Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder
Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder,
Du Licht des Glaubens, das die Christenheit durchleuchtet,
Wir alle fühlen uns durch Deinen Trost gesunder!
Ihr Aussatzkranken, die Ihr Euer eigenes Weib verscheuchtet,
Gesteht, vermochte Rom nicht Euer Leid zu bessern?
Ihr sagtet nein, da Ihr verwirrt vorüberkeuchtet!
Kein Papst vermag es, Eiterwunden zu bewässern,
Den Kranken allen, die ein grauses Übel peinigt,
Hilft kein Gebet, noch sonst ein Arzt mit Trank und Messern.
Von Sünden aber wird der Mensch in Rom gereinigt,
Der Vatikan vergiebt die Schuld der Erzbefleckten,
Denn Heiden haben Heilige zu diesem Zweck gesteinigt!
»Dort wo die Märtyrer das Gnadenwerk vollstreckten,
Da wird uns Elenden der reichste Trost gespendet!«
Denkt mancher Pilger, dessen Muth Legenden weckten.
Wie mancher sich, von Rom aus, wieder heimgewendet,
Erblickte er, mit voller Lust im Lenz den Flecken,
Der seinen Tagesmarsch, als nahes Ziel, beendet.
In junger Pracht, erwachten rings Toskanas Hecken,
Gar schöne Mädchen kamen ihm des Wegs entgegen,
Und keine schien vor fremden Pilgern zu erschrecken.
Auf allen Wegen sah man sich das Leben regen,
Oft Söldner vor den Schänken leicht ihr Geld verspielen,
Ein Fräulein gar am Fenster ihre Flechten pflegen,
Verschiedene Wirthe nach den Pilgersäckeln schielen.
Oft stumme, dunkle Mädchen, unter niedern Thüren,
Erröthen, wenn sie schmucken Jünglingen gefielen.
Dann kam ein Wirth die Pilger in sein Haus zu führen,
Und da sie lahm und müde vor den Schänken harrten,
War es das Erste dort, die Schuhe zu entschnüren.
Dann wollten sie behaglich auf die Mahlzeit warten,
Zu Haus jedoch, gewahrte einer, voll Vergnügen,
Drei Mädchen wunderbar in einem Nelkengarten.
Es waren Schwestern mit den selben schönen Zügen,
Die sich soeben um den gleichen Freier stritten,
Mit einem andern wollte keine sich begnügen.
Sie riefen, keine hätte jemals es gelitten,
Daß eben der mit einer andern sich vermähle,
Und käm ein Prinz dafür für sie herangeritten!
Ihr goldenes Haar durchblitzen Prachtjuwele,
Und jede konnte, selbst im Streit, den Anstand wahren,
Vielleicht, damit der Fant, als Klügste, sie erwähle!
Sie wollten jetzt schon alle Reize offenbaren,
Die Streitbarste trug in den Flechten grüne Spangen,
Die fast wie Schlangenwunder in dem Goldwust waren.
Die Zweite schien bei jeder Kopfwendung zu bangen,
Sie hatte Perlen still um ihren Hals gewunden,
Und leichtes Fieber schlug ihr öfters in die Wangen.
Der Jüngsten Art und Scherze schienen zu bekunden,
Daß sie der Brautschaft sich am allernächsten wähnte,
Auch schien, dem Lächeln nach, der Zank ihr fast zu munden.
Wie sie das Köpfchen sanft an ein Geländer lehnte,
Umschwirrten dieses Schmetterlinge, die der Nelke
Fast glichen, die von ihrer Brust sich aufwärtssehnte.
Denn keine Blume will, daß sie verblätternd welke,
So schienen Herz und Nelken etwas zu erwarten,
Und endlich knarrten auch der Laube Kreuzgebälke.
Der langersehnte Jüngling war nunmehr im Garten,
Und für die Jüngste hat er gleich ein Beet geplündert,
Doch setzten sich darauf rasch Falter aller Arten.
Kein Zweifel hat den Fant, bei seiner Wahl, behindert.
