Hier gibt es ja doch noch eine Reihe Fragen:
Also, erst einmal: Der Prozess ist vorbei! Wer dem thread gefolgt ist, hat mitbekommen, dass wir eine recht lange Phase des Vorverfahrens hatten, dazu eine relativ kurze Phase des Hauptverfahrens. Alles war freilich öffentlich.
Das Hauptverfahren war aus zwei Gründen kurz: Zuerst hatte Rouven auf einen Jury-Prozess verzichtet, dadurch fiel das ganze Jury-Auswahlverfahren weg, was sicherlich eine Woche oder mehr gespart hat.
Dann hat Rouven mitten in der Beweisaufnahme der Anklage, also noch vor Erreichen der Hälfte des Hauptverfahrens seine Schuld zugegeben. Da nun die Schuld nicht mehr bewiesen werden muss, wird dadurch die Beweisaufnahme überflüssig. Auch die Schlussplädoyers, die sonst ja noch einmal den ganzen Prozess zusammenfassen sind überflüssig.
Rouven hat sich zu drei der vier Anklagepunkte schuldig bekannt (die Einzelheiten habe ich weiter oben beschrieben), dafür ist einer der vier von der Anklage zurückgezogen worden.
Dieser "deal" wurde zwischen Anklage und Verteidigung verhandelt. Er muss aber vor Gericht öffentlich dargelegt werden, denn die Richterin muss ihn auf Stichhaltigkeit prüfen. Das ist passiert. Sinn der Sache ist, keine abstrusen deals zu erlauben. So würde die Richterin weder erlauben, dass Rouven sich des einfachen Ladendiebstahls schuldig bekennt im Austausch zu einem kompletten Streichen aller Anklagepunkte, noch zu einem Mord.
Ein deal muss auf den Tatsachen der Tat beruhen und kann nicht etwas komplett anderes beinhalten. Er darf auch den Angeklagten nicht über den Tisch ziehen (wie in meinem Beispiel z.B. ein Bekenntnis zu einem Mord, der nie stattgefunden hat, denn die Strafe wäre hier ja noch höher.)
Letztens darf ein deal nicht das Gerechtigkeitsempfinden verletzen. Das ist ein heikler Punkt: die Richterin hätte vermutlich einen deal abgelehnt, bei dem Rouven sich nur zu einem einzigen Punkt schuldig bekannt hätte, was dann die Mindeststrafe zur Folge gehabt hätte. Angesichts der schweren Anklage würde so etwas das Gerechtigkeitsempfinden verletzen. Allerdings haben die Parteien da schon einen weiten Ermessensspielraum, sonst gäbe es keine deals.
2) Der Prozess ist soweit zu Ende, als dass er die Frage der Schuld betrifft. Ausserdem, und das ist gravierend, beinhaltet ein deal auch einen weitgehenden Verzicht auf Rechtsmittel. Das ist ja logisch: man will nicht jetzt den Prozess beenden und in ein paar Monaten kommt der Angeklagte und sagt: "war alles nur ein Witz, ich nehme jetzt mein Schuldanerkenntnis zurück und will einen neuen Prozess!" Das geht nur noch, wenn der Angeklagte schwerwiegende Gründe aufzeigen kann, z.B. dass er absolut nicht verstanden hat, was der deal bedeutet.
Um das zu verhindern, wird die Richterin sehr intensiv nachfragen, und zwar den Angeklagten persönlich fragen, nicht über seine Anwälte, ob er den deal in allen seinen Konsequenzen verstanden hat. Das ist hier geschehen, die Richterin sprach fast zwei Stunden lang mit Rouven darüber.
Schliesslich darf die Richterin keinem deal zustimmen, wenn sie das Gefühl hat, der Angeklagte bekennt sich zu einer Tat obwohl er sie nicht begangen hat. Das ist hier wohl nicht der Fall.
3) Strafmass - warum ist die Verkündigung so spät?
Anders als in Deutschland, wo das Strafmass im Urteil bereits verkündet wird, ist das in den USA ein komplett separater Verfahrensschritt. Es ist absolut nicht ungewöhnlich, dass die "sentencing phase" einige Wochen nach dem Schuldurteil stattfindet.
Hier hat der Verurteilte jetzt die Gelegenheit all das einzubringen, was man in Deutschland sonst auch kennt: von der Kindheitsgeschichte über die guten Taten bei den Pfadfindern bis zu psychologischen Gutachten.
In den USA wird das strikt von der Schuldphase getrennt, in der es nur um die Entscheidung über die Schuld geht. Jetzt erst ist der Zeitpunkt, dazu Stellung zu nehmen.
Das beginnt mit einem Gutachten durch die Bewährungsaufsicht: dem "Presentence Investigation Report (PSIR)."
