinken.

Da rauscht das Schilf und schwankt und nickt,
Die Wasserlilien sich neigen,
Und aus dem See, korallengeschmückt
Zwölf schöne Nixen steigen.

Die Rosse zittern und schnauben bang,
Die Ritter starren und schauen;
Da tönt bestrickender Gesang
Vom Mund der Wasserfrauen:

„O folget uns in unser Reich,
Rotwangige Erdensöhne;
Unsterblichkeit verleihen wir euch
Und ewige Jugendschöne.

Es kann ja doch die höchste Lust
Auf Erden nicht gedeihen;
Ihr findet sie an unsrer Brust
Bei uns, den Wasserfeien.

Was euer Herz sich wünschen mag,
Ihr findet's auf dem Grunde.
Zum Augenblick wird euch ein Tag,
Das Jahr zu einer Stunde.

In unsrem kühlen Aufenthalt
Erwarten euch Freuden und Wonnen,
So viel als Nadeln ein Tannenwald
Und Tropfen zählt ein Bronnen."

Die Ritter hören's, es wallt ihr Blut,
Sie springen behend vom Pferde.
"Wir folgen euch Nixen in die Flut.
Fahr' wohl, du staubige Erde!"

Da raschelt das Laub, und die Ritter seh'n,
Auf einmal einen braunen,
Dickköpfigen Waldzwerg vor sich steh'n,
Darob sie aufs Neue erstaunen.

Das Zwerglein hebt die Hand und spricht:
"Lasst guten Rat euch sagen;
Gehorcht den Wasserfrauen nicht,
Ihr müsstet's bald beklagen.

Wahr ist es, was man euch verhieß.
Man hat euch nicht belogen;
Es liegt ein blühend Paradies
Im Schoß der blauen Wogen.

Es wartet euer auf dem Grund
Viel Wonne und Vergnügen,
Doch etwas hat der Nixen Mund
Gar weislich euch verschwiegen.

Es harren euer kampfbereit —
Erzittert, kühne Ritter!
Behaftet mit Unsterblichkeit
Zwölf Nixenschwiegermütter."

Rudolf Baumbach




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 19:03

Ritter und Dame

I

Zu den Füßen seiner Dame
Liebestrunken sitzt der Ritter;
Sprechend blitzen seine Augen,
Schweigend ruhen seine Lippen.

Am Balkone sitzt die Dame,
Eine goldne Schärpe wirkt sie;
Auf den Ritter blickt sie lächelnd,
Und mit hellem Klange spricht sie:

»Denket Ihr auf Tod und Schlachten,
Oder sinnt Ihr Minnelieder?
Wahrlich, Eure stumme Weise
Bleibt mir unerklärlich, Ritter!

Schwört Ihr erst in tausend Briefen,
Tausend unerhörte Dinge
Hättet Ihr für meine Ohren
Und das Herz sei voll zum Springen!

Fleht Ihr erst in tausend Briefen
Um ein heimlich einsam Stündchen!
Wohl, die Stunde ist gekommen -
Redet jetzt von tausend Dingen!«

Und der Ritter bricht das Schweigen:
»Zürnt mir nicht, o Wonnemilde;
Wisset, daß geheimer Zauber
Bleiern mir die Zunge bindet.

Nur ein Wink aus Euren Augen,
Nur ein Wort von Euren Lippen,
Nur Ihr selbst, o meine Herrin,
Könnt den argen Bann bezwingen.«


II

Und zum andern sitzt der Ritter
Seiner Herrin an der Seite;
Von der Schulter glänzt die Schärpe
Als ein freundlich Minnezeichen.

Sieghaft schlingt er seine Arme
Um den Leib des stolzen Weibes,
Unaufhaltsam süße Worte
Schwatzt er, und die Dame schweiget.

Will zu einem halben Wörtchen
Öffnen sie der Lippen Zeile,
Schließt er ihr den Mund mit Küssen,
Und die Dame lauscht und schweiget.

»Süße Herrin, unerklärlich
Bleibt mir Eure stumme Weise!
Wollen Eure roten Lippen
Gleiches zahlen mir mit Gleichem?

Oder lernten diese Lippen
Lieblicher die Zeit vertreiben?
Gar behäglich ist das Schwatzen;
Doch ein andres ist gescheiter.«

Draußen auf den Mandelblüten
Ruht die Nacht im Mondenscheine;
Unaufhaltsam schwatzt der Ritter,
Und die Dame lauscht und schweiget.

Gab sie hin des Blickes Zauber?
Sprach sie aus die Zauberweise?
Doch nicht fürder klagt die Dame
Über ihres Ritters Schweigen.

Theodor Storm




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Gedichte: Tragik

27.12.2012 um 19:05

Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder

Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder,
Du Licht des Glaubens, das die Christenheit durchleuchtet,
Wir alle fühlen uns durch Deinen Trost gesunder!

Ihr Aussatzkranken, die Ihr Euer eigenes Weib verscheuchtet,
Gesteht, vermochte Rom nicht Euer Leid zu bessern?
Ihr sagtet nein, da Ihr verwirrt vorüberkeuchtet!

Kein Papst vermag es, Eiterwunden zu bewässern,
Den Kranken allen, die ein grauses Übel peinigt,
Hilft kein Gebet, noch sonst ein Arzt mit Trank und Messern.

Von Sünden aber wird der Mensch in Rom gereinigt,
Der Vatikan vergiebt die Schuld der Erzbefleckten,
Denn Heiden haben Heilige zu diesem Zweck gesteinigt!

»Dort wo die Märtyrer das Gnadenwerk vollstreckten,
Da wird uns Elenden der reichste Trost gespendet!«
Denkt mancher Pilger, dessen Muth Legenden weckten.

Wie mancher sich, von Rom aus, wieder heimgewendet,
Erblickte er, mit voller Lust im Lenz den Flecken,
Der seinen Tagesmarsch, als nahes Ziel, beendet.

In junger Pracht, erwachten rings Toskanas Hecken,
Gar schöne Mädchen kamen ihm des Wegs entgegen,
Und keine schien vor fremden Pilgern zu erschrecken.

Auf allen Wegen sah man sich das Leben regen,
Oft Söldner vor den Schänken leicht ihr Geld verspielen,
Ein Fräulein gar am Fenster ihre Flechten pflegen,

Verschiedene Wirthe nach den Pilgersäckeln schielen.
Oft stumme, dunkle Mädchen, unter niedern Thüren,
Erröthen, wenn sie schmucken Jünglingen gefielen.

Dann kam ein Wirth die Pilger in sein Haus zu führen,
Und da sie lahm und müde vor den Schänken harrten,
War es das Erste dort, die Schuhe zu entschnüren.

Dann wollten sie behaglich auf die Mahlzeit warten,
Zu Haus jedoch, gewahrte einer, voll Vergnügen,
Drei Mädchen wunderbar in einem Nelkengarten.

Es waren Schwestern mit den selben schönen Zügen,
Die sich soeben um den gleichen Freier stritten,
Mit einem andern wollte keine sich begnügen.

Sie riefen, keine hätte jemals es gelitten,
Daß eben der mit einer andern sich vermähle,
Und käm ein Prinz dafür für sie herangeritten!

Ihr goldenes Haar durchblitzen Prachtjuwele,
Und jede konnte, selbst im Streit, den Anstand wahren,
Vielleicht, damit der Fant, als Klügste, sie erwähle!

Sie wollten jetzt schon alle Reize offenbaren,
Die Streitbarste trug in den Flechten grüne Spangen,
Die fast wie Schlangenwunder in dem Goldwust waren.

Die Zweite schien bei jeder Kopfwendung zu bangen,
Sie hatte Perlen still um ihren Hals gewunden,
Und leichtes Fieber schlug ihr öfters in die Wangen.

Der Jüngsten Art und Scherze schienen zu bekunden,
Daß sie der Brautschaft sich am allernächsten wähnte,
Auch schien, dem Lächeln nach, der Zank ihr fast zu munden.

Wie sie das Köpfchen sanft an ein Geländer lehnte,
Umschwirrten dieses Schmetterlinge, die der Nelke
Fast glichen, die von ihrer Brust sich aufwärtssehnte.

Denn keine Blume will, daß sie verblätternd welke,
So schienen Herz und Nelken etwas zu erwarten,
Und endlich knarrten auch der Laube Kreuzgebälke.

Der langersehnte Jüngling war nunmehr im Garten,
Und für die Jüngste hat er gleich ein Beet geplündert,
Doch setzten sich darauf rasch Falter aller Arten.

Kein Zweifel hat den Fant, bei seiner Wahl, behindert.
Er ging zur Jüngsten hin, die ihn so bang ersehnte.
Die Andern schwiegen. Ward dadurch ihr Schmerz gelindert?

Rasch reichten sie der Braut, die nun am Bräutigam lehnte,
Schnellabgerissene, schmetterlingsumhuschte Blüthen
Und gingen dann von dannen, da ihr Auge thränte.

Als dies der Fremdling sah, so mußte er darüber brüthen,
Doch ward er weg vom Traum zum Abendmahl geladen,
Das, wohl aus Müdigkeit, die Pilger stark verfrühten.

Dort hörte er statt holder Freierserenaden
Den Sang von Pilgern, die soeben romwärts zogen,
Und auch er selbst empfahl sich da Marias Gnaden!

Wie Abendvögel kamen Männerstimmen angeflogen,
Und endlich konnte er des Liedes Worte auch verstehen,
Sie baten sanft die Jungfrau: »Sei uns Elenden gewogen!«

Sie sangen: »Schenk die Gnade uns, die wir von Dir erflehen!«
Sei freundlich und durch Güte tilge unsere Sünden,
Dein Lächeln ist so lind und mild wie stilles Frühlingswehen.

Oh steig hinab zu unseres Herzens Gluthenschlünden,
Oh kühle unsere Seelen, wie ein Lenzhauch unsere Brüste,
Und hilf uns gnadenvoll das Reich des Sohnes zu begründen!

Maria, geht ein heißer, langer Tag zur Rüste,
So mag, wer seine Heimath liebt, Dich holde Mutter loben,
Dann ists als ob der Himmel sich mit Funkelsternen brüste.

Die Sterne sind in Deinen Mondlichtschleier eingewoben,
Der Gürtel Deiner Reinheit ist der Milchstrom ferner Sterne,
Und unsere Seelen werden über ihm zu Dir erhoben.

Gar tief erfaßt man Dich in seines Wesens Glaubenskerne,
Wir danken Dir, daß Du uns Leid und Liebesahnung schenktest,
Doch hilf uns jetzt, denn wir verzweifeln oft, ob deiner Ferne.

Als Du den ersten Liebesblick ins Weltendunkel senktest,
Da konnte gar kein Augenblick mehr zeitlos je verzittern,
Da Du bereits in jedem Glück zur Weltekstase drängtest.

Bald wandte sich der Sonnenball hervor aus Lustgewittern,
Und bis zu uns empor, die wir uns selbst durch Dich erworben,
Vermochte keine Wuth, kein Trotz die Urfluth zu verbittern!

»Ward dann ein Schöpfungstag auch durch des Bösen List verdorben,
So konnte doch Dein Thränenmeer den Heiland uns gebären;
Du weinst, Marie, daß wir durch eigene Schuld gestorben!«

Wie konnte dieser Sang nun eines Pilgers Herz beschweren,
Denn dieser blieb zurück, aus Reue sich am Rain zu winden,
Er schluchzte laut, denn unermeßlich war sein Bußbegehren.

Ein anderer Pilger, der nach Haus zog, sollte so ihn finden,
Er neigte sich zu ihm herab und flüsterte ganz leise:
»So hör auf mich, Du armer Mensch, laß alle Sorgen schwinden!

Es winkt der Friede Dir nach einer solchen schweren Reise,
Du gehst bestimmt zum Himmel ein, der Papst wird Dir vergeben!«
Der andere aber schrie: »Er rettet mich auf keine Weise!«

Er stöhnt: »Verteufelt war von Kindheit an mein ganzes Leben!«
Da sagt der andere darauf: »Der Papst ist voller Macht und Güte,
Es scheint ein Jünglingsherz in seinem Inneren zu erbeben!

Er ist kein Greis, ob er uns auch mit weißem Haupt behüte,
Denn als er mir verziehen hat, da schwanden mir die Sinne,
Es war, als neigte sanft zu mir sich eine Frühlingsblüthe.

Es schien, als streifte sie den Schnee herab, daß er zerrinne,
Da fühlt ich keinen alten Mann, ich ward so voll von Leben,
Ich wußte, sah nur, daß ich Trost für alle Zeit gewinne!«

»Umsonst ist meine Pilgerfahrt, ganz nutzlos mein Bestreben!«
Rief abermals der Wandersmann und wandte sich am Boden:
»Es kann sich kein Gebet von mir, bis hin zu Gott erheben!

Der Böse will aus meinem Ich sein Theil zusammenroden,
Ich fühle, wild verzweifelnd mich bereits in seinen Krallen,
Und zahl schon, vor Vertragsverfall, mit Satansepisoden.

Die Seele fleucht den Leib bereits, die Seele die verfallen,
Oh sieh, wie sie die Glieder krümmt, um höllenwärts zu fegen,
Nun büß ich ewig, ewig lang für dieses Erdenwallen.

Ich war fürwahr ein herber Fant, ein wüster, trüber Degen,
Nur war ichs schon von Angeburt, ich mußte eben tödten.
Doch eines Tages konnte sich in mir die Reue regen.

Wie glühte da das Hoffnungsroth empor aus Sturmesnöthen,
Voll Einfachheit schien da mein Sein zu Gottes Werk zu stimmen,
Der nächste Morgen aber war ein höllisches Erröthen!

So muß die Schönheit in der Welt den Bösen arg ergrimmen,
Ach, welchen Bruch vollbrachte er, als ich mein Glück verachtet,
Ich warf es weg, es durfte nichts als Haß in mir erglimmen!

Doch was ich that, war stets bewußt. Mein Sinn war nie umnachtet.
Als Sünder war ich immer frei, mein Blick war niemals kühler,
Ich habe selbst mich schrecklich kalt aus starrem Trotz betrachtet.

Verdammt bin ich in Ewigkeit, ich armer Satansschüler,
Ich füge mich nicht mehr ins Reich, das Gott für uns geschaffen,
Schon fühle ich der Höllenhast verkrümmte Gluthenfühler.

Der Abgrund, den ich selbst erschuf, wird nun unendlich klaffen,
Und Schatten werden mir des Nachts von jetzt ab stets erscheinen
Und, traurig singend oder stumm, durch dumpfes Dunkel gaffen!

Sie singen schon: Wir wollen uns im Mutterschooß vereinen,
Dich hätte blos ein Fünkchen Glück in Gotteswelt gerettet,
Doch stießest Du die Mutter fort, drum müssen wir nun weinen!

Es hätte jede That von uns mit Gott Dich jung verkettet,
Das Böse schmiegt ans Gute sich, sonst gab es keine Güte,
Doch hast Du uns kein einzigmal im Herzen eingebettet.

Da jedes Einzelne von uns, um Dich sich nutzlos mühte,
So sei samt Deinem Schlag verdammt, stets wird der Fluch sich
mehren,
Wir nisten nun als Schreck in Deinem ruhlosen Gemüthe.

Auch unser Abgang von der Welt kann Hader rings gebären,
Die Hölle ist entsetzlich rief und steigt, wenn Sünder sinken,
Ihr Haß ist furchtbar, kann sie doch die ganze Welt begehren!

Ja wirklich, sieh, ihr Thor versperren rostgefeite Klinken,
Sie will mit ihrem Dunkelschlund rings Schatten geil erschnappen,
Ich fühle mich ganz rettungslos, stets schneller, gluthwärts
hinken!«

Das rief der Pilger und er riß sein Kleid dabei zu Lappen,
Im Staube wälzte er sich bleich, als wär er schon ein Schatten
Und stand dann auf und schwankte weg, um romwärts fortzutappen.

Ein anderer Zug, der heimwärts ging, schien langsam zu ermatten,
Da sang er denn ein geistlich Lied, voll Gottesfurcht und Würde,
Dann ging die Reise mit Gesang viel leidlicher von statten.

Man stimmte an: »Es trägt der Mensch fürwahr die schwerste Bürde,
Doch arg und bitter wär sie nur, wenn Gott uns nicht auf Erden
Den eigenen Sohn, als Trost und Glück, stets reicher schenken
würde.

Drum greifet froh nach Gottes Gunst, verzagt nicht bei Beschwerden,
Das wäre wohl ein trüber Fant, der Gottes Hand verschmähte,
Der könnte sich, statt erfurchtsvoll, fürwahr nur dumm gebärden!«

Da plötzlich wars, als ob die Schaar ein Wunderbild erspähte,
Es blitzte im Olivenhain, man sah wo Perlenreifen,
Und alles war so silberfrisch, da Wind im Haine wehte.

