Gern geschehen, lieber JamesRockford!
Mir hat es auch das herz umgedreht. Wie kann man das nur selbst ertragen, so ein kleines Kind so grauenhaft leben zu lassen. Der muss nichts Schönes gekannt haben, nie verwöhnt worden sein oder so. Ja, und wie du sagst... Warum ist der Zustand niemand aufgefallen? Aber die Leute sind ja desinteressiert. Ich hab mal, als mir ein sehr, äh, Gestörter, der uns immer beim Einkaufen vollgequatscht hat, erzählte, dass er seiner gelähmten Frau immer Chlor in die Blase macht 'zum Desinfizieren', rumtelefoniert, und alle haben mich abzuwimmeln versucht. Eine Sozialarbeiterin (von dem Krankenhaus, in dem die Betroffene immer war, wusste ich ja alles, der hat uns fertiggemacht mit dem Vollquatschen) sogar so ganz frech lachend: 'Und? Was erwarten Sie jetzt von mir? Denken Sie ernsthaft, ich zieh mir jetzt die Akte?' Meine Schwester war dabei, die hat zwar immer nen großen Rand, aber wenn 'Obrigkeiten' ihr dumm kommen, kuscht sie. Sie also: 'Nein nein..., und ich 'JA SELBSTVERSTÄNDLICH WERDEN SIE DAS TUN' und so weiter; komisch, da ging es dann, und die betroffene Frau ist wieder stationär aufgenommen worden. Wenn a keiner auf den Tisch haut
:( Als ich klein war, sind auch Spielkameraden von mir misshandelt worden und als Erwachsene dann, darauf fußend, 'abgerutscht', wie man so sagt. Den armen Kindern hat niemand geholfen, niemand. Meine Mutter war Lehrerin, auch die hat immer nur gesagt, da könne man nichts machen. Dabei war sie sogar noch eine, die sich an sich gekümmert hat, sie liebte Kinder wirklich abgöttisch; sie hat sich als einzige im Kollegium aufgeregt, als eine Schülerin- es war eine GRUNDSCHULE!- nach Kanada verheiratet wurde, weil der ehemalige Studienkollege vom Papi sie haben wollte. Zwölf Jahre, der Kerl fast sechzig.
Und sie hat sich damit Ärger eingehandelt, es wurde ihr offiziell untersagt, sich da 'einzumischen'. Aber auch sie, wie gesagt- aber gut, das war noch früher, der eine war der Nachbarssohn, der war Jahrgang '56, fast zehn Jahre älter als ich, aber gerne bei uns, bis es ihm verboten wurde (nicht von uns!), und die Eltern waren reiche und einflussreiche SPD-Funktionäre, die mit der Creme der Berliner Politprominenz abhingen. Das war klar, die saßen am längeren Hebel. Sie (meine Mutter) sagte immer: 'Er sah aus wie ein Filmkind, warum haben sie ihn nicht adoptieren lassen, den hätten alle mit Kusshand genommen'. So ein kleiner Heintje war das. Er hungerte, saß in einer dunklen Kammer ohne Fenster, wurde geschlagen, und die Mutter erzählte offen, wie sie versucht hatte, ihn 'loszuwerden', als sie schwanger war. Dann hoffte sie, er werde 'wenigstens ein Mädchen'. Die Hebamme sagte dann: 'ja, ist eins!', sie sei 'so froh gewesen, aber dann erfuhr ich die Wahrheit.'
Der hat bei uns alles gefressen, Radiergummis, die vertrockneten Sachen in den Schachteln des Kaufmannsladens, sogar Kloreiniger. Und als meine Mutter mal Eis rüberschickte, hat man es ihm noch in ihrem Beisein weggenommen und als Nachtisch der Familie gegeben (da war noch ein großer Bruder). Als er tot war (ist mit Mitte Dreißig an Lungenkrebs gestorben, und Mutti lachte noch und erzählte, dass das Krankenhaus sie doch wirklich angerufen hätte, sie sollten mal kommen, er läge im Sterben und sie sei doch nie da gewesen), da sagten sie, sie hätten sich doch sehr gefreut, als sie sahen, dass er wenigstens ein bisschen gespart hätte.
