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Fall Kampusch - ein Justizskandal? Teil 13
11.01.2011 19:24 | m. s.
Auf vielfachen Wunsch werden hier weitere Details aus den Ermittlungsakten zum Entführungsfall Kampusch veröffentlicht. Dadurch werden...
Auf vielfachen Wunsch werden hier weitere Details aus den Ermittlungsakten zum Entführungsfall Kampusch veröffentlicht. Dadurch werden Kommentatorinnen und Kommentatoren in die Lage versetzt, ihre eigenen - bisher teils hoch interessanten - Einschätzungen zu präzisieren bzw. zu überdenken.
In einem Amtsvermerk vom 28.7.2009, der im Anschluss an die Einsichtnahme in die Vernehmungsprotokolle von Kampusch (27.7.2009, 9.55 Uhr bis 13.45 Uhr im Beisein von StA Kronawetter im Präsidium des LG für Strafsachen Wien, Einsichtnahme durch Oberst Kröll und CI Linzer) formulierte Kröll 30 Fragen. Diese wurden teilweise (wie Kröll in einem Mail an Rzeszut am 23. November 2009 beklagt, eben nur teilweise) bei nachträglichen Kampusch-Einvernahmen im November 2009 gestellt. Und teilweise beantwortet.
Ab Seite 16 des 18-seitigen Amtsvermerks heißt es wörtlich:
Warum wurde Natascha Kampusch in sämtlichen 7 mit ihr aufgenommenen Niederschriften zu folgenden Sachverhalten nicht befragt:
1. Zu ihren Erstangaben gegenüber Insp. Freundenberger auf der PI-Deutsch Wagram auf deren konkrete Frage hin, ob es Komplizen gebe und Natascha Kampusch darauf wörtlich antwortete: "Ich weiß keine Namen".
2. Zu ihrer Äußerung gegenüber ihrer Mutter Brigitta Sirny im Zuge des Erstkontakts im damaligen Sicherheitsbüro Wien, "Mama, ich weiß, Du hast das so nicht gewollt."
3. Ab wann richtete Wolfgang Priklopil das "Verlies" ein, wirkte sie dabei mit, wenn ja in welcher Form und wie wurden die für das Verlies bestimmten Gegenstände in das Verlies selbst verbracht. Die Tresoröffnung betrug 68,5cm x 48,5cm?
4. Ab wann wurden die sanitären Einrichtungen im Verlies installiert - Wasserleitung, Abfluss, Klomuschel, Spülbecken aus Nirosta?
5. Wann wurden die Zu- und Abluftrohre installiert?
6. Hat Natascha Kampusch die mehr oder minder schwere Fingerverletzung an der rechten Hand von Priklopil wahrgenommen?
7. Ab wann nahm Natascha Kampusch selbst wahr, dass zu der schmalen Öffnung ein Tresor gehörte?
8. Ab wann war sie mehr oder minder häufig bzw. ständig im Haus selbst?
9. Hat sie während ihres Aufenthaltes im Haus auch die Telefonate des Wolfgang Priklopil entweder vom Mobiltelefon oder vom Festnetz aus mitbekommen bzw. auch mithören können?
10. Wo im Haus fand ihrer Feier zu ihrem 18. Geburtstag (17.02.2006) statt? Wurde dabei fotografiert oder gefilmt?
11. Wer nahm an dieser Geburtstagsfeier teil?
12. Fragte sie den Wolfgang Priklopil zu der Geburtstagstorte in Form eines 18-er?
13. Wann und wo sah sie Ernst H. das erste Mal?
14. Es steht fest, dass Wolfgang Priklopil mit Natascha Kampusch gemeinsam mit dem am 17.05.2006 angemeldeten Mercedes Sprinter zur Halle des Ernst H. in die Perfektstraße 88 fuhr. Es stellt sich die Frage, ob sie Wolfgang Priklopil damals auf der Fahrt dorthin fragte, zu wem er fahre und wenn das nicht der Fall war, ihn auf der Fahrt von dort diesbezüglich fragte?
15. War zwischen Kampusch und Priklopil für ihre gemeinsamen Aufenthalte außerhalb des Hauses, Einkäufe, Radfahren, Ausflüge, Flohmarktbesuche usw., eine abgesprochene Legende vereinbart worden?
16. War zwischen Wolfgang Priklopil und Natascha Kampusch im Falle einer Erkrankung, die eine sofortige ärztliche Behandlung verlangt hätte, ein Ausstiegsszenario vereinbart gewesen?
