Was diese Punkte angeht, ist
@Suinx tatsächlich der Wahrheit weitaus näher. Die teilweise abstrusen Vorurteile gegenüber dem amerikanischen Rechtssystem stammen zu grossem Teil ja von der irrigen Annahme, dass dieses in zahlreichen Filmen und Büchern korrekt wiedergegeben wird. Das wird es allerdings nicht.
Alle wenige Jubeljahre mal passiert ein wenig Theater im Gerichtssaal, so wie damals bei O.J. Simpson ("and if it doesn't fit, you must acquit"), aber das lag vor allem an einem publicitysüchtigen Richter und extrem unerfahrenen Staatsanwälten. Man hat allerdings daraus gelernt.
Nun, was wir hier haben, ist ein extrem schwieriger Fall. Extrem schwierig aus der Sicht eines Juroren. Wir haben einen nicht sonderlich sympathischen Angeklagten, von dem man sehr schnell das Gefühl bekommt, dass er mit der Wahrheit hinter dem Berg hält und seine Aussagen je nach dem Wind dreht, der gerade weht.
Wir haben "Experten" auf beiden Seiten, deren Aussagen für die Juroren aber das Wichtigste sind, denn sonst gibt es ja (oder gab es zumindest am Anfang) ja keine anderen Zeugen. Aber was tun diese "Experten:" sagen unterm Strich, dass sie sich nicht ganz sicher sind, dass es theoretisch auch anders hätte sein können, aber eigentlich auch nicht...
Man kann diesen Prozess in manchen Teilen mit dem in Deutschland berüchtigten Prozess von Babenhausen (Darsow) vergleichen: die Mehrheit der Beobachter und die Richter fanden die Indizien, die Spuren und deren Auslegung durch "Experten" klar und eindeutig überführend und der Angeklagte wurde verurteilt. Es gibt aber dennoch eine nicht geringe Zahl von Menschen, die fest überzeugt sind, der Verurteilte sei unschuldig und die Indizien könne man ganz anders interpretieren.
So auch hier:
Was gibt es zweifellos: eine tote Frau in einem Auto, ein paar Blutspuren. Das war's auch schon. Alles andere an Indizien kann verschiedentlich interpretiert werden:
Beginnen wir VOR der Tat: Da gibt es Aussagen der deutschen Zeugen, dass das Verhältnis zwischen KK und Riechmann sehr schlecht war. Dass sie aufhören wollte im "Gewerbe" zu arbeiten, und dass er, als ihr Zuhälter, Angst um seinen schicken Lebensstil hatte.
Da gibt es die ungewöhnlich hohen Lebensversicherungen. Auch interessant, was es nicht gibt: Versicherungen, die sein Leben versichern. Wirkliche Eheleute oder "Lebenspartner" würden sich normalerweise ja gegenseitig absichern.
Da gibt es von den deutschen Zeugen vorgebrachte Gerüchte über Riechmanns connections ins Drogenmilieu, bis hin zu angeblich geplanten "grossen deals" in den USA.
Da gibt es mehrere Waffen in Riechmanns Hotelzimmer in Miami, dazu ausgerechnet die Munition, mit der seine Freundin erschossen wurde. Und eine angebrochene Munitionsschachtel.
So: machen wir hier schon einmal Halt und überlegen, wie das auf einen Juroren wirkt:
A) Riechmann und Freundin waren keine gewöhnlichen Florida-Urlauber aus Deutschland. Diese führen in den USA nicht illegal Waffen und Munition mit sich herum. Diese schliessen auch nicht vor der Reise einseitig sehr hohe Lebensversicherungen ab. Und diese schwafeln zu Hause nicht von grossen Drogendeals im Urlaub.
Dazu kommt Riechmanns Hintergrund, mehrfach vorbestraft, beide sind offensichtlich im Rotlichtmilieu zu Hause... alles nichts, was die Juroren für Riechmann einnehmen würde.
Nächster Schritt: Der angebliche Tatablauf.
Riechmann will sich auf der Rückfahrt vom dinner in einem brasilianischen Restaurant ins Hotel verfahren haben und endet angeblich in einem kleinen Viertel, das hauptsächlich von Schwarzen bewohnt wird, Einwanderern aus Haiti. Und einer von denen ist passenderweise am Strassenrand, und als die beiden Deutschen anhalten um nach dem Weg zu fragen, zieht dieser wortlos eine Pistole und erschiesst KK.
