>woher weißt Du, daß es so nicht war? (bitte Quelle)....ich stellte nur die Frage, ob solche Proben genommen wurden.....möglich war es....auch heute noch...<
Keiner nimmt eine Probe, wenn die dazugehörige Analysentechnik nicht zur Verfügung steht. Und Du wolltest dafür Quellen. Dadurch wird es leider länglich. Sorry.
So wenig, wie man damals 6 GB RAM oder eine 2 TB Festplatte im Rechner hatte (sondern 640kB und 40 MB), so wenig konnte man damals ein Wattestäbchen nehmen, über die besagte Musikkassette wischen, eine PCR machen und dann in der BKA-Datenbank nach dem Täter surfen. Das war alles noch derart weit weg, dass es auch keiner gemacht haben wird. Bin kein Forensiker, daher weiß ich nicht, ob man damals mit ANDERER Zielstellung Proben genommen und bis heute verwahrt hat, die man heute noch daraufhin analysieren könnte. Und es gibt die ganzen Asservate (die wir nicht kennen), und vielleicht könnte es sich lohnen, davon HEUTE Proben zu nehmen und sie zu analysieren.
Mal ungefähr zur Lage der DNA-Technik zur Zeit der Göhrde-Morde: 1988 wurde in Deutschland der erste Täter mit DNA-Technik überführt. (1) . Das ging mit einer gemessen an heutigen Maßstäben sehr unempfindlichen Technik (RFLP/Southern Blot). Damit braucht man schon viel Material (größere Gewebefetzen, Blutlachen usw). Dann aber konnte man es machen, obwohl das auch nicht routinemäßig, sondern in ganz ausgewählten Einzelfällen gemacht wurde. Und erstmal festgestellt werden musste, ob man jemanden danach verurteilen kann. Den Täter damals verteidigte übrigens ein gewisser Herr Ströbele (2).
Bei den Göhrde-Morden hat man es aber mit sehr wenig Material zu tun, nämlich Spuren. Gäbe es irgendwelche großen Mengen Täter-DNA, hätte man nie von diesen 2 Haaren angefangen. Man hat 2 Haare (aus verschiedenen Gründen problematische Proben), und man könnte vielleicht noch heute winzigere Spuren von noch verfügbarem Material sichern. Das war das, was auf der Tagung wohl vorgeschlagen wurde, und das macht Sinn. Damals wird man nichts gesichert haben, und auch die Haare wahrscheinlich nicht im Hinblick auf DNA.
Um mit Minimengen DNA-Analytik zu machen, braucht man die PCR-Technik. Die war damals komplett neu, es herrschte eine gewisse Goldgräberstimmung in der Forschung, wenig war standardisiert, nichts kommerziell verfügbar. Man kann damit DNA massiv vervielfältigen, und dann kann man mit kleinen Mengen arbeiten. Gewisssermaßen eine Kopiermaschine für DNA. Die Technik wurde in diesen Jahren gerade entwickelt, und die Jahre 1988 und 1989 zeichneten sich dadurch aus, dass die dazu erforderlichen Einzelschritte soweit optimiert wurden, dass man langsam daran denken konnte, sie zu standardisieren und zu kommerzialisieren. Von Routineeinsatz war man weit weg. Und zwar aus folgenden Gründen
1) Schlechte Verfügbarkeit einer hitzestabilen DNA-Polymerase
Um eine PCR machen zu können, braucht man u.a. ein Enzym namens DNA-Polymerase. Das Ding war 1989 "mocule of the year" bei Science (3). Das Problem bei der frühen PCR-Technik war, dass man zum Auftrennen der DNA-Doppelhelix die Temperatur viele Male nacheinander auf 96 Grad erhöhen muss. Die DNA-Polymerase ist ein Enzym, also ein Eiweißstoff. Jeder, der mal ein Hühnerei auf 96 Grad erhitzt hat, weiß, dass es sich irgendwie verändert. Bei der Polymerase heißt das: Sie geht kaputt und tuts nicht mehr.
Daher hat man sich mal in der Natur umgeguckt, wo es bessere Polymerase gibt. Und da fand man lustige Bakterien, die im Yellowstone-Park bei mehr als 100 Grad im Geysir leben. Und da die auch eine DNA-Polymerase enthalten müssen (sonst könnten sie bei der Zellteilung ihre DNA nicht kopieren), hat man sich die mal näher angeguckt. Und: Sie war ein Traum - sie ging beim Erhitzen bei der PCR nicht mehr kaputt. So weit war man 1988 (4) .
