Bianca (26 Jahre) aus Oranienburg ermordet aufgefunden
01.03.2022 um 20:13
So, nun geht es weiter mit meinem Bericht. Zugegebernermaßen haben mich auch die Weltgeschehnisse ziemlich aus der Spur gebracht und es ist doch wieder so eine krasse und tieftraurige, menschliche Absurdität, wie einerseits die Tötung eines einzelnen Menschens so detailliert untersucht und betrachtet wird, wie im Fall von B. (was richtig ist) und andererseits gerade mal wieder tausende Menschen einfach mal so getötet werden ohne dass es in individueller Weise gewürdigt wird .
Sorry, für diesen kleinen off-topic Einwurf ....ich fahre fort mit meinem Bericht von dem Verhandlungstag 22.02.22
Nach dem 2h Plädoyer des Staatsanwaltes, folgte die Anwältin der Nebenklägerin, B.'s Mutter.
Sie folgte im Prinzip allen Punkten des Staatsanwaltes und fasste sich daher wesentlich kürzer. Sie fokussierte nochmal sehr intensiv auf das für sie naheliegendste Motiv (RUHE herstellen) . Sie sprach dabei den Angeklagten so an, dass dieser tatsächlich mal Blickkontakt aufnahm und diesen ihr gegenüber auch etwas länger hielt. (Sie sagte dann so etwas, wie "schön, dass Sie mich anschauen Herr Lindemann. Das ist das erste Mal in diesem Prozess, dass Sie das tun ....er rollte dann mit den Augen und schaute doch wieder nach vorne).
Sie erläuterte das Ruhemotiv auch anhand der Zeugenaussagen, vor allem der der Mutter, die verdeutlichte, wie sehr der Familienfrieden gestört war durch B. ( aus Sicht der Zeugen).....im Saal anwesende Freunde und Familie von B. hatten da schwer zu schlucken.
Als Ergänzung zu den Ausführungen des Staatsanwaltes führte sie noch diese Argumente an, die gegen eine Affekttat sprächen:
- die unterschiedliche Wucht der Stiche. ...manche waren extrem heftig, andere eher oberflächlich....der Stechbeitel hätte bei den heftigen festgesteckt, so dass es Zeit gebraucht habe ihn wieder rauszuziehen und erneut zuzustechen. Dies hätte Besinnungsmomente geschaffen, die aber eben bewusst ignoriert worden wären.
- zudem sind die meisten Stiche von hinten ausgeführt ....sie hält es auch nur für schwer vorstellbar, dass der Stich am Hals von vorne ausgeführt wurde, viel eher ist davon auszugehen, dass B. schnell fiel und dann die weiteren Stiche im Liegen beigebracht wurden (das war eine Variante, die die Gerichtsmedizin für möglich hielt, für die Anwältin die wahrscheinlichste)
Zur Beziehungsdynamik sagte sie, dass B. und K. einfach nicht zusammen passten und sie sehr wahrscheinlich der Sex zusammenhielt. Zudem führte sie an, dass K. sich gut selber einschätzen kann und beschrieben hat. Er wäre eben nicht, wie B. flippig ...daraus hätten sich zahlreiche Probleme ergeben und er wäre sauer darüber gewesen, dass B. sich nicht an die Spielregeln halten wollte. (Motiv)
Sie hielt den Fokus im Folgenden auch noch auf die Tatwaffe, den Stechbeitel: Ihrer Meinung nach, hat er ihn selbst bei Frau K. hinterlegt. Es waren von Frau K. ja keinerlei Spuren dran (gut, von ihm und B. ja auch nicht aber irgenwie schien ihr Fokus bei Frau K. zu liegen.
