INFO UPDATE:
Am 28.12. hat Brad Schimel für die Staatsanwaltschaft zu Kathleen Zellners Antrag, die Berufung anzuhalten um die Knochen aus der städtischen Grube identifizieren zu lassen (
https://drive.google.com/file/d/1PgLpaXgI0NNTOpujGOb_8D0l8nrpdm_W/view), geantwortet.
Viele Wege standen ihm nicht offen, denn die Staatsanwaltschaft hatte zu früheren Zeitpunkt bereits zugestimmt, dass diese Knochen verfahrensrelevant sind und Avery sie zu einem Zeitpunkt, wenn die Technik existiere, würde testen lassen dürfen.
Daher verweigerte man im Antwortschreiben jede inhaltliche Argumentation:
https://drive.google.com/file/d/1oiJ1qwWfQjqjTOcdQ_PzH3Hp2DM0ykbo/viewDie Staatsanwaltschaft führt hier stattdessen zwei hauptsächliche formale Gegengründe an:
1. Ein Anhalten der Berufung würde zu einer unangemessenen weiteren Verzögerung führen. Diese Argumentation ist erstens vollinhaltlich falsch (Rapid NA Testing dauert nur wenige Stunden, die Verzögerungen wäre minimal), zweitens zynisch, denn die bisherigen Verzögerungen des Verfahrensablaufs hat ja die Staatsanwaltschaft von Calumet County zu verantworten, die ständig blockiert und ihre Antwortfristen stets bis zum Exzess ausgedehnt hat , ebenso Richterin Sutkiewicz die in ihrer, man muss es ja so nennen, Zusammenarbeit mit der StA, die für sie geltenden Fristen (mit einer Ausnahme) erheblich überzogen hat, nicht einmal Stichtage wurden da mehr eingehalten. Man kann auch schwerlich dem Angeklagten vorhalten dass das Justizssytem von Wisconsin leider so angelegt ist, dass die Staatsanwälte und Richter eine Berufung über ein Jahr hinausschieben können.
2. Der Antrag sei für die Berufung irrelevant. Die Staatsanwaltschaft argumentiert hier im Grunde, dass die Berufung (deren Begründung noch gar nicht eingereicht worden ist) sich auf eine andere Rechtsvorschrift beziehe, und diese zweite Rechtsvorschrift für die Fragestellung ob Richterin Sutkiewicz die Motion For Post Conviction Relief 2017 zurecht oder zu unrecht abgelehnt habe, irrelevant sei. Daher sei der Antrag abzulehnen.
Die Staatsanwaltschaft unter Brad Schimel leugnet nicht, dass der Antrag auf Rapid DNA Testing in direkter inhaltlicher Weise mit der Motion For Post Conviction Relief in Zusammenhang steht und sich direkt auf deren Inhalte bezieht. Sie leugnet auch, nicht (weil sie nicht kann), dass die Ergebnisse in direkter Weise für die Unschuldsfrage von Belang sind. Stattdessen versucht sich Schimel mit einer formaljuristischen Begründung (die so hier gar nicht anwendbar wäre) rauszuwinden.
Weiterhin erklärt Schimel, Zellner müsse sich entscheiden. Sie könne entweder jetzt um das Rapid DNA Testing anfragen, dann müssen sie aber die Berufung mit allem bisherigen Beweismaterial fallen lassen (könnte dies dann auch später nie mehr verwenden) oder jetzt mit der Berufung weitermachen und auf das Rapid DNA Testing verzichten, letztlich mit der vagen Aussicht dies später zu nachzuholen, falls die StA dann zustimmen würde.
Man kann förmlich sehen wie mit diesem Double Bind versucht wird ein vollständiges rechtliches Gehör von Avery um jeden Preis und mit allen Mitteln zu verhindern. Man hätte mit einer solchen Begründung vor einem Berufungsgericht nirgends eine Chance – außer in Wisconsin.
Noch am selben Tag 28.12.2018, nur knapp 3 Stunden (inkl. Einreichung durch das Gericht) nach dem Statement der Staatsanwaltschaft, lehnte der Wisconsin Court Of Appeals Zellners Antrag ab, zunächst ohne Begründung. Zum Vergleich: So eine Gerichtsentscheidung nimmt meistens mehrere Wochen, mindestens einige Tage in Anspruch. Normalerweise nimmt sich das Gericht die Zeit Antrag und Gegenantrag juristisch zu prüfen, die Argumente sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Nicht so der WOA.
„In meinen 14 Jahren als Anwalt habe ich eine derart überhastete Entscheidung eines Berufungsgerichts noch nie gesehen“ schreibt ein User auf Reddit.
Dass eine ablehnende Entscheidung - mit nur knapp 2 Stunden reiner „Bearbeitungszeit“ nach Antwort der Gegenpartei – erfolgt, ist praktisch beispiellos, dafür gibt es nicht einmal eine Präzedenz. Es dürfte eine der schnellsten Ablehnungen der US Rechtsgeschichte sein.
Einige Stunden später wurde eine Begründung des Gerichts nachgeschoben, deren reiner Text nicht einmal eine Seite ausmacht und auf Argument Nr.2 der StA rekurriert, deren Antrag das Gericht wohl nachträglich Zeit hatte zu lesen:
https://imgur.com/a/Xic10HFKathleen Zellners Berufungsantrag ist jetzt am 1. Februar 2019 fällig, es wird kein Zugang zu den unidentifizierten Knochen gewährt. Zellner muss mit einem solchen Ausgang gerechnet haben, denn noch vor einigen Wochen erklärte sie, dieser Fall werde vermutlich erst vor dem Wisconsin Supreme Court geklärt werden können.
Eine Reaktion ihrerseits steht noch aus.
Man sieht ja , mit welchen Seilschaften man sich offenbar sogar auf Berufungsebene in diesem Staat auseinandersetzen muss, wo Richter sich bereitfinden, wohlbegründete Anträge der Verteidigung regelrecht automatisch, um nicht zu unterstellen auf Geheiß, abzulehnen, noch bevor sie wissen aus welchem Grund sie das tun.