Grüß Gott in die sachliche und vielfach angenehm fachkundige Runde. Interessant-mysteriöse Geschichte was mich veranlaßt hat, nach langer Zeit wieder einen Beitrag in diesem Forum einzubringen.
Nun denn:
Bei allen Überlegungen und daraus folgenden Ansichten die letztendlich tot am Baum hängende junge Frau betreffend, sollten wir nicht die Reihenfolge der Geschehnisse außer acht lassen. Und da steht dieser traurige Umstand -abgesehen von der nachfolgenden kriminalistisch-kriminaltechnischen Arbeit- ganz am Ende einer zeitlich kurzen Reise über eine geografisch weite Strecke. Darauf ist sich erstmal zu konzentrieren!
Und nicht, ob nun die Verstorbene nah an Baum und Borke oder zwei Zentimeter höher respektive tiefer vom Erdboden entfernt, zu hängen gekommen ist. Ob ihr Gesicht im Moment des Todes "friedlich" oder erst im Nachhinein "befriedet" wurde. Oder gar Flecken an Haut und Hose besonders (tat)relevant sind. Beides im Übrigen ganz normale Erscheinungen im Todesfall; jeder Jungmediziner kennt den Spruch: "Urin und Kot gehen ab, bis nichts mehr drin ist!". 🙄 Das bringt uns also nach meinem Dafürhalten in dieser "Anfangsphase" nichts.
Ein weiteres Sprichwort hingegen -und im besten doppeldeutig-wortwörtlichen Sinne- paßt: "Der Weg ist das Ziel!". Der Weg nämlich von der Großstadt Florenz, in das mit gerade mal wenig mehr als 1000 Bewohnern überschauliche Portbou. Was die kleine Gemeinde aber zum Zeitpunkt unserer Geschichte besonders hervorhebt, ist -neben der unmittelbaren Grenznähe zu Frankreich- ihre wichtige verkehrsmäßige Stellung im Bahnverkehr. Bereits 1872 wurden die Eisenbahnlinie und der internationale Bahnhof des Ortes eingeweiht. Neben einem weiteren Eisenbahnknotenpunkt an der Atlantikküste, der wichtigste Grenzbahnhof zwischen Spanien und Frankreich. Das bringt Leben in solch ein "Nest" - aber auch Unruhe und... - Kriminalität. Anonyme Menschen, Güter und Waren kommen und gehen; steigen um oder werden weiterversandt und verteilt. Das alles möglichst innerhalb kurzer Zeit - Verspätungen und Stillstand sind bei der Bahn nicht gerne gesehen. Kann mir das Leben seinerzeit dort eher "wuselig" vorstellen; wer nach Portbou reist kommt nicht um zu bleiben - sondern zum Umsteigen in andere Züge nach anderen Orten.
Meine Schilderung gestalte ich deshalb so ausführlich, weil sich hier eine der wichtigsten, ja wenn nicht sogar die wichtigste Frage des Falles stellt: Was treibt eine junge, unbescholtene Südtirolerin dazu, sich offenbar spontan den Strapazen einer vollkommen unvorbereiteten Tag- und Nachtreise(!) auszusetzen? Das ist der Schlüssel für weiterführende Ermittlungen zur Lösung des Falles! Gleich - ob nun -früher oder später- aus eigenem Willen oder durch fremde Hand um's Leben gebracht...
Dies ist mir bislang in der Diskussion zuwenig hinterfragt worden.
Wem ist Evi Rauter in Florenz begegnet? War es jemand, den sie bereits kannte? Von daheim - oder erst in der Toskana getroffen? Und dann einen Tag vor ihrem Lebensende, schon auf dem "Kurztrip" von ihrer Schwester nach Siena, wieder über den Weg gelaufen? Eine oder mehrere Personen - gar die "österreichischen Jungen im Van" wie sie in der Berichterstattung genannt wurden? Die campierten nach ihrer Ankunft gegen 3.°° Uhr, in unmittelbarer Nähe zum Auffindeort. Und wurden morgens um 8.°° Uhr von der Polizei geweckt, nachdem die Tote gefunden worden war. Wer waren diese "Jungen"? Hört sich ja fast wie ein "Erlebnisurlaub" von Heimzöglingen in Spanien an. Woher kamen sie, wohin wollten sie? Wer fuhr das Fahrzeug? Gab es erziehungsberechtigte Begleiter, welche auch den "Van" fuhren...? Wichtige Fragen über Fragen...
