Vermisstes Ehepaar Josef und Inger G. (1965)
12.10.2020 um 19:28
Das Verschwinden des Ehepaars Gaum ist zweifelsohne einer der spannendsten und mysteriösesten Filmfälle der ohnehin schon reichhaltigen XY-Geschichte! Wir wissen fast nichts Konkretes, Spekulationen gibt es dagegen genug. So soll die Erklärung des Verschwindens von Inger Gaum und des (angeblichen) Selbstmordes von Josef Gaum in den Kriegsjahren von Herrn Gaum zurückzufinden sein, ohne dass dabei erklärt wird, welche besonderen Ereignisse aus jenen Jahren die Ursache für sein späteres merkwürdiges (kriminelles?) Verhalten gewesen seien.
Herr Gaum habe anscheinend auch eine Liebesbeziehung mit der Frau des Direktors der Bank gehabt, in der er selbst angestellt war. Er sei unheilbar krank gewesen und habe sich schon aus diesem Grund das Leben nehmen wollen. Er sei in Schmuggelaffären verwickelt gewesen und seine Frau Inger habe längere Zeit in einem Ostblockstaat gelebt.
Nichts von alledem wurde auch nur ansatzweise belegt, anders als mit vagen Mitteilungen wie „Ich habe meinen durchaus zuverlässigen Quellen absolute Diskretion zugesagt.“
Was wissen wir? Nur sehr wenig. Unsere Diskussionsleiterin hat die Fakten, die größtenteils aus dem XY-Beitrag stammen, bereits in ihrem ersten Beitrag vor neun Jahren wiedergegeben.
Der Anfang (3. Mai 1965)
„Am Nachmittag des 3. Mai 1965 wird Inger Gaum letztmalig gesehen, und zwar im Treppenflur ihres Wohnhauses in Mannheim, als sie Konserven in den Keller bringen will. Sie begegnet dabei der Ehefrau des Hausmeisters, Elfriede Naumann, mit der sie sich kurz unterhält. Danach verschwindet Inger Gaum. Ihr 46-jähriger Ehemann, der als Wertpapier-Spezialist bei einer Mannheimer Bank arbeitet, verlässt die Bank früher als normal und bittet die Sekretärin, dem Fahrer seines Wagens Bescheid zu sagen. Er fährt also nicht selbst. Er fährt zur Bank, in der er Kunde ist (nicht die gleiche, in der er arbeitet) und hebt am selben Nachmittag DEM 20.000,00 von seinem Konto ab. Anders als im Filmfall von XY dargestellt, hat sich Josef Gaum am 3. Mai 1965 zunächst von der Arbeit kurz nach Hause fahren lassen und dann erst zu der Bank, bei der er die DEM 20.000,00 abgehoben hat.“
Frau Gaum
Was ist mit Inger Gaum passiert? Einiges spricht dafür – auch die Diskussionsleiterin favorisiert diese Theorie - , dass Josef Gaum seine Frau ermordet hat/hat ermorden lassen. Aber wie denn und vor allem warum?
Wurde sie bereits im Keller angegriffen, überwältigt, irgendwo hingeführt und dort getötet? Wenn das stimmen würde, hat Josef Gaum seine Frau auf jeden Fall nicht selbst getötet, weil er zu dem Zeitpunkt, dass sie im Keller war, noch im Büro war, oder in sein Auto stieg, um nach Hause/zur Bank zu fahren.
War es ein Auftragskiller? Aber hat der dann den ganzen Tag im Keller verbracht, bis Frau Gaum herunterkam? Niemand konnte doch wissen, ob Frau Gaum an jenem Tag die Absicht hatte, Konserven in den Keller abzustellen und schon gar nicht um welche Uhrzeit. Die Theorie, dass Frau Naumann, die Ehefrau des Hausmeisters irgendeine Rolle bei dem Verschwinden von Frau Gaum gespielt hat und dafür Geld empfangen hatte, wurde von einigen vorgebracht. Ich halte das für absolut unwahrscheinlich und außerdem wurde diese Vermutung nicht mit Belegen untermauert.
Also, Frau Gaum ist wieder die Treppe hochgegangen, zurück in ihre Wohnung. Und dann? Kommt Josef nach Hause.
Die Diskussionsleiterin schrieb:
„Hab in Zimmermanns "Das unsichtbare Netz" noch zwei Dinge gefunden, die ich nachtragen möchte.
Das erste hilft uns nicht wirklich weiter: "Selbstmord wird von den Gerichtsmedizinern zwar angenommen, Fremdverschulden ist aber nicht auszuschließen." Aha. Da waren wir ja auch schon ungefähr.