Es schien dort eine Wurmgestalt wie durch den Wald zu greifen,
Dann wars der Trasimenersee, zu Füßen eines Weibes,
Denn kalte Hauche sah man klar rings Marmorberge streifen.

Fürwahr, im Mondlicht zeigten sich die Formen eines Leibes,
Das war ein eigenes Wunderding, das an die Götter mahnte,
Und schien entrückt, gar weit entrückt, vom Hauch des Erdgetreibes!

Es wartete, wie kühlbewußt auf Macht, die es schon ahnte,
Es war ein Wolkengötterbild, das in Italien reifte,
Und plötzlich schiens, als ob ein Streif von ihm, sich seewärts
bahnte.

Und als die Briefe auf der Fluth wie auf und nieder schweifte,
Da schien der Dunst ein Arm zu sein, der Perlensträhne fischte,
Die wohl die Göttin, Morgens früh, von ihrem Leibe streifte.

So lag der Schmuck bei Tag im See, wo sich sein Glanz erfrischte,
Und kam dann immer nur ans Licht, die Göttin hold zu schmücken,
Dann wars, als ob sein Perlenblau mit Silber sich vermischte.

Doch konnte da die Göttin wohl die Menschen leicht entzücken,
Und tauchte je das Strahlennetz dann auf, voll Lichtgezitter,
So thats der Wind; doch schiens ein Arm beim Fischen zu verrücken!

Zypressen wachten stumm im Thal, man hielt sie leicht für Ritter,
Und Ölbaumreihen ruhten rings wie müde Bajaderen,
Und schliefen sie, durchglimmte stets ihr Dunstlaub
Mondlichtflitter.

Doch schien ihr Wesen kaum der Schlaf bedeutsam zu beschweren,
Gar manche sprang frisch auf zum Tanz, wo andere sich umschlangen,
Und eine Ausgestreckte schien schon Wollust zu begehren.

Das Mondlicht war das Flockenbett für mancherlei Verlangen,
Und tausend Lagen gaben sich, die Bäume wie die Schatten,
Es sahn die Pilger, wie sie schon nach andern Posen rangen!

Die Heimfahrt ging den Pilgern nun gar rasch und gut von statten,
Ein Jüngling, der mit ihnen zog, erzählte dann im Norden:
»Italien wollte einen Blick mir in sein Herz gestatten!«

Er sprach: »Ich bin in jenem Land ein anderer Mensch geworden!
Dort spielte, nackt und wunderbar, ein Jüngling aus der Leier,
Der Schwestern neun umrauschten ihn und lauschten den Akkorden.

Gar rhythmisch um den Leib gewellt, umwallten sie die Schleier,
Sie wogten sacht wie Fliederduft und ließen sich nicht haschen,
Auch war ihr Anblick leicht verwischt, wie nur ein Hauch im Weiher.

Doch kann man sie beim Tanze oft im Mondlicht überraschen,
Mit Feuerklängen schmücken sie die rauschenden Gewänder,
Und streuen in Wirbeln dann Brillanten aus den Faltentaschen.

Mit Funkelpracht umgürten sie im Schwung die Schleierränder,
Dann ists, als ob die Klänge rings zu Gluthen übersprühten,
Und so ihr Erdenfeuer sich mit jedem Takt veränder!

Umhaucht ist jener ferne Hain von Oleanderblüthen,
Olivenwälder dehnen sich noch weithin um die Lichtung,
Um ihr Geheimniß vorderhand noch eifrig zu behüten.

Den Wald jedoch durchdringt der Klang von jenes Jünglings Dichtung,
Stets zittern Silberblätter mit, als ob sie Wind bewegte,
Und jeder Ölbaum birgt bereits dort jener Rhythmen Richtung.

Dort ists, als ob der nächste Tag sich langsam mondwärts regte,
Gespenstig schien mir jeder Baum, vor dem sein eigener Schatten,
Zu Mittag, wie um Mitternacht, sich dünn zur Ruhe legte!«

Als eines Morgens, noch im Lenz, rings auf Toskanas Matten,
Sich Pilger ihrem Heimatland gar frei und munter nahten,
Da wollte mancher Einer sich dort lange Rast gestatten.

Sie warfen ihre Stäbe weg und gruben mit dem Spaten
Im Wald nach einem Wurzelstrunk, der wulstig wär und knotig,
Und bei der Arbeit konnte dann ein Lied zumeist gerathen.

Nicht immer war es kunstgerecht, nein schwulstig oft und zotig,
Es trug in sich das rohe Maaß verknorrter Wurzelknoten
Und sprühte voll von Übermut aus seiner herben Gothik.

Es wußte nichts von Silbenzahl, von steifen Kunstgeboten,
Und gab sich selbst den neuen Guß, den Leib, der ihm behagte.
Der Druck blieb dann als Werk zurück. Die Flammen, die entlohten!

Ja, alle Schöpfung, die bestand, das heißt, dem Stein entragte,
Vermied allein den Untergang, denn Dasein ist das Leben,
Dock blieb sie nur dem Tode gleich, der, was sie schuf, verjagte.

Dann konnte sie fast wie der Tod sich plötzlich fremd erheben,
Und fing sich gleich, ganz Leiblichkeit, voll Wollust an zu regen,
Denn jedes will die reifste Form des Einzelseins erstreben.

Es ist ein Sein, auf sich gestellt, fast leidlos und verwegen,
Auf sich allein besteht die Lust und das bewirkt das Leben!
Der Tod kommt, weil wir unbewußt den Weg uns selbst verlegen.

Die Erde trächtige allerorts berauschendes Erbeben
Und hält es sich Millionenhaft durch brunstgeschaffene Rudel
Als Haas entspringt der Lenz dem Busch, als Schwalbe fort zu
schweben.

Ein Feigenbaum erscheint beinah ein grüner Wollustsprudel,
In dem die Erde Freude spürt, da sie ihn doch belebte.
Damit das Jüngste munter sei, herzt nun ein Kind ein Pudel.

Es ist, als ob das Blüthenglück am Zaun als Bohne klebte,
Als ob ein lustiges Frühlingslied, gar quellenfrisch gesungen,
Sich plötzlich mit dem ganzen Rausch recht inniglich verwebte.

Der eine sang: »Welch forscher Bursch, kam just vom Busch
dahergesprungen.
Der Lenz, das Kind der Winterswuth,
Ist es bestimmt und bläst aus vollen Lungen.

Er ist ein starkes, junges Blut
Und freut sich mit den Lerchen,
In Nestern weckt er schon die Brut

Und klappert mit den Störchen!«
Ein Anderer hat sein Lied verfaßt
Und singt es schaurig wie ein Märchen:

»Der Engel Deines Hasses reißt mit Hast
Mir alte Wunden auf am Marterpfahl,
Ich seh Dich nicht und finde dennoch keine Rast.

Du träumst mit Lust von meiner Höllenqual,
Doch zieh ich weiter durch den Wald in wonniglichen Lüften,
Und freu mich stets am grünen Saal mit seinem gelben Lichtportal!«

Jetzt steht ein Zug geblendet still, umschwirrt von Honigdüften,
Und es vermögen sich die Pilger kaum der Sinne zu bedienen,
Es ist, als stünde ihr Verstand vor lichtdurchsprühten
Sonnenklüften.

Es sind die Dinge rings um sie mit einem Irisring erschienen,
Und endlich glaubte mancher doch, er höre ringsumher ein Summen,
Und wehrte sich mit seinem Arm, als wärs ein Schwarm von Bienen.

Und in den Lüften klar und warm schwoll immermehr das dumpfe
Brummen.
Doch drang durch keinen Zitterzweig die Spur von einer
Leibgestaltung,
Im Goldrausch wollte nichts entstehn, noch das Gemurre rings
verstummen.

Doch plötzlich sahn sie einen Keil, wie eine rothe
Lichtzerspaltung,
Durchs Flimmergrün, mit festem Schritt, dem Pilgerzug
entgegentreten,
Das war dann mancher Wandersmann, der romwärts ging mit edler
Haltung.

Es zog wohl oft ein Kriegerherz, dort romwärts für sein Heil zu
beten.
Denn mancher Knappe war dabei und wirklich sang ein Troß von
Rittern:
»Oh Herr, wir ziehen von den Dingen weg, die unser Herz
verdrehten.«

Dann ging es fort: »Wir thaten viel, um Deine Freude zu verbittern,
Doch sehn wir auf dem Golgatha von Lanzenknechten Dich umgeben,
Und ihr und unser Speer muß gleich vor Deiner Huld zersplittern.

Vergießt Du auch Dein Herzeblut, kann sich in Dir kein Zorn
beleben,
Die Seele bleibt ganz makellos, ob auch die blutigen Eiterflecken
Den Leichnam dort am Marterkreuz als schwarze Krusten rings
umkleben.

Es konnte sich der Geist dafür entscheidend aus dem Körper recken,
Und blau wird jetzt der Himmelsbau, zu dem die Wünsche sacht
ersprießen,
Wo noch mit weißen Wolken Dich die Sünden schwer bedecken!

Dann aber kannst Du, durch den Mond, des Nachts Dein Sternenhaus
erschließen,
Und jeder, der dann Christum minnt, schaut solche Prachtgestaltung
Und fühlt in sich von überall die große Liebe minnig fließen.

Dann sehn wir hoch im Sternendom die ewige Heilsentfaltung,
In uns ersteht ein Gnadenthal voll stillem Himmelsschimmer
Und alles das verschenkst Du uns für kurze Fleischenthaltung!«

Vorüber zog der Ritterzug, und bald verschwand er im Geflimmer,
Da sang die Schaar, die heimwärts zog, ein geistlich Lied mit
vollen Stimmen
Und hörte in den Pausen noch den andern Chor wie ein Gewimmer.

Sie sang: »Oh Mutter, hör auf uns, Du kannst alleine nicht
ergrimmen.
Christi Reich mit List und Lanzen kühn bewahren,
Doch Du bleibst Königin des Heils, die Heiligen sind die Immen.

Drum halte treu und sündenrein die Seele Deiner Pilgerschaaren,
Die Schleier, die Du wonnig trägst, sind Nebel leichten Iristhaues,
Und rothes Strahlengold durchglüht den goldenen Schwall von Deinen
Haaren.

Als Mittagskleid umwallen Dich die Hüllen unseres Himmelsbaues,
Am Abend aber streifst Dus ab, in Gold und Purpur Dich zu zeigen,
Und fällt es in das Meer, so strahlts wie das Geglitzer eines
Pfaues.

Im Rosenhemde magst Du früh dem Sternenkleide sacht entsteigen,
Oh Jungfrau, Jungfrau, hör auf uns: Maria, Jungfrau, bleib uns
gnädig,
Und wandere hehr durchs Himmelreich, wenn Stürme Völker
niederneigen.

Die Schönheit, die Dein Sein umstrahlt, was Dich enthüllt, ist
sonnenfädig
Und knüpft sich jung und neu aus uns, hervor aus unserm
Lichtersehnen,
Verzeih uns, Jungfrau, doch es macht Erkenntniß Deiner Huld
ruhmredig!

Nicht wir sinds, die Dir Schönheit leihen, nein wenn die Menschen
Schönheit wähnen,
So wird von Dir und Deinem Sohn uns dessen Ahnung blos beschieden,
Denn auf den Strömen Deines Heils kann jeder sich durchs Weltall
dehnen!«

So war, was man beim Pilgern sang, stets wahr und dennoch sehr
verschieden,
Ein Kreuzzug, eine Romfahrt gab den Seelen herrliche Belehrung,
Wer hinzog, war von Angst gepeitscht, wer heimging barg den
Frieden.

Verschiedentlich wie die Natur blieb drum der Seelen Lichterhebung.
Doch die Bewegung ging durch Rom. Dort konnte jeder sich bekennen.
Denn da erst faßte man zumeist des Eigenwesens Selbstbestrebung.

Die kleinste Regung gab das Heil. Es sollte überall erbrennen.
Es konnten Offenheit und Scham den lieben Herrgott gleich erfreuen.
Es war, als wollte sich von uns der beste Theil der Seele trennen.

Die Meisten konnten ihren Fehl, des Lebens Sünden tief bereuen,
Und kreuzte man sich dann am Weg, so zog man stets in anderer
Richtung,
Daß keine je die andere wog, um jede Wirkung zu zerstreuen.

Ja wahrlich, Rom barg in der Welt, in sich, die größte
Wunschverdichtung,
Die Massen wältzen sich herbei, sich ihres Dünkels zu entkleiden,
Und Völker gingen draus hervor, denn rasch ergab sich deren
Sichtung.

Veredelten die Christenwelt doch Glaubenszwang und Alltagsleiden,
Ob jetzt ein Kaiser oder Papst auch grausam ihre Macht gewannen,
So waren doch die Folgen gut, sie konnten Glück von Größe scheiden!

Die Zukunft sehnte sich zum Volk, wie Lust und Bildung zu Tyrannen,
Die Kirche herrschte durch den Geist, schon mehr durch Kraft als
wahren Glauben
Und trotzte kühn dem Schwabenschwert, des Raisers kriegserfahrenen
Mannen.

Stets wollte sich das Äußerste der Macht durch List berauben,
Der Einfalt blieb der Alltag hold und ließ sich selbst zum Heil
belügen,
Die wuchs in gerader Ehrlichkeit und ließ die Wildheit dann
verschnauben.

Es können Schwert und Fegegluth zur Staatenführung kaum genügen,
Man braucht auch Herrschergier und Noth, um Menschen menschlich zu
vereinen,
Denn blos wenn man das Recht erzwingt, gelingt es Reiche fest zu
fügen.

Oh Rom, wie konntest Du den Rausch, der Dich umschwoll, in Formen
gießen?
Hier weitete des Nordens Bau sich abermals zur Heidenhalle,
Es tauchten wieder Tempel auf, wie Jovis Priester sie verließen.

Es schien, als ob des Franken Geist zur Pilgerfahrt nach Süden
walle,
Und plötzlich wie Orvietos Dom und wie Spoletos Kathedrale
Zu Deinen Füßen, altes Rom, bezwungen auf die Kniee falle!

Das Römerthum entreißt sich nie der Erdenwucht mit einemmale,
Gar erdenfreudig strebte hier die stolze Gothik gleich ins Weite
Und wandelte, aus Wonnedrang, den ersten Dom zum hellen Saale.

Doch wars, als ob die Erde selbst die Würde solcher Kunst
bestreite,
Die Edelform entstieg dem Grab, denn als man rings nach Tempeln
scharrte,
Bedeuchte es, daß Überschwang zum Einfachen von selber leite.

Man sah, wie Brunellescos Trotz zur wuchtigen Rustika erstarrte,
Und wie nach Mystik und nach Furcht, nach langem
Himmelsreichbegehren,
Der Mensch nun mehr vernünftig Thun und kluge Wirklichkeit
erharrte,

So fügte man auch Stein auf Stein, gar bald nach heiteren
Lebenslehren.

Theodor Däubler




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 17:44

Antonio de Leyva

Rings von Pavias Mauerkranz
Gewahrt man blitzend Speer an Speer;
Ein Jahr umzingelt König Franz
Die Wälle schon mit seinem Heer;
Schon wüten Pest und Hunger drinnen,
Und keiner ist, der Hilfe bringt;
Doch, ob der Feind auch näher dringt,
Es wanken nicht die Festungzinnen,
So lang für Karl, dem er vereidigt,
Antonio Leyva sie verteidigt.

Da sendet Franz mit welscher List
Verkappte Späher in das Thor;
Durch Trug, wie er am feinsten ist,
Bethören sie der Mannschaft Ohr;
Auf Markt und Gassen, Wall und Türmen
Schleicht durch das Heer der Teufel Gold,
Bis Aufruhr in Pavia grollt
Und Meutrer zu Antonio stürmen:
»Was, Feldherr, hilft das Widerstreben?
Die Festung müßt Ihr übergeben!«

Drauf Leyva: »Weicht aus diesem Saal!
Eu'r Hauptmann einzig bleibe hier
Und meld euch dann, was ich befahl!
Nochmals hinweg! Was zögert ihr?«
Der Hauptmann winkt und, zu vollführen,
Was er gebeut, gehn jene stumm;
Antonio aber schließt ringsum
Des Saales feste Eisenthüren
Und donnert in des Hauptmanns Ohren:
»Zieh, Schurke, zieh! Du bist verloren!

Verräter nenn' ich dich an Gott
Und an des Kaisers Majestät;
Um Gold, von Franken ausgesät,
Treibst du mit Ehr' und Treue Spott!
Zieh, zieh! Kein Weg zur Flucht ist offen!«
Auf den Bestürzten eilt er los,
Hieb folgt auf Hieb und Stoß auf Stoß;
»Weh!« - ruft der Hauptmann - »weh! getroffen!«
Zu Boden taumelt der Bethörte,
Durchbohrt von Don Antonios Schwerte.