Er ging zur Jüngsten hin, die ihn so bang ersehnte.
Die Andern schwiegen. Ward dadurch ihr Schmerz gelindert?
Rasch reichten sie der Braut, die nun am Bräutigam lehnte,
Schnellabgerissene, schmetterlingsumhuschte Blüthen
Und gingen dann von dannen, da ihr Auge thränte.
Als dies der Fremdling sah, so mußte er darüber brüthen,
Doch ward er weg vom Traum zum Abendmahl geladen,
Das, wohl aus Müdigkeit, die Pilger stark verfrühten.
Dort hörte er statt holder Freierserenaden
Den Sang von Pilgern, die soeben romwärts zogen,
Und auch er selbst empfahl sich da Marias Gnaden!
Wie Abendvögel kamen Männerstimmen angeflogen,
Und endlich konnte er des Liedes Worte auch verstehen,
Sie baten sanft die Jungfrau: »Sei uns Elenden gewogen!«
Sie sangen: »Schenk die Gnade uns, die wir von Dir erflehen!«
Sei freundlich und durch Güte tilge unsere Sünden,
Dein Lächeln ist so lind und mild wie stilles Frühlingswehen.
Oh steig hinab zu unseres Herzens Gluthenschlünden,
Oh kühle unsere Seelen, wie ein Lenzhauch unsere Brüste,
Und hilf uns gnadenvoll das Reich des Sohnes zu begründen!
Maria, geht ein heißer, langer Tag zur Rüste,
So mag, wer seine Heimath liebt, Dich holde Mutter loben,
Dann ists als ob der Himmel sich mit Funkelsternen brüste.
Die Sterne sind in Deinen Mondlichtschleier eingewoben,
Der Gürtel Deiner Reinheit ist der Milchstrom ferner Sterne,
Und unsere Seelen werden über ihm zu Dir erhoben.
Gar tief erfaßt man Dich in seines Wesens Glaubenskerne,
Wir danken Dir, daß Du uns Leid und Liebesahnung schenktest,
Doch hilf uns jetzt, denn wir verzweifeln oft, ob deiner Ferne.
Als Du den ersten Liebesblick ins Weltendunkel senktest,
Da konnte gar kein Augenblick mehr zeitlos je verzittern,
Da Du bereits in jedem Glück zur Weltekstase drängtest.
Bald wandte sich der Sonnenball hervor aus Lustgewittern,
Und bis zu uns empor, die wir uns selbst durch Dich erworben,
Vermochte keine Wuth, kein Trotz die Urfluth zu verbittern!
»Ward dann ein Schöpfungstag auch durch des Bösen List verdorben,
So konnte doch Dein Thränenmeer den Heiland uns gebären;
Du weinst, Marie, daß wir durch eigene Schuld gestorben!«
Wie konnte dieser Sang nun eines Pilgers Herz beschweren,
Denn dieser blieb zurück, aus Reue sich am Rain zu winden,
Er schluchzte laut, denn unermeßlich war sein Bußbegehren.
Ein anderer Pilger, der nach Haus zog, sollte so ihn finden,
Er neigte sich zu ihm herab und flüsterte ganz leise:
»So hör auf mich, Du armer Mensch, laß alle Sorgen schwinden!
Es winkt der Friede Dir nach einer solchen schweren Reise,
Du gehst bestimmt zum Himmel ein, der Papst wird Dir vergeben!«
Der andere aber schrie: »Er rettet mich auf keine Weise!«
Er stöhnt: »Verteufelt war von Kindheit an mein ganzes Leben!«
Da sagt der andere darauf: »Der Papst ist voller Macht und Güte,
Es scheint ein Jünglingsherz in seinem Inneren zu erbeben!
Er ist kein Greis, ob er uns auch mit weißem Haupt behüte,
Denn als er mir verziehen hat, da schwanden mir die Sinne,
Es war, als neigte sanft zu mir sich eine Frühlingsblüthe.
