Cpt.Germanica schrieb:Aber ist das schon alles? Für mich erstmal schwer nachvollziehbar, wie neutral die Dokumentation ist. In anderen Fällen soll es ja schon einseitige Berichterstattungen hierzulande gegeben haben. Ich meine da war mal was mit einem Deutschen in Virginia .....
Neutral ist die Doku sicherlich nicht, denn sie geht von vornherein von der Unschuld aus und verschweigt nahezu alle Indizien, die für Riechmanns Schuld sprechen. Aber das ist nicht anders zu erwarten von einer deutschen Doku, das haben wir ja auch in dem anderen Fall gesehen.
Und das ist das Problem mit diesem Fall: es gibt durchaus Indizien die für eine Schuld sprechen, es gibt aber auch, meiner Meinung nach, begründbare Zweifel. Das Problem aus meiner Sicht ist, dass Riechmann sich selbst von Anfang an im Weg gestanden hat, was ja auch sein damaliger Anwalt andeutet. Die Ermittlungen in Europa ergaben durchaus ein plausibles Szenario: das Verhältnis der beiden, also Kerstin und Riechmann war getrübt. Es gab zahlreiche Hinweise, dass sein bisheriger Lebensstil, der unzweifelhaft darauf beruhte, dass sie für ihn anschaffte, nicht mehr haltbar war. Und dann kamen die Versicherungen ins Spiel, und zwar die, der er noch in Europa auf ihr Leben abgeschlossen hatte. Die Mietwagenversicherung spielt da gar keine Rolle.
Der merkwürdige Waffenkauf in Florida wurde ebenfalls nicht weiter hinterfragt. Am meisten aber spricht gegen ihn, dass seine Schilderung des Tatablaufs auch wenig Sinn machte. Es ergab sich von Anfang an der Eindruck, dass Riechmann hier nicht die Wahrheit sagt. Die Pooky/Dugen story, so viele Probleme sie an sich enthält, deutet hier sogar in die richtige Richtung. Viele sind der Meinung, dass die beiden ganz bewusst in der Gegend waren, und es liegt nahe, dass sie Drogen kaufen wollten. Das Verrückte daran ist, dass wenn Riechmann das von Anfang an zugegeben hätte, die Dugen story viel glaubwürdiger geworden wäre.
Ich kann nachvollziehen, dass die Jury seiner story, er habe sich verfahren und aus heiterem Himmel kommt einer vom Strassenrand und erschiesst seine Freundin, nicht geglaubt hat. Denn bei allen Problemen der Kriminalität in Miami damals ist das nun doch nicht ein typischer Vorfall.
Auch die hier gezeigte Dugen Version ist sehr abenteuerlich, denn der will in den fahrenden Wagen geschossen haben und dabei dann zufällig durch den kleinen Spalt des offenen Fensters getroffen haben. Das stimmt übrigens nicht mit Riechmanns eigener ersten Aussage bei der Polizei überein, nach der er erst losgefahren sein will, nachdem er den Schuss vernommen hat!
Nicht erwähnt hier wurde das Geld, das sich auf Kerstin und im Beifahrerbereich gefunden wurde. Auch hier ist es viel glaubwürdiger anzunehmen, dass sie das Geld in der Hand hatte oder auf dem Schoss, um den Drogendeal zu bezahlen.
Am stärksten sprachen freilich die Blutspuren gegen Riechmann. Hier wurden nur Leute gezeigt, die meinen, die könnten nicht so interpretiert werden. Dabei bleibt aber die Gegenseite, die Experten der Anklage ungehört. Es ist ja nicht so, dass es keine Experten gab, die durchaus von ihrer Version überzeugt sind. Die Jury hat diesen auch geglaubt. Man sollte hier auch nicht die Leute für dumm verkaufen, z.B. in der Andeutung, man wisse ja gar nicht, ob die Spuren an der Fahrertür Blut gewesen seien oder nicht. Was denn sonst? Hier zeigt die Doku ihre Voreingenommenheit. Viel interessanter wäre es gewesen, die Diskussion zu beschreiben, die es ja gibt, wie das Blut dorthin gelangt sein kann, wenn Riechmann wie er angibt, dort gesessen habe.
Ich habe mich vor ein paar Jahren mit dem Fall etwas näher beschäftigt und bin auch zu dem Schluss gekommen, dass durchaus vieles für Riechmanns Schuld spricht. Allerdings sage ich auch, wenn ich in der Jury gesessen hätte und wenn ich all das wüsste, was man heute weiss, man vernünftige Zweifel an der Schuld haben kann und dass damit die Anklage die Schuld nicht bewiesen hätte.
Aber umgekehrt bin ich genausowenig davon überzeugt, dass er unschuldig ist. Aber ich war kein Juror.
Interessant ist auch die Begründung des obersten Gerichtshofes von Florida, warum die Revision (die erste) verworfen wurde. Man findet das hier:
https://law.justia.com/cases/florida/supreme-court/1991/73492-0.htmlDa finden sich die Dinge, welche die Doku nicht erwähnt.
Der Fall ging ja noch weiter, da in den USA weitaus mehr Rechtsmittel eingelegt werden können als in Deutschland. Riechmann konnte erfolgreich darlegen, dass sein Verteidiger keine gute Arbeit geleistet hatte, zumindest als es um die Strafe ging.
In der weiteren Revision 2000 hat der oberste Gerichtshof dann auch die meisten der hier angesprochenen "neuen Beweise" angesprochen und deren Glaubwürdigkeit bewertet. Das kann man hier nachlesen:
https://caselaw.findlaw.com/fl-supreme-court/1366028.htmlDer Fall landete dann zum dritten Mal im obersten Gericht im Jahr 2007. Diesmal nahm das Gericht die Dugen story als komplett erlogen auseinander. Man findet das hier:
https://caselaw.findlaw.com/fl-supreme-court/1449016.htmlBesonders interessant ist hier, dass "Pooky" zugab, dass der Mann, der in der Doku "Mark Dugen" sein wollte, gar nicht Dugen ist und "Pooky" von den deutschen Journalisten bezahlt wurde:
Williams testified at the second postconviction evidentiary hearing that the man he produced to a German journalist was not Mark Dugen but was a drug addict on the street whom he paid out of money he received from Riechmann's counsel and the German journalist. He stated that he had no personal knowledge of the crime, except that told to him by Riechmann's first postconviction counsel.
(at 15)
"Pooky" gab zu, dass er gar nichts von dem Verbrechen mitbekommen hat. Damit bricht natürlich die gesamte "Dugen" story komplett zusammen.
Wie man sieht ist der Fall sehr komplex und die Justiz hat sich recht viel Mühe gegeben, allen Seiten zuzuhören. Am Ende kam heraus, dass man der Entscheidung der Jury hier nicht widersprechen kann.