Sie betonte immer wieder, dass ihre Position es erlaube zu spekulieren und Szenarien zu entwerfen. So beschrieb sie den Tattag auch in der Variante, dass K. B. zum Bunker lockte, diese wäre ihm überallhin gefolgt auch an Plätze, die sie eigentlich nicht mag ( Teilbestandteil des Arglosigkeit Arguments)
Außerdem gab sie an, verwirrt gewesen zu sein über die Art wie einzelne Sachen von B. aufgefunden wurden. Warum sie so zerstreut im Wald lagen. " Sollte das so sein Herr Lindemann, wollten Sie es wie einen Überfall aussehen lassen? Sagen Sie es uns " Natürlich zeigte er keinerlei Reaktion.
Ansonsten alles faktische identisch mit der Argumentation des SA.
Nun, das Plädoyer des Verteidigers:
Hier hielten erstmal alle die Luft an als dieser sagte: "Mein Mandat hat die Geschädigte getötet, daran besteht auch bei mir kein Zweifel"
Sehr wohl habe er aber Zweifel daran, dass es ein Mord war.
Allgemein bemängelte er, dass viel spekuliert worden wäre, man defacto aber nicht wirklich weiß, wie die Situation im Bunker gewesen ist.
Dann bemängelte er, dass über die psychischen Belastungen des Angeklagten einfach so hinweggegangen wurde und als nichtig deklariert wurde.
Er bemühte sich dann noch einmal deutlich zu machen, wie schwerwiegend diese doch seien
Er gab z.B. an, dass es zu dem "sexuellen Mißbrauch" Jugendamtseinlassungen gäbe und deswgen ja auch Hilfen damals anberaumt wurden (der psychologische Gutachter gab ja an, dass er keinerlei dokumentierte Nachweise für den Mißbrauch vorgefunden hätte und auch die Mutter keine konkreten Angaben machen konnte...fand ich deswegen schon komisch, dass er damit jetzt kam und keiner irgendetwas sonst dazu wusste)
Sein Mandant wäre nicht sehr durchsetzungsfähig, zudem habe er eine große Empfindlichkeit (er verwies auf den Gutachter, der eine Akzentuierung schizoider Persönlichkeitszüge attestierte aber sehr deutlich sagte, dass es keine Qualität einer Persönlichkeitsstörung wäre)
Problemen würde er aus dem Weg gehen wollen und mit Rückzug reagiert.
B. dagegen wäre (und hier verwies er rätselhafter Weise auch auf den psychiatrischen Gutachter, der aber gar nichts zu B's Persönlichkeit sagte, es war nur 1 Zeuge, ein Arbeitskollege von K. der so von B. sprach) zwar stimmungslabil aber sehr durchsetzungsfähig gewesen.
Mit anderen Worten: K. war B. unterlegen und deswegen versuchte er sie zu meiden, diese ließ das aber nicht zu.
Aus seiner Sicht spreche die online Suche nach dem Bunker nicht für eine Tatplanung sondern wäre vorgenommen worden, weil K. ja einen freien Tag hatte und diesen mit einer Fahrradtour verbringen wollte, er wäre auf der Suche nach lost places gewesen
Seinen Stechbeitel hatte er dabei, weil er immer eine Art Werkzeug dabei hatte und auch diesen Stechbeitel (da habe ich mich immer gefragt, wie sie darauf kommen, denn die Zeugen sprachen eigentlich eher von Messern und Fahrradwerkzeug) ...angeschliffen wäre dieser, weil K. ihn eben auch als Werkzeug in anderen Kontexten benutzen wollte.
Dass B. " arglos " in diesen Treffen gegangen wäre hält er für ausgeschlossen. Zum einen argumentierte er mit ihrem Nichtbescheidsagen (sie habe bewusst das Treffen verheimlicht, weil sie wusste, dass andere sie davon abhalten würden, weil K. eben aggressiv werden kann) und mit ihrer Kenntnis über K.'s Verhaltensweisen. Sie hatte schon oft Streit mit ihm und wusste, dass er auch aggressiv werden kann (Kellertreppe). Sie habe sich bewusst diesem Risiko ausgesetzt.
