Nochmals ein längerer Beitrag meinerseits, in dem ich an meine bisherigen Ausführungen anknüpfen möchte. Vielleicht sind diese Überlegungen, obschon sie sicher nicht wahnsinnig innovativ, neu oder anderweitig spektakulär sind, ja zumindest für einige User interessant und/oder diskussionswürdig. Wenn nicht wird ein über 2800 Seiten langer Thread aber wohl auch einen weiteren uninteressanten Beitrag verkraften.
Ich habe in vorherigen Beiträgen bereits dargelegt, dass ich angesichts der gegebenen Sachlage keinen der diskutierten Erklärungsansätze für so unproblematisch halte, dass ich ihn als sehr wahrscheinlich gültig und somit als eine Art vorläufige Wahrheit ansehen würde. Nach meinem Dafürhalten bedienen sich alle spurenkonsistenten Szenarien nicht-trivialer Annahmen, deren Gültigkeit nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Um eine Erklärung begründet als gültig postulieren zu können, muss diese nach meiner Ansicht sowohl mit den gesicherten Spuren konsistent sein als auch den Rahmen des Absturzes erklären; mithin also nicht nur die Frage beantworten 'Wie ist sie gestürzt?' (das ist ja angesichts der rechtsmedizinischen Erkenntnisse bekannt), sondern auch 'Weswegen ist sie gestürzt?' bzw. 'Weswegen hat sie sich an der Absturzstelle aufgehalten?'. In diesem Beitrag möchte ich versuchen, die wesentlichen nicht-trivialen Annahmen bzw. einer evidenzgestützten Beantwortung harrenden Fragen (diese Evidenz kann selbstverständlich nur durch polizeiliche Ermittlungen generiert werden; von daher Stehen die Fragen exemplarisch für das Fehlen von Fakten ohne eine konkrete Diskussionsaufforderung hier zu sein) einiger diskutierter Erklärungen explizit zu machen, um so einige der vielfach in diesem Thread diskutierten Aspekte in einem Post systematisch zusammenfassen (ob mir das auf besonders galante oder erkenntnisreiche Weise gelingt sei mal dahingestellt).
Ob die Ermittlungen im Fall TG jemals zu einer vollständigen Klärung des Sachverhalts führen werden, kann sicher begründet bezweifelt werden. Jedoch sollte trotz aller bekannten Probleme natürlich zumindest versucht werden, die Todesumstände TGs möglichst exakt zu rekonstruieren.
Alle meine weiteren Ausführungen in diesem Beitrag beruhen auf folgenden Annahmen, die meines Erachtens angesichts der Spuren begründet als wahr anzunehmen sind:
I) TG stürzte von einer der beiden von der Polizei als wahrscheinlich angenommenen Absturzstellen ab;
II) TG lebte im Moment des Absturzes;
III) TGs Absturz wurde nicht unmittelbar durch Dritte verursacht, d.h. sie wurde nicht gestoßen oder über den Zaun geworfen.
Im Wesentlichen ergeben sich drei mögliche Szenarien:
1) TG stürzte allein ab; es handelt sich um einen tragischen Unfall.
Dieses Szenario ist ohne Hilfsannahmen konsistent mit den aus TGs sterblichen Überresten als höchstwahrscheinlich abgeleiteten Sturzparametern. Es plausibilisiert weiterhin, weswegen die Ermittlungen bis zum zufälligen Auffinden der sterblichen Überreste im Sande verlaufen sind. Es steht aber im Widerspruch zu den bekannten ursprünglichen Intentionen TGs in die Trierer Innenstadt zum Nikolaus-Koch-Platz (gesicherte Intention) oder nach Hause zu wollen (mögliche Intention wenn Zeugen wirklich TG gesehen haben).
Folglich müssen also Annahmen getroffen werden, weswegen sie die Entscheidung traf zu den roten Felsen zu gehen, da diese weder auf dem Weg zum Nikolaus-Koch-Platz noch auf ihrem Heimweg nach Korlingen liegen.
