Nachdem ich zuletzt nur passiv Teil der Diskussion war, möchte ich mich gern in meiner Mittagspause auch aktiv wieder einbringen.
:)@TussineldaKlaraFall schrieb:@fortylicks
es geht doch nicht darum, worauf es hinausläuft, das Urteil kann niemand vorhersagen, es geht um die Verteidigungsstrategie.......und die ist immer noch putative self defense
Ist das ein Fakt oder eine persönliche Einschätzung?
Hat OPs Verteidigungsteam öffentlich eine konkrete Verteidigungsstrategie benannt oder woran kann man diese Bewertung festmachen?
Es wurden hier im Strang ja diverse Expertenmeinungen bzgl. OPs Auftritt während des Kreuzverhörs durch Nel verlinkt. Viele sahen danach seine Verteidigung geschwächt, weil es offenkundig keine klare Linie gab. Nur beispielhaft verweise ich auf
http://www.iol.co.za/news/crime-courts/oscar-risks-credibililty-with-two-stories-1.1676031#.U6PUtpCKDDchttp://www.destinyconnect.com/2014/04/15/pistorius-compromised-his-case-legal-expert/ (Archiv-Version vom 16.07.2014)Die Einschätzung, dass OPs Verteidigung durch seine Aussage vor Gericht eher beschädigt wurde, teile ich. Zwischenzeitlich kamen ja vier unterschiedliche Verteidigungsalternativen in Betracht. Da jedoch nur eine zutreffend sein kann, hat insbesondere OPs Glaubwürdigkeit nach meiner Auffassung weiteren Schaden genommen und es wurde zudem der Eindruck unterstützt, dass es ihm vor allem darum geht, keine Verantwortung zu übernehmen. Insgesamt halte ich persönlich nach dem bisherigen Prozessverlauf und dem, was derzeit über den Tatablauf und über OP selbst bekannt wurde, alle vier diskutierten Ansätze – auch einzeln betrachtet - im Fall von OP nicht für überzeugend.
Die Version mit dem vermuteten Einbrecher legte in der Tat zunächst den Verdacht nahe, dass als Verteidigungsvariante „putative self defence“ favorisiert wird. Das wurde ja im Vorfeld (vor OPs Kreuzverhör) von Rechtsexperten ebenfalls so bewertet.
Dazu passen jedoch die von OP getätigten Aussagen vor Gericht nicht. Die Putativnotwehr setzt voraus, dass OP tatsächlich glaubte, er handele rechtmäßig in Notwehr, um eine wahrgenommene Gefahr abzuwenden, welche es in Wirklichkeit gar nicht gab. Er hätte dann gezielt einen aus seiner Sicht unmittelbar bevorstehenden Angriff durch das Abfeuern der 4 Schüsse abwehren müssen, wobei er davon überzeugt gewesen sein müsste, dass dies in der gegebenen Situation eine angemessene und notwendige (Re)aktion darstellt. Er hätte deutlich machen müssen, dass er die Absicht hatte zu schießen und irrtümlich davon ausging, dass dies eine rechtmäßige Abwehr des von ihm vermuteten Angriff durch den oder die Einbrecher war.
Genau das hat er aber vor Gericht nicht ausgesagt. Angeblich hat er gar nicht schießen wollen und wollte dementsprechend auch den Einbrecher nicht erschießen (genau das Gegenteil hat er allerdings offenbar gegenüber Vorster behauptet). Das passt überhaupt nicht zur Putativnotwehr. Hier wird die Handlung (in diesem Fall das Abfeuern der Schüsse) ja gerade ganz bewusst, also beabsichtigt eingesetzt, um den eingebildeten Angriff abzuwehren. Kern der putative self defence ist es, dass man zwar absichtlich handelt, jedoch irrtümlich davon ausgeht, die vorgenommene Handlung sei rechtmäßig – nämlich von den Notwehrvoraussetzungen gedeckt. Es macht daher keinen Sinn – wenn man sich auf Putativnotwehr berufen möchte-, die Absicht, schießen zu wollen, abzustreiten. Auch musste OP bei der Befragung durch Nel einräumen, dass es diverse andere Möglichkeiten (die er nicht gewählt hat) gegeben hätte, um mit der Situation umzugehen. Auch dies ist einer putative self defence abträglich, denn hier kommt es ja u.a. auch darauf an, dass das Ausmaß der Gewalt notwendig war, um den Angriff abzuwehren.
