Gerd Michael Straten - Obdachloser auf Koblenzer Hauptfriedhof geköpft
20.12.2020 um 15:38duval schrieb: sehe ich auch so ich denke hier sollte eine alte Rechnung beglichen werden. Diese Brutalität das spricht für ungeheueren Hass.Das ist mit Sicherheit eines der Motive. Möglich wäre auch, dass sich dieser Hass nicht gegen die Person Straten richtete sondern gegen eine Personengruppe, z.B. Obdachlose oder eben eine Gewaltphantasie ausgelebt wurde und man dazu jemanden "benutzte", dessen Leben man als minderwertig ansieht.
Pestilenz_61 schrieb: Irgendwie erinnert mich dieser Fall an den Fall Alfred Weirich, einen Antiquitätenhändler aus dem Saarland. Der wurde auch geköpft, man fand auch die Leiche, allerdings wurde der Kopf nie gefunden.Das ist eine erhebliche Erniedrigung (auch posthum) des Opfers und schon wirklich heftig. Allerdings könnte es auch sein, dass irgendein total kaputter Mensch das praktisch als Erinnerung aufhebt, dass er sich damit triggert.
SherlockJames schrieb:Nur wer könnte einen so zerstörerischen Hass auf Herrn S. entwickelt haben? Wenn man das glaubt, was in den Medien für ein Bild über Straten abgebildet wird, war er beliebt, freundlich und lebte ja gewissermaßen ziemlich allein vor sich hin.Ja, allerdings gibt es ja schon Anzeichen, dass diese "bürgerliche Fassade" eine Fassade war. Beispielsweise seine Entscheidung zur Obdachlosigkeit - es hätte sicher Möglichkeiten und auch private Hilfsangebote gegeben, diesen Zustand zu beenden - was er nicht angenommen hat. Ich denke, das würden nicht viele Menschen tun. Der "normale Ausweg" aus so einer Situation, wenn man keine weiteren Probleme (Alkohol, Drogen) hat, wäre doch, dass man -mit egal welchem Hilfsangebot auch immer- auf jeden Fall versucht, nicht obdachlos zu werden bzw. obdach zu bekommen. Den Winter in einem feuchten kalten Gemäuer zu überdauern, ohne sanitäre Anlagen, etc. kann ja nicht das gewollte Ziel gewesen sein.
SherlockJames schrieb:Viele Leute, die ihn kannten wussten ja noch nichtmal wirklich, dass er obdachlos war und auf dem Friedhof schlief.Ich denke, das ist auch Teil der bürgerlichen Fassade - und kann auch Teil einer Strategie gewesen sein, Teil des Bürgertums zu bleiben. Ich habe kürzlich in einen Ratgeber für coronageschädigte US Amerikaner reingezappt, die konkrete Tipps gaben, was zu tun sei, wenn man die Miete nicht bezahlen könnte und für eine Weile in sein Auto zieht (das war ziemlich krass, das gibt es wohl in solchen Großstädten ziemlich oft, dass normal bürgerliche Leute heimlich dauerhaft in ihrem Auto leben.
Da wurde auch geraten, damit der "alte" Freundeskreis erhalten bleibt, diesen möglichst gar nicht einzuweihen und hilfsbereite nur mit kleinen Aufgaben zu betrauen, also "es wäre super, ich könnte einmal pro Monat ....". Und für nichts Freunde in Anspruch nehmen, was man noch selbst machen kann und dementsprechende Infrastrukturen zu schaffen (z.B. Mitgliedschaft im Fitnessstudio mit langen Öffnungszeiten = dauerhafter Zugang zu sanitären Einrichtungen und warmen Übungsräumen mit warmen Geräten).
SherlockJames schrieb:Er versuchte ja, das Antlitz des Bürgerlichen weiter zu repräsentieren. Er kleidete sich gut, er kaufte seine Lebensmittel im Bioladen, er ging arbeiten, in seiner Freizeit ging er in die Bibliothek oder ins Cafe und hin und wieder hat er am Automaten gezockt.Ich glaube, er hat einfach die Werte, die er ohnehin hatte, beibehalten. Er stürzte ja nicht ab und landete in einer Alkoholikerszene, wo Obdachlosigkeit noch ein Symptom der anderen Probleme ist - er führte vermutlich die Aspekte, die ihm früher wichtig waren, weiter. Vielleicht auch, um sich selbst zu beweisen, dass es noch geht. Ich kannte mal jemanden, sie war totkrank, ging aber weiterhin in die Arbeit und zwang andere dort mit dem Verhalten, sie als "ganz normal" zu behandeln und arbeitete wirklich, bis sie tot umfiel - das war ihr Stück Normalität, die Weigerung, sich einzugestehen, dass ein Bereich einfach nicht mehr stimmte.
SherlockJames schrieb: Er hatte keine Wohnung. Das war doch letztlich der einzige markante Unterschied zu den meisten anderen Menschen. Wieviele richtige enge Freundschaften er pflegte ist unbekannt.Ich glaube, so wollte er es sehen - aber wenn man ehrlich ist, ist eine Wohnung so ziemlich das wichtigste Stück Infrastruktur, was man in unseren Breitengraden zum Leben braucht. Das Bad als Sanitärraum, Küche zur Nahrungslagerung, fließend Wasser, Möglichkeit der Nahrungszubereitung. Auch die mysteriöse Weigerung, diesen Zustand wieder zu beenden (was ja gegangen wäre).
SherlockJames schrieb:Es scheint also irgendwie auf den ersten Blick, dass er wohl nur oberflächliche Beziehungen zu anderen Menschen pflegte, keine tieferen Beziehungen. Er hatte z.B. auch keine Freundin. Was weiß man überhaupt wirklich über den Menschen Gerd Michael?Als Freund muss man das ja auch erst einmal aushalten können, das geht als Bekannter, aber nicht als enger Freund oder Angehöriger - du gehst nach Hause in die Wärme und weißt, dass dein Freund nun auf einem kalten dunklen Friedhof liegt?
Ich habe mein Abi in einer deutschen Großstadt gemacht und wohnte dort zur Untermiete in einem Haus mit einem langen, windgeschützten Eingang - oft, wenn ich im Winter nachts vom Babysitten kam, lagen da Obdachlose und schliefen und ich musste über sie drüber steigen - ich hoffte oft, dass sie nicht wach werden, weil ich mich dabei echt mistig fühlte - ich war selbst ziemlich am Boden der Gesellschaft (einkommenstechnisch), aber diese Realisation, wie gut es mir doch ging im Vergleich zu anderen, machte mir damals immer ein sehr schlechtes Gewissen.