Der schwarze Mann/Soko Dennis
11.10.2011 um 00:56
Habe gerade in der Frankfurter Allgemeinen einen meiner Meinung nach sehr interessanten Artikel gefunden :
Home 10.10.2011
Serientäter vor Gericht
„Ich bring dich um. Und deine Eltern auch!“
Laut Anklage soll er drei Jungen getötet haben und zahlreiche missbraucht. Vor dem Landgericht Stade muss sich seit Montag Martin N. wegen Mordes verantworten.
Von Karin Truscheit
Foto: REUTERS
Die Augen des Schöffen kleben an Martin N., während die Anklage verlesen wird. Je perfider die Anklagepunkte, und es gibt viele davon, umso weiter reißt der Schöffe seine Augen auf. So müht er sich offenbar, das ungeheuerliche Gehörte mit dem Gesehenen, dem Mann auf der Anklagebank, in Einklang zu bringen.
„Es wird kein Monster sein.“ Diesen Satz hatte der ehemalige Leiter der Soko „Dennis“, Uwe Jordan, schon vor zehn Jahren gesagt, Monate nach dem Mord an dem acht Jahre alten Dennis K., wenn er nach dem möglichen „Täterprofil“ gefragt wurde. Die Polizei suchte damals nach einem Serientäter, der im Umkreis von Bremen nachts in Schullandheime und Zeltlager schlich, um kleine Jungen zu begrapschen, zu bedrohen und zu missbrauchen. Zwar hatten Opfer von einem schwarzen, maskierten Mann gesprochen. Doch den Ermittlern war es nie recht, den „Maskenmann“ nur als „Maskenmann“ in der Öffentlichkeit zu beschreiben. Zu groß war die Gefahr, dass alle nach dem bösen Wolf suchten und den Hund übersahen. So war sich Jordan sicher: Dieser Mann würde aus der Mitte der Gesellschaft kommen und ein unscheinbares Leben führen.
Er könnte der nette Mann vom Bio-Stand sein
Er sollte Recht behalten. Denn auch der ungepflegte Vollbart, den der 40 Jahre alte Angeklagte Martin N. zum Prozessauftakt am Montag in Stade trägt, nimmt seinem Gesicht nichts von der Milchigkeit, betont eher noch die milden, weichen Linien, denen die ereignisreichen Jahre offenbar nichts anhaben konnten. Groß gewachsen, schlank, in heller Jeans und dunkelblauer Jeansjacke, könnte er so mit seinem zugewandten Gesicht und den freundlichen blauen Augen auf jedem Wochenmarkt der nette Mann vom Bio-Stand sein.
Oder als Jugendbetreuer auf Ferienfreizeiten arbeiten. Im März 1992, so der Staatsanwalt in seiner Anklage, habe Martin N. auf einer Freizeit der Sportjugend als Betreuer gearbeitet. Im anschließenden Betreuer-Seminar in einem Internat nahe Scheeßel habe er dann den 13 Jahre alten Schüler Stefan J. kennengelernt. „Der Junge gefiel ihm.“ Kurz darauf fuhr Martin N., damals 21 Jahre alt, laut Anklage in seinem Fiat Panda nachts zu dem Internat. Mit Sturmhaube über dem Kopf habe er sich in das Erdgeschoss geschlichen. An dem Bett von Stefan J. stehend, suchte er zunächst Straßenkleidung für den Jungen zusammen. Dann habe er ihn geweckt und befohlen, den Schlafanzug aus- und die Kleidung anzuziehen. Mit einem Seil habe er den Jungen gefesselt und schließlich angefasst. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft führte er ihn zu seinem Auto. Da Stefan J. das Nummernschild habe sehen könne, sei dies offenbar sein Todesurteil gewesen. Nach dem Missbrauch habe N. den Jungen auf einem Feldweg erwürgt und ihn in den nahegelegenen Dünen vergraben.
Das tote Kind im Dünensand vergraben
Auch den nächsten Tatort, ein Zeltlager am Selker Noor nahe Schleswig, habe der Angeklagte schon vorher gekannt, heißt es in der Anklage. Im Juli 1995 sei er nachts in das Zelt des neun Jahre alten Dennis R. gekrochen. „Zieh dich an!“, habe er dem verängstigten Jungen befohlen. Der Junge gehorchte und folgte ihm. N. fuhr mit dem Kind über die Grenze nach Dänemark, wie es in der Anklage heißt. „Hier verbrachte er einige Tage mit dem Jungen in einem Ferienhaus, das er zuvor angemietet hatte.“ Da er ihn kaum nach Deutschland habe zurückbringen können, hätte auch Dennis sterben müssen. Während der Junge auf dem Boden saß und spielte, habe MartinN. das Kind von hinten gepackt und erwürgt. Er habe ihn dann ausgezogen, sich eine Spielzeugschaufel genommen und das tote Kind im Dünensand vergraben.
