SCMP77 schrieb:Also daher eine Frage an Dich, wie soll ein Gericht hier ohne ein weiteres Gutachten erkennen, dass viele wesentliche Dinge unberücksichtigt bleiben?.....Ich sehe hier große Fehler im System, warum wollen Richter, die von solchen Sachen einfach keinerlei Ahnung haben, nicht eine zweite Stimme hören? Jeder Mensch macht Fehler, allein die Bewertung des Auftretens und evtl. die Formulierungen – über das letztendlich nur das Gericht sein Urteil bilden kann, da es von fachlichen keinerlei Ahnung hat, kann keine Fehler oder unberücksichtigte Dinge aufdecken.
Weil es das in der StPO verbriefte Recht hat, weitere Gutachten anzufordern oder abzulehnen, wenn es das als nicht notwendig oder erheblich erachtet (da im deutschen Zivilverfahren die Ablehnung eines Beweisantrages gesetzlich nicht geregelt ist greift man analog auf die Prinzipien §§ 244 ff. StPO zurück).
Geregelt in § 244 (4) S. 2: "Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen."
Sie haben das richtig erkannt - ich kenne mich mit den Tonbandsachen nicht aus, aber Heidi71 offenbar genug, sodass sie in der Lage ist, grundsätzliche Mängel im radonmaster.de-Gutachten (das Rubach offensichtlich als Gegengutachten beantragen wollte) festzustellen, die das LKA-Gutachten nicht erschüttern können. Offenbar auch der Vorsitzende im ZV Verfahren.
http://heinrich.rewi.hu-berlin.de/doc/strpr/37_ablehnung_beweisantrag.pdf (Archiv-Version vom 20.10.2016)Zu "wahrscheinlich" (ein letztes Mal!!):
Der letzte Schritt ist die Prüfung der „inneren Überzeugungskraft“. Das Beweismittel wird darauf überprüft, welche
Beweiskraft es für sich betrachtet hat; also ob z.B. ein Sachverständiger seine Schlussfolgerungen logisch
überzeugend begründet, ob eine Zeugenaussage Glaubwürdigkeitsmerkmale oder Warnsignale aufweist. Beim
Indizienbeweis ist zusätzlich noch die Beweiskraft des Indizes zu erörtern, d.h. mit welcher Wahrscheinlichkeit das
Indiz den Schluss auf die Haupttatsache zulässt.
BGH in
https://openjur.de/u/772116.html:
Die Überzeugungskraft muss so bemessen sein, wenn das zur richterlichen Überzeugung erforderliche Beweismaß
erfüllt ist: Ergebnis so wahrscheinlich, dass keine vernünftigen Zweifel möglich sind.
(BGH zu Grad der Wahrscheinlichkeit in st. Rspr.; BGH, Urteile vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935 unter II 3 a; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, NJW 2013, 790 Rn. 16 f.; jeweils mwN: „(...) der Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“)
Es handelt sich hier um st Rspr des BGH. Hätten diese Voraussetzungen des Gutachtens nicht vorgelegen hätte der BGH der Revision stattgeben müssen.
Wie das in der HV hätte laufen müssen steht in S. 1. Sollte Frau Dr. Boss offenkundig nicht "objektiv, neutral" oder was auch immer gewesen sein, hätte sie übrigens abgelehnt werden müssen:
Mit dem mündlichen Einbringen des Gutachtens ist
verbunden, dass die Verfahrensbeteiligten Fragen an den Sachverständigen richten, versuchen
können, die Grundlagen der Würdigung zu erschüttern und die Notwendigkeit eines anderen
bzw. weiteren Gutachtens plausibel zu machen. Lassen sich als Ergebnis der Beweisaufnahme
in der Hauptverhandlung tatsächliche, für die Prüfung der Schuldfähigkeit relevante
Umstände weder feststellen noch ausschließen, gilt für sie der Grundsatz in dubio pro reo
(BGHSt 3, 169, 173 f., BGHSt 8, 113, 124) und wird daher bei nicht behebbaren Zweifeln
eine Minderung bzw. ein Ausschluss der Schuld angenommen (...) ein Sachverständiger, wenn er die ihm auferlegte Objektivität nicht wahrt, wie ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 74 StPO).
http://www.pknds.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Sonstiges/Berichte/Herr_Prof._Dr._Hinrich_Rueping_2.pdf (Archiv-Version vom 06.11.2015)Das kann man kritisieren oder auch nicht - da es sich in der Diskussion um ein laufendes Verfahren handelt ist nur die Rechtslage zur Tatzeit relevant!
Heidi71 schrieb:Was mich noch interessiert: In der ZDF-Reportage "Ich war es nicht.." ist die Rede von einer ca. 80 m langen Klingeldrahtleitung, die vom Versteck im Wald in ca. 2 m Höhe in den Bäumen bis zu einem Waldweg verlegt war. Wie stand diese Leitung mit der Kiste in Verbindung? War sie in oder an der Kiste irgendwie angeschlossen, z. B. an einen Kontakt, um zu erkennen, ob der Deckel geöffnet wurde oder ein Mikrofon oder war das die Drahtantenne, die laut Presseberichten "fachgerecht" an das Transistorradio angelötet war, um den Radio-Empfang auch unter der Erde zu ermöglichen?
Der Draht stand offenbar nicht mit der Kiste in Verbindung, sondern war zwischen Fundort des Fahrrads 40m neben dem Weg und einem Baum ein Stück weiter verlegt. Funktion: unbekannt. (Was ist eigentlich ein "Klingeldraht"?? Klingelts da wenn einer ihn berührt? Der müsste aber mindestens 2m 10 gewesen sein.))
Es ging um einen grünen Klingeldraht, der in der Nähe des Fahrrads von Ursula Herrmann gefunden worden war. Dieses Beweismittel wurde von den Kriminalbeamten am 4. Oktober 1981 offenbar zunächst nicht sichergestellt. Die Anwälte des Hauptangeklagten Werner M. versuchten dies zu Gunsten ihres Mandanten auszulegen. Die Beamten selbst gaben zu, dass sie der Beweisaufnahme damals mehr Sorgfalt hätten widmen sollen....
Ursula Herrmann erstickte in solch einer Kiste - weiter lesen auf Augsburger-Allgemeine: http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Ursula-Herrmann-erstickte-in-solch-einer-Kiste-id5189896.html
http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Ursula-Herrmann-erstickte-in-solch-einer-Kiste-id5189896.htmlOriginal anzeigen (0,2 MB)Der Report "Ich wars nicht" klingt übrigens so als wäre er von Leuten in Auftrag gegeben worden, die um jeden Preis eine Freilassung der beiden Verurteilten durch öffentlichen Druck erreichen wollen. Von journalistischer Ausgewogenheit der Berichterstattung keine Spur. Und Anspielungen wie "Dagmar Boss war mit einem leitenden Ermittler liiert" will ich überhört haben!