Indessen tönt von unten schon
Der Soldateska wüst Geschrei;
Es wächst und schwillt die Meuterei;
Den Hauptmann fordern sie und drohn
Mit Lanzen und entflammten Lunten;
Antonio aber tritt gefaßt
Auf den Balkon vor dem Palast
Und schleudert ins Gewühl nach unten
Den kaum erblaßten Toten nieder.
»Ihr fordert ihn, da habt ihn wieder!«

Und wild ertönt das Racheschrein
Der Kriegerhaufen; voll von Wut
Verlangen sie des Feldherrn Blut;
Doch festen Schritts in ihre Reihn
Steigt er hinunter. »Hört, ihr alle,
Daß diesen für Verrat und Trug
Ich in gerechtem Kampf erschlug!
Die Leiche werft hinab vom Walle,
Damit wir König Franz belehren,
Wie seine Söldlinge wir ehren!

Ihr bebt vor Pest und Hungersnot
Und sagt dafür der Ehre ab;
Seht hier - es ist mein letztes Brot,
Ich werf' es in den Strom hinab;
Und wollt ihr noch von Schande reden
Und Uebergabe - nun, wohlan!
Euch alle will ich Mann für Mann
Im Kampf bestehn und werde jeden,
Sobald er fiel von meinen Händen,
Als Leiche den Franzosen senden.«

Ein Murmeln ging, als so er sprach,
Ein Staunen durch der Krieger Reihn;
Nicht einer wollte so mit Schmach
Befleckt vor seinem Feldherrn sein;
Verzeihung sich erflehend, traten
Sie um ihn her und schwuren neu,
Zum letzten Atemzuge treu
Sein wert zu sein durch Heldenthaten.
Und König Franz verließ in Schnelle,
Da er's vernahm, Pavias Wälle.

Adolf Friedrich von Schack




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 17:45

Sieben schizophrene Sonette

Wir, Johann, Amadeus Adelgreif,
Fürst von Saprunt und beiderlei Smeraldis,
Erzkaiser über allen Unterschleif
Und Obersäckelmeister vom Schmalkaldis

Erheben unsern grimmen Löwenschweif
Und dekretieren vor den leeren Saldis:
"Ihr Räuberhorden, eure Zeit ist reif.
Die Hahnenfeder ab, ihr Garibaldis.

Man sammle alle Blätter unserer Wälder
Und stanze Gold daraus, soviel man mag,
Das ausgedehnte Land braucht neue Gelder.

Und eine Hungersnot liegt klar am Tag.
Sofort versehe man die Schatzbehälter

Als ich zum ersten Male diesen Narren
Mein neues Totenwäglein vorgeführt,
War alle Welt im Leichenhaus gerührt
Von ihren Selbstportraits und anderen Schmarren.

Sie sagten mir: nun wohl, das sei ein Karren,
Jedoch die Räder seien nicht geschmiert,
Auch sei es innen nicht genug verziert
Und schließlich wollten sie mich selbst verscharren.

Sie haben von der Sache nichts begriffen,
Als daß es wurmig zugeht im Geliege
Und wenn ich mich vor Lachen jetzt noch biege,

So ist es, weil sie drum herum gestanden,
Die Pfeife rauchten und den Mut nicht fanden,

In Schnabelschuhen und im Schnürkorsett
Hat er den Winter überstanden,
Als Schlangenmensch im Teufelskabinett
Gastierte er bei Vorstadtdilettanten.

Nun sich der Frühling wieder eingestellt
Und Frau Natura kräftig promenierte,
Hat ihn die Lappen- und Attrappenwelt
Verdrossen erst und schließlich degoutieret.

Er hat sich eine Laute aufgezimmert
Aus Kistenholz und langen Schneckenschrauben,
Die Saiten rasseln und die Stimme wimmert,
Doch läßt er sich die Illusion nicht rauben.

Er brüllt und johlt, als hinge er am Spieße.
Er schwenkt jucheiend seinen Brautzylinder.
Als Schellenkönig tanzt er auf der Wiese

Ein Opfer der Zerstückung, ganz besessen
Bin ich - wie nennt ihr’s doch? - ein Schizophrene.
Ihr wollt, daß ich verschwinde von der Szene,
Um euren eigenen Anblick zu vergessen.

Ich aber werde eure Worte pressen
In des Sonettes dunkle Kantilene.
Es haben meine ätzenden Arsene
Das Blut euch bis zum Herzen schon durchmessen.

Des Tages Licht und der Gewohnheit Dauer
Behüten euch mit einer sichern Mauer
Vor meinem Aberwitz und grellem Wahne.

Doch plötzlich überfällt auch euch die Trauer.
Es rüttelt euch ein unterirdischer Schauer

Gewöhnlich kommt es, wenn die Lichter brennen.
Es poltert mit den Tellern und den Tassen.
Auf roten Schuhen schlurrt es in den nassen
Geschwenkten Nächten und man hört sein Flennen.

Von Zeit zu Zeit scheint es umherzurennen
Mit Trumpf, Atout und ausgespielten Assen.
Auf Seil und Räder scheint es aufzupassen
Und ist an seinem Lärmen zu erkennen.

Es ist beschäftigt in der Gängelschwemme
Und hochweis weht dann seine erzene Haube,
Auf seinen Fingern zittern Hahnenkämme,

Mit schrillen Glocken kugelt es im Staube.
Dann reißen plötzlich alle wehen Dämme

Auch konnt es unserm Scharfsinn nicht entgehen,
Daß ein Herr Geist uns zu bemäkeln pflegt,
Indem er ein Pasquill zusammenträgt,
Das ihm die Winde um die Ohren säen.

Bald kritzelt er, bald hüpft er aufgeregt
Um uns herum, dann bleibt er zuckend stehen
Und reckt den Schwartenhals, um zu erspähen,
Was sich in unserm Kabinett bewegt.

Den Bleistiftstummel hat er ganz zerbissen,
Die Drillichnaht ist hinten aufgeschlissen,
Doch dünkt er sich ein Diplomatenjäger.

De fakto dient bewußter Schlingenleger
Dem Kastellan als Flur- und Straßenfeger

Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.

Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.

Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer,
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat
Streu ich der Worte verfängliche Saat.

Hugo Ball




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 17:45

Niejahrs-Abend

De Förten bradt, de Ries is gar,
Un rutschen will dat ole Jahr;
He, Lise! nehm de grot Tarin,
Kak Water, sla' den Zucker fin,
Nöst drap wi't wul, – to'n guden Wunsch
Hört allemal en gut Glas Punsch!

So'n Jahr is doch en lange Tid,
Wenn man't bi dagwis' mal besüht, –
Un bringt uns dit un bringt uns dat;
Doch eh' wi't markt, so hebbt wi't hatt;
So gaht wi all, wanehm't ock is,
Na'n Karkhoff hin, dat's eenmal wiß!

Wa gut is't doch, dat uns ni klar,
Wat vör uns liggt in't nie Jahr!
Ach, mennigeen, wenn he dat wußt,
Harr wul to'n Punsch vunabend keen Lust, –
Un mennigeen drunk in sin Freud
Gar öwer alle Schicklichkeit. –

Dar sünd all so genog, de do't
Vunabend dat nich ahn'n natten Fot,
Un geiht man morgen denn spatzeern
In'n Steertrock 'rum tu gratuleern,
So liggt noch mennigeen to Bett,
De'n Kattenjammer un Koppweh hett.

Dar kamt de Förten, – dat's man gut!
Lop, Lise, bring en Fattvull 'rut;
Dar rummelt wat, – ick hör't all lang,
De Rummelputt, de is togang,
Dat sünd de Kinner ut de Kat,
Ehr Moder hett wul sach keen bradt. –

Ach, Förten bra'n, dat geiht ni so! –
Hört Eier un Mehl un Bodder to,
Un dat's verdeuwelt düre Waar
Un ward noch dürer alle Jahr.
Segg an de Gör'n: nu schulln se gahn
Un hier ni mehr to rummeln stahn.

Nu kumm man her un lang man bi!
Man frisch in't Fatt! – schaneer di ni!
Sünd prächtig bradt, dat mag ick lidn!
So mit Koriten un Rosin'! –
Bums! – wat weer dat? – min schöne Döhr!
Dar ballern se en Pott davör!

Dat de' wul Namer Klas sin Klas,
De makt sickt alle Jahr den Spaß;
Ja, harr ick di, du Daugenix,
Denn kreegst du noch vunabend Wix!
So'n Sleef is allens eenerlei,
He smitt mi noch de Döhr mal twei.

Segg, Lise, – güttst vunabend ock Vli?
Wa steiht't denn mit de Friexi?
Dar kummt wul sacht en Schipper 'rut, –
Du büst ja den Mariner gut, –
En smucken Schipper, wenn du't gütts',
Mit gollen Bokstabn für de Mutz.

Wa warrst du rot, – wat hett't för Not!
Wer arbeidn mag, sinnt ock sin Brot;
Doch jo in't Hus kecn sule Bank,
Denn kamt ju wull dat Leben lank.
Nu lop! – ick löv, de Klock will sla'n, –
De Punschtarin mutt vör mi stahn!

Dar sleit se all! – mat wünsch ick denn?
Ja, dar's keen Anfang un keen Enn!
Gesundheit! Lise, – süh, ick meen,
Dat's Beste doch för jedereen!
Ob König oder Beddelmann,
Wi stöt op sin Gesundheit an!

Dat tweete Glas drink ick op een, –
Ick wull, he kunn mi drinken sehn!
He schull wul seggn: de meent dat gut!
Dat vulle Glas rein ut! rein ut!
Süh, Lise, süh! – nu do' ick't glik! –
Uns' Kaiser un dat dütsche Rik!

Dat drütte Glas op jeden Stand,
Wakeen't ock is! – ob mit de Hand, –
Ob mit'n Kopp he arbeidn deit, –
Ob he för uns op Posten steiht, –
Nähr-, Lehr- un Wehrstand, – ganz egal,
Wi lat se leben alltomal!

Dat veerte Glas vull op de Kunst;
Se steiht bi mi in hoge Gunst,
Dat kummt ock ni vun ungefähr, –
Wenn'ck sülbn so'n beten quinkeleer,
So als vunab'nd un sunst wul mal –
Mutt ock een op de Kunst hendal!

Dat föffde Glas op gude Tidn,
Keen Krieg, – ick mag den Krieg ni lidn!
En fruchtbar Jahr, dat lat uns bedn,
Un dat wi't hebbt in Ruh un Fredn!
En gude Saat; en schöne Aarn!
Un Gottessegen intofahrn!

Dat sößte Glas op alle Armn,
Veel Mitgeföhl un veel Erbarmn!
För alltohop dat leewe Brod,
Un nümmermehr en Hungersnot!
Verlaten keen, un keen verweiht!
Veel gude Frünn, wenn't nödig deit!

Dat söbnte Glas op all de dar'n,
De to en Paar sick möchen paarn,
Dat se sick krigt! – ei, süh mal an,
Wa kummst du gau mit't Glas heran;
Na, kumm; – an mi schall't jo ni liggn,
Op di un din Mariner; – kling!

Dat achte Glas op Lust un Freud,
Geselligkeit un Eenigkeit!
So recht vergnögt; – wa is't doch schön!
Kiek, Lise, kannst mi drinken sehn?
Du hest den tweeten noch nich ut,
Wat is mi dat? – he smeckt doch gut?!

Drink ut; un schenk mi ock mal vull!
Doch – wat ick man noch seggen wull, –
So'n hitten Punsch is ni to tru'n;
Du wackelst ja, büst doch ni dun?!
Potz Blitz! – stött di de tweet all um.
Denn weer he arig stark vun Rum!

Nu bün ick op min Justement;
Der Deuscher hal! so'n Punsch, de brennt!
Süh dar! – de Lamp! – wo lachst du na? –
Se wackelt! – griep! – sunst fallt se ja! –
Ach, leewe Lise, wes' so gut
Un hölp mi mal de Steweln ut.

Ick weet ni recht, – – ick wull, ick leeg – –
Hier wackelt alles, wat ick seeg; –
Dat is doch dösig mit so'n Punsch;
Wa weer't man noch? – de negnde Wunsch? –
Dat's recht; ick wull, ick leeg un sleep;
Ick nipp wul sacht en beten deep. –

Du lachst? – wat lachst du denn? – dat's sacht
De höchste Tid för mi; – gu'n Nacht! –
Morrnfröh denn mutt ick 'rumspazeern
Un mutt in'n Steertrock gratuleern.
Denn liggt wull mennigeen to Bett,
De'n Kattenjammer un Koppweh hett!

Johann Meyer




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 17:47

Wartburg

I.

»Hier, diesen Harnisch hat ein Weib getragen«,
Sprach in der Burg der alte Kastellan.
Wohl gilt's jetzt nicht, das Herz in Erz zu schlagen.
Daß nicht ermordend ihm die Feinde nahn!
Mein weiblich Herz wollt ihr mit Gift verwunden -
Wohl bitter hat es euer Thun empfunden!
Doch mag es nimmer andern Schirm und Schild,
Als die Begeistrung, die vom Herzen quillt.

Hoch am Himmel stand die Sonne,
Gleich einem Engel mit goldenen Flügeln
Ausgesendet vom Thron des Höchsten,
Zu segnen die Erde mit Glanz und Wärme.

Und der Engel breitete
Die strahlenden Arme weit aus -
Und es war als zög er die aufatmende Erde
Näher dem Himmel, näher der Gottheit.
Goldene Strahlenringe zog der Engel von seinen Fingern,
Verteilte sie dahin und dorthin;
Und die Ringe wurden zu Heiligenscheinen,
Zu Himmelsglorien auf den Gipfeln der Berge,
Dahin sie der Engel geworfen.

Und solch eine Himmelsglorie,
Solch ein Heiligenschein krönte noch einmal
Die Krone der Burgen des Thüringer Waldes:
Die uralte Wartburg.

Ich stand und schaute
So lange ich daheim verweilt
Ein spielendes Kind, eine sinnende Jungfrau
An den Ufern der Elbe, wo uralte Burgen
Verwitterte Klöster unheimlich mahnen
An des Mittelalters eiserne Gestalt:
An den Ufern der Elbe, wo grünende Reben
Mit reifenden Trauben verheißend mahnen
An der neuen Zeiten gärende Gewalt.
So lang ich daheim verweilt an den Ufern der Elbe,
Den reben- und burgbekränzten, so lange auch weilte
Die Sehnsucht in meiner Brust nach der Krone der Burgen
Des Thüringer Waldes: der uralten Wartburg.

Nun stand sie in Himmelsglorie mit dem Heiligenschein
Vor den trunkenen Blicken.
Meine Hände waren gefalten,
Thränen mir in den Augen wallten,
Nieder ein Tropfen fiel:
Ich war am Ziel.


II.

Hinauf die Berge, die waldumkränzten,
Hinauf zur Burg, der erinnerungsreichen! -
Noch steht sie da ein heilig sichres Zeichen,
Daß was in ihr gekämpft ward und gestrebt
Auch wir ersiegen, wenn wir nimmer weichen

Gegrüßt! gegrüßt, Du Veste des Vaterlands,
Du deutsche Burg mit dem deutschen Namen.
»Wartburg«! Ach, nur zu deutsch,
Denn wo auch der Deutsche sich eine Burg mag bauen
Zu wahren seine heiligen Rechte,
Da läßt man ihn warten! -
Und er wartet geduldig - wie lange noch?! -

Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Winkt zwischen gothischen Säulen
Das Bildnis einer Heiligen.
Ja, einer Heiligen, die ich heilig preise,
Ob ich auch oft gehöhnt und verspottet
Die heilig gesprochnen, gebeugten Gestalten,
Die 's nur mit Fasten und Träumen gehalten.
Die sich gegeißelt, die sich gemartert,
An ihrem Leibe gefrevelt
Im frechen, thörichten Wahnsinn
Um die Gunst des Himmels zu buhlen.
Ob ich auch bilderstürmerisch im Gemüte
Oft gestanden in Kirchen und Klöstern,
Wo Götzenbilder geprangt mit Heiligenscheinen
Weil sie die Menschheit frevelnd entmenschlicht, -
Es verstummte das scheltende Wort
Und der Spott auf der Lippe -
Und eine fromme Thräne trat in mein Auge
Vor Deinem Bildnis: Heil'ge Elisabeth!

