Karl-Friedrich M. (47) aus Hüllhorst/Bielefeld vermisst
12.01.2015 um 15:09Setze mal den Bericht von @Mahoni hier ganz rein.
Was bisher geschah:
Hüllhorst. Kann in dieser Republik ein Mensch verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen? Nicht jemand vom Rand der Gesellschaft, sondern aus deren vermeintlicher Mitte. Mit Haus, Hund, gutem Auskommen und einer Lebensgefährtin. Und kann es sein, dass anschließend monatelang kaum etwas passiert, obwohl es vom ersten Tag an Ungereimtheiten gibt? "Es war ja nichts Konkretes da, außer das sein Haus ausgeräumt wurde", sagt ein Kriminalbeamter, der den Fall zuerst bearbeitete. Kennt man die mysteriösen Umstände um das Verschwinden von Karl Friedrich Meyer aus Hüllhorst, ist das ein denkwürdiger Satz. Es wird nicht der einzige bleiben.
Seit den Abendstunden des 21. Oktober 2012 fehlt von Meyer, damals 47 Jahre alt, jegliche Spur. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld glaubt, dass er eine Auseinandersetzung mit dem Geliebten seiner langjährigen Partnerin nicht überlebte. Ein Faustschlag von Jörg Z. (46) soll zum Tod geführt haben. Bis die Strafverfolger zu dieser Einschätzung kamen, verging mehr als ein Jahr. Ohne die Gier der Lebensgefährtin Christiane R. (40) und des mehrfach vorbestraften Jörg Z. hätte es womöglich überhaupt keine Anklage gegeben. Die Vermisstensache Meyer wäre in den Akten verschwunden.
Selten bedient ein Kriminalfall so viele Klischees: Käuflicher Sex, Schwarzgeld, Habgier, Eifersucht und immer wieder Rotlicht - all das hinter der schmucken Fassade eines bürgerlichen Daseins am Südhang des Wiehengebirges. Viel Unappetitliches ist in den letzten Monaten zu Tage gekommen. Doch über den eigentlichen Tod von Karl Friedrich Meyer gibt es nur Vermutungen.
Seit dem 21. Juli 2014 müht sich die zehnte Strafkammer am Bielefelder Landgericht die Tat aufzuklären. Jörg Z. ist wegen Totschlags angeklagt, Christiane R. wird versuchte Strafvereitelung vorgeworfen, weil sie ihrem Geliebten ein falsches Alibi verschafft haben soll. Mühsam ist der Indizienprozess aus mehreren Gründen: Weder die Leiche Meyers noch sein Wagen wurden jemals gefunden. Es gibt keine Zeugen für die Tat. Und beide Angeklagte schweigen beharrlich im Gerichtssaal. Nach 17 Prozesstagen ist ein teils schockierender Einblick ins Milieu gelungen, doch vieles davon wird am Ende juristisch kaum relevant sein.
Am 23. Oktober 2012 erscheint Christiane R. mit der Schwester ihres Lebensgefährten auf der Polizeiwache Lübbecke. Sie gibt an, Karl Friedrich Meyer habe zwei Tage zuvor das gemeinsam bewohnte Haus im Schnathorster Holz in Hüllhorst gegen 19 Uhr verlassen. "Ich muss noch mal weg", soll er gesagt haben - Ziel oder zeitliche Rückkehr unbekannt. Das sei öfters mal vorgekommen, sagt Christiane R., aber immer nur stundenweise und nie über Nacht. Sein Handy und die EC-Karte habe er zu Hause gelassen, führe aber circa 6.000 Euro Bargeld mit sich. Außerdem würde sich Meyer in der letzten Zeit sexuell zu Männern hin umorientieren.
Der Kriminalbeamte stuft die Faktenlage als "grenzwertig" ein und will keine Vermisstenanzeige aufnehmen. "Ich rechnete damit, dass die Person in den kommenden Tagen wieder auftaucht", sagt der Beamte als Zeuge im Prozess. Nur auf Bitten der Schwester Meyers, die "aufgeregt, besorgt, fast hysterisch" im Büro des Kommissars sitzt, wird die Anzeige schließlich geschrieben.