Zudem halte er es für wahrscheinlicher, dass der Bunker eher für B's Zwecke, eine mehr oder weniger erzwungene Aussprache geeigneter war (im Bunker konnte K. nicht wegrennen) und so entwarf er das Szenario, dass auch K. schon anbrachte, dass er wegwollte und sie ihn aufhalten wollte. Deswegen wären auch Fasern seiner Kleidung unter ihren Fingernägeln gefunden worden ( auch sehr komisch, denn ich hatte mir notiert beim Verlesen der Textilanalyse, dass diverse Kleidungsfasern unter B's Fingernägeln gefunden wurden aber KEINE K.'s Kleidung zuzuordnen war.)
Er entwarf das Szenario eines extremen Streites (emotionale Auffladung) , welcher auch wegen der Lautstärke und der zusätzlichen Enge des Bunkers so einen extremen Stress bei seinem Mandanten hervorgerufen hätte, dass er eben doch im Affekt und in Besinnungslosigkeit die Tötung vornahm (hier widersprach er auf völlig unfachliche Weise den sehr fachlichen und sehr konkreten Aussagen des Gutachters)
Er führte dann noch anhand der Spuren und forensischen Erkenntnisse aus, warum er dies für naheliegend hält.
Dies kam mir aber so hanebüchen vor, dass ich es mir ehrlich gesagt, gar nicht gemerkt habe. Im Prinzip kann man sagen, er deutete alles um .
Am interessantesten an seinen Ausführungen war die Reaktion des Angeklagten: zum ersten Mal bemerkte man so etwas wie Emotion bei ihm. Er war die ganze Zeit hochrot, sein Kehlkopf vibrierte, so als müsste er Tränen unterdrücken (meine Begleitung meinte, er würde auch weinen- ich konnte das nicht so genau sehen, dafür saß er dann doch zu weit weg, möglich ist es aber.)
Es könnte dafür sprechen, dass die Schilderungen des Anwaltes tatsächlich eine Art Wiedererleben hervorbrachten und der Angeklagte sich in den Ausführungen wiederfand.......allerdings wirkte es auf mich eher wie Selbstmitleid.
Reue oder Bedauern zeigte er nämlich an keiner Stelle.
Er hatte ja das letzte Wort und das einzige, was er mit piepsiger Stimme sagte, war: ich möchte mich meinem Anwalt anschließen.
Was bedeutet: er gesteht die Tat ein.....und trotzdem richtet er nicht eine Silbe an die Hinterbliebenen ....krass!
Dann gab es eine ca. 2h Pause bevor es zur Urteilsverkündung kam
Als sich alle zu 15:30 Uhr wieder zusammenfanden, war es so gespannt ruhig, dass es kaum auszuhalten war.
Dann kam die Ansage, dass das Urteil auf Totschlag lautet und ich dachte nur " Oh nee, nicht wahr"
Die Begründung fing auch damit an, dass der Angeklagte ja eine Persönlichkeitsstörung hätte ( der Gutachter hatte genau DAS ausgeschlossen, fand ich so ärgerlich, wie sich die Kammer einfach über die fachliche Einschätzung hinwegsetzte und selber fachsimpelte")
Er hätte keinerlei Bewältigungsstrategien für solche Situationen gelernt, war überfordert
Es wurde auch nochmal konstatiert, dass hier zwei Menschen zusammen waren, die unterschiedlicher nicht sein konnten und deren einziger Beziehungspunkt vermutlich der Sex war, den beide mit entsprechenden Vorlieben genossen . Man bestätigte nochmal, dass die Sexpraktiken noch im Normbereich lägen.