Die goldene Grafenkrone,
Den eitlen schimmernden Reif
Nahm sie demütig aus den Locken
Dem gegenüber,
Der einst eine Dornenkrone getragen.
Ihm hatten nichts gegolten Purpur und Kronen,
Und nichts die Macht auf goldenen Thronen,
Ein Kind aus dem Volke
Hat er's gehalten mit den Armen und Niedrig gebornen,
Mit den Verachteten und Verstoßnen.
Die Hungernden hat er gespeist,
Die Kranken hat er geheilt, den Schwachen vergeben.
Und mochte nie den ersten Stein erheben
Auf eine schwache Sünderin.
Und wie er lebte für das arme Volk
Ist er gestorben für die Ausgestoßnen
Und hat als seine Erben hinterlassen,
Die Armen aller Völker, aller Zeiten,
Die Armen alle, die er Brüder nannte,
Und die ja um uns sind noch alle Zeit. -

Das wußte wohl Elisabeth!
Sie hat die große Erbschaft angetreten
Bei ihres Landes, ihres Volkes Armen:
Sie hielt's nicht nur mit Fasten und mit Beten,
Sie hatte für die Leidenden Erbarmen,
Hernieder stieg sie von der Wartburg
Zu den Bekümmerten, und als graunvolle Hungersnot
Den Segen aufgezehrt und bleiches Elend
Wie ein grausiger Fluch wandeln ging durch die Lande,
Kehrte Elisabeth wieder die Flüche in Segen,
Gab was sie hatte, sich selbst nicht besser achtend
Als die Geringsten im Volke.
Doch als der Gatte ergrimmt ob so reichlicher Spenden,
Da wandelten sich unter ihren Händen
Die Brote in Rosen -
Doch war sie entronnen den Augen der Späher
Und stand unter den bleichen Gestalten der Not,
Da wurden wieder die Rosen zu Brot.

Und in der heiligen Wundermäre
Ruht eine Lehre für unsere Zeiten:
Seht Ihr die Kindlein Blumen pflücken,
Den duftenden Strauß in den Händen der Not,
So wandelt die Blumen in Brot.


III.

Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Feiertest Du, göttliche Himmelstochter,
Poesie, Deinen edelsten Sängerkrieg!
Damals zogen die Sänger noch ein
In die Hallen der Fürsten und Großen,
Priesen der Minne Glück, priesen das Vaterland,
Waren geächtet noch nicht und verstoßen.
Die Großen fühlten höchlich sich geehrt,
Wenn der Poet bei ihnen eingekehrt.
Das ist vorbei!
Wohl giebt's noch Sängerkriege,
Aber in anderem Sinne
Als einstens der Sängerkrieg ward gefochten
In deinen Hallen, uralte Wartburg.
Krieger sind jetzt die Sänger
Gottentflammte begeisterte Volkstribunen.
Aber nicht um einander zu entreißen
Ruhmespsalmen singen und kämpfen sie -
Nein, eine höhere Sendung
Ist jetzt den Dichtern geworden.
In gleicher Gesinnung
Stehen und kämpfen sie nebeneinander;
Ziehen nicht ein in die Hallen der Großen,
Sie sind daraus verstoßen --
Haben sich selbst verbannt.
Draußen aber bei allem Volk
In den Hütten der Armut
Vor den Kerkern Unschuldiger
Singen sie ihre Weisen:
Von den Rechten der Unterdrückten,
Von der Freiheit der Gefesselten,
Von den Freveln der Reichen,
Von der Teilung der Arbeit und des Erbes
Für alle Menschgeborenen!
Das ist ein Sängerkrieg, ein neuer, heiliger
Und sicher ist sein Sieg.


IV.

Und mich umklang es wie brausender Sturm!
Wie Orgelklang hört ich's tönen,
Und laut in den innersten Tiefen der Seele
Vernahm ich ein feierlich Wort,
Das wie ein Echo von diesen Wänden
Mir wieder und wieder erklang,
Es war das Wort aus dem alten Gesang
Des mutigen Mönches vergangener Zeit,
Der mit diesem Lied seine Zelle geweiht.
»Und ob die Welt voll Teufel wär'
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es muß uns doch gelingen!«

Ja, Luther hat vor Menschen nicht gezittert
Und nicht vor einer Welt voll Teufel!
Kam dennoch der Versucher, ein zagender Zweifel
Da faßte der kühne Mann das Tintenfaß
Und warf's dem Dämon siegvoll hin.
So hat er protestirt gegen die Lügenbrut
So protestieren wir: schleudern die Tintenflut
Unsrer Begeistrung Ströme
Gegen die Frömmler und Pharisäer
Gegen all die Philister und Spukgestalten
Die's mit dem Teufel halten,
Der wider Recht und Pflicht
Und wider Freiheit ficht.
Wir werden nimmer die Waffen strecken
Bis alle Feinde rings vernichtet
Und alles Dunkel aufgelichtet.
Gilt's nicht zu handeln - gilt es doch zu schreiben.
Es soll das Wort den Lügengeist vertreiben:
»Das Reich Gottes muß uns bleiben! -«


V.

Sinnend stand ich, traumverloren
Vor dem kleinen Altar in der Kapelle.
Schwarze Gewitterwolken waren aufgezogen
Südlich am Himmel.
Mitten in die purpurne Abendröte
Zuckten goldene Blitze flammend in Siegesgewißheit,
Und dennoch schnell verschwindend -
Also zuckte durch meine Seele,
Blitzend ein Gedanke
Eine Gedächtnistafel schwarz-rot-golden
In meinem Innern enthüllend.
Und auf der Tafel stand mit leuchtender Schrift:
Tausend achthundert und siebzehn.

Und ich stand vor dem Altar
Vor dem damals die deutsche Jugend
Siegesmutig gestanden,
In allgemeiner Liebesverbrüderung
Sich die Hände gereicht und das vaterländische Bündnis
Auf die Hostie feierlich beschworen.

Und ich stand vor dem Altar
Thränenden Auges!
Und doch fühlt ich wie sie, wie die hoffende Jugend,
Jugendkraft in den Adern
Freiheitsglut - Todesmut
Für die heilige Sache des Vaterlands! -
Aber ich stand und weinte.

Auch das mutige Aufjauchzen
Aus dem Herzen der deutschen Jugend
Durfte nicht frei in die Lande dringen
Durfte es damals nicht - darf es auch heute nicht -
Denn es will mich bedünken:
Als habe der Argwohn selbst eine Burg erbaut
Mitten im deutschen Land - auch eine Wartburg!


VI.

Sinnend trat ich hinaus
In den mauerumgebenen Schloßhof,
Wo junge Gräser sproßten, Kinder der neuen Zeit,
Die nichts gesehen von der vergangenen Tage Herrlichkeit,
Von der vergangenen Tage Leid.

Hinter den wallenden Wolken
Schaute noch einmal ruhig strahlend hervor,
Die unvergängliche Klarheit der Sonne.
Und beleuchtete zu meinen Füßen,
Ein Werk der spielenden Natur,
Im dreigeblätterten Klee - ein Vierblatt.

Ich pflückt' es als Angedenken - als vierfaches
An diese Burg, die erinnerungsreiche,
Und that dabei einen Schwur, einen vierfachen:

Elisabeth, die Heilige,
Sei mir ein Vorbild in stiller Demut
In allumfassender Menschenliebe
Der Armen mich zu erbarmen.

Und in dem Sängerkrieg, dem neuen, heiligen
Will ich stehen und fechten, bis mit dem letzten Lied
Der letzte Odemzug der Brust entwallt!

Und protestieren will ich nach Luthers Wort,
Und für den freien Glauben
Mit freier Rede in die Schranken treten! -

Und fest verbrüdert mit der deutschen Jugend
Weih' ich dem Vaterlande all mein Streben, -
So steh ich ernst und frei vor allem Volk.

Und wollt Ihr nun mich höhnen und verdammen,
Weil nur die schwache Jungfrau zu Euch spricht:
Nicht löschen könnt Ihr der Begeist'rung Flammen,
Könnt sie nur schmähen, aber dämpfen nicht,
Und wenn mein Herz von Euch verstoßen, bricht,
So bricht's mit Luthers Worten doch zusammen:
»Gott helfe mir! - doch anders konnt ich nicht!« -

Louise Otto-Peters




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 21:24

Heloise an Abelard
Frei nach Popen.

Hier im Schauer tiefer Todtenstille,
Wo die Himmelstochter Andacht wohnt
Und Melancholie in schwarzer Hülle
Sinnig mit gesenktem Haupte thront,
Was will hier entflammter Triebe Hader
In der gottgeweihten Jungfrau Brust?
Warum glüht ihr noch in jeder Ader
Rückerinnerung entflohner Lust? –
Immer noch zu Liebe hingerissen,
Immer noch durch dich, mein Abelard,
Muß ich den geliebten Namen küssen,
Welcher mir so unvergeßlich ward.

Theurer Unglücksname, werde nimmer
Von verstummter Lippe mehr gehört!
Birg dich da ins Dunkel, wo noch immer
Liebe gegen Andacht sich empört!
Schreib ihn nicht! – Doch ach! was hilft mein Wehren? –
Rasche Hand, du schriebst ihn ja schon hin! –
Löscht ihn wieder aus, ihr meine Zähren,
Und entsündigt die Verrätherin! –
Ah! Die Arme, die vor Schuld erbanget,
Schluchzt und weint umsonst, umsonst ihr Ach;
Was gebieterisch das Herz verlanget,
Schreibt die Hand nur allzu willig nach.

Mitleidslose Mauern, zwischen denen
Sich die Buße langsam selbst entseelt!
Harte Quadern, oft benetzt mit Thränen
Und von wunden Knieen ausgehöhlt!
Felsengrotten, tief in Dorn verborgen!
Heil’genblenden, wo die ganze Nacht
Christus’ Braut mit ihren frommen Sorgen
Zu Gebeten und Gesängen wacht!
Bilder selbst, die ihr bei uns so kläglich
Weinen lernt! Mit euch in Harmonie,
Ward ich kalt zwar, stumm und unbeweglich,
Doch zu Stein vergaß ich noch mich nie.
Nimmer herrscht da unumschränkt der Himmel,
Wo sich Abelard nicht bannen läßt.
Stets geneigt zu Aufruhr und Getümmel,
Hält Natur des Herzens Hälfte fest.
Weder Fasten, mit Gebet vereinet,
Noch die Thränen, welche Nacht und Tag
Lange Jahre schon mein Auge weinet,
Hemmen seines Pulses wilden Schlag.

Kaum entfalt’ ich deinen Brief mit Beben,
So durchbohrt das Herz mir wie ein Schwert
Jener Name, traurig meinem Leben,
Dennoch ewig meiner Seele werth,
Jener Name, meines Friedens Klippe,
Abgestorbner Freude Monument,
Den der Büßerin verblühte Lippe
Nimmer ohne Thrän’ und Seufzer nennt. –
Auch den meinen beb’ ich zu erblicken;
Ueberall ziehn Kränkung oder Schmach,
Ueberall des Schicksals böse Tücken
Ihm, wie Schatten ihren Körpern, nach.
Meine Seufzer finden keine Weile;
Eine Zähre drängt die andre fort;
Denn ein Schwert, ein Schwert ist jede Zeile,
Und ein Stachel ist ein jedes Wort.
Schnell aus freier, goldner Frühlingshelle,
Wo mich warmer Liebeshauch umgab,
Schlang mein Leben eine Klosterzelle,
Kalt und düster wie die Gruft, hinab.
Hier verlosch die Lohe meiner Triebe
Vor des finstern Kirchenwahnes Hauch,
Und die besten, Ehrbegier und Liebe,
Hier zerflossen sie in eiteln Rauch.

Dennoch schreib, Geliebter meiner Seele,
Schreib mir Alles, Alles ohne Scheu,
Daß mein Schmerz dem deinen sich vermähle,
Daß ich deiner Seufzer Echo sei!
Diese Macht entzogen ja der Armen
Ihr Geschick und ihre Feinde nie.
Könnte wol, entneigter dem Erbarmen,
Abelard ihr mehr entziehn als sie?
Noch sind sie mein eigen, diese Zähren;
Wozu spart’ ich sonst die Zähren noch?
Wollt’ ich sie der Liebe nicht gewähren,
So entpreßte sie mir Buße doch.
Meiner matten Augen letzte Kräfte
Sehnen sich von nun an, spät und früh,
Nach dem einen seligen Geschäfte:
Lesen nur und weinen wollen sie.

Theile denn dein Weh mit meinem Herzen!
Weigre mir sie nicht, die bittre Lust! –
Theilen? – O zu wenig! – Deine Schmerzen
Alle, alle, schütt’ in meine Brust! –
Traun, ein Gott war’s, welcher Schrift und Siegel
Für ein armes Liebespaar erfand,
Für das Mädchen hinter Schloß und Riegel,
Für den Jüngling, weit von ihr verbannt.
Briefe leben, athmen warm und sagen
Muthig, was das bange Herz gebeut.
Was die Lippen kaum zu stammeln wagen,
Das gestehn sie ohne Schüchternheit.
Daß im Gram sich Herz an Herz erhole,
Herz von Herz getrennt durch Land und Meer,
Tragen sie vom Indus bis zum Pole
Dienstbar auch den Seufzer hin und her.

Mann, du weißt, wie schuldlos ich entbrannte,
Als, besorgt vor jungfräulicher Scham,
Deine Liebe, die sich Freundschaft nannte,
Leise mich zu überflügeln kam.
Nicht als einen von der Erde Söhnen,
Nein, als ersten aus der Engel Schaar,
Als das Urbild des Unendlichschönen
Stellt dich die Phantasie mir dar.
Süßes Lächeln, daß der Sieg nicht fehle,
Milderte des Glanzes Flammenspiel,
Der nun schmeichelnd mir in Aug’ und Seele
Wie ein Tag des Paradieses fiel.
Arglos blickt’ ich in die sanfte Klarheit,
Arglos lauschte dir mein offnes Ohr;
Doppelt wahr kam jedes Wort der Wahrheit
Mir auf deiner Honiglippe vor.
Wer die Lehre solcher Lippen höret,
O, der glaubt, von jedem Zweifel frei!
Nur zu bald ward ich durch sie belehret,
Daß die Liebe keine Sünde sei.
Wiederkehrend aus des Himmels Höhen
In der Erdenwonnen Region,
Wünscht’ ich keine Gott in Dem zu sehen,
Den ich liebt’ als holden Erdensohn.
Wirr und dämmernd wie ein Traumgewimmel
Schwebte fern der Engel Lust mir vor,
Und ich gönnte Heiligen den Himmel,
Den ich gern um Abelard verlor.

O wie oft, zur Sklaverei der Ehe
Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt,
Rief ich über jede Satzung Wehe,
Welche nicht von freier Liebe stammt.
Freie Liebe bebet vor den Schlingen
Fesselnder Verträge scheu zurück.
Schnell entfaltet sie die leichten Schwingen
Und entflieht im ersten Augenblick.
Immer folge der vermählten Dame
Reichthum, Pomp und hoher Ehrenstand,
Hehr und unbescholten sei ihr Name:
Gegen Liebe welch ein leerer Tand!
Den Betrognen, die der heil’gen Liebe
Nicht um ihretwillen nur sich weihn,
Haucht sie rächend umgestüme Triebe
Zur verdienten Seelenmarter ein.
Werfe sich der ganzen Welt Gebieter
Huldigend zu meinen Füßen hin:
Stolz verschmäh’ ich ihn und alle Güter,
Wenn ich nur des Liebsten Holdin bin.

Fällt dir sonst ein Name, mich zu zieren,
Freier, süßer noch als Holdin, ein:
O so laß, Geliebter, mich ihn führen,
Laß mich dir, was er bedeutet, sein!
Welch ein selig Loos, wann Seel’ und Seele
Sich einander ziehn durch eigne Kraft
Und, nur folgsam der Natur Befehle,
Liebe Freiheit, Freiheit Liebe schafft!
Allbesitzend immer, allbesessen,
Labet eins am andern sich alsdann.
Keine der Begierden darbt vergessen,
Die sich nicht in Fülle weiden kann.
Der Gedank’ erahnet den Gedanken,
Ehe noch die Lipp’ ihn offenbart;
Kaum entschlüpft der Wunsch des Herzens Schranken,
Als sich schon Erfüllung mit ihm paart.
Bild er Seligkeit! Wenn auch hienieden
Keine Welterfahrung sonst dir glich,
Uns war deine Wirklichkeit beschieden,
Selig waren Abelard und ich. –

Weh mir! Welch ein Wechsel jener Scenen!
Was für Gräuel plötzlich mir so nah! –
Horch, des Hochgeliebten Todesstöhnen!
Nacht, gebunden, blutend liegt er da!
Ha, wo war ich mit der Retterstimme,
Mit der hohen, dolchbewehrten Hand? –
Ach! ich hätte des Verfolgers grimme
Frevelthat vielleicht noch abgewandt.
»Halt, Barbar, mit der entblößten Schneide,
Halt mit dem verruchten Vorsatz ein!
Rügst du Schuld, so tragen wir sie beide,
Beider müss’ also die Strafe sein!« –
Ach, ich kann nicht mehr! – Von Scham befangen
Und von Wuth, erstickt in mir das Wort.
Redet, Flut der Augen, Glut der Wangen,
Redet ihr statt meiner Lippe fort! –

Kannst du, Theurer, kannst du ihn vergessen,
Jenen feierlichen Trauertag,
Jenen Altar, zu Füßen dessen
Jegliches von uns, ein Opfer lag.
Jene Thränen, da so hoch und theuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur,
Jenen Kuß, geweiht dem keuschen Schleier,
Aber ach! von kalter Lippe nur?
Rundumher erbebte Gottes Tempel,
Jede Kerze sank in Dämmerung,
Staunend sah der Himmel dies Exempel
Unbegreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare gingen,
O wie schlug das volle Herz in mir!
Heloisens Aug’ und Seele hingen
Nicht am Kreuze, hingen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrei der Schwärmerin.
Ach! Wenn diese nicht ihr übrig bliebe,
So wär’ Alles, Alles für sie hin.
Komm dann, Liebster, komm mit Blick und Stimme!
Lindre mir den wilden Seelenschmerz!
Stimm’ und Blick entzogst du ja dem Grimme
Deines Schicksals für mein armes Herz.
Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen!
Laß, indem dein Arm mich fest umschließt,
In dem süßen Gifte mich berauschen,
Welches dir von Aug’ und Lippe fließt!
Komm, o komm, du meines Lebens Leben!
Alle meine Wünsche rufen dich;
Gib mir Alles, was du noch kannst geben;
Und was nicht – erträumen laß es mich! –
Himmel, nein! Genuß wie dieser werde
Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott!
Zeige mir den Himmel statt der Erde!
Abelard verschwinde mir vor Gott!