Seit zwei Tagen verschwunden, kein Handy, keine Bank- oder Kreditkarte bei sich, aber 6.000 Euro in der Hosentasche - hätten diese Umstände stutzig machen müssen? Polizeibeamte können Dutzende Geschichten von Menschen erzählen, die nach kurzer Zeit wieder wohlbehalten auftauchen. "Ich hatte den Eindruck, Karl Friedrich Meyer wollte ein neues Leben beginnen", sagt der Kommissar vor Gericht. Und so nimmt die Verwaltungsroutine ihren Lauf.
Eine Woche nach der Vermisstenanzeige werden die Daten Meyers in das bundesweite Informationssystem INPOL eingegeben. Alle Polizeibehörden haben darauf Zugriff. Allerdings sind die Angaben nur deutschlandweit ausgeschrieben, nicht international. Auf Nachfrage von Holger Rostek, einer der Verteidiger von Jörg Z., räumt der Beamte sein Versäumnis ein, dass passende "Häkchen" auf dem INPOL-Formular nicht gesetzt zu haben. Zumindest anfangs gibt es auch kein Foto Meyers in der Polizeidatenbank.
Dann passiert zwei Monate lang kaum etwas. Von Meyer fehlt weiterhin jede Spur, es gibt keine Abhebungen auf seinen Konten. Drei Wochen nach dem Verschwinden erscheint der Kriminalbeamte in Begleitung einer Polizeischülerin am 13. November am Haus des Vermissten im Schnathorster Holz, doch das Gespräch mit Christiane R. bringt keinerlei Erkenntnisse. Sie spricht davon, nur noch 800 Euro Bargeld zu haben. Tatsächlich hatte ihr Geliebter Jörg Z. am 2. November eine Rolex-Armbanduhr, die Meyer bei seinem Verschwinden trug, für etwa 2.500 Euro an einen Händler in Herford verkauft. Dazu später mehr.
Kurz vor Weihnachten 2012, also acht Wochen nach der Vermisstenanzeige, startet die Polizei einen Aufruf in den Medien, der über die Jahreswende sieben Hinweise zu dem auffälligen Jeep Wrangler einbringt, den Meyer am 21. Oktober fuhr. Die Sichtungen deuten auf den Raum Bünde und Porta Westfalica hin, "immer in der Nähe von Bordellen", wie der Kriminaler im Prozess sagt. Eine Zeugin will Meyer außerdem in Begleitung von Frau und Kind an einem Spaßbad in Herford gesehen haben. "Die Hinweise passten zuerst darauf, dass er sich abgesetzt hatte", so der Beamte weiter. Doch dann ermittelt er einen örtlichen Jagdpächter mit baugleichem Fahrzeug, der offenbar gesehen wurde. "Die Hinweise haben sich alle zerschlagen", sagt der Kommissar. Zu diesem Zeitpunkt - Ende Januar 2013 - ist Karl Friedrich Meyer seit einem Vierteljahr verschwunden.
Am 23. November 2012, einen Monat nach der Vermisstenanzeige, nimmt ein Anwalt aus Hüllhorst seine Arbeit auf. Als Abwesenheitspfleger vom zuständigen Amtsgericht Lübbecke bestellt, soll er sich um die vermögensrechtlichen Dinge des Verschwundenen kümmern. Darunter fällt vor allem das Haus im Schnathorster Holz, dass noch nicht abbezahlt ist. Die Sparkasse hatte die Konten Meyers gesperrt. Am Nachmittag seines ersten Arbeitstages findet er ein Bankschließfach leer vor, ebenso den Tresor im Schnathorster Holz. "Die Lebensgefährtin machte nicht den Eindruck einer verzweifelten Frau. Sie drückte auf die Tränendrüse und wollte Geld von mir", sagte der Anwalt vor Gericht. Da immer mehr Rechnungen auflaufen, lässt er am 10. Januar 2013 Meyers Porsche Cayenne abholen, um den Wagen zu verkaufen. Außerdem will er die Einrichtung des Hauses Anfang Januar von einem Sachverständigen bewerten lassen. Christiane R. verschiebt den Ortstermin dreimal. Monatelang kommt es zu keinem Treffen.
