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http://www.rp-online.de/nrw/staedte/kaarst/mutter-des-taeters-hat-angst-vor-ihrem-sohn-aid-1.4731553Kaarst. Heute vor einem Jahr wurde der 35 Jahre alte Dormagener Daniel D. an einer Kreisstraße bei Kaarst-Büttgen erschlagen. Der Täter war sein eigener Cousin. Die Frage nach dem Warum quält die Familie - auch die Mutter des verurteilten 29-Jährigen.
Es ist dunkel, regnerisch und eiskalt - fast so wie an jenem Abend vor einem Jahr. Alle paar Minuten biegt ein Auto von der Landstraße in Kaarst ab. Scheinwerfer-Licht fällt auf ein Holzkreuz und eine gerahmte Fotografie am Straßenrand. Die ganz in Schwarz gekleidete blonde Frau kniet nieder und zupft Laub aus den Blüten eines frisch bepflanzten Blumentopfs. Tränen laufen über ihre Wangen. "Ich habe immer nur um Daniel geweint", sagt sie und zündet eine Kerze an. An dieser Stelle hat ihr Sohn am 11. Dezember vergangenen Jahres seinen eigenen Cousin erschlagen. Warum, weiß die Familie bis heute nicht. "Das ist etwas, was das Begreifen nahezu unmöglich macht."
Die Tante und ihr Neffe hatten ein besonders enges Verhältnis. "Der Daniel war ein herzensguter Mensch", sagt die 62-Jährige. "Er hat jedem geholfen, war immer fröhlich, jeder mochte ihn. Mein Sohn muss ihn gehasst haben. Mit seiner Tat hat er so viele Leben zerstört."
Seit Januar sitzt der ehemalige Aushilfssportlehrer in der Düsseldorfer Justizvollzugsanstalt. Wegen Totschlags an Daniel D. hat ihn das Landgericht im August zu zehn Jahren Haft verurteilt. Blutspuren des Opfers in seinem Auto hatten ihn überführt. Kurz vor Ende des Prozesses räumte der Student zwar seine Schuld ein. Was ihn dazu trieb, seinem Cousin, mit dem er in Korschenbroich Garten an Garten aufgewachsen war, am Rande einer Straße den Schädel zu zertrümmern, hat er denen, die seither die Ungewissheit quält, aber noch nicht erklärt. "Es gibt Leute, die sagen, dass ich ihn zu sehr verwöhnt habe", sagt seine Mutter. "Und ja - mein Sohn war mein Lebensinhalt, er hat alles von mir bekommen, ich hab nur für ihn gespart. Heute weiß ich: Der Sohn, von dem ich dachte, dass ich ihn habe, den hat es nie gegeben. Keiner hat erkannt, was für ein Mensch er ist."
Bis zu seiner Festnahme wohnte der heute 29-Jährige im Haus seiner verstorbenen Großeltern, neben seiner Mutter und nur wenige Straßen vom Haus der Familie D. entfernt. Bei der Durchsuchung der Wohnung stieß die Polizei unter anderem auf Nacktfotos von Schülerinnen, die der Sportlehrer auf seinem Computer hortete. Die Staatsanwaltschaft prüft noch, ob sich der Korschenbroicher, der zwar eine feste Beziehung, aber auch viele Affären hatte, des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gemacht hat. Auch wegen Vergewaltigung einer Internet-Bekanntschaft wurde ermittelt. Das Verfahren ist mittlerweile eingestellt. "Es könnte eine Menge junger Frauen geben, denen er in der Vergangenheit zu nahe getreten ist", mutmaßt der Vater von Daniel D. Ob sein Sohn von der job- und rufgefährdenden Fotosammlung seines Cousins wusste, konnten die Ermittler auf der Suche nach einem Tatmotiv nicht aufklären - dafür aber eine Lebenslüge.
Der Korschenbroicher studierte Sport und Geschichte auf Lehramt, das allerdings nicht besonders erfolgreich. Auf seinem Computer wurden nicht nur Nacktfotos gefunden, sondern auch eindeutige Hinweise darauf, dass er das Bild vom zielstrebigen angehenden Lehrer seit 2011 mit gefälschten Studienbescheinigungen aufrechterhielt. Eine Dozentin soll sie ihm gegen Sex beschafft haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Hochschullehrerin wegen Bestechlichkeit. Immer wieder sei der angeblich unmittelbar bevorstehende Abschluss Thema in der Familie gewesen, berichten die Eltern D. im Sommer vor Gericht. Sein Cousin Daniel sollte darüber von Mann zu Mann mit ihm sprechen. "Gut möglich", sagt Daniels Vater, "dass er dabei auf eine ,offene Flanke' stieß."
Vier Briefe hat die Mutter von ihrem Sohn erhalten, seit das Landgericht den 29-Jährigen verurteilt hat. Jeden einzelnen empfindet die Familie als Schlag ins Gesicht. "Am Anfang waren sie noch harmlos, jetzt stellt er Forderungen", sagt die 62-Jährige. "Ich soll bei seinem Anwalt Geld für die Zeit nach der Haft hinterlegen. Mein Sohn geht davon aus, dass er in sechs Jahren wieder draußen ist." Er schreibe Sätze wie "Ich bin ein guter Mensch, der einen Fehler gemacht hat", und dass er seiner Mutter noch einmal verzeihen würde. "Entweder Du stehst zu mir, oder wir sehen uns nie wieder." Die Mutter hat nun Angst, was passiert, wenn sie nicht macht, was er sagt. "Ich habe Angst vor meinem Sohn!"
Eduard Bales vom Weißen Ring im Rhein-Kreis Neuss betreut die Familie seit der Tat. "Die Mutter des Täters", sagt er, "gehört in diesem Fall dazu. Ich habe einige der Briefe gelesen, um die es hier geht. Man ist schon fassungslos, was er da so schreibt." Der 29-Jährige, sagt Bales, habe in mehrfacher Hinsicht Vertrauensbrüche begangen. "Das ist ein Punkt, der gerade seine Mutter belastet. Sie fragt sich: ,Warum in aller Welt hab' ich nichts mitgekriegt?'"
Den Familiennamen, den auch ihr Sohn trägt, hat sie abgelegt. "Ich trage wieder meinen Mädchennamen", sagt sie. "Seine Sachen habe ich komplett verbrannt." In der Nachbarschaft wird trotzdem geredet. "Es gibt Leute, die sich wegdrehen, wenn ich komme - vielleicht auch, weil sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen", erzählt sie. "Auch, dass meine Schwester und mein Schwager nach wie vor zu mir halten, können einige nicht verstehen. Der Grund dafür, dass mein Sohn so geworden ist, sagen sie, muss ja in der Erziehung liegen."
Ljiljana Joksimovic, Leitende Oberärztin am LVR-Klinikum Düsseldorf, betont hingegen: "Schuld an einer Tat ist immer der Täter. Eine Mutter darf Schuldgefühle haben, aber sie ist nicht schuld."