Vermisstenfall Madeleine McCann
21.11.2013 um 19:24
Wie schon erwähnt, studiere ich gerade das Meisterwerk des grossen Senhor Dr. Gonçalo Amaral in allen Einzelheiten. Einige hier werden diese Schöpfung sicher nicht kennen (andere auswendig) – darum erlaube ich mir einfach mal von Zeit zu Zeit ein paar Dinge herauszuarbeiten...
Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Buch mehr wie eine fesselnde Erlebniserzählung oder ein Kriminalroman aufgebaut ist – als dass es eine sachliche Zusammenstellung der Fakten wäre. Natürlich sind letztere Schwerpunkt seiner Arbeit – dennoch versteht es Dr. Gonçalo Amaral sehr eindrucksvoll, viele persönliche Noten miteinfließen zu lassen. Er zeichnet ein äusserst sympathisches Bild von sich – über sein Leben, seine Karriere und seine Familie. In weiten Teilen fast schon ein wenig selbstverliebt. Wenn ihm seine kleine Tochter im gemeinsamen Ausflug ins Wochenendhaus (ein paar Tage vor seiner Entlassung) zuflüstert „ich möchte bei meinem Daddy sein“.
If she is asked which she prefers, living with her grand-parents in Faro or with her mother in Portimão, the answer is immediate: "with my daddy"
Ausgesprochen rührend. Wirklich! Solche Anekdötchen haben zwar überhaupt nichts mit den Ermittlungsergebnissen zu tun – aber es ist natürlich in einem Erstlingswerk durchaus angebracht, wenn man sich auch ein allumfassendes Bild über den (sympathischen) Autor verschaffen darf. Derlei Sequenzen gibt es übrigens einige – vielleicht sollen sie auch ein Stück weit die Diskrepanz zwischen dem liebevoll-fürsorglichen Papa Goncalo auf der einen und die abartigen Verbrecher-Eltern auf der anderen Seite herausstellen.
Das ist ihm zweifelsfrei gelungen!
Kurzer Abstecher zu den eigentlichen Themen in seiner literarischen Schöpfung.
Sie ist weitgehend chronologisch aufgebaut – daher ist es nicht sonderlich schwer, sich auch als eher schlichtes Lese-Gemüt hindurchzuarbeiten.
Der 03.05.2007 – sein Einsatz...
Dr. Gonçalo Amaral sitzt demnach beim etwas verspäteten Abendessen in der Carvi Brasserie, als ihn gegen Mitternacht telefonisch die Nachricht eines verschwundenen Kindes erreicht.
It is midnight when I receive the news about the disappearance of a little four-year-old English girl.
Eigentlich völlig irrelevant, wo der gute Dr. Gonçalo Amaral sein Abendbrot einnimmt - aber wie vermutet, möchte man damit wohl auch den typischen Belletristik-Leser abholen. Eine breit angelegte Fangemeinde hat sicherlich nicht zuletzt auch aus monetären Gründen eine nicht zu unterschätzende Werthaltigkeit für den Verfasser.
An der Stelle trifft Dr. Gonçalo Amaral bereits den ersten Nerv seiner bedingungslos hinter ihm stehenden Anhängerschar. Trotz der gut 220 detailverliebten Seiten werden der Nacht vom 03. auf 04.05.2007 aus Sicht der Polizei gerade mal ein paar spärliche Sätze gewidmet, u.a.
“I demand to be informed very regularly and, before going home, I call on the police on duty to check that all urgent measures are underway”
"All urgent measures?"
Die da wären, Senhor Dr. Gonçalo Amaral?
Ach ja – die Kollegen aus Faro und der Kontrollposten der Guadiana Bridge wurden (angeblich) noch von der GNR-Spitze verständigt.
Über unverzügliche Maßnahmen nach AMBER Alert-Standard, die zwingend erforderliche Großfahndung bei einem spurlos verschwundenen Kleinkind, das sofortige Bereitstellen von Rettungs-Personal, Hundestaffeln und Such-Hubschrauber – darüber verliert Dr. Gonçalo Amaral natürlich keine einzige Silbe.
Wozu auch? Ein knapp 4-jähriges Kind wird sich schon zu helfen wissen.
Ganz im Sinne seiner treuen Fangemeinde quasi!!!
Stattdessen informiert er uns mit ein paar Allgemeinschauplätzen wie die Arbeitsweise eines Forensikers (dessen Arbeit wie er selbst zugibt bedauerlicher nicht besonders produktiv war) und dass es bedeutend ist vor Ort ganz viele Fotos zu machen (später fällt ihm dazu noch etwas ein: Lots of people were already in place; however, nobody appeared in the photos. We don't know, for example, how they were dressed. Such observations can turn out to be important later on.
Ach Gott, das kann im Eifer des Gefechts schon mal passieren, lieber Senhor Dr. Gonçalo Amaral. Schließlich war der Fokus ja auf die umfangreichen Suche nach dem verschwundenen Kind gerichtet...
Das war´s fast schon - mit der Polizeiarbeit am 03.05. - im sehr umfassenden Epos des auch hier schon sehr heldenhaft wirkenden Chefermittlers Dr. Gonçalo Amaral.
Nicht ganz wohlgemerkt – im diesbezüglich vorletzten Absatz lässt uns Dr. Gonçalo Amaral noch teilhaben, wie er am Abend nach Hause kommt
(Wie jetzt? Am Abend? Vorhin sprach er doch noch davon, dass er bis Mitternacht beim Essen war – etwa eine kleine Ungereimtheit? Oder gar Falschaussage?