@LynnCare (diverse Posts) und
@USGumShoe (24.07.2015 um 5:35 Uhr) haben sich dazu eine Reihe durchaus plausibler Gedanken gemacht, weswegen eine solche Planänderung stattgefunden haben könnte. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei – zumindest nach meiner Ansicht (und eventuell auch nach Ansicht der genannten User) – nicht um triviale Annahmen, da sie eben i) nicht durch Beobachtungen von Zeugen oder anderweitige Daten gedeckt sind, ii) sie nicht nur eine motivationale Planänderung voraussetzen sondern auch das Gehen eines Weges der die Distanz nach Korlingen verlängert (dort wollte sie ja zumindest mittags ankommen) und nach mehreren Schilderungen ortskundiger kein absoluter 'place-to-be' ist und iii) sie zudem auch noch einen Zaun umgehen oder überklettern muss (hier sind mir von
@LynnCare immer wieder angeführte Argumente nach dem Strickmuster 'Junge Leute tun sowas doch dauernd' einfach nicht überzeugend genug; hier wird nach meinem Dafürhalten zu stark von einer subjektiven Wahrnehmung auf eine Gesamtpopulation geschlossen und TG dann auch noch als typischer Fall innerhalb der Gesamtpopulation angenommen).
Letztlich müssen hier also Annahmen getroffen werden, die nicht grundsätzlich unplausibel, aber eben auch nicht trivial sind. Wenn dieses Szenario der Wahrheit entsprechen sollte (was definitiv möglich ist; ich persönlich halte es subjektiv für die wahrscheinlichste Variante, bin von der Korrektheit aber nicht so überzeugt, dass ich andere Varianten außer Acht lassen würde), wird es sich – wie
@stanmarsh bereits ausgeführt hat – mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit nicht abschließend beweisen lassen, weil es im Prinzip nur vom fortlaufenden Nicht-Finden von Spuren erhärtet werden kann, ein Nicht-Auftreten eines Ereignisses aber logisch immer überdeterminiert ist.
2) TG stürzte im Beisein Dritter ab; diese haben zum Absturz weder direkt noch indirekt beigetragen, es war ein tragischer Unfall
Auch dieses Szenario ist ohne Hilfsannahmen konsistent mit den aus TGs sterblichen Überresten als höchstwahrscheinlich abgeleiteten Sturzparametern. Allerdings erklärt auch dieses Szenario nicht ohne weitere Annahmen, wie TG zur Absturzstelle gelangt ist. Hier ist die Plausibilität nur dann höher als im vorigen Szenario, wenn man die Zusatzannahmen trifft, dass eine Änderung des ursprünglichen Plans und ein Aufsuchen der roten Felsen sowie das Umgehen oder Überklettern des dortigen Zaunes durch das Auftreten einer oder mehrerer weiterer Personen wahrscheinlicher wird. Eine solche Annahme eines motivationalen Stimulus durch eine oder mehrere weitere Personen ist nach meinem Dafürhalten nicht grundsätzlich unplausibel aber eben auch weder durch Zeugenaussagen noch Mobilfunkdaten o.ä. gedeckt und deshalb in hohem Maße begründungsbedürftig (eine ganze Reihe von Usern haben hierzu begründende Beiträge verfasst). Weiterhin – und diese Annahme ist alles andere als trivial (bzw. meines Erachtens ist sie eigentlich schlicht unplausibel) – würde sich in diesem Szenario zumindest eine Person ohne unmittelbar ersichtlichen Grund der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen.
Insofern erlaubt es die derzeitige Spurenlage zwar nicht definitiv dieses Szenario zu verwerfen, eine besonders hohe Plausibilität würde ich ihm aber nicht zumessen.
3) TG stürzte im Beisein Dritter ab; diese haben zum Absturz indirekt beigetragen (sei es durch gemeinsames Herumklettern in den Felsen, Nötigung oder was auch immer)
Zumindest im Falle eines gemeinsamen Herumkletterns o.ä. ist auch dieses Szenario ohne Hilfsannahmen konsistent mit den aus TGs sterblichen Überresten als höchstwahrscheinlich abgeleiteten Sturzparametern. Nach meiner Einschätzung gilt dies auch für den Fall einer Nötigung.
@LynnCare hat mir in einem vorigen Beitrag in diesem Zusammenhang zwar widersprochen, aber keine harten Fakten geliefert, sondern nur eine subjektive Einschätzung. Da ich persönlich nicht über rechtsmedizinische oder kriminaltechnische Kenntnisse verfüge, kann ich das jedoch nicht abschließend mit Gewissheit beurteilen (vielleicht kann hier ja ein anderer User helfen). Bis gegenteiliges Bewiesen ist, gehe ich deswegen davon aus, dass die Merkmale der sterblichen Überreste eine Nötigung nicht ausschließen. Denn nach meinem Verständnis hat, erstens, Prof. Urban dies nicht getan und, zweitens, ermittelt die Polizei weiterhin wegen eines Tötungsdelikts.