17. Zu den Wahrnehmungen des Tankwartes Helmut K. von der Tankstelle in 1220 Wien, Dassanovskiweg 12 und insbesondere seinen weiteren Angaben gegenüber den numehrigen Ermittlungsbeamten, wonach Brigitta Sirny jahrelang schon Stammkundin auf dieser Tankstelle ist und zu den sich daraus ergebenden konkreten Fragen?
18. Natascha Kampusch war zum Zeitpunkt ihrer Entführung am 02.03.1998 Brillenträgerin. Bekam sie von Wolfgang Priklopil im Laufe der Jahre eine Sehhilfe (Brillen, Kontaklinsen)?
19. Zur Auffindungssituation am Tag ihrer Flucht, 23.08.2006, vor dem "Verlies" bzw. im Bereich davon - herausgerissener und umgeworfener Tresor, abgelegte Schmuckstücke von Wolfgang Priklopil am Wohnzimmertisch des Hauses.
20. Wie bereits oben angeführt wurde Natascha Kampusch bei allen ihren sieben Einvernahmen mehr oder minder nicht zu den bereits bestandenen Erhebungs- und Befragungsergebnissen befragt.
21. Zu den konkreten Angaben ihres Vaters Ludwig Koch am 15.04.2009 gegenüber den Ermittlungsbeamtern Oberst Kröll, BI Treitner und BI Ungerböck von sich aus vor dass, seine "Tochter erpressbar wäre bzw. schon erpresst wird".
22. Zu den Aussagen der Nachbarn Johann und Edith Sch.
23. Hat Priklopil Kampusch von der Überprüfung seines Fahrzeuges durch die Beamten des Sicherheitsbüros am 06.04.1998 erzählt bzw. das ihr gegenüber erwähnt?
24. Gab es während ihrer "Gefangenschaft" Einladungen von Wolfgang Priklopil in das Haus Heinestraße 60?
25. War sie jemals mit Priklopil gemeinsam in Mistelbach?
26. Zu den konkreten Angaben des Josef J., insbesondere zu seiner Wahrnehmung am 22.08.2006, wo er beobachtete, dass Wolfgang Priklopil in den Vormittagsstunden alleine mit seinem weißen Kastenwagen wegfuhr. Wo hielt sich Natascha Kampusch damals auf - im Haus oder wurde sie von Priklopil in das Verlies gesperrt? Warum nützte sie die Abwesenheit von Priklopil am 22.08.2006 nicht zur Flucht?
27. Zu den Angaben von Johann K., wohnhaft in der Rugierstraße XX, wonach er im Frühjahr 2006, während des Schuhputzens im Stiegenhaus wahrnahm, dass Priklopil mit Kampusch bei der Eingangstüre zur Wohnung seiner Mutter Waltraud hineingingen bzw. auch hörte, wie Proklopil sagte "Geh schnell hinein".
28. Zu dem von Priklopil im Zeitraum vom 21.02.2003 bis 20.02.2006 erhaltenen wöchentlichen Taschengeld in der Höhe von einem Euro.
29. Hat Wolfgang Priklopil mit Natascha Kampusch während ihrer "Gefangenschaft" über einen Bekannten von ihm mit dem Vornamen "Josef" gesprochen (Bezug Aussage Thomas Vogel)?
30. Warum fragte sie den erstuntersuchenden Arzt Dr. Benes auf der PI Deutsch Wagram, wie lange man eine Schwangerschaft medizinisch nachweisen kann?
Unter dem Titel "weitere Anmerkung" heißt es dann noch wörtlich:
Es stellte sich bisher immer wieder die konkrete Frage, warum Wolfgang Priklopil am 02.03.1998 gerade die sich auf dem Schulweg befindliche Natascha Kampusch als Opfer auswählte.