Komm und hilf! – Ach, mindestens bedenke,
Was der guten Heerde noch gebührt,
Die du zwischen Wald und Felsenbänke
Hier auf neue Weide hergeführt!
Du hast diese Freistatt aufgerichtet,
Der so manches zarte Lämmchen schon
Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet,
Welche draußen seiner Unschuld drohn.
Deiner Großmuth Gaben nur bedecket
Statt erschlichnen Gutes dieses Dach.
Ihrem väterlichen Erbe strecket
Keine Waise hier die Hände nach.
Hier belud das sterbende Verbrechen,
Zagend vor dem nahen Strafgericht,
Den erzürnten Himmel zu bestechen,
Den Altar mit Gold und Silber nicht.
Diese schlichten, ungeschmückten Hallen,
Die bescheidne Frömmigkeit erhob,
Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen
Ganz allein von ihres Schöpfers Lob.
In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden,
In den Dom, von Epheu grün bedacht,
Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden
Und in seiner hohen Wölbung Nacht,
Wo hinein durch schmale trübe Fenster
Wie ein stilles hehres Mondenlicht
In der Wanderstunde der Gespenster
Selbst der sonnenhellste Mittag bricht,
Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken
Und schuf hohen, lichten Tag umher;
Doch von jenem himmlischen Entzücken
Strahlt kein Auge, glüht kein Antlitz mehr.
Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen,
Schlaffe Häupter rundumher gestehn
Ohne Worte täglich das Verlangen,
Ihren Hirten wieder hier zu sehn.
O so komm denn! Heitre das Betrübte!
Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund!
Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte,
Alles, Alles fleht in mir vereint. –

Nicht des Felsens Stirn im Fichtenkranze,
Die sich rauschend in die Wolken hebt,
Noch des Hügels Rücken, der vom Tanze
Froher Lämmerheerden lebt und webt;
Nicht der Waldstrom, der vom hohen Gletscher
Donnern über Felsenstufen fällt,
Noch der Grottenquell, der mit Geplätscher
Tag und Nacht das Echo wach erhält;
Nicht des Frühlings Winde, welche säuselnd
Durch das Laub der Wiesenpappel wehn,
Noch des Teiches Wellen, die sich kräuselnd
Um den Flügelschlag des Schwanes drehn:
Nichts von allem Großen, allem Schönen
Spricht ein Trostwort meinem Kummer zu;
Nicht mit ihren besten Wiegentönen
Lullt Natur den Wütherich zu Ruh.
Wie im Kreuzgang über Leichensteinen,
So schwebt überall Melancholie.
Ueber Gärten, Wiesen, Feldern, Hainen,
Ueber Thal und Hügel schwebet sie.
Aechzend deckt sie mit dem Trauerflore
Alle Schimmer, alle Farben zu.
Weh thut jeder Frohlaut ihrem Ohre;
Todtenstille heischt sie nur und Ruh.
Tief stimmt sie herab die höchsten Töne,
Tief herab der Glock’ und Orgel Klang,
Tief und bis zu dumpfem Grabgestöhne
Silberhellen Feld- und Waldgesang.

Dennoch muß ich hier nun ewig weilen,
Ewig zwischen Gott und dir mein Herz
Peinlich in der bangen Oede theilen;
Nur der Tod bricht endlich meinen Schmerz.
Und auch dann zerfällt mein Staub hier zwischen
Ausgelöschter Herzen Aschenrest,
Bis ihn, frei zum deinen ihn zu mischen,
Die Natur den Winden überläßt.

Ha! Verworfne, die so hoch vermessen
An der Hand den Brautring Gottes trägt,
Doch im Herzen, gott- und ehrvergessen,
Eines Mannes Bild und Liebe hegt! –
Hilf mir, Himmel, wider meine Fehle! –
Doch – was preßte diesen Ruf mir aus?
Hauchte Frömmigkeit aus tiefer Seele,
Oder stieß Verzweiflung ihn heraus?
Hier noch, wo ihr Haupt in dichten Schleier
Kalte Keuschheit birgt, noch hier sogar
Finden für ihr scheltenswerthes Feuer
Lieb’ und Wollust Tempel und Altar.
Büßen sollt’ ich zwischen diesen Mauern;
Doch vergebens winket mir die Pflicht.
Den Geliebten kann ich wohl betrauern,
Aber das Vergehn der Liebe nicht.
Immer blick’ ich’s an, und immer lodert
Hoch das Herz bei seinem Anblick mir;
Kaum bereut es alte Lust, so fodert
Neue schon die sträfliche Begier.
Bald erheb’ ich himmelan die Hände
Und beweine laut, was ich verbrach;
Bald, wann ich nach dir die Seele wende,
Sprech’ ich alles Unschuld Hohn und Schmach.
Von dem Schweren, was die Liebe lernet,
Bleibt Vergessen stets die schwerste Kunst.
Wenn sie das Vergehn auch von sich fernet,
So begleitet’s doch ihr Blick mit Gunst.
Haßt das Weib die Sünde wol von Herzen,
Das von Herzen so den Sünder liebt?
Weiß ich, ob mir Buße diese Schmerzen,
Oder Liebe sie zu fühlen gibt? –
Hartes Werk, die Leidenschaft zu dämpfen,
Für ein Herz, so hoch wie meins entbrannt!
O wie oft muß Haß mit Liebe kämpfen,
Eh’ der Friede Lärm und Aufruhr bannt!
O wie oft wird nicht das Herz indessen
Hoffen, zagen, wünschen, streben, ruhn,
Schmachten und verschmähn, – nur nicht vergessen
Alles sonst erleiden, Alles thun! –
Doch, wann sein der Himmel sich bemeistert
Dann – ha! wie es dann nicht blos gerührt,
Nein! entzückt, belebt nicht, nein! begeistert
Sein erhabnes Heldenwerk vollführt! –
Komm, o komm und hilf den Kampf mir wagen!
Hilf besiegen die Natur in mir!
Hilf mir meiner Liebe, hilf entsagen
Meinem Leben, meinem Selbst – und dir!
Eile, mein Geliebter, und vermähle
Deine Braut mit Gott! Denn Gott allein
Kann nach Abelard von ihrer Seele
Letzter, einziger Gebieter sein.

O wie selig, selig unvermessen
Ist der reinen Gottverlobten Loos!
Weltvergessend und von Welt vergessen
Bette sie sich in der Ruhe Schooß.
Kein Gebet von ihr bleibt unerhöret,
Weil sie stets in Gottgenügsamkeit
Jeden eiteln Erdenwunsch sich wehret.
Fleiß und Muße theilen ihre Zeit.
Sie kann schlafen, wachen, lächeln, weinen,
Beten, singen, wie es ihr gefällt.
Friedlich müssen Triebe sich vereinen,
Die der Geist im Gleichgewicht erhält.
Was sie weint, das weinet sie mit Wonne;
Was sie seufzt, das wehet himmelan.
Gleich dem milden Strahl er Abendsonne
Lacht der Gnade holdes Licht sie an.
Engel, im Geleite goldner Träume,
Schweben säuselnd über ihrer Ruh;
Engel, sanft bewegend Edens Bäume,
Fächeln ihr der Blüten Düfte zu.
Sie zur Braut sich zärtlich zu bedingen,
Reicht den Ring der Bräutigam ihr dar.
Weiße Jungfraun, Hand in Hand, umschlingen
Unter Brautgesängen den Altar.
Aufgelöst vom Klange zarter Saiten,
Mild umschimmert von des Himmels Strahl,
Wähnt sie, wie ein Bächlein hinzugleiten
In das ewig helle Wonnethal.
Ha! In solche Paradiesgefilde
Träumt sich meine irre Seele nie.
Ehrenlose, sträfliche Gebilde,
Reger Wollust Brut, umschwärmen sie.
Wann in Nächten, darbend an Genüge,
Phantasie ersetzt, was Wuth geraubt,
Das Gewissen schläft und ohne Rüge
Schnöder Ueppigkeit ihr Spiel erlaubt,
Dann entschlüpft sie ihren Schranken, stürzet
Wonnedürstend sich an deine Brust,
Und die Mitgespielin, Sünde, würzet
Höher, feuriger den Kelch der Lust.
Höllengeister, die bei Tage schliefen,
Spornen rascher der Begierde Lauf,
Rühren bis in seine tiefsten Tiefen
Jeden Quell der Lieb’ und Wollust auf.
Ha! Dann blick’ und lechz’ ich mit Entzücken
Jede Blume deiner Schönheit an
Und umkette rund bis in den Rücken
Mit den Armen den erträumten Mann.
Ich erwach’, – aus Arm, aus Aug’ und Ohre
Schlüpft das Traumbild, liebeleer wir du.
Schnell verzischt es, gleich dem Meteore;
Seinen Schimmer deckt der Nachtflor zu.
Weit erstreck’ ich dann die leeren Arme;
Rasch verfolgt es mein erwachter Blick;
Laut ruf’ ich ihm nach in wildem Harme;
Doch umsonst! Es kehrt mir nicht zurück.
Schmachtend sinkt des müden Hauptes Schwere
Rückwärts auf den Pfühl zu neuem Traum:
»Komm zurück, du holder Taumel! Gähre
Wieder auf, du süßer Nektarschaum!« –
Nichts! – Mir dünkt, nun wandern wir zusammen
Durch die Schauer öder Wüstenei
Und bejammern, daß von unsern Flammen
Nirgends, nirgends mehr Erlösung sei.
Abgemattet von des Tages Schwüle,
Von der Wanderung durch Dorn und Moor,
Suchen wir und finden keine Kühle.
Schwere Dämpfe steigen grau empor
Und benehmen unserm müden Gange,
Gleich den Dünsten einer Todtengruft,
Zwischen fürchterlichem Ueberhange
Hoher Felsenmassen, Licht und Luft.
Jach erhebst du dich von meiner Seite,
Schwebest bis zur Wolkendeck’ empor,
Winkst mir zu aus der erhabnen Weite
Und verbirgst dich in der Dämmrung Flor.
Donnerklang und Sturm- und Stromgebrause
Schreckt mich wach; doch werd’ ich deß nicht froh,
Denn ich find’ in meiner öden Klause
Alles Elend, dem ich kaum entfloh.

Anders hat zu deinem Lebenstheile
Gütig strenge das Geschick gewählt
Und das Herz dir gegen alle Pfeile
So des Schmerzes wie der Lust gestählt.
Seinen gleichen, sanften Schlag beflügelt
Nie ein rasches, wild entflammtes Blut.
Deines Geistes stille Großmacht zügelt
Die Begier und wehrt der Ueberfluth.
Ruhiger lag nicht in seinen Tiefen,
Als noch angefesselt der Orkan
Und die Kräfte der Bewegung schliefen,
Ruhiger lag nicht der Ocean;
Sanfter schlummert aus der Welt Getümmel
Nicht der Gottversöhnte sich in’s Grab;
Milder leuchtet nicht der offne Himmel
In sein halbgebrochnes Aug’ hinab.

Sei mir dann, sei nochmals her entboten!
Denn was füchtest du mein Angesicht?
Komm, o Abelard! Denn unter Todten
Zündet ja der Liebe Fackel nicht.
Kalt versagt Natur dich süßem Scherze;
Gott verdammt, was heiße Liebe schwärmt;
Ach! Sie lodert gleich der Todtenkerze,
Die kein Leben in die Urne wärmt.

Was für herzentweihende Gebilde
Stellen sich mir allenthalben dar!
Ich mag betend wandeln im Gefilde,
Ich mag knieend beten am Altar:
Unter meiner Sehnsucht Hauch verdunkelt
Und verzehrt mein Morgenlämpchen sich;
Hell an jeder Betkoralle funkelt
Eine Thräne, hingeweint für dich;
Allenthalben stiehlt mit leisem Gange
Zwischen Gott und mich dein Bild sich hin;
Dich vernimmt in jedem Chorgesange
Das getäuschte Ohr der Schwärmerin.
Wann vom Altar bis zum Tempelbogen
Blau die süße Weihrauchwolke schwebt
Und sich, steigend mit den Orgelwogen,
Himmelan die fromme Seel’ erhebt:
Dann zerstört auf einmal der Gedanken
Flüchtigster an dich des Festes Glanz;
Alles seh’ ich durcheinander wanken,
Priester, Kerze, Rauchfaß und Monstranz,
Fühle tief in einem Feuermeere
Meine Seele brennend untergehn,
Während deß in Flammen die Altäre
Und umher die Engel zitternd stehn. –

Jetzt, da ich der Reue Dolch empfinde,
Da aus mir die Tugend wieder weint,
Da ich betend mich im Staube winde,
Da mein Herz ein Gnadenstrahl bescheint,
Jetzt komm an, dein Herrenrecht zu pflegen!
Schwinge deines Reizes Zauberstab!
Setzt dich des Himmels Macht entgegen!
Streit’ ihm muthig deine Sklavin ab!
Komm! Ein süßer Blick von dir vernichte
Jeden Wunsch der Frömmigkeit in mir!
Tritt zu Boden meine Buße Früchte!
Alle Macht der Gnade weiche dir!
Uebereile meine Segensstunde,
Reiße mich, schon nahe meinem Glück,
Reiße, mit dem Höllengeist im Bunde,
Noch aus Gottes Armen mich zurück! –

Nein, entfleuch! O fleuch zur fernsten Ferne!
Laß, wie Pol und Pol, uns nimmer nahn!
Steige Berg auf Berg bis an die Sterne!
Rolle zwischen uns ein Ocean!
Komm nicht, schreib nicht, denk mein nicht und trage
Nun und nimmer wieder Leid um mich!
Jeden Schwur erlaß ich dir, entsage
Jeder Rückerinnerung an dich.
Fleuch, verwirf und hasse Heloisen! –
Aber du, ihr einst so wonnevoll,
Sei hiermit zum letzten Mal gepriesen,
Holdes Bild! Und nun – leb’ ewig wohl! –
Hehre Gnade! Göttlich schöne Tugend!
Segenvolle Weltvergessenheit!
Hoffnung, Himmelskind im Schmuck der Jugend!
Glaube, Spender hoher Seligkeit!
Sprecht nun, all’ ihr hoch willkommnen Gäste,
Freundlich meiner offnen Seele zu!
Schenket zu dem nahen Jubelfeste
Meinem Feierabend sanfte Ruh! –

Sieh, o sieh hier an des Todes Schwelle
Heloisen trauernd ausgestreckt,
Wo ihr Leib vielleicht die Ruhestelle
Einer gleichen Dulderin bedeckt!
Mehr als Luft ist, was mit sanftem Schauer
Oft sie anweht, leise sie umstöhnt,
Mehr als Echo, was von jener Mauer
Murmelnd ihre Klagen widertönt.
Wach, gleich wie ihr Blick das düstergelbe
Matte Kerzenlicht, so wach vernahm
Jüngst ihr Ohr den Ruf, der vom Gewölbe
Hohl und dumpf heraufgewandelt kam:
»Komm«, so sagt’ es oder schien’s zu sagen,
»Komm von hinnen, arme Schwester, komm!
Hier ist Ziel und Ruhestatt der Klagen.
Die dich ruft, war schwach wie du und fromm!
Vormals bebte, weinte, seufzte, flehte,
Litt sie, ach! um Liebe, gleich wie du.
Gott vernahm der frommen Angst Gebete,
Und geheiligt ging sie ein zur Ruh.
Ah, wie sanft und süß ist hier der Schlummer!
Wie so still ist Alles rundumher!
Ausgewimmert hat allhier der Kummer,
Und die Liebe seufzt und weint nicht mehr.
Höllenangst ob ihrer Menschheit Schwächen
Folgt hieher der frommen Einfalt nicht;
Menschenhärte darf den Fehl nicht treffen,
Dem ein milder Gott Verzeihung spricht.«