Im Folgenden differenziere ich zwischen einem Szenario 3a) gemeinsames Herumklettern o.ä. (= keine Nötigung oder anderweitige Straftat mit Ausnahme der unterlassenen Hilfeleistung) und ein Szenario 3b) Nötigung.
Zu Szenario 3a): Wieder muss die Annahme getroffen werden, dass Dritte (in diesem Szenario ohne Zwang) einen Aufenthalt an den roten Felsen sowie das Überklettern oder Umgehen des Zaunes wahrscheinlicher machen. Diese Annahme ist in meinen Augen (wie unter Szenario 2 schon angeklungen) nicht-trivial da nicht durch konkrete Anhaltspunkte belegt, aber durchaus begründbar (zumindest nicht schlechter begründbar als eine einsame Entscheidung dorthin zu gehen). Im Gegensatz zu Szenario 2 ist hier plausibler, weswegen es zu unterlassener Hilfeleistung gekommen ist, da die/der Dritte/r/n zum Absturz beigetragen haben, sodass eine Angstreaktion möglich scheint (wenngleich das immer noch eine sehr starke Annahme ist).
Zu Szenario 3b) Wenn der Beginn des Nötigungsszenarios konsensual war, muss wieder angenommen werden, dass Dritte einen Aufenthalt an den roten Felsen wahrscheinlicher machen. Wenn bereits der Weg dorthin unter Zwang geschehen sein sollte, muss dies begründet werden (sprich 'Weswegen wird TG gezwungen zu den roten Felsen zu gehen oder dorthin gefahren und nicht zu einem anderen Ort?'; 'Welche spezifischen Vorteile bietet dieser Ort für welche Form von Straftat?'). Wenn TG dorthin geflohen ist, muss begründet werden, warum sie diesen Fluchtweg in eine Gefahrenzone, weg von Menschen wählte (gerade diese Annahme ist in höchstem Maße begründungsbedürftig).
In keines der Szenarien fügen sich die bekannten, von der Polizei zumindest bis zum Auffinden der sterblichen Überreste als zentral erachteten Zeugenaussagen (so wirklich alle Zeugen überhaupt TG und nicht nur eine ihr ähnliche Person gesehen haben) ohne weiteres ein, d.h. sie privilegieren meines Erachtens kein Szenario inhärent. Gleichsam stehen sie aber auch nicht im eklatanten Widerspruch zu einem der Szenarien. Insofern habe ich sie bewusst ausgeklammert, zumal auch keine der bekannten Aussagen eine konkrete Verbindung zum Absturzort herstellt und somit ohnehin eher fraglich ist, ob sie unmittelbar zur Lösung des Falles beitragen können.
Kurzum: Alle Szenarien müssen eine Reihe nicht-trivialer Annahmen treffen, um die Todesumstände TGs zu plausibilisieren. Insofern sollte meines Erachtens, wie ich bereits in anderen Beiträgen ausgeführt habe, zum jetzigen Zeitpunkt kein grundsätzlich spurenkonsistentes Szenario verworfen werden. Aus meiner persönlichen Perspektive erscheint mir ein tragischer Unfall ohne Anwesenheit Dritter gegenwärtig am wahrscheinlichsten, weil hier die wenigsten Annahmen getroffen werden müssen und diese mir nicht gänzlich abwegig erscheinen. Nichtsdestotrotz sind die zu treffenden Annahmen allerdings so voraussetzungsvoll (=nicht-trivial), dass ich es nicht für vertretbar halte, alle andere Szenarien in Bausch und Bogen zu verwerfen (einige immer wieder im Thread auftretenden Szenarien kann man sicher begründet verwerfen, weil sie nicht nur nicht-triviale, sondern geradezu heroische Annahmen in großer Zahl treffen müssen, um stimmig zu sein). Wie wir wohl alle hoffe ich auf neue Ermittlungserkenntnisse, wenngleich ich leider eher pessimistisch bin, dass der Fall Tanja Gräff je in Gänze gelöst wird.