Aber Du darfst das ja, Senhor Dr. Gonçalo Amaral. Du bist ja schließlich kein McCann!!!)
That evening, on arriving home, I see Inès, my younger daughter, who is sleeping close to my wife, Sofia. In silence, in the dim light of the bedroom, I sit on the edge of the bed. Outside, far from her mother's warmth, a child of the same age is lost. Sofia wakes up and asks me what is happening. I tell her about Madeleine's disappearance and instinctively, she holds our daughter tightly in her arms and makes room for me
Sehr süss, oder? Im Dim light of the bedroom erzählt der Pappa am Heia-Betti noch etwas von Madeleines Verschwinden...trautes Heim, Glück allein!
Noch einige dringenden Telefonate - und schon ist der “Abend” (Nacht?) zu Ende. Das Kapital 03.05. endet mit der in so einer Situation fast schon beleidigend anmutenden Floskel „The first 72 hours are essential“ – ob er sich bei der Formulierung dieser Worte wenigstens ein kleines Stück weit geschämt hat, der Senhor Dr. Gonçalo Amaral?
Nein – ich befürchte eher nicht!!
Ich will an der Stelle einen klitzekleinen Sprung machen – zum 04.05. gegen 10 Uhr.
Weil es so toll in den Kontext passt...
At ten in the morning, twelve hours after the disappearance, the British Consul to Portimao goes to the Department of Criminal Investigation. We inform him of the actions taken up to then and the next stages being considered. He doesn't seem satisfied. Someone hears him on the telephone saying that the police judiciaire are doing nothing. Now, that's strange! Why that untruth? What objective does he have in mind? Giving another dimension to the case? Perhaps, I don't know a thing about it, but this is not the time for conjecture; we have to concentrate on our work, of finding the little girl.
Oh je – woher kommen bitte solche Unwahrheiten??? Was war das denn für ein boshafter Seitenhieb, Senhor Dr. Gonçalo Amaral. Scheinbar waren nicht alle Menschen so glücklich mit Deiner Arbeit. Schließlich hat man doch schon längst damit begonnen, alles erdenkliche zu unternehmen um das kleine Mädchen wiederzufinden. Gut – man hat die ersten 10 Stunden schlicht und ergreifend versaut. Aber dennoch - Was bilden sich diese Briten eigentlich ein? Dass man „nothing“ getan hätte? That´s really "strange"!
Vielleicht, lieber Senhor Dr. Gonçalo Amaral - vielleicht liegt es aber auch einfach nur an Deiner persönlichen Wahrnehmung. An Deiner und an der Deiner willfährigen Groupies, dass man ein paar durch den Ort laufende Polizisten in den ersten 10 Stunden eines spurlos verschwundenen Kleinkindes nicht als das erforderliche Maß aller Dinge betrachtet.
Wie dem auch sei - ab diesem Zeitpunkt, am 04.05.2007 um 10h - da beginnt nun das Kapitel "Politik". Grabenkampf ist eröffnet. Senhor Dr. Gonçalo Amaral vs British authorities featuring Kate & Gerald McCann. Nur dass sich Senhor Dr. Gonçalo Amaral nicht traut gegen die politischen Amtsträger vorzugehen - gegen die aufmüpfigen englischen Touristen sehr wohl...
Jeder hier kann sich nun – wenn er das möchte (oder dazu in der Lage ist) – selbst einen Reim drauf machen, wie diese Auseinandersetzung zwischen der portugiesischen Polizei und den britischen Behörden begonnen hat. Und warum!
Diese Buch-Episode mit dem Erst-Auftritt des britischen Konsulats endet übrigens mit folgenden Worten des bereits in seinem Berufs- und Nationalstolz gekränkten Chefermittlers Dr. Gonçalo Amaral:
“We are astonished by this prompt mobilisation of the English authorities. So, who are the McCanns? Who are their friends? We don't need diplomatic intervention…”
Das ganze Schauspiel wird ab dem Tag nun allerdings auch begleitet von der portugiesischen und der nunmal nicht ganz so dezenten englischen Presse. Die in beiden Fällen ebenfalls kein besonders grosses Loblied auf die Herren Ermittler von den Dächern pfiffen - da es praktisch jedem Idioten klar war, wie die erste Nacht gelaufen ist.
Kurzes Zwischenrésumé:
1. Ganz klar – die Schuldigen waren selbstverständlich die bösen McCanns!
Führen sich auf wie die Axt im Wald - nur weil sie ihr Kind wiederfinden wollten!
Und so etwas wie Selbstreflektion ist in diesen Breitengraden leider kein besonders geläufiges Wort!!
2. Der allseits fehlerfreie und überaus beliebte Dr. Gonçalo Amaral hat sich ab dem 04.05.2007 auf diese englischen Querulanten eingeschossen!
Von nun an – bis zum Tag seiner völlig unverständlichen und unberechtigten Abberufungs-Botschaft an seinem Geburtstag am 02.10.2013.
Und speziell zu letzterer....werde ich hier in Kürze gerne nochmal einiges aus seinem eigenen literaturnobelpreisverdächtigen Werk vorstellen. Fortsetzung folgt....
Vorschau:
"When Gonçalo went out of the PJ door there was no one saying goodbye to him. No director. No one. After a life dedicated to the PJ, it was what most got him down," says Sofia.