Interessant ist, dass Riechmann diese Beschreibung später ändert, und zwar immer dann, wenn herauskommt, dass es nicht ganz so einfach gewesen sein kann. Z.B. als Schmauchspuren an seinen Händen gefunden werden, erinnert er sich plötzlich, dass er beide Hände dem Täter entgegenstreckte, in einer intuitiven Abwehrbewegung. Nur, in den ersten Vernehmungen war davon keine Rede. Usw.
Tatsache ist, dass es eine Zeitlang bewaffnete Überfälle auf Touristen in Miami gab, die sich verfahren hatten. Nur: diese liefen in der Regel etwas anders ab: es gab zwar tödliche Überfälle, aber zumindest haben die Täter vor dem Schuss wohl immer erst mal Geld und Wertsachen gefordert. Wortlose Täter die erst mal schiessen, kamen da in den Zeugenaussagen nicht vor. Und: Opfer dieser Überfälle wurden meist Touristen, die gerade erst in Miami angekommen waren, und sich schon auf der Fahrt vom Flughafen verfahren hatten.
Riechmann und seine Freundin waren schon seit zwei Wochen in Florida und keineswegs mehr so unerfahren. Man kann annehmen, dass er schon wusste, wie man ins Hotel zurückkommen konnte.
Machen wir hier an diesem Punkt erst mal wieder Halt: was denkt der Juror jetzt? Er sagt sich: da stimmt was nicht, die story klingt extrem unglaubwürdig. Er verfährt sich ausgerechnet in das Viertel. Er findet es da schon komisch, aber denkt sich gar nichts dabei, neben einem "Schwarzen" anzuhalten. Er sagt später aus, dass Kersten neben ihm auf dem Beifahrersitz auch noch die gesamte Habe ausgebreitet hatte: die Kamera, den Geldbeutel usw. und darin nach Geld suchte, angeblich um es dem "Auskunftgeber" als Trinkgeld zu geben. Der aber grabscht nicht nach den Wertsachen, droht nicht mit seiner Waffe und fordert diese, nein, er schiesst einfach drauf los. Wortlos. Und nicht auf den Mann, den Fahrer, der ihm ja gefährlicher sein könnte, nein, auf die Frau.
Ich kann mir gut vorstellen, dass der Juror hier zweifelt, ob Riechmann die Wahrheit sagt.
Drittens: Nun kommen die Experten. Und diese finden tatsächlich einige Spuren, die so gar nicht zu Riechmanns story passen wollen:
a) Schmauchspuren. An seinen Händen finden sich Schmauchspuren. Die, das weiss jeder allmy-Hobbydetektiv finden sich an Händen von Personen, die vor Kurzem eine Waffe abgefeuert haben. Das wissen die Juroren auch. Und das sagt auch der Experte.
Nun gibt der Experte aber später zu: ja, auch wenn jemand in sehr grosser Nähe zu der abgeschossenen Waffe ist, kann er auch solche Spuren aufweisen.
Und siehe da: Riechmann fällt jetzt ein, dass er beide Hände dem Täter wie zur Abwehr entgegengestreckt hat.
Auf dem Körper der Toten findet man keine Schmauchspuren.
b) Blutspritzer: Die Einschusswunde ist am rechten Hinterkopf. Es findet sich viel Blut auf dem Beifahrersitz. Es gibt ein paar Blutspritzer unterhalb des Fensters der Fahrertür. An der Kleidung Riechmanns gibt es Blutspuren, aber kaum oder keine "Spritzer." Auf einer Decke im Auto wird Blut gefunden.
Ein "Experte" schliesst nun aus den Blutspuren am Fahrerfensterbrett, dass diese dort nur hingelangen konnten, wenn niemand auf dem Fahrersitz gesessen hätte, da dieser sie sonst abbekommen hätte. Ditto mit der Decke, die angeblich auf dem Fahrersitz gefunden wurde.
Das wäre in der Tat ein starkes Indiz, dass Riechmann gelogen hat.
Forsetzung gleich