Der Fall Elfriede Heinemann - ein einziges Mysterium
25.02.2015 um 05:58
Ich bin in dem Stadtteil aufgewachsen, in dem das Ehepaar Heinemann lebte. Zum Tatzeitpunkt lebten noch meine Eltern, sowie meine Großeltern im Vorderen Westen in Kassel.
Dieses Geschehen bestimmte natürlich die Tagesgespräche in der Nachbarschaft und auch die Gespräche der zahlreichen Besuche bei meinen Eltern und Großeltern.
Allerdings, muss ich gestehen, dass dieser nie aufgeklärte Fall auch bei mir nach nunmehr fast 15 Jahren komplett in Vergessenheit geraten ist. Mit dem Namen Elfriede Heinemann als Threadüberschrift, konnte ich nichts mehr anfangen. Erst als ich eben zufällig den Thread angeklickt habe, weil er mir immer wieder im oberen Bereich der Rubrik auffiel, habe ich realisiert das es ein "Cold Case" aus meiner Heimatstadt ist.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu Beginn der 1990er Jahre entwickelte sich Nordhessen mit Kassel als Zentrum, zu einem Gebiet illegaler Aktivitäten osteuropäischer Gruppierungen. Dieses reichte gebietsübergreifend bis nahe an das osthessische Fulda. Begünstigt wurde das unter anderem durch die Strukturschwäche des ehemaligen Zonenrandgebietes.
Vornehmlich waren das die Deliktfelder der illegalen Beschäftigung im Baugewerbe, unter Umgehung sämtlicher zu entrichtender Steuern und Sozialabgaben, sowie der bandenmäßig organisierte Schmuggel von Zigaretten.
In den Zeitungen las man damals, dass Nordhessen vornehmlich durch seine zentrale Lage, auch als Rückzugsraum von diesen Gruppierungen genutzt wurde. Man fuhr in Kassel auf die jeweilige Autobahn und war plus/ minus 90 Minuten in den Metropolen Rhein-Main.....Ruhrgebiet, sowie im
Raum Hannover.
Um die Jahrtausendwende herum war ich als aktiver Mountainbiker, im Alter von ca. 30 Jahren auf dem Höhepunkt meiner " sportlichen Laufbahn". Ich hatte genug Geld um mir ein vernünftiges Bike zu leisten und hatte die Erfahrung und die Kondition, um mit Freunden mehrmals wöchentlich durch die schönen Wälder unserer Heimat zu bürsten. Dabei benutzten wir die Wanderwege nur zur Anfahrt und waren so oft es ging "offroad" unterwegs.
Dabei kam es dann zwangsläufig mehrere Male zu Begegnungen mit den "Osteuropäischen-Waldcampern". Die standen meist mit bis zu 3 Fahrzeugen im wirklich allertiefsten Wald. Man köchelte sich ein Süppchen, oder ein paar Kartoffeln. Zwischen Bäumen waren Wäscheleinen gespannt, an denen die gewaschene Arbeitskleidung trocknete. Alles ordentlich und durchorganisiert. Brennholz war gestapelt. Das Brennholz brachte man allerdings gut durchgetrocknet aus der Heimat mit. Hätte man frisches und Nasses direkt aus dem Wald genommen, wäre die Rauch-und Geruchsentwicklung zu groß gewesen. Am Ende des Lagers, standen ganze Batterien mit Frischwasser.
Eines Tages kam es zu einem Kontakt mit den Campern. Bei der Durchfahrt am Rande eines Lagers, riss ein Freund von mir eine Wäscheleine zu Boden, die er zu spät gesehen hatte. Wir bereiteten uns schon auf Trouble vor, aber es kam ganz anders. Wir wurden lachend und freundlich begrüßt. Bevor wir uns versahen, komplimentierte man uns zum Feuer und lud uns zum Essen ein. Es gab gekochte Kartoffeln und selbst eingelegtes Gemüse. Der Clou war ein selbstangesetztes Kräuteröl, das in einfachen Speisequark eingerührt wurde. Eine köstliche Mahlzeit. Wir verständigten uns in einem Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch.