Und nicht, ob der Strick nun rechts- oder linksgewickelt war.
Bedanke mich für die Aufmerksamkeit!
seli schrieb am 25.05.2022:"Was mir aber auch aufgefallen ist sind die Haare, die so fein säuberlich über die Schlinge gezogen wurden, ist man dazu noch im Stande, oder denkt an sowas ?"
Bei nicht wenigen Personen die den Freitod suchen, ist Sauberkeit und korrektes Aussehen vor dem "letzten Schritt", offenbar extrem wichtig. Da wird zuvor geduscht oder gebadet, Körperpflege und -hygiene betrieben, sich in das schönste Kleid oder den besten Anzug gewandet. Andererseits und ebenso häufig festzustellen, wird ganz bewußt jedwede Möglichkeit der späteren, raschen Identifikation versucht zu verhindern. Das Kraftfahrzeug an entfernten Orten abgestellt, Personalpapiere vernichtet - ja selbst "verräterische" Aufnäher aus der Bekleidung entfernt. Und auch Schmuckstücke von vornherein daheim gelassen.
bartlebee schrieb am 25.05.2022:"Dagegen spricht aber prinzipiell das Sozialverhalten einer ganzen Gruppe. Es muss doch mindestens eine/n mit Gewissen gegeben haben, der sich gegen diese Idee ausgesprochen hätte, sie zu hängen anstatt vielleicht ein Spital aufzusuchen."
Kommt auf Sozialverhalten und Gruppe an. 😉 Da werden -als Extrembeispiel- womöglich fern der Heimat reisende und gar vorbestrafte Jugendliche aus dem Erziehungsheim, einen anderen Zusammenhalt und eine andere Verschwiegenheit verinnerlichen, als Gleichaltrige der "Katholischen Landjugend". Um es überspitzt darzustellen.
bartlebee schrieb am 25.05.2022:"Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine ganze Gruppe so lange problemlos schweigen kann."
Sie kann. "Abgebrühte" Heimkinder sicher mehr als fromme Ministranten auf Pilgerfahrt. Und jeder Tag, an dem begangene, unentdeckte Verbrechen mehr in die Vergangenheit rücken, steigert den Willen zur Verschwiegenheit. Bis hin zum "kollektiven Vergessen" Je schlimmer das Vergehen, umso stärker der Zusammenhalt. Bei Eigentumsdelikten bis hin zum schweren Raub, mag der eine oder die andere im Alkoholrausch vielleicht noch geschwätzig werden und prahlerisch angeben. Bei Vergewaltigung oder Straftaten gegen das Leben wird eigentlich nur in Momenten der Reue und im engen Familienkreis -nicht selten auch unter Tränen- berichtet. Meist nach Jahren bzw. Jahrzehnten oder gar erst auf dem Sterbebett. Das ist dann oft die "große Stunde" der Ermittler von "Cold Cases". Die durch letztendlich vollkommen Unbeteiligte (außer der Bekanntschaft zum Täter) auf die Sachlage hingewiesen werden.
bartlebee schrieb am 25.05.2022:"Aber ich habe bereits in einem vorherigen Post gelesen, dass diejenigen, die ausgeforscht wurden, sich nun wenig kooperativ zeigen (a la "Wir wissen nix und wollen auch nicht mehr darüber reden"). Wäre bei mir ein Polizist, der einen Mord von vor 30 Jahren aufklären möchte, würde ich versuchen, alles zu tun, um diesen aufklären zu lassen. Außer wohl, ich hätte "Dreck am Stecken".
Brav. 😊 Wenn ich richtig gelesen habe, waren sie gegenüber der Presse schweigsam. Das ist rechtlich wie moralisch überhaupt nicht zu beanstanden; da würde ich auch den Mund halten. Schon gar nicht, wenn in solcherlei Zusammenhang, nach weiteren Namen und Anschriften gefragt wird!