Am 16. März 2013 stehen die Mutter und Schwester Meyers vor dem Haus Schnathorster Holz. Als sie die Jalousien ein Stück hochschieben, sehen sie nur noch leere Räume hinter der Fensterscheibe. Die Familie informiert den Abwesenheitspfleger, der am 22. März 2013 tatsächlich einen Ortstermin mit Christiane R. hat. "Im Haus befand sich nur noch ein Wohnzimmerschrank und bergeweise Klamotten. Selbst die Küche war weg", sagt der Anwalt, der die Polizei informiert. Drei Tage später wird Christiane R. auf der Wache Lübbecke vernommen - als Zeugin, nicht als Beschuldigte. "Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sie mit dem Verschwinden Meyers etwas zu tun hat", sagt der Kripobeamte. "Die Verdachtsmomente waren nicht ausreichend." Kurze darauf nimmt eine achtköpfige Ermittlungskommission die Arbeit auf. Zu diesem Zeitpunkt ist Karl Friedrich Meyer seit fünf Monaten spurlos verschwunden.
Christiane R. lernt Meyer vor etwa zehn Jahren bei der Arbeit kennen. Im Club Steinegge, einem Bordell zwischen Vlotho und Bad Oeynhausen, geht sie der Prostitution nach, Meyer ist ihr Kunde. Wegen der Markentreue bei seinen Fahrzeugen und dem großzügigem Auftreten wird er von der Belegschaft nur "Porschemann" genannt. Auch im Café Wien nahe der Autobahn A 30 in Löhne-Gohfeld ist er Stammgast.
Meyer, der seit vielen Jahren mit einer Frau aus Hüllhorst zusammen lebt, beendet diese Beziehung und lässt die dann Ex-Prostituierte Christiane R. bei sich im Hüllhorster Heideweg einziehen. Dort ist auch die Massagepraxis, wo schon Meyers Vater Patienten behandelte. Der Sohn erarbeitet sich seit Anfang der 1990-er Jahre nicht nur einen exzellenten Ruf, er scheint auch ein Arbeitstier zu sein. Zehn Stunden Tage ohne Mittagspausen sollen die Regel gewesen sein. "Er hat so um die 1.000 Euro am Tag eingenommen", sagt Christiane R. zu den Ermittlern - nahezu alles in bar und offenbar weitgehend unversteuert. Als Karl Friedrich Meyer zwei Jahre vermisst wird, erlässt das Finanzamt Lübbecke im Oktober 2014 eine Pfändungsverfügung über Steuerschulden in Höhe von knapp 600.000 Euro.
Nach ihrem Einzug bei Meyer geht Christiane R. auf seinen Wunsch hin keiner Tätigkeit mehr nach. Von ihm erhält sie zwischen 50 - 100 Euro pro Tag - für die Dinge des Lebens, wie sie sagt. Angaben zur Höhe ihres Taschengeldes variieren während des Prozesses.
Christiane R. erzählt der Kripo auch von gemeinsamen Swingerclubbesuchen, die an den Wochenenden zur Regel werden. Dabei kommt es zu einer kuriosen Begegnung. Im Bielefelder Club "Why not" treffen beide auf den Ex-Mann von Christiane R., Jörg S., mit dem sie zwei nahezu erwachsene Söhne hat. Jörg S. erscheint im Club mit neuer Freundin, die er seinem älterem Sohn ausgespannt hat. Auch sie arbeitet als Prostituierte, die Hochzeit findet im Oktober 2012 statt. Jörg S. soll von Hartz IV und den Einkünften seiner Frau leben.