Wiederum mit Sturmhaube fuhr MartinN. im September 2001 nachts zum Schullandheim Wulsbüttel nahe Bremen. Der neunjährige Dennis K. verbrachte zu der Zeit zusammen mit seiner vierten Klasse ein paar Tage in Wulsbüttel. N. zwängte sich in der Nacht vom 4. auf den 5. September durch ein Fenster am Ende des Gangs. In Dennis Zimmer habe der Angeklagte den Jungen geweckt und ihn gezwungen, mit ihm in den Aufenthaltsraum zu gehen und ihm zu Willen zu sein. Als der Junge sagte, er werde das seiner Lehrerin erzählen, erwürgte N. das Kind noch in dem Raum. Den entkleideten Leichnam warf er später in ein Gebüsch, rund 40 Kilometer von dem Schullandheim entfernt.
Heimtücke und niedrige Beweggründe
Als Mordmerkmale sieht die Staatsanwaltschaft in allen drei Fällen Heimtücke und niedrige Beweggründe. Martin N., der die Schilderungen am Montag aufmerksam verfolgt, hatte im April 2011 nach seiner Festnahme vor der Polizei gestanden, die drei Jungen umgebracht zu haben. Seitdem schweigt er. Er sagt auch nichts zu der „Drei-Jahres-Theorie“ der Polizei. Denn die Staatsanwaltschaft hat ihn im Verdacht, zwei weitere Morde begangen zu haben. 1998 verschwand in den Niederlanden unter ähnlichen Umständen der Junge Nicky V. - drei Jahre nach dem Mord an Dennis R. Auch Nicky V. wurde später tot aufgefunden. 1992 Stefan J., 1995 DennisR., 1998 Nicky V., 2001 Dennis K. Fügt sich der Mord an Nicky V. nur zufällig in die Reihe? So zufällig wie der Mord an dem Jungen Jonathan C. in Frankreich im Jahr 2004? Denn wiederum drei Jahre nach dem Mord an Dennis K. verschwand Jonathan C. aus einem Zeltlager und wurde später tot aufgefunden. „Wir haben derzeit keine Erkenntnisse, um Martin N. dieser beiden Morde aus den Jahren 1998 und 2004 zu überführen“, heißt es dazu bei der Staatsanwaltschaft.
So ist die Arbeit der Sonderkommission „Dennis“ bei der Polizeiinspektion in Verden noch lange nicht zu Ende. Allein das Bewegungsbild des Angeklagten, der Pädagogik studiert hat und viel in der Jugendarbeit tätig war, muss vervollständigt werden. Wann und wie lange hat er wo gearbeitet, Ferien verbracht, Freunde besucht, Spuren hinterlassen? Die Serie begann im Jahr 1992. Im März des Jahres erzählten Kinder aus dem Schullandheim Hepstedt, 40 Kilometer von Wulsbüttel entfernt: „Da steht ein schwarzer Mann am Fenster und glotzt.“
An Schullandheime und Ferienlager herangeschlichen
Beim Glotzen blieb es nicht. Meist in den Sommermonaten schlich sich in den darauffolgenden Jahren ein oft schwarz gekleideter Mann immer wieder in Schullandheime, Ferienzeltlager, Wohnhäuser, Jugendherbergen. 40 dieser Missbrauchstaten hat N. vor der Polizei gestanden, etwa 20kamen zur Anklage, der Rest ist verjährt. So knöpfte er laut Anklage nächtens zahllose Zeltplanen auf, zwängte sich durch Oberlichter von Schullandheimen, Terrassentüren und klingelte sogar am helllichten Tag an Haustüren, um kleiner Jungen habhaft zu werden. Manchmal waren es, wie in Heptstedt 1992, zwei Jungen gleichzeitig, die er nachts weckte und zwang, sich auszuziehen. Manchmal bedrohte er die Kinder mit Messern oder einer Pistole, dann wiederum sprach er ruhig auf sie ein, wenn sie ihn unter Tränen baten, endlich aufzuhören: „Es ist gleich vorbei.“ Einmal soll er auf einer Ferienreise eines Jugendamtes zehn Jungen nachts an den Genitalien berührt haben.