Ha, ich komm’, ich komme! Seht mich fertig,
Eure Rosenlauben zu beziehn!
Seid mit Himmelspalmen mein gewärtig
Und mit ewig blühendem Jasmin!
Mich verlangt, in Ruhe da zu weilen,
Wo die reinen milden Lüfte wehn,
Wo der Liebe Flammenwunden heilen
Und in Lust die Schmerzen übergehn. –
Jetzo komm, mein Abelard, und leiste
Liebreich mir die letzte Trauerpflicht!
Ebne sanft dem müden Pilgergeiste
Seinen Uebergang aus Nacht in Licht!
Sieh das Brechen meiner trüben Augen,
Sieh das Beben meiner Lippen an!
Neige dich, den letzten Hauch zu saugen
Und im Fluge meinen Geist zu fahn! –
Nein, ach nein! – Im heiligen Talare
Still erbebend wie der Espe Blatt,
Mit geweihter Kerze vom Altare
Nahe dich zu meiner Lagerstatt!
Folge meinem irren Augensterne
Mit dem Kreuz und reich’ es mir zum Kuß;
So auch einmal lehre mich und lerne
Du von mir auch, wie man sterben muß! –
Ah! Nun magst du, tief im Schaun versunken,
Schuldlos vor der einst so Theuern stehn,
Magst verglühn des Auges letzten Funken
Und verblühn der Wange Rosen sehn!
Stehn, bis keiner ihrer Lebensgeister,
Selbst der kleinste, sich nicht weiter regt,
Bis ihr Herz für seinen großen Meister,
Seinen Abelard, auch nicht mehr schlägt. –
Tod, o Tod, du Redner ohne Gleichen
Vor dem Liebenden, der sonst Nichts hört,
Wie erschütternd, selbst durch stumme Zeichen,
Predigst du, was ihn für Staub bethört! –

Wann nun auch die schönste der Gestalten,
Die mein Blick so lüstern oft umirrt,
Unter Lebensmüh’ und Zeit veralten
Und erschlafft zusammensinken wird,
Dann verwandle sich in Hochentzücken
Alle deine Herzbeklommenheit!
Weit vor deinen aufgeklärten Blicken
Oeffne sich des Himmels Herrlichkeit!
Eine lichte Wolke steige nieder
Und, umringt von froher Engel Chor,
Schwebe bei dem Klange süßer Lieder
Deine Seel’ in’s Paradies empor!
Ruf’ ihr dort der Heiligen und Frommen
Ganze Schaar, die sich entgegendrängt,
So voll Liebe, so voll Lust willkommen,
Als dich Heloisens Arm umfängt!

Beider Asche decke nun ein Hügel,
Beider Namen werd’ ein Stein geweiht!
Glorreich trage deines Ruhmes Flügel
Meine Liebe zur Unsterblichkeit!
Fügt sich’s dann in später Nachwelt Tagen,
Wann am Herzen mir kein Wurm mehr frißt
Und von meinen Seufzern, meinen Klagen
Längst der letzte Laut verschollen ist,
Daß ein Ungefähr nach seiner Weise
Für ein trautes Paar den Plan erdenkt
Und die Schritte seiner Pilgerreise
Nach dem stillen Paraklete lenkt:
O so tret’ es wehmuthsvoll und schweigend
An den alten grauen Marmelstein!
Haupt zu Haupte sanft hinüberneigend,
Schlürf’ es Eins des Andern Thränen ein!
Aufgeschüttert von des Mitleids Triebe,
Hinterlass’ es betend unser Grab:
»Segn’ uns Gott mit einer frohern Liebe,
Als das Schicksal diesen Armen gab!«
In der Feierstunde, wann der Chöre
Lautes Hosianna hier ertönt,
Oder wann ihr banges Miserere
Knieend eine Schaar von Büßern stöhnt:
Mitten dann im Pomp der Hekatombe
Frommer Seufzer, die gen Himmel wehn,
Müsse noch auf unsre Katakombe
Seitwärts manches Auge niedersehn!
Selbst der Andacht müss’ in höchster Sphäre
Ein Gedanke noch an uns entfliehn,
Und, die ihn begleiten wird, die Zähre
Werde gern im Himmel ihr verziehn!
Wenn das Glück nicht meinen Nachruhm neidet,
So erhebt ein Sänger sich vielleicht,
Der an einer Seelenwunde leidet,
Die der meinigen an Tiefe gleicht;
Der umsonst, umsonst durch lange Jahre
Seiner Hochgeliebten nachgeweint,
Bis ihn noch mit ihr – doch vor der Bahre! –
Das Geschick minutenlang vereint;
Der nun unter Klagemelodien,
Fern von treuer Gegenliebe Kuß,
Schmachtend in das Land der Phantasien
Seine liebsten Wünsche senden muß:
Dieser mach’ in preislichem Gedichte,
Wohlgestimmt dazu an Herz und Mund,
Unsre thränenlockende Geschichte,
Meinem Schatten noch zum Labsal, kund!
Bei dem Liede mein- und seiner Schmerzen
Werde jedes Hörers Brust erregt!
Denn nur Der beweget leicht die Herzen,
Welchem selbst ein Herz im Busen schlägt.

Gottfried August Bürger




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Gedichte: Tragik

28.12.2012 um 21:25

Die Erstürmung der Burg.

Klarer, kühler Herbsttag heute.
Wenn der Wind fährt in die Bäume,
Ist's nicht mehr ein üppig Wühlen
Und ein wonnig Untertauchen
In des weichen Sommerlaubes
Flüssig Wogen, Wippen, Wiegen;
Rasselnd klingt es schon und prasselnd,
Wenn er jetzt die Zweige schüttelt
Und die hartgewordnen Blätter
An einander schlägt, es knittert,
Pfeift und knackt schon in den Aesten,
Auch schon welke Blätter wirbeln
Durch die Luft, und rothe Beeren
Glänzen an halb kahlen Sträuchen.
Um die Treseburg im Thale
Ist's lebendig; Spieße starren,
Schwerter, Hakenbüchsen, Kolben,
Sensen selbst, und all das Werkzeug,
Das des Landmanns Hand voll Schwielen
Schwingt im friedevollen Kampfe
Mit der heimatlichen Scholle,
Ist zur fürchterlichen Waffe
In derselben Hand geworden,
Die mit der Verzweiflung Nothschrei
Sich zum Himmel reckte schwörend,
Jede Burg im Land zu brechen.
Und da sind sie, denen längst schon
Schreckenskunde weit vorausging,
Und die hinter sich nur Wüstung
Und verkohlte Trümmer ließen,
Die zum Bund verschwornen Bauern.
Trummenschlag und Pfeifen tönten
Durch das Thal, und in den Dörfern
Läuteten zum Sturm die Glocken.
Da aus allen Hütten schlüpften
Sie herbei, leibeigne Knechte,
Freie Bauern, Bergmannsknappen,
Hungernde, verdorbne Leute;
Was zu des gemeinen Mannes
Sache hielt, der ausgesogen,
Bis aufs Blut gepreßt, gequält war,
Das rottirte sich zusammen.
Ach! es war ein bös Gesindlein,
Bunt bewaffnet und bekleidet;
Der in abgerißnem Kittel,
Der in ritterlichem Schmucke
Oder zugestutztem Meßkleid,
Pickelhaube oder Gogel,
Lodenwamms und Pluderhose,
Eisenschurz und Krebs und Armzeug.
In dem wüsten Durcheinander
War viel Toben und Gelärme,
Und mit Hut- und Becherschwenken
Grüßten die am Fuß des Berges
Jede Handvoll frischen Zuzugs,
Der von Nirgendheim, Fehlhalde,
Bettelrain und Hungerberge
– Also hießen sie's – daher kam,
»Loset, was ist für ein Wesen?«
Rief man ihnen schon entgegen,
»Können vor Pfaffen und Adel nit genesen!«
War die Antwort, und dann schrien sie:
»Hei! wir woll'n im Lande brennen
Bei den Junkern, daß der Herrgott
Auf dem Regenbogen blinzeln
Und die Beine an sich ziehn soll!«
Mitten in dem hellen Haufen
Flog ein Fähnlein frei im Winde,
Darauf waren Christi Leiden,
Papst und Kaiser abgebildet,
Vor dem Kreuze kniet' ein Bauer,
Und darüber war ein Bundschuh.
Hauptmann dieses Bauernhaufens
War der Köhler Bertram Volrat,
Trug den Sturmhut auf dem Kopfe,
Büffelwamms mit Panzerärmeln,
Einen breiten, kurzen Degen
Und hielt handlich in der Rechten
Einen Feuerspieß. Die Augen
Blickten sicher, thatentschlossen,
Und sein Wort fand stets Gehorsam.
Treulich ihn zur Seite schwebte
Wie ein guter Engel Waldtraut,
Die, als sie die Burg verlassen,
Seinen Spuren schnell gefolgt war
Und sich nicht mehr von ihm trennte.
Wenig Wochen eines Lebens
Voller Gräuel und Gefahren
Hatten Waldtrauts ganzes Wesen
Sehr verändert, und zur Jungfrau
War die holde Mädchenknospe
Aufgeblüht in Sturm und Wetter.
Größer schien sie, voller, reifer,
Und inmitten aller Roheit,
Die sie auf den Rachezügen
Stets vor Augen hatte, war sie
Reines Herzens doch geblieben,
Selbst die kecksten der Gesellen
Ehrten sie wie eine Heil'ge.
Alles bot sie auf, das Schicksal
Von der Burg Graf Hackelberends
Abzuwenden, doch vergeblich.
Allzu tief und fest gewurzelt
War der wilde Haß der Bauern
Auf den Ritter, und die Bitten,
Selbst die heißen Thränen Waldtrauts,
Sie verklangen und verhallten
Wie des Vögleins banges Klagen,
Wenn der Sturm braust. Sie erreichte
Endlich nur, daß man das Leben
All der andern Burgbewohner
Und vor allen ihres Ludolfs
Und Wulfhilds versprach zu schonen.
Dennoch wollte sie beim Kampfe
Selbst zugegen sein, um muthvoll,
Wenn es galt, mit ihrem Leibe
Die Bedrohten noch zu schirmen.

Abend war es, Feuer brannen,
Daran Kuh und Kälber schmorten
Aus dem Kloster Himmelgarten,
Das man neulich erst geplindert
Und dann eingeäschert hatte.
Bauern lagen dran und schürten,
Zechten vom geraubten Weine,
Würfelten um Beutestücke
Oder sangen wüste Lieder.
Volrat ließ die Trommel rühren,
Hielt Gemeinde, und zum Ringe
Trat ein Jeder, dem's beliebte,
Von den Rottenmeistern aber
Und den Führern fehlte keiner.
Volrat sprach: »Ich sandt' ans Burgthor,
Gütlich Uebergabe fordernd,
Freien Abzug Jedem bietend
Außer Einem, doch sie weigern's.
Also morgen mit dem Frühsten
Wollen wir das Nestlein stürmen.«
»Hauptmann,« sprach ein Knecht, »sie sagen,
»Hackelberend sei gestorben.«
»Nein, bei Gottes Bart! ich glaub's nicht!
Wenn der Teufel ihn schon hätte,
Würden sie das Thor wohl öffnen,«
Rief der Köhler, »fragt nur Hartmann,
Den zur Burg hinauf ich sandte,
Der hat ihn in seiner Rüstung,
Die uns Allen hier bekannt ist,
Selber auf der Wehr gesehen.
Ihr von Wendefurt und Stiege,
Altenbraak und Hasselfelde,
Die am meisten ihr gelitten
Von der Grausamkeit des Wilden,
Stürmt zuerst, ich werd' euch führen.«
Sprach ein Bauer aus Allrode:
»Willst du nicht vorher dem Grafen
Den Artikelbrief noch senden,
Ob er nicht gemeine Sache
Mit uns macht und sich uns anschließt?«
»Kennst ihn noch nicht besser, Schnecke?«
Höhnte Volrat, »wenn's ein Hirsch wär',
Ja ein Schmalthier nur, das Bess'rung
Seines Daseins von ihm heischte,
So bedächt' er sich am Ende,
Doch ein ringer Mann gilt nichts ihm,
Drum soll ihm auch nichts vergunnt sein,
Als zu sterben, doch ich sag's euch:
Keiner rühr' ihm an das Leben,
Das ist mein nach Glimpf und Fug!
So verkündet euren Rotten
Und damit Wohlhin!« – Sie thaten,
Wie ihr Hauptmann kurz befohlen.

Auf der Burg gab's trübe Stunden,
Falkenier und Bogenspanner
Waren kaum von dem Begräbniß
Mit dem Hengst zur Burg gekehret,
Als die ersten Bauernschaaren
Sich schon sammelten im Thale,
Und es blieb den Burggenossen
Nicht der Schatten eines Zweifels,
Was bevorstand, Jeder wußte,
Welchen Krieg die Bauern führten.
In dem großen Thurmgemache
Saßen Abt, Wulfhild und Albrecht,
Als der Falkenier mit Ludolf
Und dem Bogenspanner eintrat,
Um der Bauern nahen Anmarsch,
Den sie selbst gesehn, zu melden.
Schnell fuhr Albrecht hoch vom Sitze:
»Flugs die Brücke aufgezogen!
Schließt das Thor, und Jeder rüste
Sich zum Streite!« rief er herrisch.
Da schritt auf ihn zu Abt Paulus,
Und in seinen blauen Augen
Blitzte jugendliches Feuer:
»Junker, halt! ich bin der Aeltre,
Mir gebührt, hier zu befehlen,«
Sprach er mit entschiednem Tone.
»Ihr, hochwürd'ger Herr?« frug Albrecht
Staunend und mit leisem Spotte,
»Euer Kleid und Amt in Ehren,
Doch zum Kriegeshandwerk taugt's nicht.«
»Meint Ihr, Junker? nun so wisset,«
Rief der Abt, »ist aus dem Ritter
Denn einmal ein Pfaff geworden,
Kann der Pfaff zur rechten Stunde
Wieder auch zum Ritter werden;
Und vom Kriege, Junker Albrecht,
Hab' ich mehr als Ihr gesehen,
Manches Jahr saß ich im Sattel,
Manche Schlacht hab' ich geschlagen,
Und ich hoffe, nicht verlernt' ich's,
Umzugehn mit Schwert und Lanze,
O wie schlägt mein Herz vor Freuden
Und Begier, noch mal zu streiten!
Bin aus adligem Geschlechte,
Bin des Grafen Hackelberend
Jugendfreund und Waffenbruder
Aus dem blut'gen Schwabenkriege,
Egon heiß' ich, Graf von Hordorf.«
Rasch zusammen zuckte Gerhard,
Stieren Auges, offnen Mundes
Blickt' er auf den Abt und sagte:
»Herr, wie heißt Ihr? Graf von Hordorf?
Herr, von meinem gnäd'gen Ritter
Hab' ich an den Grafen Hordorf
Eine Botschaft, die er sterbend
Auf die Seele mir gebunden –«
»Ist nicht nöthig mehr, dein Ritter
Hat mir's selbst noch ausgerichtet,«
Rief der Abt, »jetzt gebt den Harnisch
Eures Grafen und sein Schwert mir!
Wird mir grade passen, mein' ich,
Hier der Helm, seht an, er sitzt ja!
So in seiner eignen Rüstung
Will ich gegen die Rebeller
Meines Feindes Burg vertheid'gen!«
Von sich warf er Kreuz und Kutte,
Ließ sich schnell von Bruno wappnen. –
Nein, kein Mönch, ein Ritter war es
Aus den Zeiten Maximilians,
Der da stand in Helm und Panzer
Hoch und kräftig; Alle blickten
Voll Verwundrung und Vertrauen
Auf ihn hin, mit dem als Führer
Däuchten ihnen Thurm und Mauern
Ihrer Burg noch eins so sturmfest.
Einzig Gerhard sah noch immer
Auf den Abt in Grimm und Mißmuth,
Ja, er schwankte eine Weile,
Ob er nicht den Burggenossen
Alles offenbaren sollte,
Was sein Ritter ihm vertraute
Von dem Grafen Egon Hordorf,
Um dann ihres Herren Todfeind,
Diesen Abt sammt seinen Knechten
Aus dem Burgstall zu verweisen.
Doch dann kam die Üeberlegung;
Vier entschlossne, tapfre Streiter
Waren in der harten Fehde
Sehr willkommene Verstärkung,
Und der Abt war waffenkundig,
Kriegserfahren, schon sein Ansehn
Wirkte mannhaft und gebietend
Auf den Falkner; darum schwieg er
Und gehorchte wie die Andern.
Schleunig ward das Thor verrammelt,
Rüstung, Waffen und Geschosse
Auf dem Burghof und der Letze
Zur Vertheid'gung ausgebreitet,
Während Wenzel auf die Bauern
Scharfe Wache hielt von oben.
Nachmittages ward des Feindes
Auffordrung zur Uebergabe
Kurz und schroff zurückgewiesen,
Und die Nacht durch blieb es ruhig.
Aber wie das Augenfunkeln
Wilder Bestien, die im Kreise
Hungernd ihre unentrinnbar
Sichre Beute schon umlauern,
Glommen, von der Burg aus sichtbar,
Rings im Thal die Lagerfeuer.