Ansonsten folgten die Argumente vorrangig der Verteidigung:
- es wurde viel spekuliert aber weder die Art wie die Begegnung hergestellt wurde noch was genau sich abspielte, ließ sich eindeutig rekonstruieren
- der Richter ging davon aus, dass für diesen Tag eigentlich nur B. Pläne hatte und sich das Treffen spontan und aus dem Tagesgeschehen heraus entstand
- es sei naheliegend, dass der Bunker als lost place gegoogelt wurde und auch, dass der Stechbeitel dabei war ist naheliegend, da es zu K.'s Gewohnheiten gehörte. Zudem würde es wenig Sinn ergeben, einen Stechbeitel extra anzuschleifen, da K. ja auch Messer habe und diese grundätzlich geeigneter und naheliegender wären für einen geplanten Mord
- zum Tathergang kann man nichts eindeutlges sagen aber die These, dass K. fliehen wollte bzw. sich dem Gespräch entziehen wollte, wäre nachvollziehbar, da es seinem Grundverhalten und der vorausgegangenen Beziehungsdynamik entsprechen würde
- jedoch ist eindeutig eine Tötungsabsicht zu erkennen und auch eine Affekttat wurde ausgeschlossen
Man kann jedoch nicht eindeutig wissen und belegen, dass sie geplant war
Das Mordmerkmal Heimtücke sei nicht gegeben, da
- nicht davon auszugehen ist, dass B. arglos war, da sie den Angeklagten und dessen Verhalten gut gekannt habe - bewusstes Risiko eingegangen (hier wurde also auch der Argumentation des Verteidigers gefolgt, was mich richtig ärgerte, da man hier dem Opfer indirekt quasi mehr Verantwortung zuschiebt als dem Täter, der ja so wenig Bewältigungsstrategien hat ....zudem ist es ja auch sehr spekulativ...das Einzige, was ich nachvollziehbar finde ist , zu sagen: man kann nicht eindeutig feststellen, dass B. arglos war und darum ging es wohl letztendlich auch)
- man wisse auch nicht genau, was sich vor dem Bunker abspielte und wie B. in den Bunker kam, auch hier gäbe es verschiedene Interpretationsspielräume und man kann nicht eindeutig davon ausgehen, dass B. arglos war
Daraus folgt, dass auch die Ausnutzung von Arglosigkeit möglich aber nicht eindeutig feststellbar ist.
Deswegen bliebe nur Totschlag als Straftatbestand, dieser wäre aber so schwerwiegend, dass er im oberen Strafmaßbereich liegt.
Es gäbe wenig, was zu Gunsten des Angeklagten sprechen würde (eigentlich nur, dass er vorher nicht derartig straffällig war) und vieles gegen ihn:
-zielgerichtetes Handeln mit hoher krimineller Energie , daher keine Affekttat
- er wusste, zu welchen Reaktionen er neigt, hätte sich daher gar nicht mit B. an so einem Ort treffen sollen (hier doch mal etwas Verantwortungszuschreibung an den Angeklagten)
- es wäre möglich gewesen die Situation auch ohne Tötung zu lösen (hätte sie wegschubsen können)
- sein Nachtatverhalten (keine Hilfe, normales Leben weitergeführt, Strafvereitelung)
-und vorallem keinerlei Anzeichen von Reue. Die emotionale Teilnahmelosigkeit würde betroffen machen und die Kammer ratlos zurücklassen. Der Richter: Vorher so viele Emotionen und nun plötzlich gar keine mehr sondern nur Leere
Er klärte dann noch auf, dass niemand den Verlust der Getöteten widergutmachen kann , die Justiz aber für Rechtsfrieden zu sorgen habe.
Der Zeitraum des Strafmaßes solle auch Herrn Lindemann dienen, Hilfe anzunehmen und an seinem Verhalten zu arbeiten
Kosten gehen zu seinen Lasten
Dann noch die Belehrung über die Revisionsmöglichkeit
Und damit war es zu Ende und jeder versuchte das alles für sich einzuordnen. Die Fernsehleute und andere Journalisten stürzten sich auf die Prozessbeteiligten. Vor dem Saal wurden Freunde von B. interviewt...alle zeigten ihre Unzufriedenheit mit dem Urteil.
Nun darf man gespannt sein, was der BGH befindet und ob es noch mal zu einer weiteren Verhandlung kommt.