@ DieGraefin:
Ja, aus heutiger Sicht erscheinen Strafrecht, Strafverfahren und
Strafvollzug im Mittelalter als unvorstellbar grausam und mitleidslos.
Die mit phantasievollen Qualen verbundenen öffentlich vollstreckten
Hinrichtungen wurden von der Obrigkeit bewußt als Volksfeste inszeniert.
Es gab sogar Städte, die bereit waren, für solche Gelegenheiten zu
bezahlen, um sich eine Hinrichtung zu kaufen.
Wie ist eine solche Einstellung zu erklären?
Mittelalterliches Strafrecht darf nicht mit heutigen Maßstäben gemessen
werden. Heutzutage hat Strafjustiz die Aufgabe, dem Straftäter die
Grundlagen für ein straffreies Leben zu vermitteln, ihn zu
resozialisieren. Strafjustiz im Mittelalter hatte eine gänzlich andere
Funktion. Das gesamte soziale Leben war eingebettet in die göttliche
Ordnung. Straftaten stellten diese in Frage. Gesellschaft und Geschichte
galten als Schauplatz des Kampfes zwischen Gott und Satan. Ein
Straftäter hatte in diesem Kampf die Seite des Bösen eingenommen und
dadurch die göttliche Ordnung verletzt. Im Strafrecht ging es also nicht
um bloße Verfolgung und Ahndung von Rechtsbrüchen, sondern um die
Wiederherstellung der göttlichen Ordnung. Die Bestrafung, ja die
Vernichtung des Übeltäters bedeuteten den Sieg des Guten und waren somit
Aufgabe aller Christen. Im Grunde gab es keine Strafen im heutigen
Sinne. Vielmehr wurde der Delinquent als schädliches Glied der
Gesellschaft herausgestellt, bisweilen auch getötet, um die Gesellschaft
vor ihm zu schützen. Das Individuum spielte dabei überhaupt keine
Rolle, die Gesellschaft stand ganz eindeutig im Vordergrund.
Quelle:
http://www.artikel32.com/sonstige/1/die-strafen-im-mittelalter.php (Archiv-Version vom 27.06.2013)