Es schien, als streifte sie den Schnee herab, daß er zerrinne,
Da fühlt ich keinen alten Mann, ich ward so voll von Leben,
Ich wußte, sah nur, daß ich Trost für alle Zeit gewinne!«
»Umsonst ist meine Pilgerfahrt, ganz nutzlos mein Bestreben!«
Rief abermals der Wandersmann und wandte sich am Boden:
»Es kann sich kein Gebet von mir, bis hin zu Gott erheben!
Der Böse will aus meinem Ich sein Theil zusammenroden,
Ich fühle, wild verzweifelnd mich bereits in seinen Krallen,
Und zahl schon, vor Vertragsverfall, mit Satansepisoden.
Die Seele fleucht den Leib bereits, die Seele die verfallen,
Oh sieh, wie sie die Glieder krümmt, um höllenwärts zu fegen,
Nun büß ich ewig, ewig lang für dieses Erdenwallen.
Ich war fürwahr ein herber Fant, ein wüster, trüber Degen,
Nur war ichs schon von Angeburt, ich mußte eben tödten.
Doch eines Tages konnte sich in mir die Reue regen.
Wie glühte da das Hoffnungsroth empor aus Sturmesnöthen,
Voll Einfachheit schien da mein Sein zu Gottes Werk zu stimmen,
Der nächste Morgen aber war ein höllisches Erröthen!
So muß die Schönheit in der Welt den Bösen arg ergrimmen,
Ach, welchen Bruch vollbrachte er, als ich mein Glück verachtet,
Ich warf es weg, es durfte nichts als Haß in mir erglimmen!
Doch was ich that, war stets bewußt. Mein Sinn war nie umnachtet.
Als Sünder war ich immer frei, mein Blick war niemals kühler,
Ich habe selbst mich schrecklich kalt aus starrem Trotz betrachtet.
Verdammt bin ich in Ewigkeit, ich armer Satansschüler,
Ich füge mich nicht mehr ins Reich, das Gott für uns geschaffen,
Schon fühle ich der Höllenhast verkrümmte Gluthenfühler.
Der Abgrund, den ich selbst erschuf, wird nun unendlich klaffen,
Und Schatten werden mir des Nachts von jetzt ab stets erscheinen
Und, traurig singend oder stumm, durch dumpfes Dunkel gaffen!
Sie singen schon: Wir wollen uns im Mutterschooß vereinen,
Dich hätte blos ein Fünkchen Glück in Gotteswelt gerettet,
Doch stießest Du die Mutter fort, drum müssen wir nun weinen!
Es hätte jede That von uns mit Gott Dich jung verkettet,
Das Böse schmiegt ans Gute sich, sonst gab es keine Güte,
Doch hast Du uns kein einzigmal im Herzen eingebettet.
Da jedes Einzelne von uns, um Dich sich nutzlos mühte,
So sei samt Deinem Schlag verdammt, stets wird der Fluch sich
mehren,
Wir nisten nun als Schreck in Deinem ruhlosen Gemüthe.
Auch unser Abgang von der Welt kann Hader rings gebären,
Die Hölle ist entsetzlich rief und steigt, wenn Sünder sinken,
Ihr Haß ist furchtbar, kann sie doch die ganze Welt begehren!
Ja wirklich, sieh, ihr Thor versperren rostgefeite Klinken,
Sie will mit ihrem Dunkelschlund rings Schatten geil erschnappen,
Ich fühle mich ganz rettungslos, stets schneller, gluthwärts
hinken!«
Das rief der Pilger und er riß sein Kleid dabei zu Lappen,
Im Staube wälzte er sich bleich, als wär er schon ein Schatten
Und stand dann auf und schwankte weg, um romwärts fortzutappen.
Ein anderer Zug, der heimwärts ging, schien langsam zu ermatten,
Da sang er denn ein geistlich Lied, voll Gottesfurcht und Würde,
Dann ging die Reise mit Gesang viel leidlicher von statten.
