Seit ich kürzlich davon gehört habe, geht mir der Fall Shawn Hornbeck nicht mehr aus dem Kopf. Und irgendwie stelle ich mir immer wieder Manuel Schadwald dabei vor.
Der Fall Shawn Hornbeck ist die Geschichte eines amerikanischen Jungen, der 2002 entführt wurde, und der dann bei seinem Entführer lebte.- für die Nachbarn waren sie "Vater und Sohn", aber tatsächlich wird das Verhältnis ein anderes gewesen sein. Entdeckt wurde er erst, als der Täter 4 1/2 Jahre später einen weiteren Jungen entführte - das Tatfahrzeug wurde erkannt und führte zum Täter und zu den beiden vermissten Jungen.
(etwas einseitig:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-shawn-entfuehrer-veroeffentlichte-foto-seines-opfers-a-459703.html - etwas ausführlicher:
doku auf youtube)
Der Fall gleicht der Entführung von Steven Stayner 1972, bei der das ganze auch erst nach einer erneuten Entführung - sieben Jahre später - ein Ende nahm, da Steven Stayner, der zuerst entführt wurde, mit dem zweiten Jungen flüchtete - vermutlich um ihm ein ähnliches Schicksal wie das seine zu ersparen.
Wikipedia: Entführung von Steven Stayner und Timmy WhiteIch seh da folgende Gemeinsamkeiten:
Als die entführten Jungen "zu alt" wurden, musste ein neuer, jüngerer her.
Die Jungen versuchten - durch Einschüchterungen gefügig gemacht und aus Scham - (erst mal) nicht zu fliehen.
Die Jungen lebten weitgehend "frei", sprich, sie hatten Kontakt zur Außenwelt, der eine war mit einem Nachbarsjungen befreundet, der andere ging zur Schule.
Und bei Shawn Hornbeck war das so (vermutlich durch die Möglichkeiten moderner Kommunikation), dass er versuchte, versteckt Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen - der Kontaktversuch misslang, da die Eltern seine Fragen nicht Ernst nahmen und sie ignorierten.
Folgendes geht mir durch den Kopf:
Was wäre, wenn Manuel Schadwald ebenfalls entführt wurde, und er mit seinem Entführer unentdeckt von der Öffentlichkeit als "Vater und Sohn" lebte.
Was wäre, wenn ein paar Jahre später, als Manuel Schadwald für seinen Entführer zu alt wurde, der Täter einen weiteren Jungen entführt hat, vielleicht Till Kratzsch zwei Jahre danach, oder Samir Beganovic, vielleicht auch Stefan Lamprecht, bei dem das ganze dann aus dem Ruder lief und für den Jungen tödlich endete.
Falls Manuel Schadwald noch lebt, dann wäre er heute 34.
Die Gründe, trotz Qualen bei den Peinigern zu bleiben, und auch danach nicht über das, was passiert ist zu sprechen (wie bei Shawn Hornbeck), könnte auch dazu führen bzw geführt haben, dass er auch heute noch unerkannt leben will, selbst wenn er inzwischen nichts mehr mit seinem Entführer und Peiniger zu tun hätte.
Leider verwenden viele Menschen und Medien weiterhin den Begriff "Kinderschänder", der ja unterstellt, dass da Schande über ein Kind gebracht wurde und dass das Kind Schande über die Familie gebracht hat. Viele Missbrauchsopfer werden danach von anderen dementsprechend gemieden und fühlen sich selbst als "beschädigtes Gut". Viele Gründe möglichst wenig darüber zu reden oder ganz zu schweigen.
Wenn Manuel Schadwald noch lebt, dann müssten all die seltsamen Geschichten über ihn (er sei Stricher gewesen, dann nach Holland gekommen, hätte Pornos gedreht etc) furchtbar sein - und ein Grund mehr, sich nie als Manuel Schadwald zu erkennen zu geben.
Falls ihn das nicht abschrecken würde oder weil andere Jungen immer noch in Gefahr sind, dann könnte er auch Hinweise in der Öffentlichkeit gegeben haben und weiterhin geben, um eine Spur zu legen, vielleicht nicht mehr zu sich selbst, aber zu seinem ehemaligen Entführer, der möglicherweise weiterhin Jungen gefangen hält.
Wie häufig wäre er - wie Shawn Hornbeck - nicht ernstgenommen worden? Oder, wenn er hier mitgeschrieben hätte: wären seine Beiträge ignoriert, stehen gelassen, gelöscht worden?
Das ging mir heute so durch den Kopf.
Ich weiß, ist jetzt alles sehr weit hergholt. Aber letztlich wissen wir nur: Manuel Schadwald verließ am Samstag, den 24.7.93 gegen 10:30 die Wohnung in der er mit seiner Mutter lebte, und am nächsten Tag war er immer noch nicht zurück. Seit dem ist er verschwunden. Alle Erklärungen zu seinem Verschwinden erwiesen sich bislang als unhaltbare Spekulationen.