Magier Jan Rouven in Las Vegas: Verurteilt - das Ende einer Karriere
27.05.2017 um 07:48
Das ist ein immer wieder diskutiertes Thema. Meine Meinung dazu habe ich vielleicht schon mal irgendwo geschrieben, dann verzeihe man mir die Wiederholung.
In unserem Rechtssystem gibt es ein Recht auf einen Rechtsanwalt als Beistand für die Verteidigung gegen die Anklage. Und das ist auch sehr gut so. Vor 25 Jahren dachte ich auch manchmal, ich will wenn, dann Ankläger (Staatsanwalt) werden, ich will auf der Seite der Guten sein, nicht auf der Seite der Bösen. Beruflich war ich dann auch einige Jahre lang auf dieser Seite.
Dann allerdings habe ich verstanden, was freilich jeder irgendwie weiss: die Aufgabe eines Strafverteidigers ist ja nicht, Schuldige vor ihrer verdienten Strafe zu bewahren, sondern dafür zu sorgen, dass jeder Angeklagte, egal wer und weswegen angeklagt, einen fairen Prozess bekommt und dass wirklich Unschuldige nicht verurteilt werden.
Geprägt hat mich dann ein Erlebnis: in meiner Ausbildung habe ich für einen relativ bekannten Rechtsanwalt gearbeitet, der inzwischen verstorben ist, dem ich sehr viel in der Hinsicht verdanke. Politisch trennten uns Welten, aber beeindruckt hat mich, dass er oben Gesagtes sehr ernst genommen hat. Mein allererster Fall war die Revision einer Frau, die wegen mehrfachem sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt worden war. Staatsanwaltschaft, Presse, Öffentlichkeit waren überzeugt davon, es hier mit einem grässlichen Monster zu tun zu haben. Kein ehrbarer Mensch wollte auch nur irgendetwas mit ihr zu tun haben, was auch viele Anwälte einschloss. Geld hatte sie keines, so dass ihre Zukunft klar war: 40-50 Jahre im Gefängnis, ein Leben, das mit 25 bereits vorbei war.
Nur ein Anwalt, mein Mentor, meinte: so geht das nicht. Auch diese Frau verdient es, dass wenigstens mal jemand sich den Fall anschaut. Und das tat er. Und er stellte fest: so ein Monster, wie überall dargestellt, kann gar nicht existieren. Und er begann einen einsamen Kampf gegen eine Hysterie, die damals die Nation ergriffen hatte: es war die Hochzeit der Missbrauchsvorwürfe, die zig Lehrer, Erzieherinnen, Kindermädchen und Eltern zu Opfern machte, verurteilt in fragwürdigen Prozessen zu horrenden Strafen. Und siehe da: die Recherche ergab, dass viele der von der Anklage hervorgebrachten Punkte nicht stimmen konnten, dass sie einfach physisch nicht stattgefunden haben konnten. Dann wurde langsam immer klarer, was passiert war: Zeugen waren unter psychischen Druck gesetzt worden, vor allem die Kinder, und sie erfanden Dinge, weil sie meinten, die Polizei wollte sie hören.
Das Ende vom Lied war, dass nach einigen Jahren hartem Kampf der oberste Gerichtshof die Verurteilung in scharfen Worten verwarf und die Frau freigelassen wurde.
Ein Anwalt, der sich getraut hatte, gegen die herrschende Stimmung auf die Seite des "Monsters" zu treten. Geld bekam er nicht, die junge Frau hatte keines. Angefeindet wurde er, aber er war das gewohnt. Er vertrat aus Prinzip diejenigen, die sonst niemanden auf ihrer Seite hatten, denn er fand: erst am Ende des Prozesses weiss ich, ob der Mandant unschuldig ist oder schuldig. Erst wenn die Jury gesprochen hat. Die Unschuldsvermutung existiert nur noch auf dem Papier und ist wertlos, wenn wir unsere Mandanten schon vorher abhaken.
Mich hat das extrem beeindruckt. Ich habe seitdem selbst den einen oder anderen Fall übernommen, von dem man seinen Freunden eher nicht erzählt, weil diese dann sagen: sojemanden verteidigst du?
Allerdings: ich bin auch nur ein Mensch und nicht perfekt. Es gibt Personen oder Taten, wo auch in mir sich alles sträuben würde, den Fall zu übernehmen. Den Attentäter von Manchester, zum Beispiel, das wäre nichts für mich. Aber ich hoffe, dass ein Kollege dann sagt: Bis die Jury gesprochen hat, wissen wir nicht ob er schuldig ist oder nicht.
So auch bei Rouven. Seine Taten, die er ja inzwischen zugegeben hat, sind widerlich. Er ist vermutlich kein Mensch, den ich als Freund wählen würde. Aber von dem Moment an, wo er festgenommen wurde und sein Haus durchsucht wurde, hatte auch er einen kompetenten Verteidiger verdient. Sonst funktioniert unser System nicht mehr. Und wenn das nicht mehr funktioniert, dann werden auch Unschuldige verurteilt werden.
Daher denke ich, werden die meisten Strafverteidiger zumindest prüfen, wenn man bei ihnen anfragt, ob sie den Fall übernehmen können.
Es gibt sicherlich auch ein paar Kollegen, deren Motivation nicht die richtige sein wird: die nur nach dem Geld schauen, die nur danach schauen, ob sie in die Presse kommen usw. Aber die sind vermutlich seltener als die meisten denken.
Und wie gesagt: mein Job ist es, sicherzustellen, dass ein Angeklagter einen fairen Prozess bekommt. Wenn ich das erreiche, und er dann verurteilt wird, weil er schuldig ist, dann kann ich ruhig schlafen, denn dann habe ich getan, was ich tun sollte. Wenn ich mit unfairen Mitteln dafür sorgen würde, dass ein schuldiger Mandant entkommt - dann könnte ich nicht gut schlafen. Aber das wäre dann auch ein Rechtsanwalt, der seinen Job nicht richtig verstanden hat.