Tatort Bahn/Bus
19.10.2013 um 22:01Analyse zum Fall Massimo L. in Düsseldorf
Kantholz-Fall: Das Schweigen der Zeugen
VON STEFANI GEILHAUSEN - zuletzt aktualisiert: 19.10.2013
Düsseldorf (RP). Notwehr oder Totschlag? Der Tod Massimo L.s wird unaufgeklärt bleiben, so lange sich die Menschen nicht melden, die wissen müssen, wie es zu dem Streit kam, an dessen Ende er mit einem Kantholz verletzt wurde.
Zweimal im Jahr ehrt die Stadt mutige Düsseldorfer für bewiesene Zivilcourage. Meist geht es dabei um Menschen, die anderen aus großer Not oder nach einer Straftat geholfen haben – denn das ist heutzutage keineswegs selbstverständlich.
So sehr die Gesellschaft den Mut zum selbstlosen Einsatz schätzt, so wenig kann sie ihn verlangen. Es gibt keine Pflicht zum Heldentum. Wohl aber eine Bürgerpflicht, die weit weniger erfordert, nur ein bisschen Zeit, um dabei zu helfen, zumindest im Nachhinein aufzuklären, was man als Augenzeuge nicht verhindern konnte.
Wo sind all die Leute, die an jenem Freitagabend in der Straßenbahn saßen, als es zum Streit zwischen Massimo L. und drei Jugendlichen kam? Wo die sieben Personen, die mit den jungen Leuten an der Haltestelle Eckenerstraße in die Linie 707 einstiegen? Nicht einer hat sich trotz der eindringlichen Appelle von Polizei und Angehörigen gemeldet.
Dabei wäre es nicht nur für die juristische Aufklärung so wichtig, dass Zeugen schildern, was an jenem Abend geschah. Der 17-Jährige, der verantwortlich ist für den Tod von Massimo L., weil er den Schlag ausführte, an dessen Folgen der 44 Jahre alt gewordene Italiener starb, beruft sich auf Notwehr. Für die Angehörigen und Freunde des Getöteten, die ihn liebten, ihn nicht als aggressiv und streitlustig kannten, ist das kaum zu ertragen. Ihre Trauer wird beschwert durch die Behauptung, L. sei Opfer und Täter zugleich gewesen, habe den Jugendlichen in Angst und Schrecken versetzt, gewissermaßen sei er selbst schuld gewesen an dem, was letztlich zu seinem Tod führte.
Und dann ist da der Jugendliche, der sich öffentlichen Zweifeln ausgesetzt sieht. Er wird damit leben müssen, einem Menschen tödliche Verletzungen beigebracht zu haben. Solange niemand seine Notwehr-Behauptung bestätigt, wird er auch mit diesen Zweifeln leben und mit dem Verdacht, ein Totschläger und ein Lügner zu sein.
Das Schweigen der Zeugen im sogenannten Kantholz-Fall vergrößert das Leid aller Betroffenen. Und es erinnert an jenes andere Verbrechen, das vor 13 Jahren eine Zivilcourage-Debatte in Düsseldorf ausgelöst hatte. Auch diese Tat hatte in einem Rheinbahn-Zug begonnen, aus dem ein Vergewaltiger sein zierliches Opfer vor den Augen etlicher Fahrgäste herauszerrte, in einen Hinterhof schleppte und sich an ihr verging. Melanie D., wie die junge Studentin genannt wurde, konnte bis zur nächsten Kreuzung entkommen, versuchte dort, die Insassen eines stehenden Autos auf sich aufmerksam zu machen. Doch die verriegelten die Türen, fuhren davon. Und der Vergewaltiger packte Melanie erneut, zerrte sie wieder in den Hinterhof, vergewaltigte sie ein zweites Mal.
Melanie D. ist damals dreimal allein gelassen worden: Als ihr niemand gegen den Gewalttäter half – und niemand den Notruf wählte. Später, als sich niemand meldete, um den Vergewaltiger zu beschreiben und die Fahndung zu unterstützen. Und später, als die Polizei ihn trotzdem fasste, war niemand außer dem Opfer da, der vor Gericht gegen ihn aussagte, als er behauptete, bei der Tat betrunken und nicht zurechnungsfähig gewesen zu sein.
Die Geschichte der Melanie D. hat den Anstoß für den Kriminalpräventiven Rat gegeben, im Jahr 2000 das Projekt "Düsseldorfer Courage" ins Leben zu rufen. "Niemand muss sich selbst in Gefahr bringen – aber keiner darf wegsehen", ist der Leitsatz, der seither über den jährlichen Auszeichnungen steht.
Nicht wegsehen heißt aber nicht, nur zuzuschauen. Sondern zumindest im Nachhinein dazu beizutragen, dass den Beteiligten Gerechtigkeit geschehen kann. Das ist kein Heldentum. Es ist eine Ehrensache.