Als es wieder Tag geworden,
Flog ein Gruß hinauf zur Veste,
Der noch nie im Thal gehört war.
Donnerähnlich, daß ein Echo
Von den Bergen wiederhallte,
Kracht' ein Schuß, und an den Bergfried
Pochte eine Eisenkugel,
Daß von dem Gemäuer bröckelnd
Schutt und Steine niederfielen.
Durch das Thal auf schlechtem Wege
Langsam nur dem Haufen folgend
Waren über Nacht im Lager
Zwei Feldschlangen eingetroffen,
Und der Stücke Meister hatte
Eins gerichtet und die Ladung
Auf die Burg als Guten Morgen
Sicher treffend abgefeuert.
Auch der Schuß des zweiten folgte,
Doch man sah nicht, wo er einschlug
Das war für die Burgbewohner
Eine böse Ueberraschung.
Unter all den guten Waffen
War kein Feuerrohr im Rüsthaus,
Denn einmal für allemale
Hatte Hackelbernd verboten,
Eines auf die Burg zu bringen,
Weil er die Erfindung haßte.
Büchsen und Karthaunen machten
Nun die Bauern, die an Zahl schon
Hundert gegen Einen standen,
Auch an Waffen überlegen,
Und wenn auch den Eingeschloss'nen
Nicht der Muth sank zur Vertheid'gung,
Gab es doch bei der Entdeckung
Ernste Mienen auch im Burghof.
Wulfhild sah das, und entschlossen
In den Kreis der Männer tretend
Sprach sie flammend in Begeist'rung:
»Hört mich an! ich kämpfe mit euch
Gegen diese Bauernhorden.
Meine Ehre und mein Leben
Will ich so wie ihr vertheid'gen,
Mit euch stehen oder fallen.
Schüttelt nicht das Haupt, Graf Hordorf!
Glaubt es mir, vom besten Schützen
Lernt' ich eine Armbrust spannen,
Lernte zielen, lernte treffen,
Und wenn's dann aufs Letzte ankommt,
Weiß ich auch den Speer zu führen.
Wulfhild heiß' ich, o verachtet
Nicht die Kraft in meinem Arme!
Keines Bauern Fell und Leben
Ist so zäh wie das des Wolfes,
Den ich einst im Kampf bezwungen.
Aus der Kemenate holt' ich
Meinen Spieß und meine Armbrust,
Legte an den Schuppenpanzer,
Leicht, stahlhart und fein von Arbeit,
Meine edle Ahnfrau trug ihn,
Und er wird auch mich beschützen.
Sehen sollt ihr, daß ein Weib auch
Streiten kann, und geht's zu sterben,
Wohl! so sei's in euren Reihen,
Nicht von eurer Seite weich' ich!«
Wie sie dastand! hehr und herrlich,
Eine stolze Schlachtenjungfrau.
Leise zitterte ihr Körper,
Und ihr Busen wogte heftig.
Doch Abt Paulus sprach mit Nachdruck:
»Jungfrau, nein! wo Männer bluten,
Ist kein Platz für Eures Gleichen.
Fügt Euch meinem Wort und schließt Euch
Mit den andern Frau'n und Mädchen
In den festen, sichern Bergfried.
Dort vertraut auf den Allmächt'gen
Und auf uns, die ohne Zagen
Euch mit unserm Leib und Leben
Schützen und beschirmen wollen.«
Wulfhild faltete die Stirne
Und – bezwang sich, doch auf Albrecht
Blickte sie wie bittend, fragend.
Der sah tief ihr in die Augen,
Zögerte und sprach bewegt dann:
»Wulfhild, thu' es mir zu Liebe!«
Heiße, dunkle Purpurröthe
Ueberzog da Wulfhilds Antlitz,
Ihre Augenlider schloß sie,
Und es schien, als ob sie wankte
Und nach Athem rang und Fassung.
»Ihm zu Liebe? Ihm zu Liebe?
War' es dennoch, dennoch möglich?
Albrecht, sprach das deine Liebe?«
Also klang's in ihrem Herzen,
Doch kein Wort kam von den Lippen.
Einen unaussprechlich süßen
Blick noch warf sie auf den Edlen,
Und dann wandte sie sich langsam
Zu den Frau'n, die um sie standen:
»Mädchen, kommt! Er will's, sie wollen's!«
Aber Elsbeth und auch Christel,
In des schweren Augenblickes
Ueberwallenden Gefühlen
Vor dem Kampf auf Tod und Leben
Alle Scheu vergessend, warfen
Sich jetzt Valentin und Tile
In die Arme, Abschied nehmend
Wie auf Nimmerwiedersehen.
Dann erst folgten sie Wulfhilde
Und den Andern in den Bergfried.
Paulus, wieder ganz ein Krieger,
Wies nun Jedem seinen Posten,
Gab Befehl und Unterweisung
Und ermahnte seine Mannen
Zur Besonnenheit und Vorsicht,
Denn es schritten die Belagrer
Schon zum Angriff und erstiegen
Siegsgewiß den niedern Burgberg.
Jetzt begann der Kampf, und balde
Hatt' er hüben auch und drüben
Sich mit Heftigkeit entsponnen.

Gegen das Gebot des Köhlers
Klomm den Berg hinan auch Waldtraut,
Barg sich hinter einer Buche,
Wo dem bittern Streit sie zuschau'n
Und auch die erkennen konnte,
Die im Burgstall auf der Letze
Sich mit Schultern, Kopf und Armen
In den Mauerluken zeigten,
Um von der gespannten Armbrust
Ihren Pfeil hinabzuschnellen.
Ach! in Aengsten schlug das Herz ihr
Wußte sie gleich, daß den Liebsten
Man zu schonen gern gewillt war,
Konnte doch von den Geschossen
Eins ihn ohne Absicht treffen
Oder auch im Handgemenge,
Wenn das Burgthor erst gesprengt war,
Ihn der Todesstoß erreichen.
Schon ward Schuß um Schuß gewechselt,
Pfeile schwirrten, Kugeln pfiffen,
Aus den Hakenbüchsen kracht' es,
Und vom Thal in langen Pausen
Donnerten die Eisenschlangen.
Um den Graben auszufüllen
Vor der Pforte, schlug man Bäume,
Packte Aeste, rollte Steine
Und warf Erde in die Senkung,
Doch gefährlich war's und Mancher
Mußt' es mit dem Leben büßen.
Von vier Seiten war nur eine
Zu vertheid'gen, die der Graben
Mit der aufgezognen Brücke
Und der feste Thorthurm schützte.
An den andern drei verbot sich
Durch des Felsens steile Höhe
Jeder noch so kühne Angriff,
Und die schmale Bergeslehne
Bot den ungeduld'gen Feinden
Wenig Raum nur zur Berennung.
Immer zügelloser drängten
Sie von unten nach und schoben
So die Vordersten ins Treffen,
Daß die wenigsten von ihnen
Deckung fanden vor den Bolzen
Der Belagerten im Burgstall
Und der Kampf auf diese Weise
Aus den Reihen der Belagrer
Viele blut'ge Opfer heischte.
Manchesmal im Lauf des Tages
Schien, geschreckt durch Tod und Wunden,
Fast erschöpft der Muth der Bauern,
Denn sie wichen, und das Schießen
Wurde schwächer, ja zuweilen
Gab es einen kurzen Stillstand
Im Gefecht, und die im Ringwall
Faßten eine leise Hoffnung,
Daß der Sturm zurückgeschlagen,
Kühlten sich die heißen Stirnen,
Ruhten selbst auch und erquickten
Sich mit einem kräft'gen Trunke,
Den die beiden Klosterbrüder
Ihnen aus dem Keller brachten.
Doch nicht lange währt's, dann ging es
Wieder los. Der Köhler Volrat
Hatte es sich zugeschworen
Hoch und fest, die Burg zu stürmen,
Um den Grafen Hackelberend,
Seinen Todfeind, zu erreichen,
Den er ohne allen Zweifel
Jetzt erst recht noch lebend glaubte,
Weil die Burg so unerschrocken
Und so gut vertheidigt wurde.
Selber schoß er nicht, doch selber
Schien er wirklich unverwundbar.
Seines Lebens gar nicht achtend
War er überall der Erste,
Stets voran, kein Bolzen traf ihn,
Doch mit Ruf, Befehl und Beispiel
Feuert' er die Kampfgenossen
Mächtig an, nicht nachzulassen,
Stachelte sie auf mit Worten,
Sie an dies und das erinnernd,
Was dem Einen oder Andern
Hackelbernd zu Leid gethan.
Und das wirkte. Die Erbittrung
Stieg mit jeder neuen Wunde,
Die ein Pfeilschuß aus der Veste
Einem Bauern schlug; verwegen
Suchten sie mit allen Kräften
Jetzt den Graben an der Brücke
Auszufüllen, rafften, rissen,
Was beweglich, aus der Erde,
Warfen es hinab und sandten
Einen Hagel von Geschossen
Auf die Burg in blindem Wüthen.

Ruhig zielten, sicher trafen
Mit dem Stahle die Bedrohten,
Denn die wackern Waidgesellen
Sammt dem Abt und seinen Knechten
Waren lauter gute Schützen.
Alle waren unversehrt noch,
Tile nur, der allzu keck sich
Vorgewagt, hatt' einen Streifschuß.
»Hast gesehn? Potz blau!« rief Bruno,
»Das war einer von des Grafen
Schwarzen Pfeilen, ja die ziehen!«
Ludolf hatt' auf seinem Posten
Waldtraut längst erspäht, und heftig
Stritten sich ihm die Gefühle.
Angesichts der Heißgeliebten
Mußt' er hier doch für sein eignes
Und das Leben der Genossen
Schonungslos und ehrlich streiten,
Seines Ritters Burg vertheid'gen
Und das edle Fräulein schirmen
Vor den rohen Bauernfäusten.
Aber härter noch und schwerer
Wogte ihm der Kampf im Busen,
Daß er die, auf deren Seite
Waldtraut stand, erschießen sollte,
Und es bebte ihm die Waffe
In den Händen, wenn er zielte,
Bebte, weil sein Herz so klopfte.
Gerhard rief ihn an: »He! Ludolf!
Hast schon wieder fehl geschossen!
Geh' dort auf die andre Ecke,
Wo du nicht dein Mädel sehn kannst,
Und laß Velten hierher kommen.«
Er gehorchte, und kaum hatte
Er mit Valentin gewechselt,
Als den Troßknecht auf der Stelle
Eine Kugel niederstreckte.
Bruno an der nächsten Luke
Sah ihn fallen und rief wüthend:
»O verfluchtes Höllenfeuer!
Feige Memmen schießen, sicher
Vor des Bolzens weit'stem Fluge,
Mit dem schwarzen Teufelskraute
Einen braven Kerl danieder!
Ist das waidgerecht? ich würde
Mich vor einem Bären schämen,
Mit dem Rohr auf ihn zu halten!
Möchte meinen treuen Schnepper
An der Mauer hier zerschlagen,
Schützenkunst und ehrlich Fechten,
Mit euch beiden ist es aus jetzt!«
Und in Hand und Auge legt' er
Seinen Zorn und schoß und traf.
Selten nur kam aus dem Thale
Noch ein Schuß der Eisenschlangen,
Aber eine heiße Kugel
Hatt' ins Vogelhaus getroffen,
Aus dem Dache schlug die Flamme,
Und es stieg ein dunkler Qualm auf.
Draußen jubelten die Bauern,
Und der Köhler schrie herüber:
»Wollt ihr endlich euch ergeben?«
»Niemals!« rief der Abt herunter.
Wenzel lief zum Vogelhause,
Nahm den Falken ihre Fesseln,
Ließ sie fliegen, und sie schwangen
Alle sich empor zur Freiheit.
Ausgefüllt war jetzt der Graben,
Und die ersten Stöße fielen
Dröhnend, schütternd gegen's Burgthor
Und die aufgezogne Brücke.
Ein gefällter Baum ward Sturmbock,
Aexte halfen nach und Karste
Hieben, schmetterten und bohrten,
Daß in Splitter brach das Holzwerk.
Bohlen wichen aus den Fugen,
Balken stürzten, und zertrümmert
Sank das halbe Burgthor krachend
Nieder in des Thurmes Wölbung.

Heiß noch war der Kampf im Durchgang,
Der verrammelt und versperrt war,
Und zwei Klosterknechte fielen.
Nahe schon dem Ziele, räumten
Beutegierig die Erstürmer
Alles Bollwerk weg und drangen
Triumphirend in den Burghof,
Wo der Tapfern kleines Häuflein
Todesmuthig jeden Fußbreit
Ihren Siegern streitig machten.
In der Gegenwehr Verzweiflung
Schwirrte wuchtig mancher Hieb noch,
Doch der Uebermacht erliegend
Wurden Waidgeselln und Knechte
Bald entwaffnet, fast kein Einz'ger
Ohne blut'gen Riß am Leibe.
Volrat setzt' es durch, daß Keinem
Noch ein Leid geschah, wie Rache
Auch um die gefallnen Brüder
Die erhitzten Kämpfer spornte.
Albrecht aber, der den Bauern
Nimmer sich ergeben wollte,
Und in dem sie an der Kleidung
Einen adeligen Junker,
Keiner Gnade werth, erkannten,
Fiel im Kampf, zum Tod verwundet.
Nur der ritterliche Abt noch
Focht in Hackelberends Rüstung
Furchtbar mit dem Schwert sich wehrend
Wie sein Wappenthier, der Eber,
Und nicht Einer konnt' ihn fällen.
Aber jetzo drang der Köhler
Auf den Platz, wo Jene kämpften,
Und den Ritter dort erblickend
Sprang er wie ein Tiger wüthend:
»Hackelberend, mach' dich fertig!«
Auf ihn los, zerschlug den Arm ihm
Und stieß ihm die Hellebarde
Tief durch ein Gelenk des Panzers
In den Leib, daß Paulus hinsank
Und der Helm vom Haupt ihm rollte.
Da erkannte erst der Köhler
Fast bestürzt, daß einen Andern
Er gefällt hier, als er suchte.
Doch das bracht' in neue Wuth ihn:
»Wo ist Hackelberend?« schrie er
Sich zum Abte niederbeugend,
»In der Hölle wirst ihn finden,
Geh' und such' ihn!« sprach verscheidend,
Der ein Pfaff war und ein Ritter.

In den Burghof, selbst kaum wissend,
Wie sie war hinein gekommen,
Stand an Ludolfs Seite Waldtraut
Stillbeglückt, und auch der Köhler
Schüttelte die Hand dem Eidam.
Aus dem Bergfried aber brachten
Bauern die gefangnen Mädchen,
Und ein junger Riesenstarker
Trug hohnlachend auf den Armen
Die vor Scham und in Verwirrung
Fast verzweifelnde Wulfhilde.
Ihre beiden Hände hielt er
Fest umklammert wie im Schraubstock,
Doch er blutete am Halse.
»Vater, rette sie!« rief Waldtraut.
Volrat brauchte Kraft und Ansehn
Und entriß dem Ungefügen
Mit Gewalt die schöne Beute,
Sie in Waldtrauts Obhut stellend.
Elsbeth aber und die Mägde
Waren aus den kecken Armen
Ihrer Räuber nicht zu retten.
In den Burggemächern hausten
Plündernd mit Geschrei und Raufen
Nun die Sieger, nahmen Waffen,
Kostbarkeiten und Gewänder.
Andre drangen in den Marstall,
Um die scheugewordnen Rosse
Auch als Beute mitzuführen.
Da ertönten Schreckensrufe.
Aus dem Stalle war der Rapphengst
Ausgebrochen und schlug um sich,
Sprengte in den dichten Knäuel
Auf den Hof, unbändig, rasend.
Ihm entgegen trat der Köhler,
Ihn zu greifen; doch der Rappe
Bäumte sich empor und ragte
Ueber aller Männer Häupter
Wie ein wilder, schwarzer Dämon,
Und mit fürchterlichem Schlage
Des mit Eisen schwer beschuhten
Vorderhufes traf zerschmetternd
Er des Köhlers Schädel, lautlos
Brach der starke Mann zusammen.
Wunsch mit weitem Sprunge setzte
Ueber ihn hinweg und brauste
Stürmend durch die Bauernhaufen
Aus dem Thor den Berg hinunter,
Alles vor sich niederrennend,
Was im Weg war, Niemand fing ihn.