Interessanter könnte das zweite Detail sein. Anders als im Filmfall dargestellt, hat sich Josef G. am 3. Mai 1965 zunächst von der Arbeit kurz nach Hause fahren lassen und dann erst zu der Bank, bei der er die 20.000 DM abgehoben hat.“
Er muss also, wenn dies stimmt, kurz nachdem seine Frau wieder oben in der Wohnung angekommen ist, auch zu Hause angekommen sein. Er hat sich aber nach Hause fahren lassen. Also der Chauffeur wartete unten im Auto. Es ist daher auszuschließen, dass er seine Frau in dieser kurzen Zeitspanne hätte verschwinden lassen können. Dazu kommt noch, dass es im Mai um 1700-1800 hrs noch hell draußen ist. Ich weiß nicht, ob die Gaums in einer belebten Straße wohnten, aber selbst wenn nur ein paar Leute an der Wohnung vorbeigelaufen sind, muss es ihnen doch zumindest merkwürdig vorgekommen sein, wenn da jemand eine Frauenleiche in den Kofferraum eines dort wartenden Auto legen wollte.
Weil sich Josef Gaum noch mindestens bis zum 10. Mai im Raum Mannheim-Heidelberg aufgehalten haben muss, kann er seine Frau natürlich auch später, an einem anderen Tag, getötet haben. Darüber zu spekulieren bringt uns jedoch nicht weiter. Wir wissen überhaupt nicht, wo er sich zwischen dem 3. Mai und dem 10. Mai (dem Tag des Unfalls mit dem Opel Kapitän) aufhielt.
Die wichtigste Frage ist jedoch: Warum sollte Josef Gaum seine Frau umbringen, wenn er nur das letzte Jahr seines Lebens in großem Stil in Tirol verbringen wollte? Er hätte doch einfach gehen können, ohne was zu sagen, und Frau Gaum hätte auch niemals von seinem neuen Aufenthaltsort vernommen.
Hat er sie so gehasst, dass er sie unbedingt töten wollte? Darüber ist nichts bekannt. Vielleicht hatten die Eheleute die Nase voll von 18 Jahren Ehe (1947-1965), aber das muss nicht unbedingt heißen, dass sie beide Mordpläne gehabt haben.
Eigentlich hätte der Mord an seiner Frau seine Urlaubspläne in Tirol nur unnötig gefährdet, weil er natürlich damit hätte rechnen können, dass die Polizei ihn verdächtigen würde und ihn überall suchen würde. Wenn er einfach abgehauen wäre, ohne also seiner Frau etwas anzutun, hätte man die Suche nach ihm schnell aufgegeben mit der Begründung, dass erwachsene Personen in einem demokratischen Rechtsstaat, die nicht gegen die Gesetze verstoßen, die Möglichkeit haben, sich an dem Ort ihrer Wahl aufzuhalten.
Tatsache bleibt, dass Inger Gaum verschwand und dass nie wieder jemand etwas von ihr gehört hat.
Ist sie freiwillig verschwunden, genau so wie ihr Ehemann? Lebte sie tatsächlich in einem Ostblockstaat? In welchem und warum? Dagegen sprechen auf jeden Fall die engen Beziehungen, die sie mit ihrer dänischen Familie (Mutter und Geschwister) unterhielt.
Wurde sie Opfer eines Verbrechens, das nichts mit dem Verschwinden ihres Mannes zu tun hatte? Eher sehr unwahrscheinlich.
„Am Morgen des nächsten Tages ruft Josef Gaum seine Sekretärin an und erklärt, er würde sich wegen einer Autopanne verspäten, tatsächlich aber erscheint er weder an diesem noch an den nächsten Tagen zur Arbeit.“
Hier beginnt die Odyssee von Josef Gaum, die im Bodensee endet.
Herr Gaum
Über Herrn Gaum wurde in dem anderen mittlerweile geschlossenen Thread maßlos spekuliert, ohne jegliche Belege leider. Auch hier wurde gemutmaßt, dass seine Kriegsjahre wohl die Antwort auf sein merkwürdiges Benehmen enthalten würden, auch wieder ohne klare Hinweise. Die Wahrheit ist, dass alles, was wir über Herrn Gaum wissen, dem XY-Filmfall zu entnehmen ist.
