Der schwarze Mann/Soko Dennis
07.09.2011 um 16:47
Hier einige Artikel des Hamburger Abendblattes zu dem Fall
Deutscher Tourist fand in Dänemark die Leiche eines Jungen
Dennis im Sand vergraben?
10.08.1995
op/HA Kopenhagen - Seit dem 24. Juli wurde der achtjährige Dennis Rostel aus Lippstadt (Nordrhein-Westfalen) vermißt. Er verschwand spurlos aus einem Kinder- und Jugendzeltlager am Selker Noor bei Schleswig. Jetzt fand ein Deutscher in Dänemark die Leiche eines Jungen. Der Urlauber aus Haan bei "üsseldorf war auf Campingtour in einem besonders schönen Waldgebiet zwischen Vinderup und Skive (Jütland), als er eine Hand entdeckte, die aus dem Sand ragte. Der Mann informierte sofort die Poüzei.
Kriminalinspektor Frede Rosenberg in Holstebro: "Wir sind zu 90 Prozent sicher, daß die gefundene Leiche der kleine Dennis ist." Kein anderes Kind in diesem Alter wurde in den letzten Tagen in Dänemark vermißt. Absolute Gewißheit sollen eine aufwendige DNA-Analyse und die Zahnuntersuchung geben.
Rosenberg: "Der Junge ist 1,23 Meter groß, nat eine weiße Hautfarbe bei normalem Körperbau und zehn Zentimeter langes blondes Haar. Die Leiche war teüweise verwest und nackt." Am Fundort wurden keine Kleidungsstükke oder andere Gegenstände gefunden, die zur Identifizierung führen könnten. Noch ist den dänischen Kripo-Experten nicht klar, wie der Junge umkam. Wurde er erdrosselt, vergiftet oder erschlagen? Gerichtsmediziner rechnen damit, heute die Todesursache ermitteln zu können.
Wochenlang hatte die Leiche in dem 75 Zentimeter hohen Sandhaufen gelegen, Tiere hatten schon danach gegraben. Ein Beamter meinte: "Der Täter muß sie nachts auf die Spitze des Hügels getragen haben." Die Pohzei suchte ein 20 Quadratkilometer großes Gelände mit Hunden, Hubschrauber, Technikern und Mannschaften des Zivüschutzes nach Beweisen ab. Vergeblich.
Zeitungsbote Kaj Danielsen aus Skive: "Ich sah vor 14 Tagen einen roten Pkw mit der Rückseite vor dem Hügel parken. Ob Personen in der Nähe waren, welche Automarke es war und welches Kennzeichen - darauf habe ich nicht geachtet." Ein Frau aus Skive wiü auf einem Rastplatz Kinderkleidungsstükke gesehen haben.
Bisher war die Staatsanwaltschaft Flensburg davon ausgegangen, daß Dennis Rostel - wie im vergangenen Jahr schon einmal - aus dem Ferienlager ausgerissen war. In der Nacht vor seinem Verschwinden hatte er noch mit 220 anderen Kindern einen Wikinger-Abend gefeiert. Um drei Uhr wurde er von einem der Betreuer gesehen. Am Morgen war er verschwunden, sein Schlafsack leer.
Der Schüler lebte seit einigen Jahren mit seinem Bruder Mike (11) in einem Kinderheim in Lippstadt. Das Jugendamt hatte den Eltern die Vormundschaft aberkannt. Begründung: "Die Kinder drohten zu verwahrlosen."
Wie starb das Kind?
