LARA43 schrieb:Wie sieht die rechtliche Lage für den 26 jährigen aus, der Leonie mitten in der Nacht gefahren hat? Gibt es da keine Konsequenzen? Falls er nicht wusste, wo Leonie wohnte, dann hätte er sie zu mindestens zu der nächsten Polizeistation fahren müssen. Ich rede nicht von der moralischen Seite, sondern von der juristischen Seite.
Das ist eine gute und relativ komplizierte Frage, die in die Tiefen der Rechtspraxis dringt. Prinzipiell gilt eine naturwissenschaftliche Grundfrage: Ist die Handlung so, dass sie nicht weggedacht werden kann, ohne dass der Taterfolg nicht eingetreten wäre: Hier also die Frage: wenn er Leonie nicht nach Wien gefahren hätte, wäre sie dann von den Tätern umgebracht worden? Vermutlich wird man die Frage positiv beantworten können, und damit könnte man das Verhalten des Fahrers als ursächlich für ihren Tod annehmen.
Wäre das die einzige Regel, dann würde man im richtigen Leben aber schnell dazu kommen, dass für eine beliebige Tat, hunderte, wenn nicht tausende Ursachen und damit "Schuldige" gefunden würden. Ein einfaches Beispiel kann das erklären:
Josef und Alois sitzen in der Kneipe und trinken. Alois ist so besoffen, dass er dem Josef eine halbe Mass Bier über die Hose kippt. Josef ärgert sich darüber, denn er wollte diese Hose am Wochenende zur Hochzeit seiner Nichte Zenzi anziehen. Eigentlich war sie ganz sauber. Nun fährt Josef am nächsten Tag anstatt direkt zur Arbeit noch schnell in die Innenstadt, um seine Hose bei der Reinigung abzugeben, was ein Umweg ist. In der Innenstadt, auf dieser Fahrt, wird Josef vom ebenfalls betrunkenen Franz gerammt. Ist nun Alois an dem Unfall Schuld oder wenigstens mitschuldig? Hätte Alois nicht das Bier auf die Hose gekippt, wäre Josef nicht in die Stadt zur Reinigung gefahren und wäre nicht von Franz gerammt worden. Fünf Tage vorher hatte Zenzi aber mit einer Zigarette ein Loch in die einzige andere Hose des Josef gebrannt. Die hätte er alternativ angezogen und wäre nicht vor der Arbeit noch schnell zur Reinigung wegen seiner nun einzigen Hose gefahren. Ist Zenzi nun auch an dem Unfall Schuld? Und so weiter.
Die Rechtsprechung hat nun gesehen, dass das so nicht geht, dass man nicht zig Personen verantwortlich machen kann, obwohl sie alle irgendwie einen Faktor in dem Geschehen darstellen.
Daher kam man auf die Rechtstheorie der "Zurechnung" einer Tat. Mit anderen Worten: irgendwo muss ein Punkt sein, wo man sagt, ich muss aufhören, noch viele andere Personen und Handlungen verantwortlich zu machen.
Ein Weg, diesen Punkt zu finden ist, nach der "Voraussehbarkeit" zu fragen: Konnten Alois und gar Zenzi voraussehen, dass Franz den Josef in der Innenstadt rammen würde, weil Franz ausgerechnet dann besoffen dort unterwegs ist, als Josef zur Reinigung fährt? Die Antwort lautet nein, denn es muss schon eine genauere Voraussicht sein, als nur die, dass "alles mögliche" passieren könnte. Daher wird man in diesem Beispiel weder dem Alois noch der Zenzi eine Schuld an dem Unfall zurechnen.
In den meisten Rechtsordnungen geht man sogar davon aus, dass widerrechtliches, vorsätzliches Verhalten des letzten Täters in der Regel nicht voraussehbar ist. Hier also, dass nicht nur ein anderer Verkehrsteilnehmer den Josef rammen würde, sondern den Unfall nur deswegen verursacht, weil der Franz selbst widerrechtlich besoffen fährt.
In unserem echten Fall hier würde man fragen: konnte der Fahrer voraussehen, dass Leonie in Wien an diesem Abend diese Verbecher trifft? Und dass diese dann Leonie vergewaltigen und umbringen werden? Die Antwort dürfte nein sein, und damit wird dann deren Tat dem Fahrer nicht "zugerechnet."
Wie immer kommt es natürlich auf die konkreten Einzelheiten des Ablaufs an. Hätte Leonie dem Fahrer gesagt: "fahr mich nach Wien, da treffe ich mich mit jemandem, der zwar schon letzte Woche versucht hat mich zu vergewaltigen, aber er hat versprochen das nie mehr zu tun..." könnte man eher argumentieren, dass der Fahrer voraussehen hätte können, dass Leonie etwas passiert. Das aber ist wohl nicht geschehen.
Das ist eine sehr komplizierte Sache die vielen Jus-Studenten grosse Schwierigkeiten im Studium macht und zig tausende Richter in der Welt beschäftigt, aber ich hoffe, dass man die Erklärung hier verstehen kann.
Meine Antwort also mit meinen beschränkten Kenntnissen dieses Falles: voraussichtlich wird den Fahrer juristisch keine Schuld am Tod von Leonie treffen.