Man stimmte an: »Es trägt der Mensch fürwahr die schwerste Bürde,
Doch arg und bitter wär sie nur, wenn Gott uns nicht auf Erden
Den eigenen Sohn, als Trost und Glück, stets reicher schenken
würde.
Drum greifet froh nach Gottes Gunst, verzagt nicht bei Beschwerden,
Das wäre wohl ein trüber Fant, der Gottes Hand verschmähte,
Der könnte sich, statt erfurchtsvoll, fürwahr nur dumm gebärden!«
Da plötzlich wars, als ob die Schaar ein Wunderbild erspähte,
Es blitzte im Olivenhain, man sah wo Perlenreifen,
Und alles war so silberfrisch, da Wind im Haine wehte.
Es schien dort eine Wurmgestalt wie durch den Wald zu greifen,
Dann wars der Trasimenersee, zu Füßen eines Weibes,
Denn kalte Hauche sah man klar rings Marmorberge streifen.
Fürwahr, im Mondlicht zeigten sich die Formen eines Leibes,
Das war ein eigenes Wunderding, das an die Götter mahnte,
Und schien entrückt, gar weit entrückt, vom Hauch des Erdgetreibes!
Es wartete, wie kühlbewußt auf Macht, die es schon ahnte,
Es war ein Wolkengötterbild, das in Italien reifte,
Und plötzlich schiens, als ob ein Streif von ihm, sich seewärts
bahnte.
Und als die Briefe auf der Fluth wie auf und nieder schweifte,
Da schien der Dunst ein Arm zu sein, der Perlensträhne fischte,
Die wohl die Göttin, Morgens früh, von ihrem Leibe streifte.
So lag der Schmuck bei Tag im See, wo sich sein Glanz erfrischte,
Und kam dann immer nur ans Licht, die Göttin hold zu schmücken,
Dann wars, als ob sein Perlenblau mit Silber sich vermischte.
Doch konnte da die Göttin wohl die Menschen leicht entzücken,
Und tauchte je das Strahlennetz dann auf, voll Lichtgezitter,
So thats der Wind; doch schiens ein Arm beim Fischen zu verrücken!
Zypressen wachten stumm im Thal, man hielt sie leicht für Ritter,
Und Ölbaumreihen ruhten rings wie müde Bajaderen,
Und schliefen sie, durchglimmte stets ihr Dunstlaub
Mondlichtflitter.
Doch schien ihr Wesen kaum der Schlaf bedeutsam zu beschweren,
Gar manche sprang frisch auf zum Tanz, wo andere sich umschlangen,
Und eine Ausgestreckte schien schon Wollust zu begehren.
Das Mondlicht war das Flockenbett für mancherlei Verlangen,
Und tausend Lagen gaben sich, die Bäume wie die Schatten,
Es sahn die Pilger, wie sie schon nach andern Posen rangen!
Die Heimfahrt ging den Pilgern nun gar rasch und gut von statten,
Ein Jüngling, der mit ihnen zog, erzählte dann im Norden:
»Italien wollte einen Blick mir in sein Herz gestatten!«
Er sprach: »Ich bin in jenem Land ein anderer Mensch geworden!
Dort spielte, nackt und wunderbar, ein Jüngling aus der Leier,
Der Schwestern neun umrauschten ihn und lauschten den Akkorden.
Gar rhythmisch um den Leib gewellt, umwallten sie die Schleier,
Sie wogten sacht wie Fliederduft und ließen sich nicht haschen,
Auch war ihr Anblick leicht verwischt, wie nur ein Hauch im Weiher.
Doch kann man sie beim Tanze oft im Mondlicht überraschen,
Mit Feuerklängen schmücken sie die rauschenden Gewänder,
Und streuen in Wirbeln dann Brillanten aus den Faltentaschen.
Mit Funkelpracht umgürten sie im Schwung die Schleierränder,
Dann ists, als ob die Klänge rings zu Gluthen übersprühten,
Und so ihr Erdenfeuer sich mit jedem Takt veränder!