Rätsel um Dennis
16.08.1995
op Holstebro - Es gibt weder Mißbrauchsspuren noch Wunden oder Kratzer. Die Polizei im dänischen Holstebro steht vor einem Rätsel: Wie starb Dennis Rostel (8)? Der Junge aus Lippstadt (Nordrhein- Westfalen) war in der Nacht zum 25. Juli aus einem Zeltlager in Schleswig verschwunden. Erst 13 Tage später wurde seine Leiche unter 75 Zentimeter Sand bei Holstebro gefunden. Seitdem gibt es weder Spuren, noch ist die genaue Todesursache bekannt. Wurde Dennis entführt? Wie kam er in den 300 Küometer entfernten Ort? Lediglich ein rotes Auto älteren Baujahrs ist in der vermutlichen Todesnacht aufgefallen. Aber niemand weiß, ob es aus Dänemark kam oder aus Deutschland. "Es gibt keine Verdächtigen in dem Fall. Wir haben die Familie des Jungen verhören lassen, aber es gibt keine Anhaltspunkte oder ein Motiv für die Tat", sagt Oberinspektor Frede Rosenberg.
Festnahme im Mordfall Rostel
19.12.1998
dpa - Der Mordfall Dennis Rostel ist mehr als drei Jahre nach der Tat offenbar geklärt. Das Amtsgericht Flensburg erließ Haftbefehl gegen einen 40 Jahre alten Mann aus Paderborn. Der zur Tatzeit acht Jahre alte Dennis Rostel war im Juli 1995 aus einem Ferienlager bei Schleswig verschwunden. Seine Leiche wurde Wochen später in Dänemark entdeckt. Der Festgenommene war einer der Betreuer im Ferienlager. Er schweigt bislang zum Mordvorwurf.
Rätsel um Dennis' Tod
25.09.2001
Osterholz-Scharmbeck- Die Polizei ist bei ihren Ermittlungen zum Tod des neunjährigen Dennis aus Osterholz-Scharmbeck noch nicht entscheidend vorangekommen. Unklar sei weiter, wie der Junge aus dem Schullandheim Wulsbüttel verschwinden konnte, wann und wo er getötet wurde und wie seine Leiche zum Fundort bei Zeven gelangte, sagte ein Polizeisprecher.
Der Verdacht: Es ist Dennis' Mörder
22.05.2004, 00:00 Uhr
Junge in Frankreich aus Schulheim entführt und getötet - Polizei jagt "mobilen Serientäter"
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ROTENBURG/SAINT-NAZAIRE. Der im April an der Atlantikküste in Westfrankreich verschwundene französische Junge Jonathan ist tot. Er ist nach Ermittlungen der Polizei möglicherweise Opfer eines Serientäters, der auch den neun Jahre alten Dennis aus Niedersachsen und andere Kinder in Norddeutschland ermordet hat.
Dennis war im September 2001 aus einem Schullandheim in Wulsbüttel verschwunden. Seine Leiche wurde zwei Wochen später bei Zeven (Kreis Rotenburg-Wümme) an einem Waldweg gefunden. Der elfjährige Jonathan war in der Nacht zum 6. April unter ähnlich mysteriösen Umständen aus dem Schlafsaal eines Schullandheims in Saint-Brevin-les-Pins entführt worden.
Eine weitere Parallele: Jonathan, dessen Leiche in einem Teich gefunden wurde, war gefesselt worden. Dieses Schicksal teilt er mit dem 1992 ermordeten Stefan (13). Dieser war aus einem Internat in Scheeßel verschwunden. Seine Leiche wurde gefesselt 30 Kilometer von Scheeßel bei Verden entdeckt.
Aus Heimen oder Ferienlagern wurden seit 1992 drei weitere Opfer entführt, die missbraucht und erstickt wurden. Die Polizei glaubt, dass sie es mit einem einzigen mobilen Serientäter zu tun hat. Auf sein Konto könnten auch 36 ungeklärte Fälle von Missbrauch von Jungen seit 1992 in Norddeutschland gehen. Nach Aussagen überlebender Opfer hat die Polizei ein ungefähres Bild vom Gesuchten: Er ist zwischen 1,80 und zwei Meter groß und höchstens 35 Jahre alt. Er nähert sich den Opfern maskiert und mit Handschuhen. Die Sonderkommission "Dennis" und die französische Soko "Disparition 44" arbeiten jetzt eng zusammen.dpa
Ein Verbrechen, das uns gefangen nimmt
16.04.2011, 08:06 Uhr Matthias Iken
Unser Autor Matthias Iken hat die Ermittlungen intensiv begleitet - der Fall Dennis hat ihn tief verstört.
