Kriminalfall Kim Wall
22.09.2017 um 14:42
Immer wieder faszinierend, wie oft hervorgehoben wird, was für ein schlechter Lügner PM ist und sich gleichzeitig derart wenig mit der Art seiner Lügen beschäftigt wird. Richtig, ich finde auch, dass er ein "schlechter" Lügner ist, wenn man sich vor Augen hält, wie Lügen funktioniert, welchem Zweck es dient und wie es umgesetzt wird. Weiß ja eigentlich jedes Kind, nicht wahr? Nicht nur wir hier im Thread.
Insbesondere Straftäter, die am Tod eines Menschen Verantwortung tragen und sich verantworten müssen, performen ihre Lügen mit weitaus mehr Aufwand, als wir, wenn es uns darum geht, zu verschleiern, wer unerlaubt den Joghurt des Kollegen ausm Kühlschrank aufgegessen hat. Da steht für ihn vergleichsweise ja mehr auf dem Spiel, als für uns.
Nun ja, Lügen hat ja eigentlich zum Zweck, möglichst die eigene Beteiligung weit von sich zu weisen. Tut PM ja, könnte man meinen, aber verglichen mit sämtlichen anderen Straftätern zeigt seine Art zu "lügen" doch einige Merkwürdigkeiten.
Erstes Mittel der Wahl ist Legendenbildung. Wenn diese nicht mehr greift, andere Legende und vorherige Legende ausschmücken was das Zeug hält. Funktioniert das nicht mehr, dann Leugnen, Leugnen, Leugnen und wenn auch das nur unliebsame neue Themen zum Vorschein bringt, Schweigen, Schweigen, Schweigen. Ja, ne Legende hat PM geliefert mit seiner Absetzstory. Aber dann? Eine neue "Legende", die zunächst mal ihn selbst und sein Handeln direkt ins Feld führt: ER sei ausgerutscht, IHM sei der Deckel aus der Hand geflutscht. Schwamm drüber. Auch ein Lügner darf mal danebenhauen. Später scheint er das ja wieder leicht abgewandelt zu haben. Statt die Tage nach seiner ersten Version intensiv zu nutzen, schöne weitere Legenden aus dem Hut zu zaubern, wo KW an Land abgesetzt und abgeblieben sein könnte, gleich am nächsten Tag das Einräumen, es sei zu einem Unfall gekommen und KW irgendwo im Meer. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem von einer Leiche noch weit und breit keine Spur ist. Soviel Zeit hätte er sich lassen können, hat er aber nicht. Ein ziemlicher Depp, die Beamten noch darauf hinzuweisen, ohne zu erwähnen, in welchem Zustand sich die Leiche befindet. Vom Leugnen scheint PM noch nichts gehört zu haben. Oder wann man es spätestens anwenden sollte. Dass es zu spät ist, wenn alles Leugnen nicht mehr hilft, also wenn dann der zerstückelte Leichnam aufgefunden wird, der ja, wie er zugibt (ganz schön schlechter Lügner!) auf Grund SEINES Handelns im Wasser liegt - das hat ihm wahrscheinlich niemand vorher gesagt. Aber jetzt dreht PM auf! Seine erste Legende auf Biegen und Brechen, egal wie unglaubwürdig es scheint, durchzuziehen, gelingt ihm gerade mal einen Tag, während das "Leugnen" der Zerteilung nunmehr seit Wochen "kein Problem" darstellt. Hut ab, selten so schlecht gelogen. Vom Schweigen scheint er auch noch nie was gehört zu haben. Und auch die simpelste Lüge, die jedes Kind als Erstes kann, hat er keine Kenntnis. Da wird ihm vorgehalten, was ein Kumpel/ Partner/ Freund ihm vorwirft, nämlich irgendwann mal über Zerstückelungen und Meeresentsorgung (äh...einer Schlange?!) gesprochen zu haben. Und was sagt PM? Statt einfach mal zu sagen: "Nee, das stimmt nicht! Der lügt! Das habe ich nie getan/ gesagt!" antwortet er: Dieser jemand ist befangen. Der will mir schaden.
Ein selten dämlicher Lügner, wie es scheint. Denn er negiert dadurch nicht, was dieser "Freund" aussagt, er leugnet damit nicht das Ausgesagte, sondern verweist darauf, dass dessen Motiv, diese Aussage zu tätigen, von Befangenheit gekennzeichnet sei.
Ja, PM könnte es sich, wie sämtliche andere Straftäter auch, so schön einfach machen. Tut er aber nicht. Die Frage ist: Warum nicht.
Aber auch hier: Schwamm drüber! Warum so viele Fragen stellen? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und außerdem ist doch gemessen an unseren eigenen Lebenserfahrungen viel besser abzuleiten, wie er denkt, woran er zu denken hatte und nicht zu denken hatte und dass er da eher Medizin als Physik im Sinne hatte und eh schon wilde Schlangen-Entsorgungs-Phantasien, mit einer Prise feiner Kreativität versetzt, debattierte, spricht schon ziemlich eindeutig dafür, dass es eh nur ne Frage der Zeit war, bis er seinen gedanklichen Schubladenplan in die Tat umsetzt. Sicherlich, der eine oder andere hier hat sich ja auch schon mal beim netten Sit-In unter Freunden darüber Gedanken gemacht, wie er ne Leiche verschwinden lassen kann, aber DAS ist ja was gaaaanz Anderes!
Statt auf eigene Schönfärbereien der Realitätsbildung hereinzufallen, könnte man sich auch ganz objektiv mit der Frage befassen, wie er gelogen hat, was er dabei getan und was er unterlassen hat, zu tun, was an Lügen zu erwarten wäre und was nicht und warum es sich womöglich von dem unterscheidet, was wir von Tätern kennen oder warum auch nicht.