In des Burghofs stillstem Winkel
Stand ein Lindenbaum, darunter
Zog sich eine Bank von Rasen.
Hier lag Albrecht schweigend, sterbend.
Vor ihm kniete, mit den Armen
Ihn umschlingend und ihr Haupt
An die Brust ihm lehnend, Wulfhild.
Um sie, wie zum Schutze, standen
Gerhard, Bruno und Agnete.
Wulfhild beugt' ihr thränend Antlitz
Nah zu seinem und sprach leise,
Oft von Weinen unterbrochen:
»Was ich nie bei deinem Leben
Dir gestanden, Albrecht, will ich
Dir zum Todesabschied sagen:
Dich hab' ich geliebt so innig,
Wie dich mehr kein andres Wesen
Hätte jemals lieben können, –
Ach! du scheidest, meine Liebe
Stirbt mir nicht in meinem Herzen, –
Keinem andern Manne werde
Jemals diese Hand ich reichen, –
Noch in meiner letzten Stunde
Denk' ich dein, du Heißgeliebter!«
Leise winkt' er mit den Augen,
Und ein schwacher Druck der Hand nur
Sagte, daß er wohl verstanden.
Da auf seine Lippen drückte
Sie den ersten und den letzten
Kuß, ein mildes Lächeln schwebte
Um den Mund ihm in Verklärung,
Und sein letzter Seufzer wehte
Wie ein Lenzhauch in die Herbstluft.
Weinend lag sie an der Leiche;
Gerhard sagte: »Kommet, Fräulein!
Bruno wird den edlen Todten
Ungekränkt zur Ruhe bringen,
Aber ich mit meinem Weibe
Will Euch jetzt getreulich leiten
Nach dem Quedlinburger Reichsstift
Zur Aebtissin Gräfin Stolberg,
Die Euch wie mit Mutterarmen
Wird umfangen, so vermein' ich.«
Wulfhild hob sich, nahm von Waldtraut
Kurzen, thränenreichen Abschied
Und ging mit den beiden Alten
Aus der eingerannten Pforte.

Als sie auf den Berg gekommen
Gegenüber, der den Burgberg
Ueberragte, wandte Wulfhild
Einmal noch die Blicke rückwärts.
Hier, am Weg zum Wodansmale
Hatte sie wie oft! gestanden.
Herrlich lag, von hier gesehen,
Mitten in den grünen Bergen,
Wie ein Kleinod wohl behütet,
Ihrer Väter Burg, jetzt aber
Loderten die hellen Flammen
Draus hervor, und Wulfhild hörte
Noch von fern das wilde Jauchzen
Und den Kriegsgesang der Bauern,
Die ihr stolzes Heim zerstörten. –
Weiter schritten die Beraubten,
Und von des Gebirges Kamme
Sahen bald das weite Land sie
Und die Thürme gastlich winken
Sammt dem alten Kaiserschlosse,
Ihrer Wandrung Ziel. Da plötzlich
Hörten sie ein leises Sausen
In der Luft wie Flügelrauschen,
Und sieh da! auf Wulfhilds Schulter
Ließ sich sanft ihr Lieblingsfalke,
Ihr getreuer Blaufuß nieder.
Lächeln mußte sie in Thränen,
Und den Vogel streichelnd sprach sie:
»Kommst du wieder denn zu Handen,
Lieber, letzter, treuer Freund mir?
Nun so bleibe, komm und gehe,
Wie du magst, in Freiheit fliege
Und auf meiner Schulter sitze,
Schwebe um mich wie Erinn'rung
An die Tage meiner Jugend.«
Da erhob sich Blaufuß wieder,
Schwang sich über ihr in Kreisen,
Flog bald nahe und bald ferne
Ihr voraus und blieb bei Wulfhild.

Julius Wolff




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Gedichte: Tragik

29.12.2012 um 17:51

Dornburg

Hoch auf dem Berg ein Kirchlein steht,
Von Himmelslüften mild umweht,
Das in die Thäler schimmert weit
Aus duft'ger Waldeseinsamkeit.
St. Blasius ist es geweiht,
Schon hehr wie heut' in alter Zeit. —
Nicht weit, von Trümmern reiche Schau:
Wallgräben, Wälle öd' und grau,
An Epheu reich die Türme, Mauern,
Die Erker, die schon lange trauern,
Die Warte klafft, die Wölbung wanket,
Auf der der Tanne Banner schwanket.

O Stadt, einst reich und schön und stark,
Genähret von des Handels Mark;
"Gottseligkeit und Fleiß!" Dem Spruch,
Wildwüstem Treiben galt dein Fluch,
Bis dich zerstört der Flammen Glut,
In Strömen stoß der Deinen Blut! -

Mild war der Tag im Herbst und heiter,
Gen Dornburg lenkten Roß und Reiter,
Kaufleute waren's, die seit Jahren
In fernen Landen umgefahren. Manch'
Gulden rot, manch' glühen Stein
Trug jeder heim im Beutel sein.
Wie schauen sie empor vom Thal,
Wie lacht die Stadt im Abendstrahl!
Sie biegen nun zum Eichenschlag —
Wie grüßt sie jeder Baum im Hag!
Da bricht's hervor wie Wetterschlag:
Raubritter, die versteckt im Hag;
Und Blitz auf Blitz! die Schwerter klingen,
Und Strahl auf Strahl! die Wunden springen,
Dumpf dröhnt der Wald im Abendrot,
Da nahet Hilfe in der Rot.

Mit scharfem Ohr den Lärm vernommen
Die Dornburg hat und ist gekommen.
Manch' Ritter fällt, manch' Ritter flüchtet,
Der Bürger siegt, der Bürger richtet.
Georg, von Molsbergs hohem Schloß,
Rupert von War stolz zu Roß,
Sie knirschen, von dem Feind gefangen,
Denn: mitgegangen, mitgehangen!
O Rupert, ritterlicher Degen,
Dem Frevel gram, doch kühnverwegen,
Dem in der kaiserlosen Zeit
Das Sprüchlein deckte Reu' und Leid:
"Rauben dem Bürger ist keine Schande,
Das thun die Besten im ganzen Lande!"
Warum dein Blick zu Boden schaut?
Ein lichtes Auge niederblaut:
Hier ragt des Bürgermeisters Haus,
Schön Hildegard blickt scheu heraus.
Wie oft in dieses Hauses Räumen
War Rupert sonst in Minneträumen,
Willkomm'ner Gast bei Herr und Maid —
Ach, du vergang'ne, süße Zeit!
Errötend tief schaut er zu Boden
Und wünscht sich heute zu den Toten.
Und Hildegard? Ihr strömt zum Herzen
All' Glut in heißen Minneschmerzen,
Da einmal nur, ein einzig Mal
Heraufgeblitzt sein Augenstrahl.
Jetzt sitzt er im Verließ in Hast
Und schweres Gold erst Lösung schafft. —

Doch nicht so will die Ritterschaft,
Sie zahlt allein mit Schwerteskraft.
Wie Wetter schwarz die Scharen zogen,
Der Panzer dröhnt, die Banner wogen;
Von Abend kamen sie und Margen
Und brachten Leid und grimme Sorgen.
Sturm folgt dem Sturm um Thor und Turm,
Von Wall und Turm wehrt man dem Sturm.
Schon flog der Schnee in Flocken weiß,
Und Bach und Quelle ward zu Eis,
Schon kam der Christnacht Friedenszeit:
Noch immer grimmt der wilde Streit.
Da kündet froh ein Knecht der Stadt,'
Daß nun die Ritter streitessatt;
Sie wollten auf die Bürgen ziehen,
Bis wieder Veil und Rosen blühen. —

Christabend war's, in jedem Haus
War Freud' und Wonne überaus.
Friede! so rief die hehre Nacht;
Nur Hildegard in Thränen wacht.
Schnee wirbelt kalt und wirbelt dicht,
Kein Sternlein aus den Wolken bricht.
So ist mein Heben! sprach sie leise;
Halbträumend ist sie auf der Reise.
Wie Glocken um die Mitternacht
Zur Metten rufend sind erwacht,
Sie künden allen Weihnachtsluft;
Sie stürmt in Nacht, Leid in der Brust,
Verborg'nen Pfad's zum Gotteshaus
St. Blast stürmet sie hinaus.
Kaum ist sie selbst sich des bewußt,
So grüßt die Maid der Feind mit Lust,
Die Scharen rüsten sich, und leise
Geheimen Pfades geht die Reise.
Der Priester spricht gerad den Segen,
Da hallt ihm Kampfgeschrei entgegen.
Hier Schrecken bleich, dort Wunden rot,
In allen Gassen rast der Tod.
Sonnfarben durch die wilde Nacht
Der Flammen Gluthenschimmer wacht;
Die Erker und die Giebel weichen —
Die Nacht des Friedens schaut auf Leichen.

Im Kirchlein, Blasius geweiht,
In Ohnmacht blieb zurück die Maid;
Entsetzt in Wahnsinn rot wie Blut
Schaut sie die Stadt in Flammenglut.
Kein Ohr hat Kunde je vernommen,
Wohin schön Hildegard gekommen. —

Und heut' ist alles sonntagsstill,
Kaum eine Glocke lauten will,
Nur Heidekräuter hauchen Duft,
Und milde flutet Sommerluft.
Kein Panzer dröhnt, kein Schwert mehr blitzt,
Nur auf dem Turm die Amsel sitzt,
Und wie sie sich zum Wald geschwungen,
Ist klar ihr Friedenlied erklungen. —

Franz Alfred Muth




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Gedichte: Tragik

29.12.2012 um 17:52

Der heilige Ludwig und der Raubritter

Auf der Straße, die von Franken
Zum Thüringerlande leitet,
Fuhr ein schwerbeladner Nagen,
Nur von Wenigen begleitet.

Auf den Wagen war geladen
Edlen Weines manches Tönnchen,
Der erkaufet war zur Labe
Von den Reinhardsbrunner Mönchen,

Einem' kühnen Frankenritter
Lüstet's nach dem edlen Gute,
Und aus dichtem Walde bricht er
Mit des Wegelagrers Muthe.

Schlägt den Fuhrmann und die Knechte,
Nimmt den Wein und die sechs Rosse,
Läßt den Wagen anders lenken
Hin nach seinem Felsenschloße. —

Zu dem edlen Ludwig klagend
Traten bald die frommen Väter,
Sagen, was der Ritter wagte,
Fluchen jenem Uebelthäter.

Und der Landgraf augenblicklich
Läßt er seinen Schreiber kommen,
Läßt ihn schreiben an den Ritter,
Der der Mönche Gut genommen.

Läßt Erstattung ihm gebieten,
Fordert wieder Wein und Pferde,
Drohend, daß den Uebermüth'gen
Er zu zücht'gen wissen werde.

Aber jener Ritter lachte
Solcher Drohung laut und herzlich,
Trank der Mönche Wein, und dachte
Nicht, den Raub zu büßen schmerzlich.

Bis ihn einst am frühen Morgen
Waffenlärm und Rufen weckte,
Und vor seines Schloßes Thore
Hörnerschall die Mannen schreckte.

Denn der Landgraf war in Eile
Mit Vasallen und mit Knechten
Hergekommen, mit dem Räuber
Wegen seiner That zu rechten.

Und nun war die Burg umzingelt,
Wenig Mannen nur darinnen,
Kampf zu wagen mit so vielen
Wäre thörigtes Beginnen.

Und der Landgraf sandte wieder:
„Willst du retten Burg und Leben
Mußt du beides nun demüthig
Unserm Willen übergeben!"

Und der Ritter, bis auf's Hemde
Baar der Kleidung, mußte grüßend
Vor des Schlosses Pforte nenn,
Schimpflich seine Raublust büßend.

Mußt' ein kurzes Schwert, entblößet,
Halten gegen seine Kehle,
Also seine Burg er löste,
Also löst' er seine Seele.

Und den Wein mit Roß und Wagen
Mußt er nach dem Kloster senden,
Eher ließ der strenge Landgraf
Nicht den Räuber aus den Händen.

Also war ein Schirm der
Seinen Landgraf Ludwig unermüdet,
Hat mit Ernst und regem Eifer
Immerdar das Recht gehütet.

Und wenn eine fromme Vorzeit
Ihn den Frommen hat geheißen,
Soll der Richterspruch der Nachwelt
Ihn als den Gerechten preisen.

Ludwig Bechstein




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29.12.2012 um 17:53

Der Berg der Seligkeit

Ein Bergesrücken stillbesonnt,
Allum der duftge Horizont! -
Hier sass der Christ und rings im Kreis
Die Galiläer, stufenweis
Gelagert, auf den steilen Triften.
Der Meister lobt’ der Lilie Kleid,
Hiess göttlich Werk das Friedestiften
Und rühmte die Barmherzigkeit.
Er liess die Segensschwingen breiten
All seines Reiches Seligkeiten.
Dann ist er sacht hinabgegangen ...
Und hat am Kreuzesstamm gehangen.

Am Berg der Seligkeiten irrten
Der Hirtin Stapfen und des Hirten.
Wie Wolken still, wie Stürme brausend,
Zog dran vorüber ein Jahrtausend.
Die Lilie blieb des Lobes froh,
Sie kleide sich wie Salomo,
Die Luft, drin nie das Erz erscholl
Ist noch von Friedeworten voll.
Drommetenstoss! Jach klimmt empor
Ein Heer, das Schlacht und Raum verlor.

Kreuzritter sinds, von Saladin
Versprengt, die wild zur Höhe fliehn!
Heiss unter ihren Schritten her
Entflammt den dürren Rasen er,
In schwarzen Wolken wallt der Qualm.
Schlachtrosse schnauben auf der Alm.
Scharf pfeifen Sarazenenpfeile
Durch dieses Fluchtgedränges Eile.
Fort! Ein verfärbter Purpur weht,
Ein junger König wankt entkräftet,
Doch dieses Reiches Majestät
Ist König Christ, ans Kreuz geheftet,
Drum tragen sie das Kreuz voran,
Der Welterbarmer schwebte dran,
Das bittre Kreuz, davon herab
Er seines Mordes Schuld vergab.
Sie wuschens dann mit roten Bächen,
Um des Erbarmers Tod zu rächen ...
Das Wüten, Morden, Bluten, Streiten
Ersteigt den Berg der Seligkeiten.
Erklommen ist der Gipfel jetzt,
Und hinter ihm erbraust das Meer.
Der Kurdenschleuder ausgesetzt,
Steht auf dem Kulm das Christenheer.

Drommetenstoss! "Der Heiland lebt!
Christus regiert!" Der Berg erbebt.
"Hilf, König, der gekreuzigt wurde!" -
"Zielt auf das Kreuz!" befiehlt der Kurde.
"Wie blöde Falter um die Flamme,
So flattern sie am Kreuzesstamme!"
Es saust. Steilnieder zu der Bucht
Stürzt Ross und Reiter in die Schlucht.
Das Kreuz mit Glut und brünstger Hast
Umfängt ein Mönch und hälts umfasst:
"Hörst, König, du der Heiden Spott?
Vernichte sie, verhöhnter Gott!
In heller Rüstung komm gefahren
Mit deines Vaters Engelscharen!

Lebst du, regierst du, Christe, nicht?"
Kein Engelschwert erblitzt im Licht.
Die Luft verfinstert Pfeilgesaus -
"Komm!" schreit der Mönch und atmet aus.

Des Himmels innigtiefer Schein
Umfliesst ein menschenleer Gestein.
Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerstört,
Dies Reich hat nicht dem Christ gehört.

Conrad Ferdinand Meyer




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29.12.2012 um 17:54

Der Kreuzritter

Herauf, herauf, mein treues Roß!
Da stund es einst, mein Ahnenschloß,
Nun ist es Schutt und alles tot,
Was mir einst Lust und Liebe bot.

O Vaterland, du teures Land!
Ich schlief auf heißem Wüstensand,
Verwundet und im Felsennest
Und auf dem Leichentuch der Pest.

Im Panzerkleid, am Pilgerstab,
In heißer Schlacht, am heil'gen Grab,
Gefangen und beim Siegesmahl,
Gedacht' ich dein, mein Heimattal!

Die Völker schlugen auf das Zelt,
Wo einst gewallt der Herr der Welt;
Ich hab' den heil'gen Ort gesehn,
Es sank vor mir der Sarazen.

Nun alle Schuld ist abgebüßt,
Nun kam ich heim, sei mir gegrüßt
Am Grab der Väter, Eichenbaum;
Du schautest meinen schönsten Traum!

Mir blieb mein Hort, mein treues Schwert,
Mein Siegesruhm, mein Ritterwert.
Gibst du mir nur ein Grab dafür,
Mein Heimatland, wie dank' ich dir!

Herrmann von Lingg




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