Wie schon am Tag der Vermisstenanzeige spricht Christiane R. immer wieder Meyers sexuelle Neigung zu Männern an. Man habe regelmäßig Parkplätze angefahren, wo sich Menschen zum Sex verabreden würden, auch homosexuelle Männer. Darunter war auch der Parkplatz unterhalb des Kaiser Wilhelm Denkmals in Porta Westfalica. In ihrer Anwesenheit, so Christiane R. bei den Vernehmungen, sei man jedoch nur als Voyeure aufgetreten. "Ich wollte mich nicht von Fremden anfassen lassen" sagte sie laut Protokoll.
Auch am 21. Oktober 2012 - am Tag des Verschwindens - hätten Karl Friedrich Meyer und Christiane R. bei einer Ausfahrt am Parkplatz Togdrang in Bielefeld gehalten. "Am Mercedes-Autohaus in Brackwede links hoch", so ihre Beschreibung. Der Waldparkplatz an der Osningstraße gilt als Treffpunkt schwuler Männer. Monate später meldet sich ein Zeuge nach der Sendung Aktenzeichen XY bei der Polizei. Er will Meyers Jeep Wrangler am 23. Oktober auf genau diesem Parkplatz gesehen haben - also zwei Tage nach seinem Verschwinden. Die Kripo findet ein baugleiches Fahrzeug mit Osnabrücker Kennzeichen, dass heute noch in der Gegend unterwegs sein soll - die Sichtung des Jeeps verliert an Bedeutung. Über einen Antrag der Verteidigung, den Zeugen im Prozess noch einmal zu befragen, hat das Gericht noch nicht entschieden.
Aus den Reihen der Ermittler heißt es, die Hinweise von Christiane R. auf Meyers Bisexualität seien nur ein Störfeuer, um vom tatsächlichen Täter abzulenken (siehe Kasten). Jörg Z. stammt aus Bad Oeynhausen, beendet dort die Hauptschule und schmeißt später eine Dachdeckerlehre. Vor dreißig Jahren, im Oktober 1984, steht er zum ersten Mal vor Gericht. Bis heute folgen über 70 Straftaten, meist für Diebstahl und Fahren ohne Führerschein. 1988 wird er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Über sieben Jahre seines Lebens verbringt er hinter Gittern.
Seine Straftaten begeht er nicht sonderlich geschickt - eine Streife erwischt ihn in Bad Lippspringe in flagranti, als er die Fensterfront eines Sonnenstudios mit einem gestohlenen Pkw zerstört und im Innern nach Bargeld sucht - doch in der Haft kommt Jörg Z. deutlich besser klar, als außerhalb des Gefängnisses. Die Anstaltsleitung attestiert ihm ein "beanstandungsfreies Vollzugsverhalten".
Als Jörg Z. im Frühjahr 2012 die damals noch teuer gekleidete Christiane Z. in ihrem weißen BMW Z4 kennen lernt, "passt sie in sein Schema", wie der Inhaber einer Schnathorster Grillstube aussagt, wo sich beide öfters trafen. Ein Statussymbol wird Jörg Z. schließlich auch zum Verhängnis.
Karl Friedrich Meyers "Rolex Submariner", die er am Tag seines Verschwindens trug, wurde über einen Mittelsmann an einen Händler verkauft. Die Ermittler können nachweisen, dass Jörg Z. der eigentliche Verkäufer war. Das Geschäft wird am 2. November 2012 abgewickelt - nur zehn Tage nach Meyers Verschwinden. Seit dem 22. Januar 2014 sitzt Jörg Z. in Untersuchungshaft - ohne Probleme zu machen.
Indizienprozess bringt kaum Greifbares
Das Urteil des Landgerichts wird am 16. Februar erwartet.
Faustschlag auf verlassenem Parkplatz
Manni H., Mohammed K. und ein weiterer Häftling aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede sind die einzigen Menschen, die an 17 Prozesstagen über die eigentliche Tat sprechen. Nach seiner Verhaftung soll Jörg Z. ihnen die Tötung Meyers geschildert haben. Für die Aussagen der Häftlinge spricht, dass sie in einem anderen Mordfall so detaillierte Ortsangaben lieferten, dass die Polizei die Leiche eines seit 2007 verschwundenen Mädchens in einem Wald bei Wunstorf nahe Hannover fand.