Es war eine surreale Situation. Wir wurden bewirtet von Leuten die 10 Stunden, für einen Hungerlohn von vielleicht 5 D-Mark die Stunde täglich schufteten. Jedes unserer Bikes war mehr wert, als die 2 Schrottlauben zusammen , die den Kern des Lagers bildeten. Da wir das Essen sehr lobten, liess man es sich zum Schluss auch nicht nehmen uns mehrere Hausmacher-Gemüse Konserven und eine Flasche Kräuteröl zu schenken.
Diese Begegnung, hat mein Bild von Menschen osteuropäischer Herkunft, die nach der Wende an unserem Wohlstand teilhaben wollten sehr geprägt. Es waren einfache, freundliche und hilfsbereite Menschen. Der in unseren Augen kärgliche Stundenlohn von 5 D-Mark, verwandelte sich dank des Währungsgefälles, nach der Rückkehr in die jeweiligen Heimatländer in eine profitable Kaufkraft von ca. 30 bis 40 D-Mark. Paradoxerweise verdienten die Billiglöhner im Endeffekt ein Vielfaches ihrer deutschen Kollegen, sofern sie es dann in ihrer Heimat ausgaben.
Die Kehrseite dieser Medaille kennen wir alle. Mit dem Trek aus dem Osten, kamen auch Menschen die nicht jeden Tag auf dem Bau schuften wollten und lediglich die deutsche Gesetzgebung in Hinsicht auf Steuern und Sozialabgaben missachteten.
Eine dieser Gruppen hat wohl Elfriede Heinemann auf dem Gewissen.
Zur damaligen Situation kann ich sagen, dass es eine große Anteilnahme in der Bevölkerung bezüglich des Falles gab.
Diese Stimmung schlug auch nicht um, als der Ehemann in das Visier der Fahnder geriet. In den Klatsch- und Tratschgesprächen beim Einkaufen und auf der Straße wurde Herr Heinemann stets als integre, freundliche und hilfsbereite Persönlichkeit beschrieben. Eine Täterschaft in diesem Fall traut ihm bis Heute niemand zu.
Vielmehr wurde über die Art und Weise hergezogen, in welcher die Ermittler die Nachbarschaft in der Kattenstraße aushorchten.
Da war sehr schnell die Rede von Suggestivfragen und der Redewendung "Das Wort im Munde herumdrehen".
Dann ging alles sehr schnell. Wer bei uns Kasselänern einmal verschissen hat, trifft im Nachgang nur noch auf eine unüberwindbare Mauer aus Sturheit. Über wen möchten sie etwas wissen ? Herrn Heinemann ? Kenne ich nicht ! Der wohnt im Nachbarhaus ? Da wohnen 10 Parteien....der hat sich bei mir noch nicht vorgestellt. Können sie mir einen Gefallen tun ? Wenn sie das Haus verlassen schicken sie mir doch meinen Sohn hoch der spielt vor der Tür Ball, bei uns ist das Abendessen fertig. Klack war die Tür zu.....und der Beamte stand wie ein begossener Pudel vor der Tür.
So ähnlich dürften sich viele Ermittlungsversuche gestaltet haben. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher......meine aber seinerzeit sogar einige Leserbriefe in der hiesigen Zeitung gelesen zu haben, die sich sehr kritisch mit dem Ermittlungsgebaren der Polizei auseinandersetzten.
Abschließend wäre noch zu sagen, dass der Vordere Westen in Kassel das schönste Wohnquartier in Kassel ist. Hier stehen noch wunderschöne Mietskasernen und Stadtvillen aus der Gründerzeit.
Gutbürgerliches Publikum mischt sich hier ansatzlos mit der Alternativen Szene Kassels.
Abschließend noch meine Gedanken zur Tat:
Am ehesten wäre für mich denkbar, dass die Frau mitgenommen wurde um eine direkte Verfolgung durch den Ehemann oder andere Personen die auf den Raub aufmerksam geworden sein könnten zu verhindern. Vielleicht versprach man sich auch eine "sanftere" Fahndung durch die Polizei mit einer Geisel an Bord. Ursprünglich könnte eine zeitnahe Freilassung geplant gewesen sein, nach dem zurücklegen von 30 bis 50 Kilometern.
Man muss davon ausgehen, dass die Täter zur Tatausführung eine scharfe, entsicherte Waffe benutzten. Während der ersten Minuten der Flucht, könnte sich ein unbeabsichtigter Schuss gelöst haben, der die Frau schwer verletzte oder sogar auf der Stelle tötete.