Dieses Gutachten hat zwei Funktionen: einmal die Richterin bei der Setzung des Strafmasses zu unterstützen, zum anderen aber auch um der Justizverwaltung später zu helfen, eine geeignete Unterbringung und eventuell notwendige Therapien etc. zu finden.
Ein PSIR enthält unter anderem:
Legal Information
Juvenile record
Adult record
Probation/parole history
Official version of offense
Plea bargain
Custody status
Pending cases
Extralegal Information
Probation officer recommendations
Gang affiliation
Background and ties to the community
Substance abuse history
Physical health
Mental health
Financial circumstances
Employment history
Education history
Victim-impact statement
Marital history
Military record
Evaluative/needs summary
Wikipedia: Presentence investigation reportWichtig ist z.B. auch das victim impact statement, das ist der Punkt, an dem die deutsche "Nebenklage" ins Spiel kommt: die Opfer können eigene statements abgeben, wie sehr sie als Opfer unter der Tat leiden und welche Strafe sie angemessen finden.
Die Erstellung des Gutachtens nimmt einige Zeit in Anspruch. Die Verteidigung erhält Gelegenheit, dazu eine Stellungnahme abzugeben.
Da der Dezember durch Weihnachten schon halb wegfällt, ist ein Termin im März nicht ungewöhnlich.
4) Was hat Rouven weiterhin zu erwarten? Wo ist er und wo wird er sein?
Im Moment ist er im Untersuchungsgefängnis in Henderson, NV, einem Vorort von Las Vegas. Dort wird er vermutlich auch bleiben bis zum sentencing Termin.
Das "Henderson Detention Center" wird von der Stadt Henderson betrieben, die allerdings eine erhebliche Anzahl der Haftplätze an den Bund vermietet. Der U.S. Marshal Service, der im Moment für Rouven zuständig ist, zahlt eine Pauschale für seine Unterbringung an die Stadt Henderson.
Nach der Festsetzung des Strafmasses wird Rouven dann verlegt werden. Basierend unter anderem auf dem PSIR und eventuell einer Empfehlung der Richterin wird er in ein Bundesgefängnis verlegt werden, also eines, das vom U.S. Bureau of Prisons verwaltet wird.
Anders als in Deutschland, wo Gefängnisse immer vom Bundesland verwaltet werden, gibt es in den USA separate Gefängnisse auf kommunaler, bundesstaatlicher und Bundesebene. Rouven fällt in letzteren Bereich.
Ähnlich wie in Deutschland werden die Inhaftierten hier in bestimmte Sicherheitsklassen aufgeteilt, es gibt "minimum security" prisons, prisons für die "general population" und "maximum security" prisons. Die Einstufung geschieht auf grund eines mixes von Persönlichkeit und Straftatenregister. Auf grund des zu erwartenden hohen Strafmasses würde Rouven vermutlich in ein "maximum security prison" eingewiesen werden.
Auch in den USA ist eine heimatnahe Einweisung üblich, wenn sie möglich ist. Bundeshäftlinge sind aber sehr oft hunderte oder gar tausende Meilen von zu Hause weg, da es nicht überall Bundesgefängnisse gibt.
Rouven ist allerdings ein Sonderfall: wie ich oben schon einmal beschrieben habe, ist er auf grund seiner Taten und seines schwul seins besonders gefährdet.
Seine Absonderung von anderen Gefangenen wird sicherlich in Henderson weiter beibehalten werden und in einem Bundesgefängnis wäre es in seinem eigenen Interesse, diese wieder zu beantragen.
Andererseits weiss man um die fatale psychologische Wirkung einer solchen Absonderung in Haft. Daher bemüht sich das Bureau of Prisons hier einen Kompromiss zu finden: man hat ein Gefängnis zum Schwerpunktgefängnis für solche Gefangenen erklärt, die besonders durch andere Gefangene gefährdet sind.
Dieses ist in Tucson im Bundesstaat Arizona. Dort, so die Idee, hat dann die Mehrheit der Gefangenen einen ähnlichen Hintergrund wie Rouven, und daher sollte ihm von diesen Gefangenen keine Gefahr drohen. Er wird, wenn er smart ist, die Verlegung nach Tucson beantragen.
Zu einer möglichen Überstellung nach Deutschland habe ich auch schon oben geschrieben.
6) Noch einmal zum Strafmass: wie gesagt, es gibt die Guidelines, die in seinem Fall etwa 15-18 Jahre vorsehen. Die Richterin kann nach unten abweichen, wenn sie dazu Anhaltspunkte begründen kann. Ich will mich daher nicht auf diese Zahl festlegen, dennoch kann ich mir mit meinen derzeitigen Kenntnissen von Rouven und der Tat nicht vorstellen, dass er eine Chance hat, unter einer zweistelligen Zahl davonzukommen.