Josef Gaum ist ein Bankier/Buchhalter bei einer Bank in Mannheim und er wird vermögend genannt. Er hat einen Wagen mit Chauffeur und ist deshalb wahrscheinlich keine unbedeutende Person in der Bank. Er stammt jedoch aus bescheiden Verhältnissen. Er ist mit Inger verheiratet. Er ist 46 Jahre alt. Bewohnt eine Wohnung in Mannheim und hat keine Kinder. Über eine schlechte Ehe, oder Streitigkeiten zwischen den Eheleuten ist nichts bekannt(?).
Frau Gaum wird als eine gelangweilte Hausfrau in dem XY-Film dargestellt, die, wie so viele Frauen aus den fünfziger und sechziger Jahren sich keine anderen Fragen stellten, wenn sie aufstanden, als: Was ziehe ich heute an und was koche ich für meinen Mann?
Den Rest des Tages verbracht sie mit Haushaltsaufgaben, wie das Nachfüllen der Lebensmittelregale im Keller oder die Pflege ihrer Zimmerpflanzen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Herr Gaum mit seinen 46 Jahren mitten in einer Midlife-Crisis steckte:
Die Besonderheiten des mittleren Alters
Mit 40 plus liegt rein statistisch etwa die Hälfte des Lebens hinter uns. Für viele Menschen die Zeit, Bilanz zu ziehen. Die Fragen, die sich stellen, sind: Wo stehe ich am jetzigen Punkt meines Lebens? Bin ich zufrieden, bin ich glücklich? Habe ich meine beruflichen und privaten Lebensziele erreicht? Haben sich meine Lebensträume bewahrheitet? Möchte ich mein Leben so weiterführen wie bisher?
Dem ungestümen Gefühl der jungen Jahren, die Welt liege einem zu Füßen, weicht die Erkenntnis, dass die Möglichkeiten des Lebens begrenzt sind. Oftmals werden getroffene Entscheidungen noch einmal hinterfragt, verworfene Pläne nochmals kritisch durchleuchtet. Habe ich mich für den richtigen Partner entschieden? War es gut, meine Heimatstadt zu verlassen? Hätte ich nicht mutiger sein und meinen Traumberuf als Malerin ergreifen sollen? War es richtig, dass ich mich gegen Kinder und für die Karriere entschieden habe?
Zu diesem inneren Prozess gesellen sich auch äußere Faktoren: Mit dem Alter verändert sich der Körper, die Haare werden grau, Fältchen entstehen, die Haut ist nicht mehr so straff wie mit 16. Und auch die Gesundheit ist nicht mehr so selbstverständlich wie sie es einmal war. Ob die Betroffenen es nun am eigenen Körper erleben oder aber im Familien- oder Freundeskreis: Neben ersten Zipperlein machen sich auch ernstere Erkrankungen breit. Und auch das Thema Tod ist plötzlich nicht mehr ganz so weit entfernt.
https://platinnetz.de/magazin/leben/psychologie/midlife-crisis-unausweichliche-krise-in-der-lebensmitte/
So entschied er sich auszubrechen und sich von seinem Leben in Mannheim mit den Zimmerpflanzen und den Konservendosen im Keller zu befreien. Er gab seine Position bei der Bank auf, verschwand nach Österreich, lernte eine jüngere Frau kennen, die ihm eine Tochter gebar, und er gab sein Geld aus, als ob er nur noch kurz zu leben hätte, was auch tatsächlich der Fall war.
Er war sehr wahrscheinlich derjenige, der die DEM 15.000,00 aus der Schublade in seiner Wohnung geholt hatte, als der Hausmeister Geräusche hörte und Licht sah, an jenem Abend, an dem Josef Gaum den Unfall mit seinem Opel Kapitän hatte. Es stellt sich nur die Frage, warum er dieses Geld nicht sofort am 3. Mai mitgenommen hatte. Wahrscheinlich war er doch etwas nervös, trotz seiner sorgfältigen Planung. Aus diesem Grund dürfte er auch den Autounfall gehabt haben.
Der Tod von Herrn Gaum
Selbstmord oder nicht? Pistole wurde nicht am Tatort gefunden, Betonbrocken in den Jackentaschen usw.
Wenn es kein Selbstmord war, wer könnte ein Motiv gehabt haben (anders als der „Auftragskiller“, den es bestimmt nie gegeben hat), um Herrn Gaum umzubringen? Die dänische Verwandten vielleicht, weil sie Josef Gaum für den Mörder ihrer Tochter/Schwester hielten? Dass jedoch eine alte Dame wie die Mutter von Inger Gaum aus Dänemark zum Bodensee gereist sei, um ihren Schwiegersohn umzubringen, klingt doch auch nicht sehr plausibel.