Hier mal eine ganz intersannte Seite:
https://www.krisennavigator.de/Sicherheits-und-Krisenmanagement-bei-Geiselnahmen-und-Entfuehrungen.320.0.htmlInkl. Statistiken...
Sicherheits- und Krisenmanagement
bei Geiselnahmen und Entführungen
von Jörg Helmut Trauboth
Die Gefährdungslage
Eine Entführung im polizeitaktischen Sinne liegt vor, wenn Täter Personen zur Durchsetzung ihrer Ziele an einen unbekannten Ort gebracht haben (§ 239a StGB Erpresserischer Menschenraub, § 239b StGB Geiselnahme). Die Polizei spricht von Geiselnahme, wenn der Aufenthaltsort von Entführten bekannt ist.
Geiselnahmen oder Entführungen sind so alt wie die Menschheit selbst. Geiseln wurden traditionell als Bürgen genommen, um Kriegsschulden einzutreiben. Kidnapping hat in Italien eine jahrhundertlange Tradition. Seit 1960 wurden dort über 400 Personen gefangen gesetzt und zum überwiegenden Teil von Angehörigen für Summen bis 35 Millionen Mark freigekauft. Überwiegend dienen sie der Durchsetzung materieller, gelegentlich auch immaterieller Ziele wie soziale, politische oder religiös motivierte Forderungen.
Deutschland ist kein Entführungsland. Seit 1990 verzeichnen wir jährlich ca. 120 Fälle in der Kriminalstatistik, doch gibt es kaum mehr als 20 Entführungen von herausragenden Einzelpersönlichkeiten in den letzten 20 Jahren.
Abbildung 1: Entführungsstatistik (Auswahl)
Theo Albrecht (1971) Lösegeld: 7 Millionen Mark
Evelyn Jahn (1973) Lösegeld: 3 Millionen Mark
Gernot Egolf (1976) Lösegeld: 2 Millionen Mark
Hendrik Snoek (1976) Lösegeld: 5 Millionen Mark
Richard Oetker (1976) Lösegeld: 21 Millionen Mark
Kronzucker-Kinder (1980) Lösegeld: unbekannt
Johannes Erlemann (1981) Lösegeld: 3 Millionen Mark
Schlecker-Kinder (1987) Lösegeld: 9,6 Millionen Mark
Günther Ragger (1991) Lösegeld: 10 Millionen Mark
Jakub Fiszmann (1996) Lösegeld: 4 Millionen Mark
Mathias Hinze (1997) Lösegeld: 1 Million Mark
Jan Philipp Reemtsma (1998) Lösegeld: 30 Millionen Mark
Bodo Jansen (1998) Lösegeld: 5 Millionen Mark
Die statistische Wahrscheinlichkeit, entführt zu werden, ist somit in Deutschland äußerst gering. Zählt man jedoch zu dem Personenkreis, der eine hohe Position bekleidet (z.B. Politiker) oder zu den wohlhabenden Persönlichkeiten, steigt das Gefährdungsrisiko sprunghaft. Bekanntheitsgrad ist jedoch kein zwingendes Merkmal. Immer wieder werden auch nicht bekannte Persönlichkeiten mit dem Ziel der Gelderpressung entführt. Häufig besteht dabei eine Täter-Opfer-Beziehung.
Wenige Entführungen mit kleinen Lösegeldforderungen sind bekannt. Der Täter geht durch eine aufwendige Planung und eine hohe Festnahmewahrscheinlichkeit Risiken ein, die ihn in der Regel zwingen, ein neues Leben nach der Entführung zu planen. Die Mehrzahl der Entführten in Deutschland ist männlich, ca. die Hälfte sind Kinder, die meisten zwischen 14–16 Jahre. Knapp 90 Prozent der Entführten kommen lebend frei. Bei den Kindern nur ca. 50 Prozent. Das Tötungsrisiko für Kleinkinder ist geringer, da Täter hier eine niedrigere Identifizierungsangst haben. Es ist am Tag der Entführung am höchsten und sinkt nach vier Tagen deutlich ab. Das Tötungsrisiko ist außerdem bei Einzeltätern ungleich höher so wie bei nichtmaskierten Tätern.
Eine Häufung von Entführungen gibt es nach statistischen Auswertungen von Oktober bis Dezember. Die wenigsten Entführungen erfolgen am Wochenende, vermutlich, weil das Opferverhalten am Wochenende weniger gut eingeschätzt werden kann. Bevorzugte Tage: Donnerstag, Freitag, Montag. Die meisten Entführungen liegen in Zeiten, in denen das Opfer die Wohnung oder das Büro verlässt oder betritt. Die Entführungen finden vorzugsweise auf der Straße statt. Entführungen dauern in Deutschland selten über dreißig Tage.