Die Eltern von Dennis K. am Grab ihres Sohnes
Foto: dpa/DPA
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Es gibt Geschichten, die lassen uns nicht los. Sie verfolgen uns lange Zeit, nehmen uns gefangen, verblassen dann - und tauchen urplötzlich wieder auf. So geht es uns mit guten Büchern. Und es gibt Geschichten, die das Leben schreibt und wir Journalisten aufzeichnen (müssen). Eine solche Geschichte ist für mich die vom Mord an Dennis.
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Mordfall Dennis ist aufgeklärt
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Damals, im September 2001, arbeitete ich als Norddeutschland-Korrespondent für die "Welt" - man begleitete die Politprominenz auf ihren Sommerreisen durchs Wahlland, recherchierte über den Klimawandel an der Nordseeküste oder schrieb über Possen aus der Provinz. Nach dem mysteriösen Verschwinden eines Neunjährigen aus einem Landschulheim schickt die Chefredaktion mich zur Recherche vor Ort. Gemeinsam mit unserem Polizeireporter fahre ich nach Wulsbüttel, dessen Ortsname dem Fall Hohn spricht: Wulsbüttel bedeutet eigentlich eine Zufluchtsstätte im Wald. Doch bei diesem Landschulheim im Wald verliert sich auf rätselhafte Weise die Spur eines kleinen Jungen.
Dennis war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Seltsam: Die Türen des Gebäudes waren über Nacht abgeschlossen, die Fenster verriegelt. Nur in einem Nachbarzimmer war ein Fenster einen Spalt geöffnet, durch den sich der Junge theoretisch hätte ins Freie zwängen können. Noch seltsamer: Von Dennis' Sachen fehlte nichts - weder Schuhe noch eine Jacke, noch andere Kleidung. Er war verschwunden, wie er schlafen gegangen war. Mit einer kurzen, grauen Hose, einem bunten Pyjamaoberteil und ohne Schuhe an den Füßen. Und keiner seiner fünf Klassenkameraden, die mit ihm das Zimmer teilten, hatte irgendetwas bemerkt.
Am Morgen des 11. September 2001 spreche ich mit den Kollegen der Reportage-Seite in Berlin. Heute wollen sie das Stück mitnehmen, ich arbeite letzte Korrekturen ein. Am Nachmittag fliegen islamistische Terroristen in die Türme des World Trade Centers. Wir bauen das Blatt komplett um - nur die Geschichte von Dennis bleibt.
Tagelang gibt es keine Spur des Jungen; zugleich tauchen neue Fälle auf, die Gemeinsamkeiten aufweisen. Wir arbeiten uns im Archiv durch alte Zeitungsmeldungen, suchen, sichten, gewichten. Es ist ein Puzzlespiel des Schreckens - immer neue Teile tauchen auf, es hört nie auf. Ständig neue Schlagzeilen, und immer stellen wir dazu das eine Foto, das einen kleinen blonden Jungen mit seinem Stofftier zeigt. Es ist Dennis. Am 19. September 2001 findet ein Pilzsammler die Leiche eines Jungen in einem Gebüsch nahe einer Kreisstraße in Kirchtimke bei Zeven .