Die Tat in Hüllhorst soll wie folgt geschehen sein: Am Abend des 21. Oktober 2012, einem Sonntag, will Jörg Z. für einen Grillimbiss in Hüllhorst-Schnathorst Bestellungen ausgefahren haben. Während einer Pause trifft er sich mit seiner Geliebten Christiane R. an einem nahen Verbrauchermarkt. Als sie gerade zu ihm ins Auto steigt, erscheint Meyer auf dem ansonsten leeren Parkplatz. Anscheinend war er seiner Lebensgefährtin gefolgt. Mit seinem Jeep blockiert er den Wagen von Jörg Z. und reißt die Beifahrertür an dessen Wagen auf. Nach einem Wortgefecht sei er dann auf die Fahrerseite gewechselt. Die Konfrontation mit Jörg Z. habe mit einem Faustschlag geendet. Meyer sei „unglücklich gestorben“, soll Jörg Z. gesagt haben. Der Jeep samt Leiche liege im blauen See (oder einem unmittelbar daneben befindlichem Gewässer) in Lehrte östlich von Hannover. Doch dort kann die Polizei nichts entdecken. Es gibt jedoch drei Seen rund um Hannover, die als „Blauer See“ bezeichnet werden.
Was ist also mit der Leiche Meyers geschehen? Einige Ermittler glauben, dass Jörg Z. Kontakte in die Unterwelt hat und sich dort Hilfe holte – die aber nur gegen Bargeld zu haben ist. Das könnte erklären, warum die Rolex und kurz darauf drei weitere Luxusuhren hastig versetzt wurden.
Was bisher geschah:
Hüllhorst. Kann in dieser Republik ein Mensch verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen? Nicht jemand vom Rand der Gesellschaft, sondern aus deren vermeintlicher Mitte. Mit Haus, Hund, gutem Auskommen und einer Lebensgefährtin. Und kann es sein, dass anschließend monatelang kaum etwas passiert, obwohl es vom ersten Tag an Ungereimtheiten gibt? "Es war ja nichts Konkretes da, außer das sein Haus ausgeräumt wurde", sagt ein Kriminalbeamter, der den Fall zuerst bearbeitete. Kennt man die mysteriösen Umstände um das Verschwinden von Karl Friedrich Meyer aus Hüllhorst, ist das ein denkwürdiger Satz. Es wird nicht der einzige bleiben.
Seit den Abendstunden des 21. Oktober 2012 fehlt von Meyer, damals 47 Jahre alt, jegliche Spur. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld glaubt, dass er eine Auseinandersetzung mit dem Geliebten seiner langjährigen Partnerin nicht überlebte. Ein Faustschlag von Jörg Z. (46) soll zum Tod geführt haben. Bis die Strafverfolger zu dieser Einschätzung kamen, verging mehr als ein Jahr. Ohne die Gier der Lebensgefährtin Christiane R. (40) und des mehrfach vorbestraften Jörg Z. hätte es womöglich überhaupt keine Anklage gegeben. Die Vermisstensache Meyer wäre in den Akten verschwunden.
Selten bedient ein Kriminalfall so viele Klischees: Käuflicher Sex, Schwarzgeld, Habgier, Eifersucht und immer wieder Rotlicht - all das hinter der schmucken Fassade eines bürgerlichen Daseins am Südhang des Wiehengebirges. Viel Unappetitliches ist in den letzten Monaten zu Tage gekommen. Doch über den eigentlichen Tod von Karl Friedrich Meyer gibt es nur Vermutungen.