Ich hatte in früheren Beiträgen bereits meine Einschätzung zur Putativnotwehr im Falle OPs dargestellt. Ich denke nicht, dass die notwendigen Voraussetzungen hier vorliegen. OP müsste dafür belegen, dass er sich hinsichtlich der Rechtswidrigkeit seines Handelns geirrt hat. Die Putativnotwehr kommt schon dann nicht mehr in Betracht, wenn OP voraussehen konnte, dass eine oder mehrere Voraussetzungen für eine Notwehr möglicher Weise nicht vorliegen. Das gleiche gilt, wenn er erkennen konnte, dass die konkrete Notwehrhandlung der Situation nicht angemessen war. In beiden Fällen bliebe es bei der Bewertung als Mord. OP war über das angemessene Verhalten in solchen Situationen belehrt worden und musste daher zumindest wissen, dass er nicht verhältnismäßig reagiert. Es gab für ihn nach seiner Version verschiedene andere weniger gravierende Abwehrmaßnahmen – beispielsweise die Flucht aus dem Schlafzimmer, mit der zugleich der Alarm ausgelöst worden wäre, die Flucht auf den Balkon, Abwarten im Schlafzimmer geschützt hinter dem Bett, das Abfeuern eines Warnschusses…
Selbst wenn OP hätte glaubhaft machen können, dass er sich über die Rechtswidrigkeit seiner Handlung geirrt hat – also weder erkennen konnte, dass keine Notwehrsituation vorliegt noch dass seine Handlung nicht angemessen ist -, würde er zumindest wegen fahrlässiger Tötung belangt, wenn eine andere vernünftige Person in seiner Situation nicht dieselben Fehler gemacht hätte. Hier wird dann ein objektiver Maßstab angelegt und es erfolgt im Wesentlichen ein Vergleich zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem, was eine vernünftige Person unter den gegebenen Umständen getan hätte. Vermutlich entsprach es dem ursprünglichen Plan seiner Verteidigung, mit Hilfe dieser Argumentation zumindest die Mordanklage abzuwehren. Allerdings lässt sich diese Strategie meiner Auffassung nach nicht mehr mit den Aussagen OPs in Einklang bringen.
OPs Einlassung, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat, kann man wohlwollend so werten, dass das Abfeuern der 4 Schüsse keine freiwillige Handlung war.
Im engeren Sinne würde accidental bedeuten, dass sich die Schüsse z.B. wegen eines Defekts der Waffe selbst gelöst haben. Zumindest diese Strategie hat Roux noch aus dem Spiel holen können, indem er OP im Anschluss an das Kreuzverhör mittels einer (unzulässigen) Suggestivfrage immerhin zu der Aussage brachte, dass er selbst den Abzug betätigt hat. Eine weitere argumentative Katastrophe wie beim Anklagepunkt des von Zauberhand gelösten Schusses im Tashas konnte damit wohl verhindert werden.
