Achtjährige war jahrelang in Attendorn eingesperrt
19.11.2022 um 04:21emz schrieb:Die sollten also zunächst erst mal nur bei den Großeltern "klingeln". Verabsäumt wurde dann aber offensichtlich, dieses Ergebnis an die Polizei weiterzugeben.Die Polizei hatte ja aber die Hintergrundinformationen alle nicht bekommen und forderte das Jugendamt daher auf, selbst zu recherchieren und selbst zu fragen. Das heißt doch nicht, dass sie die Gesetze nicht umsetzen sollen. Recherchieren heißt doch genauso, alle Beteiligten zu befragen.
Und tatsächlich hätte es ja auch sein können, dass das Jugendamt in das Haus der Großeltern hineingelassen worden wäre.
Dennoch ist aber doch der ausschlaggebende Aspekt, dass sowohl das Jugendamt selbst wie auch die Familienministerin darauf hinweisen und eingestehen, dass die Verfahrensanweisungen nicht eingehalten wurden. Das ist und bleibt doch der ausschlaggebende Punkt.
emz schrieb:Wenn ich mir nun anschaue, von welcher Qualität diese beiden anonymen Hinweise waren, dann habe ich durchaus Verständnis dafür, dass beim Jugendamt nicht gleich die Alarmglocken losgingen und das große Besteck aufgefahren wurde:Gibt es Qualitätsstandards für anonyme Hinweise auf Kindeswohlgefährdung? Muss man dazu Schulungen besuchen?
Es muss jawohl jeder Hinweis auf Kindeswohlgefährdung ernst genommen werden.
Ich finde Deine Aussage, ehrlich gesagt, inakzeptabel.
Und wie das Jugendamt bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorzugehen hat, ist ja im Sozialgesetzbuch VIII § 8a (1) und (3) mehr als ausreichend und eindeutig vorgeschrieben. Und die Verfahrensanweisungen, von denen die Familienministerin und das Jugendamt sprechen, werden diese Vorschriften berücksichtigen und allen Jugendamtsmitarbeitern vorschreiben. In jedem Fall sind die Erziehungsberechtigten zu involvieren und einzubeziehen. Erstens, um die Einschätzung der Gefährdung vorzunehmen. Und zweitens, um die Polizei überhaupt tätig werden lassen zu können.
Die Polizei hat also vollkommen richtig gehandelt, als sie das Jugendamt aufforderte, doch erst einmal selbst zu recherchieren. Denn das bedeutet, eine Gefährdungseinschätzung gemeinsam mit den beiden Erziehungsberechtigten vorzunehmen und gemeinsam mit diesen auch auf die mögliche Einbeziehung der Polizei hinzuwirken. Vorher darf die Polizei also gar nicht tätig werden, sofern nicht eine akute Gefahr besteht. Das Jugendamt hat da alles versäumt, was nur zu versäumen geht.
Recherchieren heißt hier also, was sagen alle Erziehungsberechtigten zur Kindeswohlgefährdung und was sagt das Kind zur Kindeswohlgefährdung. Man kann selbstverständlich ebenso zusätzlich auch die Großeltern befragen, aber das ist nicht der vorgeschriebene und unbedingt einzuhaltende Weg.
Darüber hinaus hatte man ja von der Krankenkasse die Aussage erhalten, dass für das Kind freiwillig in Deutschland Beiträge gezahlt werden, was ja nun ein eindeutiger Hinweis auf einen Aufenthalt in Deutschland und nicht in Italien ist.
Des Weiteren wurden Aussagen von mehreren Personen getätigt, man habe die Mutter in Attendorn gesehen. Und es wurde eine offizielle Anfrage des Sozialdienstes in Italien angeregt.
Trotzdem wurden weder eine Meldung der Gefährdung noch eine Einschätzung der Gefährdung noch eine Dokumentation des Ausschlusses der Gefährdung in der Fallakte vorgenommen. Im Gegenteil, Hinweise auf mögliche Gefährdung wurden gar nicht umfassend dokumentiert. Die Gespräche bzw Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und des Kindes geschah gar nicht. Das Amt und die Familienministerin haben also Recht, indem sie sagten, die Verfahrensanweisungen wurden nicht umgesetzt. Also ist dies der wesentliche Punkt.
Hätte man nach dem ersten anonymen Hinweis die Gefährdungseinschätzung gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten vorzunehmen versucht, hätte man vermutlich schon sämtliche Antworten erhalten und das Kind aus dem Haus der Großeltern befreien können.
Hätte man, wie SGB VIII § 8a (3) es vorschreibt, zum Tätigwerden der Polizei und eben auch nach Aufforderung der Polizei zur Recherche der Gefährdung auf die Inanspruchnahme durch die Erziehungsberechtigten hingewirkt, wäre spätestens da die Wahrheit ans Licht gekommen und das Kind befreit worden.