Er war als Jugendlicher straffällig geworden (kein Wunder, er war in 'einer Bande',, war halt ein Familienersatz), hat sich dann selbst wieder aus dem Sumpf gezogen, war Nachtwächter, hat es geschafft, 5000 Mark zusammenzukratzen, weil er so gerne ein Boot wollte. Das Geld haben die Alten kassiert, uns die Katze vom Sohn quasi am Schwanz in die Wohnung geschmissen, und ihn verbrannt und anonym eingescharrt. Als ich weinte, weil er tot war, sagte die Mutter im Hausflur ganz cool, na, das sei doch wohl besser so. Er sei ja schließlich krank gewesen. Ich sagte: 'Er hätte doch auch gesund werden können!' da glotzte sie mich ganz verwundert an.
Von mir hat er weiße Rosen bekommen, und ich habe mir für ihn extra eine neue schwarze Hose genäht. :'( Er hatte ja nur eine kurze Feier vorm Verbrennen, mehr konnten wir nicht tun. Aber selbst meine Mutter, die damals schon krank war und das Haus praktisch nicht mehr verlassen konnte, hat sich mit hingequält. Sie sagte, das sei das letzte Ehren, das sei man ihm schuldig, und sie täte es nicht für die fiesen Alten, sondern für ihn.
Die andere war meine Mitschülerin und Freundin, da waren es die Siebziger. Ich könnte viel schreiben, ist ja aber der Thread für den Kleinen
:( Was der alles vom Vater angetan wurde...Mit dem Gürtel geschlagen (sie zeigte mir am Morgen immer die Striemen im Schulklo, einmal war sie eine hinten von oben bis unten buchstäblich mit offenen Wunden bedeckt, und sie sagte nur: 'Heute hat er die Schnalle nach vorne genommen'), ihre Tiere wurden vor ihren Augen ermordet; nachts stand sie weinend vor unserer Tür- ich wohnte kilometerweit von ihr- um sie in Sicherheit zu bringen. Ihr geliebtes Meerschwein, das auf der Straße bei Fuß ging, das konnte sie sich nicht vom Herzen reißen, und das hat er ertränkt, in den Kanal geworfen, während sie schreiend und weinend an seinem Arm hing, mitten in der Nacht, mit vielleicht zehn Jahren. Heute ist sie obdachlos, ich höre nur bestenfalls alle zehn Jahre von ihr, über einen anderen Mitschüler, mit dem ich auch keinen Kontakt habe, aber der sich bei Stayfriends in meiner Liste befindet. Meine Schwester sagt immer verbittert: 'Sie ist kaputtgemacht worden'. Sie hat ihr noch versucht, sie durch die Oberschule zu bringen, aber die war schon zu mutlos und sagte, es habe ja eh alles keinen Zweck. Tja. So werden Kinder zerstört. Und die Lehrer übrigens sind erst recht auf ihr rumgetrampelt, weil sie wussten: hier kann man es machen. Ich saß ja neben ihr, und ich habe bis heute Alpträume. Ich war ja das 'Herrenkind', an mir trauten die sich nicht, sich zu vergreifen. Aber sie... Und weil ich daneben saß, sind sie eben wie der leibhaftige Teufel auch über mir 'runtergestürzt' und haben sie dann durch die Klasse geohrfeigt. Unbeschreiblich. Wie gesagt, bis heute träume ich davon.
Es gab noch mehr überregionale Artikel, um wieder auf den Thread zurückzukommen.
Aus dem Focus:
http://www.focus.de/panorama/welt/juristischer-fall-aus-den-80ern-mordverdacht-leiche-des-vor-29-jahren-verstorbenen-jungen-soll-exhumiert-werden_id_7273777.htmlhttp://www.focus.de/regional/hessen/kriminalitaet-29-jahre-nach-tod-kinderleiche-ausgegraben_id_7324376.htmlBitte entschuldige. Es ist nur- ich finde das so furchtbar, was einfach nebenbei Kindern angetan wird. Es war ja nicht mal Spaß am Misshandeln, in keinem der Fälle, nicht bei denen, wo ich Zeuge war, und nicht bei dem toten Kleinen.
Damals dachten wir auch nur: das ist das Leben, so ist es einfach. Man nimmt als Kind so viel pragmatisch hin.
Und klar kann man sagen, die beiden, die ich kannte, haben es wenigstens überlebt. Aber, und ich weiß, das klingt furchtbar, ich weiß nicht mal, ob ihnen damit ein Gefallen getan wurde.