Schließlich veröffentlicht die Polizei ein Bild, das wie ein Schattenriss unserer Urängste aussieht, ein Phantom-Bild: Es zeigt einen schwarz gekleideten Mann von kräftiger Statur. Es zeigt ein Gesicht, verhüllt mit einer Motorradmaske, aus der nur die Augen-, Nasen- und Mundlöcher herausschauen. Es zeigt den Täter. Seitdem die Polizei dieses Phantombild veröffentlicht hat, ist in Nordwest-Niedersachsen die archaische Angst vor dem schwarzen Mann endgültig Realität geworden. Denn das Phantom tauchte schon häufiger in der Region auf - die Beschreibungen für das Bild kamen von einem neunjährigen Jungen, der im Sommer 1999 Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurde - ebenfalls in Wulsbüttel, ebenfalls im Landschulheim.
Man fühlt sich wie in einem grausamen Märchen, in dem Unbekannte durch Wände gehen und sich in Luft auflösen, man wähnt sich in einem Horrorfilm. Als Kinder spielten wir "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?". Jetzt spielen wir nicht mehr, jetzt haben wir Angst.
Einige Wochen später besuche ich die 40 Fahnder der Sonderkommission Dennis auf dem Gelände einer Bundeswehrkaserne in Garlstedt bei Osterholz. Es ist die größte Soko in der Geschichte Niedersachsens.
Zu diesem Zeitpunkt haben die Fahnder über 4000 Personen im engeren oder weiteren Sinne mit dem Fall in Verbindung gebracht - Verbindungen, die eine hoch komplexe Software aus anderen Fällen, Hinweisen oder Vorstrafen knüpft. Neben ihrer Arbeit an den Rechnern und Modellen, neben den täglichen Konferenzen gehen die Ermittler immer wieder auf Recherchereisen: Noch immer überprüfen sie Personen aus dem Umfeld der Schullandheime. Zusätzlich zu den Vernehmungen suchen die Ermittler bewusst Kontakte zu Sexualwissenschaftlern, um das Phänomen der Pädophilie besser zu verstehen. "Wir müssen uns in die Haut des Täters hineindenken - da helfen Klischees nicht weiter", sagt der Soko-Chef Uwe Jordan.
Profiler zeichnen ein Täterbild - er muss aus der Region nordwestlich von Bremen kommen, um 1970 geboren sein, lebt vermutlich unauffällig und kann offenbar gut mit Kindern umgehen, vielleicht hat er selber welche, vermuten Experten. Irgendwo da draußen versteckt er sich in seinem Alltag, er ist ungefähr so alt wie ich und kommt aus derselben Region. Es ist gespenstisch. Ausgerechnet in Zeltlagern und Schullandheimen, die Kinder als Sehnsuchtsort großer Freiheit lieben, schleicht sich der Täter ein und sucht seine Opfer.
Man merkt den Beamten an, welchen Knochenjob, was für einen Drecksjob sie machen, welche enorme psychische und physische Belastung auf ihnen lastet. Dieser Fall lässt sie auch nach ihren 60-Stunden-Wochen nicht los. Er verfolgt sie bis nach Hause, bis in den Schlaf, in ihr ganzes Leben.
Das alles beginne ich zu erahnen, weil dieser Fall über zehn Jahre nicht endet - jeder neue Hinweis setzt das Kopfkino in Gang, man ist zurück im schlichten Landschulheim, im schmucken Heimatort des Jungen, im kargen Besprechungszimmer der Soko - und ertappt sich dabei, archaische Rachegelüste gegen den Täter zu entwickeln. Wenn man regelmäßig von Not und Elend schreibt, stumpft man ab, man muss es auch, um die Dinge nicht zu sehr an sich heranzulassen.
Ich bin als Reporter mehrfach an Grenzen gekommen - bei Straßenkindern in Lateinamerika, in der Hamburger Terrormoschee, bei Menschen, die auf dem Müll hausen. Der Mord an Dennis hat mich am stärksten bewegt, er vermag auch heute noch, mir als Journalisten Schauer über den Rücken zu jagen, er lässt mich als Vater frösteln. Nietzsche hatte nicht unrecht: "Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Es tut gut, dass Dennis' Mörder gefasst ist. Wie gut muss es erst den Ermittlern gehen, die es geschafft haben. Endlich.