Gleichgültig, wie viele Kinder in den Zelten oder Zimmern lagen, ob zu zehnt oder zu zweit, das Vorgehen ähnelte sich: Wortlos trat der Täter an die Pritsche oder das Bett eines ausgewählten Opfers, fasste unter Decken, nestelte an Schlafsäcken und Schlafanzughosen, bis er die Jungen dort befingern konnte, wo er es wollte. Entweder geschah es gleich im Bett oder im Duschraum, auf der Toilette, im Aufenthaltsraum. Einmal, 1996, klingelte er laut Anklage an einer Haustür in Bremen. Ein elf Jahre alter Junge öffnete die Tür, seine Mutter telefonierte im Obergeschoss. „Ruhig, sonst bringe ich Dich um!“ Im Windfang missbrauchte er den Jungen, der ihn anflehte, aufzuhören. „Du hast einen schönen Körperbau“, soll er ihm nur gesagt haben.
Vorwürfe gegen Polizei wegen schlampiger Ermittlungen
Einen Jungen zwang er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auf offener Straße vom Fahrrad in ein Gebüsch, einen anderen sucht er in dessen Kinderzimmer im Haus der Eltern heim - bis die Schwester aufwachte und schrie. Und in Wulsbüttel, in dem Schullandheim, in dem Dennis K. 2001 ermordet wurde, brachte er im Juli 1999 den achtjährigen, schlaftrunkenen Marco B. dazu, mit ihm in den Keller zu gehen. Dort musste der Junge sich laut Anklage ausziehen, auf Ns. Schoß setzen und wurde von ihm in aufreizenden Posen fotografiert. „Wenn du was sagst, bringe ich dich um. Und deine Eltern auch!“ Der Jungen war danach so traumatisiert, dass er nichts verriet. Erst 2000, als seine Klasse wieder nach Wulsbüttel fahren soll, vertraut er sich seiner Schwester an. Doch es verging ein weiteres Jahr, bis die Heimleitung, die vorübergehend selbst in Verdacht geriet, davon erfuhr. Da war Dennis K. schon tot.
Heute muss die Polizei sich gegen Vorwürfe wehren, schlampig ermittelt zu haben und Sorgen von Eltern nicht ernst genommen zu haben. Ein Mitarbeiter der Soko gibt zu bedenken, dass die Tatortarbeit von 1994 ebenso wenig mit dem neuesten Stand zu vergleichen sei wie die Aktenführung. Eine Einspeisung der Fälle in übergreifende polizeiliche Informationssysteme fehlte und spielte dem Täter somit in die Hände. Für viele Fälle waren viele Polizeidienststellen zuständig - und nicht überall wurde mit der gleichen Sorgfalt ermittelt. So sollen auch Teile von Ermittlungsakten verloren gegangen sein. „Das wird die Anklage jedoch nicht erschüttern“, heißt es dazu bei der Staatsanwaltschaft. Oft, zu oft wurde den Kindern auch nicht geglaubt, wenn sie am nächsten Morgen vom „schwarzen Mann“ erzählten. Schon gar nicht im Ferienzeltlager, wenn abends Lagerfeuer und Gruselgeschichten den Grund für derartige Geschichten zu bereiten schienen.
Leichte Beute und schlechte Zeugen
Dass Kinder leichte Beute und schlechte Zeugen abgeben, wusste auch der Täter. Das Täterprofil, das die Soko „Dennis“ vor zehn Jahren zusammen mit den Einheiten für operative Fallanalyse von vier Landeskriminalämtern erarbeiteten, ließ schon damals einen pädagogischen Hintergrund des Manns wahrscheinlich erscheinen. Denn der Täter musste sich nicht nur geographisch gut auskennen mit den Tatorten, an denen er sich so sicher, so spuren- und lautlos bewegte. Es könnte demnach ein ehemaliges Heimkind sein. Oder ein Pädagoge.
Ein Hinweis eines Opfers führte die Ermittler schließlich zu Martin N. Im Februar 2011 wandte sich die Soko „Dennis“ mit neuen Details an die Öffentlichkeit. Dutzende Hinweise gingen daraufhin bei der Polizei ein. So meldete sich auch ein Mann, der angab, 1995 als kleiner Junge in seinem Elternhaus in Bremen nachts von einem Fremden missbraucht worden zu sein. Vor allem aber erwähnte er eine Jugendfreizeit, an der er vor der Tat teilgenommen hatte. Einer der Betreuer habe sich damals intensiv nach seiner Adresse erkundigt. Dieser ehemalige Betreuer war nach Angaben der Polizei Martin N.