Quelle: RP
Kantholz-Fall: Das Schweigen der Zeugen
VON STEFANI GEILHAUSEN - zuletzt aktualisiert: 19.10.2013
Düsseldorf (RP). Notwehr oder Totschlag? Der Tod Massimo L.s wird unaufgeklärt bleiben, so lange sich die Menschen nicht melden, die wissen müssen, wie es zu dem Streit kam, an dessen Ende er mit einem Kantholz verletzt wurde.
Zweimal im Jahr ehrt die Stadt mutige Düsseldorfer für bewiesene Zivilcourage. Meist geht es dabei um Menschen, die anderen aus großer Not oder nach einer Straftat geholfen haben – denn das ist heutzutage keineswegs selbstverständlich.
So sehr die Gesellschaft den Mut zum selbstlosen Einsatz schätzt, so wenig kann sie ihn verlangen. Es gibt keine Pflicht zum Heldentum. Wohl aber eine Bürgerpflicht, die weit weniger erfordert, nur ein bisschen Zeit, um dabei zu helfen, zumindest im Nachhinein aufzuklären, was man als Augenzeuge nicht verhindern konnte.
Wo sind all die Leute, die an jenem Freitagabend in der Straßenbahn saßen, als es zum Streit zwischen Massimo L. und drei Jugendlichen kam? Wo die sieben Personen, die mit den jungen Leuten an der Haltestelle Eckenerstraße in die Linie 707 einstiegen? Nicht einer hat sich trotz der eindringlichen Appelle von Polizei und Angehörigen gemeldet.
Dabei wäre es nicht nur für die juristische Aufklärung so wichtig, dass Zeugen schildern, was an jenem Abend geschah. Der 17-Jährige, der verantwortlich ist für den Tod von Massimo L., weil er den Schlag ausführte, an dessen Folgen der 44 Jahre alt gewordene Italiener starb, beruft sich auf Notwehr. Für die Angehörigen und Freunde des Getöteten, die ihn liebten, ihn nicht als aggressiv und streitlustig kannten, ist das kaum zu ertragen. Ihre Trauer wird beschwert durch die Behauptung, L. sei Opfer und Täter zugleich gewesen, habe den Jugendlichen in Angst und Schrecken versetzt, gewissermaßen sei er selbst schuld gewesen an dem, was letztlich zu seinem Tod führte.
Und dann ist da der Jugendliche, der sich öffentlichen Zweifeln ausgesetzt sieht. Er wird damit leben müssen, einem Menschen tödliche Verletzungen beigebracht zu haben. Solange niemand seine Notwehr-Behauptung bestätigt, wird er auch mit diesen Zweifeln leben und mit dem Verdacht, ein Totschläger und ein Lügner zu sein.
Das Schweigen der Zeugen im sogenannten Kantholz-Fall vergrößert das Leid aller Betroffenen. Und es erinnert an jenes andere Verbrechen, das vor 13 Jahren eine Zivilcourage-Debatte in Düsseldorf ausgelöst hatte. Auch diese Tat hatte in einem Rheinbahn-Zug begonnen, aus dem ein Vergewaltiger sein zierliches Opfer vor den Augen etlicher Fahrgäste herauszerrte, in einen Hinterhof schleppte und sich an ihr verging. Melanie D., wie die junge Studentin genannt wurde, konnte bis zur nächsten Kreuzung entkommen, versuchte dort, die Insassen eines stehenden Autos auf sich aufmerksam zu machen. Doch die verriegelten die Türen, fuhren davon. Und der Vergewaltiger packte Melanie erneut, zerrte sie wieder in den Hinterhof, vergewaltigte sie ein zweites Mal.
Melanie D. ist damals dreimal allein gelassen worden: Als ihr niemand gegen den Gewalttäter half – und niemand den Notruf wählte. Später, als sich niemand meldete, um den Vergewaltiger zu beschreiben und die Fahndung zu unterstützen. Und später, als die Polizei ihn trotzdem fasste, war niemand außer dem Opfer da, der vor Gericht gegen ihn aussagte, als er behauptete, bei der Tat betrunken und nicht zurechnungsfähig gewesen zu sein.
Die Geschichte der Melanie D. hat den Anstoß für den Kriminalpräventiven Rat gegeben, im Jahr 2000 das Projekt "Düsseldorfer Courage" ins Leben zu rufen. "Niemand muss sich selbst in Gefahr bringen – aber keiner darf wegsehen", ist der Leitsatz, der seither über den jährlichen Auszeichnungen steht.
Nicht wegsehen heißt aber nicht, nur zuzuschauen. Sondern zumindest im Nachhinein dazu beizutragen, dass den Beteiligten Gerechtigkeit geschehen kann. Das ist kein Heldentum. Es ist eine Ehrensache.
Quelle: RP