Bei den Tätern handelt es sich vielfach um bereits einschlägig Vorbestrafte. Hierin liegen die Gefahren für Geiseln. Neben den allgemeinkriminellen Amateuren gibt es Schwerkriminelle (Beispiel Fiszmann) und zusätzlich Profis, die sich intensiv auf den Coup vorbereiten (Beispiel Reemtsma). Die meisten Täter arbeiten in Gruppen von zwei bis drei Personen. Nur gelegentlich sind Frauen auf der Täterseite. Über drei Viertel der Täter zeigen eine hohe Gewaltbereitschaft, ohne dass diese zur Tötung des Opfers führen muss.
In den letzten Jahren verzeichnen wir eine qualitative "Verbesserung" von Tatplanung, Tatsteuerung und Tatorganisation. Das Kommunikationsverhalten von Tätern durch Verwendung von Tonkonserven, Funk, Mobiltelefonen oder Datensystemen hat sich weiter anonymisiert und erschwert die Ermittlungsansätze.
Entführungsgefährdet im Ausland sind wohlhabende Personen auf Reisen in sicherheitskritischen Ländern oder wenn sie in diesen zumindestens zeitweise wohnen. Entführt werden bevorzugt auch "Expatriates" von westlichen, US- oder japanischen Firmen. Als besonders sicherheitskritisch für Westeuropäer gelten derzeit: In Südamerika: Kolumbien, Brasilien, Venezuela. In Mittelamerika: Mexiko. In Westeuropa: Italien. In Osteuropa: Russland, Tschetschenien. Darüber hinaus: Pakistan, Algerien, Jemen.
In Kolumbien, das seit vielen Jahren in der Entführungsstatistik weit vorn liegt, wurden 2001 erstmals über 3000 Entführungen registriert. Entführungen sind zunehmend in Mexiko ("express-kidnap") und auf den Philippinen ein ernsthaftes Problem für Geschäftsleute und Touristen. In Mittel- und Südamerika ist über die Jahre eine regelrechte Entführungsindustrie entstanden. Die Entführungsorganisationen arbeiten grundsätzlich anders als bei uns. Die Überlebenschance beträgt weltweit dennoch über neunzig Prozent. Ca. sieben Prozent sterben bei der Tötung der Entführer (z.B. bei Flucht), durch Verwundungen oder Krankheiten. Die Verweildauer kann Monate betragen (in Kolumbien bis zu zwei Jahre).
Die Verhandlungen in den lateinamerikanischen Ländern führen zumeist zu einer drastischen Senkung der Anfangssumme (initial demand). Die Einigung (settlement) liegt oft bei ca. 20 bis 30 Prozent der anfangs geforderten Summe. Das Geld fließt häufig in politische Guerillabewegungen, die – wie in Kolumbien – ca. 20 bis 30 Expatriates permanent in Entführungshaft haben. Für wohlhabende Einzelpersonen oder deren Angehörige gilt: intensives Studium der Sicherheitsrisiken vor Antritt eine Reise.
Abbildung 2: Lösegeldverhandlungen in Lateinamerika
Das System einer Entführung
Eine Entführung ist aus Sicht von professionell vorgehenden Tätern ein Projekt, das lange vorbereitet sein muss, organisatorischen Geschicks und der Kreativität bedarf. Von der Zielauswahl bis zum späteren Geldausgeben darf bei einer professionellen Entführung nichts dem Zufall überlassen bleiben, wenn das Geschäft "Geld gegen lebende Geisel" aufgehen soll. Die Planungsqualität der Täter gibt sofort ersten Aufschluss über deren Professionalität.
Der klassische Ablauf einer Entführung hat – unabhängig, wo sie vorkommt – ein System und beinhaltet in der Regel folgende neun Phasen:
Die Zielauswahl,
Die Observierung des Ziels und Entscheidung für oder gegen das Ziel,
Der Überfall,
Der Transport in das Versteck,
Das Verwahren in einem oder in mehreren Verstecken,
Die Verhandlungen bis zur Einigung,
Die Lösegeldübergabe,
Die Freilassung,
Die Versorgung danach (Repatriierung).
Phase 1: Die Zielauswahl
Täter gewinnen die Informationen über die Lukrativität ihrer Opfer aus...
...
....