Es bleiben somit aber neben der putative self defence noch zwei weitere Ansatzpunkte: die unfreiwillige Handlung und die Berufung auf die Angststörung, die möglicher Weise der (vollen) Schuldfähigkeit entgegensteht. Die Beauftragung Vorsters sollte offenbar OPs Variante, wonach er aus lauter Angst geschossen hat, aufgreifen und durch eine Expertenaussage stützen. Da Vorster erst nach dem Kreuzverhör auf den Plan gerufen wurde, vermute ich, dass dies ein Manöver der Verteidigung in Reaktion auf den Verlauf des Kreuzverhörs war. Dies geschah evtl. unter Berücksichtigung der Erkenntnis, dass die Berufung auf eine unfreiwillige Handlung im engeren Sinne (ohne pathologischen Befund) noch weniger erfolgversprechend war als die Variante mit der Angst, wobei diese beiden Verteidigungsansätze zum Teil Überschneidungen aufweisen. Die Schuldfähigkeit ist verkürzt dargestellt dann nicht gegeben, wenn jemand das Unrecht der Tat z.B. aus pathologischen Gründen (akzeptiert werden mental illness oder mental defect) nicht erkennen konnte oder das Unrecht zwar erkannte, aber nicht in der Lage war, nach dieser Einsicht zu handeln. An die zweite Variante werden vergleichbare Anforderungen gestellt wie an eine unfreiwillige Handlung.
Näheres wird z.B. von diesem Strafrechtsdozenten dargestellt:
http://criminallawza.net/2014/03/03/the-pistorius-defence/http://criminallawza.net/2014/04/13/pistoriuss-new-defence/ (Archiv-Version vom 17.06.2014)http://criminallawza.net/2014/05/17/pistoriuss-third-defence-pathological-incapacity-insanity/ (Archiv-Version vom 14.06.2014)http://criminallawza.net/2013/02/28/what-if-you-shoot-the-wrong-person/ (Archiv-Version vom 13.09.2014)Er geht auf die drei unterschiedlichen Verteidigungsversionen OPs ein und auch darauf, wie es bewertet wird, wenn man die falsche Person erschossen hat (error in persona).
Eine unfreiwillige Handlung liegt dann vor, wenn der Angeklagte nicht in der Lage war, sein Verhalten willentlich zu steuern. Typische Fälle sind Handlungen während eines epileptischen Anfalls oder beim Schlafwandeln. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass menschliches Handeln freiwillig geschieht. Wenn der Angeklagte etwas anderes behauptet, muss er dies schlüssig nachweisen. Bis zur Aussage Vorsters gab es keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass OP sein Verhalten nicht willentlich steuern konnte.
Vorster selbst hat interessanter Weise keine präzise Aussage dazu gemacht, wie und in welchem Umfang sich das Störungsbild auf die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der Tat tatsächlich ausgewirkt hat – obwohl die Beantwortung dieser Frage ja gerade ihrem Fachgebiet entsprechen sollte. Dem Gericht fehlt die fachliche Qualifikation diese Frage zu bewerten. Es wäre hier gerade Vorsters Aufgabe gewesen, auf ihrem Fachgebiet dem Gericht eine hilfreiche Einschätzung zu geben (das wird ja nun durch die von Nel beantrage und vom Gericht angeordnete Begutachtung nachgeholt). Dass sich Vorster vor einer klaren Stellungnahme gedrückt hat, lässt für mich den Schluss zu, dass sie eigentlich selbst nicht der Auffassung ist, dass die vermeintliche Angststörung wirklich geeignet ist, die Steuerungsfähigkeit bei der Tatausführung in juristisch relevantem Maße einzuschränken. Wenn sie davon überzeugt wäre, hätte sie dies im Sinne ihres Auftraggebers wohl auch so gesagt.
Wie in anderen Beiträgen dargestellt würde ich die Feststellung einer eingeschränkten Schuldfähigkeit (oder sogar einer Schuldunfähigkeit) OPs in Folge einer GAD, die die Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt in juristisch bedeutsamen Ausmaß beeinträchtigt hat, nach dem bisherigen Prozessverlauf für sehr überraschend halten.
Damit sehe ich insgesamt keine überzeugende Verteidigungsstrategie, die das Ablehnen einer Verurteilung zumindest als murder rechtfertigen könnte. Insbesondere kann ich nicht erkennen, dass sich die Verteidigung klar auf putative self defence festgelegt hat.
Das ist meine persönliche Meinung und sagt natürlich nichts darüber aus, wie es andere Juristen – insbesondere die Richterin am Ende – bewerten.