Es steht fest, dass am 02.03.1998 gegen 06.45 Uhr die damals knapp 11-jährige Bettina H. ihre Wohnung in 1220 Wien, Melagasse X, auf dem Weg zur Schule verließ und über den Rennbahnweg in Richtung Wagramerstraße ging. Dabei habe sie ausschließlich den Gehsteig am Rennbahnweg, der sich gegenüber der damaligen Hundewiese befand, benutzt. Es steht fest, dass Wolfgang Priklopil sein für die Tat verwendetes Fahrzeug, den Mercedes Bus mit abgedunkelten Seitenscheiben, auf dieser Straßenseite in Fahrtrichtung Melangasse am Fahrbahnrand abgestellt hatte. Demnach muss Bettina H. auf ihrem Weg zur Schule an diesem Tatfahrzeug unmittelbar vorbeigegangen sein. Ihr selbst war, wie es sich bei ihrer Befragung am 04.06.2009 herausstellte, dieses Fahrzeug jedoch nicht aufgefallen. Ihren Angaben nach war sie damals völlig alleine unterwegs. Es stellt sich somit konkret die Frage, warum Wolfgang Priklopil die unmittelbar an seinem Fahrzeug vorbeigehende Bettina H. nicht entführte, sondern die später am Rennbahnweg in Richtung seines abgestellten Fahrzeuges gehende Natascha Kampusch an sich brachte und in das Fahrzeug zerrte.
H. Bettina war bekanntlich jene Zeugin, welche Natascha Kampusch beim Überqueren der Kreuzung Rennbahnweg - Panethgasse sah und auch kurz grüßte. Und auch sah, dass Natascha Kampusch ihren Schulweg auf dem Rennbahnweg fortsetzte. Kurze Zeit später war bekanntlich Natascha Kampsuch am Rennbahnweg Opfer von Wolfgang Priklopil geworden.
Unterschrieben ist der gesamte Amtsvermerk von Linzer CI und Kröll, Oberst
http://web.archive.org/web/20110521043012/http://diepresse.com/home/blogs/salonseeh/659779/Fall-Kampusch-ein-Justizskandal-Teil-13In Ihrer Zeugenaussage vom 13. 11. 2009, 13.25 Uhr sagt Natascha Kampusch in Anwesenheit von Mühlbacher, StA Ursula Kropiunig, CI Linzer, RA Ganzger und Schriftführerin Claudia F. u. a.:
Wenn ich gefragt werde, ob ich mir jemals überlegt habe, warum ich eigentlich entführt wurde: Ich habe mir das mehrfach überlegt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es dafür keine schlüssige Erklärung gibt. Ich fand das prinzipiell anmaßend und ungerecht. Ich hab Priklopil mehrfach gefragt, warum ich entführt worden bin und er hat mir mehrere verschiedene Antworten gegeben. Ursprünglich hat er, wie ich bereits das letzte Mal angegeben habe, von einer Lösegeldforderung gesprochen, auch dass es noch Mittäter gebe. Später hat er dann gesagt, er möchte nicht mehr darüber sprechen. Als Priklopil nach der Entführung längere Zeit im Kreis gefahren ist, hat er in sein Autotelefon Nummern eingetippt, er hat aber kein Gespräch geführt. Auch im Wald hat er dann Nummern in das Handy eingegeben und ebenfalls kein Gespräch geführt. Wenn ich das Ganze mit meinem heutigen Wissen, mit meiner heutigen Erfahrung sehe, habe ich nach wie vor keine Erklärung dafür, warum ich eigentlich entführt wurde. Ich bin derzeit so damit beschäftigt, erlittene Traumata sowohl durch die Entführung als auch frühkindliche aufzuarbeiten, dass ich mir über den Grund meiner Entführung derzeit eigentlich wenig Gedanken mache. Wenn Herr H. angibt, dass seit meinem Freikommen an die 100 Gespräche mit teils mehrstündiger Dauer (sic!), kann ich das nicht genau sagen, es könnten auch 70 gewesen sein. Meist hat er angerufen.
Auch wenn H. angibt, dass er bei mir im AKH gewesen ist, das ist richtig. Der Grund war, dass ich ihn sehen wollte, wissen wollte, wie er aussieht und ob er ein schlechtes Gewissen hat. Wenn H. behauptet, dass er meine aktuelle Handynummer hat und mir diese Nummer bekanntgegeben wird: das ist meine Nummer, es kann sein, dass ich es ihm gesagt habe, habe ihn aber gebeten, dass ich keinen Kontakt mehr haben möchte. Das hab ich deshalb gemacht, damit keine seltsame Optik entsteht. Ich werde nachschauen, seit wann ich mein neues Handy habe und das Hr. Linzer mitteilen, denn ich glaube, dass ich ungefähr um diese Zeit den Kontakt abgebrochen habe. Das ist sicher schon einige Zeit her, vor mehr als einem Jahr.