Umhaucht ist jener ferne Hain von Oleanderblüthen,
Olivenwälder dehnen sich noch weithin um die Lichtung,
Um ihr Geheimniß vorderhand noch eifrig zu behüten.
Den Wald jedoch durchdringt der Klang von jenes Jünglings Dichtung,
Stets zittern Silberblätter mit, als ob sie Wind bewegte,
Und jeder Ölbaum birgt bereits dort jener Rhythmen Richtung.
Dort ists, als ob der nächste Tag sich langsam mondwärts regte,
Gespenstig schien mir jeder Baum, vor dem sein eigener Schatten,
Zu Mittag, wie um Mitternacht, sich dünn zur Ruhe legte!«
Als eines Morgens, noch im Lenz, rings auf Toskanas Matten,
Sich Pilger ihrem Heimatland gar frei und munter nahten,
Da wollte mancher Einer sich dort lange Rast gestatten.
Sie warfen ihre Stäbe weg und gruben mit dem Spaten
Im Wald nach einem Wurzelstrunk, der wulstig wär und knotig,
Und bei der Arbeit konnte dann ein Lied zumeist gerathen.
Nicht immer war es kunstgerecht, nein schwulstig oft und zotig,
Es trug in sich das rohe Maaß verknorrter Wurzelknoten
Und sprühte voll von Übermut aus seiner herben Gothik.
Es wußte nichts von Silbenzahl, von steifen Kunstgeboten,
Und gab sich selbst den neuen Guß, den Leib, der ihm behagte.
Der Druck blieb dann als Werk zurück. Die Flammen, die entlohten!
Ja, alle Schöpfung, die bestand, das heißt, dem Stein entragte,
Vermied allein den Untergang, denn Dasein ist das Leben,
Dock blieb sie nur dem Tode gleich, der, was sie schuf, verjagte.
Dann konnte sie fast wie der Tod sich plötzlich fremd erheben,
Und fing sich gleich, ganz Leiblichkeit, voll Wollust an zu regen,
Denn jedes will die reifste Form des Einzelseins erstreben.
Es ist ein Sein, auf sich gestellt, fast leidlos und verwegen,
Auf sich allein besteht die Lust und das bewirkt das Leben!
Der Tod kommt, weil wir unbewußt den Weg uns selbst verlegen.
Die Erde trächtige allerorts berauschendes Erbeben
Und hält es sich Millionenhaft durch brunstgeschaffene Rudel
Als Haas entspringt der Lenz dem Busch, als Schwalbe fort zu
schweben.
Ein Feigenbaum erscheint beinah ein grüner Wollustsprudel,
In dem die Erde Freude spürt, da sie ihn doch belebte.
Damit das Jüngste munter sei, herzt nun ein Kind ein Pudel.
Es ist, als ob das Blüthenglück am Zaun als Bohne klebte,
Als ob ein lustiges Frühlingslied, gar quellenfrisch gesungen,
Sich plötzlich mit dem ganzen Rausch recht inniglich verwebte.
Der eine sang: »Welch forscher Bursch, kam just vom Busch
dahergesprungen.
Der Lenz, das Kind der Winterswuth,
Ist es bestimmt und bläst aus vollen Lungen.
Er ist ein starkes, junges Blut
Und freut sich mit den Lerchen,
In Nestern weckt er schon die Brut
Und klappert mit den Störchen!«
Ein Anderer hat sein Lied verfaßt
Und singt es schaurig wie ein Märchen:
»Der Engel Deines Hasses reißt mit Hast
Mir alte Wunden auf am Marterpfahl,
Ich seh Dich nicht und finde dennoch keine Rast.
Du träumst mit Lust von meiner Höllenqual,
Doch zieh ich weiter durch den Wald in wonniglichen Lüften,
Und freu mich stets am grünen Saal mit seinem gelben Lichtportal!«
Jetzt steht ein Zug geblendet still, umschwirrt von Honigdüften,
Und es vermögen sich die Pilger kaum der Sinne zu bedienen,
Es ist, als stünde ihr Verstand vor lichtdurchsprühten
Sonnenklüften.