Aber die Bakterien (Thermus aquaticus, abgekürzt Taq) waren ein Alptraum. Also hat man das Gen der Geysir-Bakterien in Colibaktierien eingebaut. Solche gentechnisch veränderten Colibakterien machen einem dann die hitzestabile Taq-Polymerase. Die ersten Paper hierzu wurden 1989 veröffentlicht (5, 6, 7). Allerdings war die Ausbeute anfangs schlecht. So richtig los gings 1993 (8). Die Veröffentlichung dieser Dinge wurde auch durch Patentstreitereien behindert.
Ich hab ein paar Paper gelesen aus der Zeit, und man musste sich 1989 die Taq-Polymerase von werten Kollegen erbetteln, etwas später war es üblich, die transformierten E. colis zu erbetteln und daraus selbst die Polymerase aufzureinigen. So geschehen zum Beispiel in einem für unseren Fall wesentlichen Nature-Paper von 1988 (9) . Hier wurde mitochondriale DNA aus einzelnen Haaren erstmals mit PCR amplifiziert.
2) Schlechte Verfügbarkeit von Ausrüstung
Man braucht einen Thermocycler. Basteln und nicht Kaufen war angesagt. Kein Hinderungsgrund, aber problematisch bei Routineeinsätzen.
3) Probleme beim Primer-Design
Außer der Taq-Polymernase braucht man noch kurze DNA-Abschnitte, die das zu kopierende Stück eingrenzen und gewissermaßen markieren. Um die hierzustellen, muss man die DNA-Sequenz von Abschnitten vor und hinter der zu kopierenden Stelle der DNA genau kennen. Das geht heute ganz einfach: Man guckt in der Humanen Genomdatenbank nach. Es gibt auch Software, die einem dabei hilft und gleich online die Primer bei einer Firma bestellt. Aber das Human Genome Project hatte 1989 noch nicht begonnen und wurde erst 2000 fertig. Man konnte sich behelfen, aber man musste die Primersequenzen dann eben anderweitig in Erfahrung bringen. In den USA ging das 1989 gerade los, dass man sich an diese Grundlagenarbeit gemacht hat.
4) Keine Infrastruktur im Fahndungsappart
Die BKA-Datenbank wurde erst 1998 eingerichtet (11). So ab 1995 bemerkte man auch, dass die Polizei vermehrt Biologen mit entsprechenden Kenntnissen suchten. 1989 hätte man DNA-Spuren nur mit einem Verdächtigen, nicht aber mit einer Datenbank abgleichen können.
Ich hoffe mal, das vermittelt ein Gefühl für die Gründe meiner Meinung, dass 1989 gewiss niemand DNA-Proben an diesen Tatorten genommen hat. DNA-Material waren damals relativ umfangreiche biologische Hinterlassenschaften des Täters. Problembewusste und entsprechend geschulte Fahnder könnten darauf geachtet haben. Aber an Winzspuren wie heute dachte damals kein Mensch. Der Fortschritt der ganzen Technik ist so immens, dass man es sich heute kaum vorstellen kann. 1989 hat in der Göhrde keiner bewusst DNA-Proben genommen, genauso, wie 1850 keiner Fingerabdrücke an Tatorten nahm.
Quellen
1)
Wikipedia: Hansjoachim Rosenthal2)
Wikipedia: Hans-Christian Ströbele#B.C3.BCrgerrechte3) Guyer RL, Koshland DE (1989) The molecule of the year. Science246: 1543-1546.
4) Saiki et al. "Primer-directed enzymatic amplification of DNA with a thermostable DNA polymerase." Science vol. 239 pp. 487–91 (1988),
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/2448875.
5) Lawyer, F.C., S. Stoffel, R.K. Saiki, K. Myambo, R. Drummond, and D.H. Gelfand. 1989. Isolation, characterization, and expression in Escherichia coil of the DNA polymerase gene from Thermus aquaticus. J. Biol. Chem. 264: 6247-6437.
6) Sagner, G., R. Rfiger, and C. Kessler. 1991. Rapid filter assay for the detection of DNA polymerase activity: Direct identification of the gene for the DNA polymerase from Thermus aquaticus. Gene 97: 119-123
7) Engelke, D.R., A. Krikos, M.E. Bruck, and D. Ginsburg. 1990. Purification of Thermus aquaticus DNA polymerase expressed in Escherichia coll. Anal. Biochem. 191: 396-400.
8) Lawyer FC, Stoffel S, Saiki RK, et al.: High-level expression, purification, and enzymatic characterization of full-length Thermus aquaticus DNA polymerase and a truncated form deficient in 5' to 3' exonuclease activity. PCR Methods Appl.. 2 Mai 1993, S. 275–87
9) Higuchi R et al. "DNA typing from single hairs." Nature vol. 332(6164) pp. 543–6 (1988))
10)
Wikipedia: Humangenomprojekt11)
Wikipedia: DNA-Analysedatei