@rechtsfreakDanke Dir für Deine Antworten!
rechtsfreak schrieb am 19.12.2012:Aber ihr Vorgehen in letzter Zeit scheint nicht da zu sein um das Geschehene zu verarbeiten sondern mehr um ihr Vermögen aufzustocken....
Ein Trauma lässt sich nicht einfach so „verarbeiten“. Ein Trauma verlangt nach der richtigen Hilfe, die vom traumatisierten Menschen, u.a. in der Auswahl eines für ihn stimmigen Therapeuten, in der Geschwindigkeit die für den verletzten Menschen nötig ist und und und.... bestimmt werden muss, weil alles andere Null Sinn ergeben würde. Frau Kampusch wurde achteinhalb Jahre lang traumatisiert, Das war nicht EIN Schreckreflex, wie wenn z.B. ein Schlagzeuger, einen Meter hinter dem Rücken unverhofft zu spielen beginnt und man sich danach, zur Sicherheit, mehrfach umschaut, ob der vielleicht wieder anfängt.
Das waren achteinhalb Jahre, Tag und Nacht, jede Sekunde, körperliche, psychische und seelische Höchstleistung! Ohne je eine Minute davon, komplett entspannen zu können!
Zu keiner ihrer natürlichen Entwicklungen, konnte sie in dieser Zeit weder selbstständig noch selbstbestimmt etwas dazu tun. Kein einziges ihrer Gefühle in Ruhe und aufrichtig leben, keine freie Kommunikation führen....die Liste ist endlos und die Körperspannung entsprechend. Ab ihrer Entführung war sie gezwungen, ihr gesamtes Dasein, Tag und Nacht, bestimmt vom Täter, zu leben.
Es macht keine Unterschiede welche Allianzen sie eingegangen ist, sie waren alle erzwungen.
@insideman insideman schrieb am 21.12.2012:jedoch kann ich mir annähernd vorstellen, dass sie ihre Zukunft geplant hat
Ja was denn sonst? Wofür hätte sie sonst mit der Kraft von mehreren Olympionikinnen zusammen, ums Überleben gekämpft?
Natürlich für eine Zukunft und natürlich für eine bessere Zukunft!
Hätten wir uns, an ihrer Stelle, während der Gefangenschaft vielleicht gewünscht eine Fernsehkarriere machen zu können oder Sänger zu werden? Designer oder Politiker, Ingenieur oder Gärtner? Berufswünsche kann ich alle problemlos nachvollziehen. Die gehören zu den Dingen, die Gleichaltrige während dieser Jahre tun konnten und die genau während dieser Entwicklungszeit natürlich entstehen. Nebst dem sich Frau Kampusch wohl in jeder Sekunde, sich an einen anderen Ort gewünscht hat.
Was hätten wir uns, während so vieler Jahre in Isolationshaft um einen zwangsneurotischen, kriminellen Täter und in diesem Verlies gewünscht? Dass Leute, u.a in einem öffentlichen Forum uns anschliessend zum Täter des Essens machen? Uns als Lügner beschimpfen, an uns Forderungen stellen bevor sie gewillt sein wollen, uns Mitgefühl entgegen zu bringen? Uns als Geldgeil, Mediengeil und was alles Grässliche sonst noch betiteln? Hätten wir uns 400 Journalisten mit 800 Kameras gewünscht, die uns alle, am liebsten gleichzeitig, in die Ohren dröhnen und uns von allen Seiten im Blitzlicht haben wollen? Oder die erneute sofortige Abgeschirmtheit von unserer Familie, hin zum Studienobjekt? Hätten wir uns Medienkoordinatoren gewünscht? Professoren, „Kapazitäten“ die uns gleich unter befremdlichen Beschlag nehmen? Druck für die Öffentlichkeit....die will ja schliesslich wissen, was da war, oder hatte sie sogar ein Recht darauf???? Hätten wir uns Misstrauen, Kritik und Verurteilung gewünscht? Hätten wir uns gewünscht, dass Hinz und Kunz besser zu wissen vorgibt, wie es uns zu gehen hat, als wir selbst?
Wohl eher nicht, oder?
Ich zum Beispiel, hätte mir dringend ein stressfreies, respektvolles, zwangloses, herzliches und Trost spendendes Leben mit meinen Lieben gewünscht. Draussen in Ruhe Luft atmen, Licht und Natur sehen und fühlen können, meinen Körper endlich bewegen können, so oft ich möchte. Frei lachen, frei weinen, frei sprechen können, meine Kleider selbst aussuchen, die Zahnbürste, die Unterwäsche, Schuhe, einen Beruf, .... Tausend Ideen hätte ich schon noch... Tausend Dinge, die tun zu können, für uns so selbstverständlich zu unseren Tages-Wochen-Monats - und Jahresabläufen gehören. Und alles in Ruhe!
1000 Wünsche Richtung normales Leben.....doch wie hätten die in Isolationshaft und unter neurotischer Dauerkontrolle, alle gelernt werden sollen?
In Freiheit die sachlichen Wünsche (weiterhin unter Dauerbeobachtung, dieses Mal vom Publikum) ausführen zu lernen ist schon enorm viel. Hinzu kommen, viel wichtiger und dominanter in der Verletztheit, die Gefühle. Der Täter hat auch ihre Gefühle manipuliert. Seine Intention war von Beginn an, sie nach seinem Gusto zu formen, das ist hinreichend bekannt. Niemand kann sich dem über einen so langen Zeitraum widersetzen. Schon gar kein Kind und schon gar nicht, wenn dazu noch Gewalt ausgeübt wird und gelogen wird, dass sich die Balken biegen und das alles noch in Isolation!
Da steht ein Mensch, der achteinhalb Jahre eine komplett andere, als die ursprüngliche ihm eigene Biographie leben musste, plötzlich einer Öffentlichkeit gegenüber, für die er, weder zu der praktischen Umgebung noch für sonst irgend etwas, trainieren konnte......und wird mit Forderungen, schlicht überrannt.
Noch wenn Frau Kampusch beschlossen hätte, nach ihrem 18. Geburtstag zu fliehen, so kann eine Erklärung dafür, leicht in den Lügen des Täters zu finden sein (...deine Eltern wollen kein Lösegeld bezahlen...deinen Eltern bist du egal geworden...usw.). Noch wenn sie bereits in Gefangenschaft beschlossen hätte, dass die Öffentlichkeit darüber Bescheid wissen sollte, so lässt sich das leicht damit erklären, welche Wut sie in den Jahren unterdrücken musste.
Es gibt für mich nicht den geringsten Anlass, Frau Kampusch zu misstrauen. Im Gegenteil! Ich käme mir dabei vor, wie wenn ich die Musterung des Täters wiederholen würde.
@gardner Sind Deine Fragen damit hinreichend beantwortet?
(Oder stell Dir vor, Du lebst 18 Jahre in Wien und weisst nicht wo und wie Du an eine Fahrkarte für das Tram kommst, geschweige denn, welche Routen die fahren oder wie viel die für wohin, kosten.)
Extra für Dich, ein Miniaturbeispiel zu den tausenden sachlichen Herausforderungen.
Und zu der Selbstbestimmung noch eine kleine persönliche Beobachtung an mir selbst.
Früher habe ich Krimis gelesen und sie konnten nicht schauerlich genug sein. Seit ich mache was ich mache, kann ich keine mehr lesen. Sie widerstreben mir, weil die in Krimis beschriebenen Gräueltaten, real näher an mich heran gerückt sind.
Ich könnte jetzt weiterhin Krimis lesen und mich nach jedem, Hasserfüllt über den Autor hermachen. Würde das Sinn ergeben?