Es sind die Dinge rings um sie mit einem Irisring erschienen,
Und endlich glaubte mancher doch, er höre ringsumher ein Summen,
Und wehrte sich mit seinem Arm, als wärs ein Schwarm von Bienen.
Und in den Lüften klar und warm schwoll immermehr das dumpfe
Brummen.
Doch drang durch keinen Zitterzweig die Spur von einer
Leibgestaltung,
Im Goldrausch wollte nichts entstehn, noch das Gemurre rings
verstummen.
Doch plötzlich sahn sie einen Keil, wie eine rothe
Lichtzerspaltung,
Durchs Flimmergrün, mit festem Schritt, dem Pilgerzug
entgegentreten,
Das war dann mancher Wandersmann, der romwärts ging mit edler
Haltung.
Es zog wohl oft ein Kriegerherz, dort romwärts für sein Heil zu
beten.
Denn mancher Knappe war dabei und wirklich sang ein Troß von
Rittern:
»Oh Herr, wir ziehen von den Dingen weg, die unser Herz
verdrehten.«
Dann ging es fort: »Wir thaten viel, um Deine Freude zu verbittern,
Doch sehn wir auf dem Golgatha von Lanzenknechten Dich umgeben,
Und ihr und unser Speer muß gleich vor Deiner Huld zersplittern.
Vergießt Du auch Dein Herzeblut, kann sich in Dir kein Zorn
beleben,
Die Seele bleibt ganz makellos, ob auch die blutigen Eiterflecken
Den Leichnam dort am Marterkreuz als schwarze Krusten rings
umkleben.
Es konnte sich der Geist dafür entscheidend aus dem Körper recken,
Und blau wird jetzt der Himmelsbau, zu dem die Wünsche sacht
ersprießen,
Wo noch mit weißen Wolken Dich die Sünden schwer bedecken!
Dann aber kannst Du, durch den Mond, des Nachts Dein Sternenhaus
erschließen,
Und jeder, der dann Christum minnt, schaut solche Prachtgestaltung
Und fühlt in sich von überall die große Liebe minnig fließen.
Dann sehn wir hoch im Sternendom die ewige Heilsentfaltung,
In uns ersteht ein Gnadenthal voll stillem Himmelsschimmer
Und alles das verschenkst Du uns für kurze Fleischenthaltung!«
Vorüber zog der Ritterzug, und bald verschwand er im Geflimmer,
Da sang die Schaar, die heimwärts zog, ein geistlich Lied mit
vollen Stimmen
Und hörte in den Pausen noch den andern Chor wie ein Gewimmer.
Sie sang: »Oh Mutter, hör auf uns, Du kannst alleine nicht
ergrimmen.
Christi Reich mit List und Lanzen kühn bewahren,
Doch Du bleibst Königin des Heils, die Heiligen sind die Immen.
Drum halte treu und sündenrein die Seele Deiner Pilgerschaaren,
Die Schleier, die Du wonnig trägst, sind Nebel leichten Iristhaues,
Und rothes Strahlengold durchglüht den goldenen Schwall von Deinen
Haaren.
Als Mittagskleid umwallen Dich die Hüllen unseres Himmelsbaues,
Am Abend aber streifst Dus ab, in Gold und Purpur Dich zu zeigen,
Und fällt es in das Meer, so strahlts wie das Geglitzer eines
Pfaues.
Im Rosenhemde magst Du früh dem Sternenkleide sacht entsteigen,
Oh Jungfrau, Jungfrau, hör auf uns: Maria, Jungfrau, bleib uns
gnädig,
Und wandere hehr durchs Himmelreich, wenn Stürme Völker
niederneigen.
Die Schönheit, die Dein Sein umstrahlt, was Dich enthüllt, ist
sonnenfädig
Und knüpft sich jung und neu aus uns, hervor aus unserm
Lichtersehnen,
Verzeih uns, Jungfrau, doch es macht Erkenntniß Deiner Huld
ruhmredig!
