Neuer Artikel von Kaes mit Kollegin:
"TRIER. Nichts deutet auf ein Verbrechen an Tanja Gräff hin, die im Juni 2007 spurlos verschwunden war. Aber sicher ist man auch acht Jahre nach ihrem Tod nicht."
Auch für einen Suizid gibt es keine Anhaltspunkte. "Es gibt keine Anhaltspunkte, dass eine Gewalteinwirkung von dritter Hand stattgefunden haben könnte", sagte der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Uni Mainz, Professor Reinhard Urban, gestern in Trier. Er hatte die Knochen der Studentin, die Anfang Mai am Fuße einer 50 Meter hohen Felswand im Trierer Ortsteil Pallien entdeckt wurden, in den vergangenen Wochen untersucht.
"Dennoch: Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln weiter wegen eines möglichen Tötungsdeliktes. Denn fehlende Spuren an Knochen bedeuten noch nicht, dass es kein Verbrechen war. Wenn jemand Gräff von der Felskante in den Tod gestoßen habe, könne man das nicht an den Knochen ablesen, sagte Staatsanwalt Eric Samel. Daher sei immer noch unklar, wie und warum die Studentin stürzte - "und letztlich auch die Frage, ob und in welcher Weise eine dritte Person beteiligt gewesen sein könnte", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen."
An dem nahezu vollständig geborgenen Skelett der 21-Jährigen seien keinerlei "Werkzeugspuren" - etwa von einem Messer - nachgewiesen worden, so Urban. Alle Verletzungen gingen auf ein "Sturzgeschehen" an den roten Felsen zurück, sagte er. Gräffs Wirbelsäule sei durchtrennt gewesen, Teile der Halswirbelsäule gebrochen und gestaucht. "Diese Verletzungen waren tödlich", sagte der Rechtsmediziner.
"Auch er kann nicht ausschließen, dass Gräff in den Tod gestoßen wurde. Er hält es aber für eher unwahrscheinlich. "Wenn ich jemanden hinunterstoßen will, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er nicht mit den Beinen voran nach unten fällt." Das aber hat Tanja wohl getan. Denn ihr Schädel blieb unverletzt. Gräff ist nicht geradewegs in den Tod gestürzt, hat der Rechtsmediziner herausgefunden. Bei einem Experiment hatten Ermittler lebensgroße Puppen an der Felswand herabgeworfen und stellten fest: Gräff fiel wohl zunächst 26 Meter hinab und prallte dabei mehrfach gegen Felsvorsprünge. Dann blieb sie in einer Astgabel hängen, wo ihre Leiche verweste."
"Erst nach einigen Wochen oder Monaten fiel ihr Skelett weiter hinunter. Genau dorthin, wo es Arbeiter unter Blättern und Erde zufällig fanden, unmittelbar hinter einem Apartmenthaus mit mehreren Dutzend Wohnungen. Nein, die Leiche in dem Baum habe man damals bei Suchaktionen auch vom Hubschrauber aus nicht sehen können, sagte der Soko-Leiter Christian Soulier. Vor den Rodungsarbeiten in diesem Jahr hätten Bäume den Felsvorsprung verdeckt. Die Fundstelle war damals von Dornenhecken überwuchert. Dort habe man auch etliche leere kleine Likörfläschchen gefunden, die Gräff wohl in ihrer Umhängetasche trug."
"Ob man noch klären könne, ob es ein Unfall oder ein Verbrechen gewesen sei, sei ungewiss, sagte Oberstaatsanwalt Fritzen. Noch stehe das Ergebnis der Untersuchung von Gräffs Handy aus. "Wir gehen davon aus, dass es gelingen wird, die Daten im Speicher auszulesen", sagte Staatsanwalt Samel. Auch mehr als 800 alte Spuren würden neu ausgelesen, alte und neue Zeugen gehört. 65 neue Hinweise seien seit Mai eingegangen."
"Ungeklärt ist weiter, warum sich Tanja Gräff vom Sommerfest der Fachhochschule entfernt hat und fast einen Kilometer tief in den stockdunklen Wald bis zur Absturzstelle ging. Ihr im Lauf des Abends oft genutztes Handy war zu diesem Zeitpunkt abgeschaltet. Der Waldweg entlang des Steilhangs ist an der Absturzstelle durch einen stabilen, fast 1,40 Meter hohen Zaun geschützt. Ungeklärt ist auch, ob die Studentin das Fest allein oder in Begleitung verließ. Trotz der mehr als 10.000 Festbesucher fand die Polizei dazu keinen Zeugen. Auch der Unbekannte, den zuvor ein Bekannter Tanjas im Lauf des Abends bei der jungen Frau sah und der höchst aggressiv auf Tanjas Bekannten losging, wurde nie ermittelt."
"Auch wenn Gräffs Tod noch viele Frage aufwirft: Für ihre Mutter bedeutet der Abschluss der Untersuchung der Rechtsmedizin, dass sie ihre Tochter endlich beerdigen kann. "Für sie ist es wichtig, dass sie einen Abschluss finden kann und einen Ort zum Trauern bekommt", sagte Waltraud Gräffs Anwalt Detlef Böhm."
http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/vermischtes/beweise-fuer-gewaltanwendung-fehlen-article1676191.html