Anders verhält es sich (in Deutschland) bei polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Befragungen. Da ist der Unterschied zwischen Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmung wichtig! Profan gesagt, kann ein Tatverdächtiger "lügen, bis sich die Balken biegen" (oder auch die Aussage verweigern). Der Zeuge einer Straftat hingegen ist verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Natürlich nur, wenn er sich (oder Familienangehörige) dadurch nicht selber einer strafrechtlichen Verfolgung in der befragten oder anderer Sache(n) aussetzt.
Kaietan schrieb am 26.05.2022:"Bekannt ist z.B. der Mordfall an einer Deutschen, die 2018 in Sachsen zu einem Trucker ins Fahrzeug stieg und dann Tage später in Südspanien ermordet aufgefunden wurde. Der Trucker hatte sie kurz nach dem Zusteigen ermordet und die Leiche dann bis nach Spanien mitgenommen, um Spuren zu verwischen. Undenkbar, dass hier etwas ähnliches passiert ist und die Mitfahrgelegenheit nach Siena (oder wohin auch immer) Mordspuren verwischen wollte und konnte?"
Durchaus so denkbar, wie Du es beschreibst. Muß jetzt natürlich kein LKW-Fahrer sein, sondern auch in anderen (größeren) Fahrzeugen ist ein solches Szenario von Tötung und Transport eines Menschen möglich. Beim LKW kommt nämlich ganz besonders der Zeitfaktor in's (in diesem Falle) "mörderische Spiel". Da wird natürlich schon mal nachgefragt, warum laut Tachoscheibe da und dort "außerplanmäßig" gehalten wurde. Womöglich auch noch für länger...
loisel schrieb am 26.05.2022:"Für mich der wichtigste ansatzpunkt:
Wie und mit wem kam sie da hin?"
Für mich auch. Das ist die grundsätzliche Frage, auf deren Beantwortung alle weiteren Überlegungen aufgebaut werden müssen. Anders geht es nicht.
Capitano schrieb am 27.05.2022:"Die Frage ist, was soll es bringen wenn in Spanien ein Mord schon verjährt ist?"
•Trauerbewältigung und positive Genugtuung für die Angehörigen.
• Wahrung des Rechtsstaates und des Rechtsempfindens der Bevölkerung.
• Steigerung der Polizeiarbeit eigener und anderer Dienststellen.
Darüberhinaus handelt es sich bei Evi Anna Rauter um eine ausländische Staatsangehörige. Auch wenn sich das erst später herausstellte. Da ihr Heimatland andere Gesetze hat, welche eine Mordermittlung auch nach so langer Zeit zulassen, sollte sich Spanien -und nicht nur aus moralischen Gründen!- nicht sträuben, an der Aufklärung eines schlimmen Verbrechens tatkräftig mitzuwirken.
Justreading schrieb am 27.05.2022:"Letztendlich habe ich es mit einigen anderen Bildern verglichen und ja , das Bild von Evi Rauter hat ein alleinstellungsmerkmal: der Hintergrund ist unscharf gestellt. Für Polizeifotos absolut unüblich"
Wo Du es jetzt schreibst... 👍
Sehr wahrscheinlich wurden allerdings mehrere Aufnahmen gemacht, darunter auch solche mit unterschiedlicher Tiefenschärfe. Und natürlich solche der Umgebung. Hoffentlich...
Corydalis schrieb:"Ungefähr zeitgleich zum Leichenfund wurde in der Nähe ein verlassener VW Golf mit italienischen Nummernschildern gefunden, der als Fundsache behandelt und letztlich versteigert wurde. Weil man nicht wusste, dass es sich bei der Unbekannten um eine Italienerin handelt, wurde keine Verbindung in Betracht gezogen."
Und wenn die Verstorbene, ihre Bekleidung und Habseligkeiten samt Seil auch "abhandengekommen" sind, sollten doch zumindest Vor- und Letztbesitzer des Wagens ermittelbar sein. Wenn schon damals aus Fahrlässigkeit nicht, dann doch heute zur Aufklärung eines -möglichen- Mordfalles.
keeprunning schrieb:"Das Genick bricht man sich in der Regel beim Erhängen nur bei scharfrichterlich korrektem Vorgehen."
Der eindrucksvollste Satz des gesamten threads. 👍 Meinen Dank dafür! 😄
PS: Habe es allerdings auch schon -stümperhaft gemacht- anders erlebt... 😶