Nicht wir sinds, die Dir Schönheit leihen, nein wenn die Menschen
Schönheit wähnen,
So wird von Dir und Deinem Sohn uns dessen Ahnung blos beschieden,
Denn auf den Strömen Deines Heils kann jeder sich durchs Weltall
dehnen!«
So war, was man beim Pilgern sang, stets wahr und dennoch sehr
verschieden,
Ein Kreuzzug, eine Romfahrt gab den Seelen herrliche Belehrung,
Wer hinzog, war von Angst gepeitscht, wer heimging barg den
Frieden.
Verschiedentlich wie die Natur blieb drum der Seelen Lichterhebung.
Doch die Bewegung ging durch Rom. Dort konnte jeder sich bekennen.
Denn da erst faßte man zumeist des Eigenwesens Selbstbestrebung.
Die kleinste Regung gab das Heil. Es sollte überall erbrennen.
Es konnten Offenheit und Scham den lieben Herrgott gleich erfreuen.
Es war, als wollte sich von uns der beste Theil der Seele trennen.
Die Meisten konnten ihren Fehl, des Lebens Sünden tief bereuen,
Und kreuzte man sich dann am Weg, so zog man stets in anderer
Richtung,
Daß keine je die andere wog, um jede Wirkung zu zerstreuen.
Ja wahrlich, Rom barg in der Welt, in sich, die größte
Wunschverdichtung,
Die Massen wältzen sich herbei, sich ihres Dünkels zu entkleiden,
Und Völker gingen draus hervor, denn rasch ergab sich deren
Sichtung.
Veredelten die Christenwelt doch Glaubenszwang und Alltagsleiden,
Ob jetzt ein Kaiser oder Papst auch grausam ihre Macht gewannen,
So waren doch die Folgen gut, sie konnten Glück von Größe scheiden!
Die Zukunft sehnte sich zum Volk, wie Lust und Bildung zu Tyrannen,
Die Kirche herrschte durch den Geist, schon mehr durch Kraft als
wahren Glauben
Und trotzte kühn dem Schwabenschwert, des Raisers kriegserfahrenen
Mannen.
Stets wollte sich das Äußerste der Macht durch List berauben,
Der Einfalt blieb der Alltag hold und ließ sich selbst zum Heil
belügen,
Die wuchs in gerader Ehrlichkeit und ließ die Wildheit dann
verschnauben.
Es können Schwert und Fegegluth zur Staatenführung kaum genügen,
Man braucht auch Herrschergier und Noth, um Menschen menschlich zu
vereinen,
Denn blos wenn man das Recht erzwingt, gelingt es Reiche fest zu
fügen.
Oh Rom, wie konntest Du den Rausch, der Dich umschwoll, in Formen
gießen?
Hier weitete des Nordens Bau sich abermals zur Heidenhalle,
Es tauchten wieder Tempel auf, wie Jovis Priester sie verließen.
Es schien, als ob des Franken Geist zur Pilgerfahrt nach Süden
walle,
Und plötzlich wie Orvietos Dom und wie Spoletos Kathedrale
Zu Deinen Füßen, altes Rom, bezwungen auf die Kniee falle!
Das Römerthum entreißt sich nie der Erdenwucht mit einemmale,
Gar erdenfreudig strebte hier die stolze Gothik gleich ins Weite
Und wandelte, aus Wonnedrang, den ersten Dom zum hellen Saale.
Doch wars, als ob die Erde selbst die Würde solcher Kunst
bestreite,
Die Edelform entstieg dem Grab, denn als man rings nach Tempeln
scharrte,
Bedeuchte es, daß Überschwang zum Einfachen von selber leite.
Man sah, wie Brunellescos Trotz zur wuchtigen Rustika erstarrte,
Und wie nach Mystik und nach Furcht, nach langem
Himmelsreichbegehren,
Der Mensch nun mehr vernünftig Thun und kluge Wirklichkeit
erharrte,
So fügte man auch Stein auf Stein, gar bald nach heiteren
Lebenslehren.
Theodor Däubler