Seit dem 21. Juli 2014 müht sich die zehnte Strafkammer am Bielefelder Landgericht die Tat aufzuklären. Jörg Z. ist wegen Totschlags angeklagt, Christiane R. wird versuchte Strafvereitelung vorgeworfen, weil sie ihrem Geliebten ein falsches Alibi verschafft haben soll. Mühsam ist der Indizienprozess aus mehreren Gründen: Weder die Leiche Meyers noch sein Wagen wurden jemals gefunden. Es gibt keine Zeugen für die Tat. Und beide Angeklagte schweigen beharrlich im Gerichtssaal. Nach 17 Prozesstagen ist ein teils schockierender Einblick ins Milieu gelungen, doch vieles davon wird am Ende juristisch kaum relevant sein.
Am 23. Oktober 2012 erscheint Christiane R. mit der Schwester ihres Lebensgefährten auf der Polizeiwache Lübbecke. Sie gibt an, Karl Friedrich Meyer habe zwei Tage zuvor das gemeinsam bewohnte Haus im Schnathorster Holz in Hüllhorst gegen 19 Uhr verlassen. "Ich muss noch mal weg", soll er gesagt haben - Ziel oder zeitliche Rückkehr unbekannt. Das sei öfters mal vorgekommen, sagt Christiane R., aber immer nur stundenweise und nie über Nacht. Sein Handy und die EC-Karte habe er zu Hause gelassen, führe aber circa 6.000 Euro Bargeld mit sich. Außerdem würde sich Meyer in der letzten Zeit sexuell zu Männern hin umorientieren.
Der Kriminalbeamte stuft die Faktenlage als "grenzwertig" ein und will keine Vermisstenanzeige aufnehmen. "Ich rechnete damit, dass die Person in den kommenden Tagen wieder auftaucht", sagt der Beamte als Zeuge im Prozess. Nur auf Bitten der Schwester Meyers, die "aufgeregt, besorgt, fast hysterisch" im Büro des Kommissars sitzt, wird die Anzeige schließlich geschrieben.
Seit zwei Tagen verschwunden, kein Handy, keine Bank- oder Kreditkarte bei sich, aber 6.000 Euro in der Hosentasche - hätten diese Umstände stutzig machen müssen? Polizeibeamte können Dutzende Geschichten von Menschen erzählen, die nach kurzer Zeit wieder wohlbehalten auftauchen. "Ich hatte den Eindruck, Karl Friedrich Meyer wollte ein neues Leben beginnen", sagt der Kommissar vor Gericht. Und so nimmt die Verwaltungsroutine ihren Lauf.
Eine Woche nach der Vermisstenanzeige werden die Daten Meyers in das bundesweite Informationssystem INPOL eingegeben. Alle Polizeibehörden haben darauf Zugriff. Allerdings sind die Angaben nur deutschlandweit ausgeschrieben, nicht international. Auf Nachfrage von Holger Rostek, einer der Verteidiger von Jörg Z., räumt der Beamte sein Versäumnis ein, dass passende "Häkchen" auf dem INPOL-Formular nicht gesetzt zu haben. Zumindest anfangs gibt es auch kein Foto Meyers in der Polizeidatenbank.
Dann passiert zwei Monate lang kaum etwas. Von Meyer fehlt weiterhin jede Spur, es gibt keine Abhebungen auf seinen Konten. Drei Wochen nach dem Verschwinden erscheint der Kriminalbeamte in Begleitung einer Polizeischülerin am 13. November am Haus des Vermissten im Schnathorster Holz, doch das Gespräch mit Christiane R. bringt keinerlei Erkenntnisse. Sie spricht davon, nur noch 800 Euro Bargeld zu haben. Tatsächlich hatte ihr Geliebter Jörg Z. am 2. November eine Rolex-Armbanduhr, die Meyer bei seinem Verschwinden trug, für etwa 2.500 Euro an einen Händler in Herford verkauft. Dazu später mehr.
Kurz vor Weihnachten 2012, also acht Wochen nach der Vermisstenanzeige, startet die Polizei einen Aufruf in den Medien, der über die Jahreswende sieben Hinweise zu dem auffälligen Jeep Wrangler einbringt, den Meyer am 21. Oktober fuhr. Die Sichtungen deuten auf den Raum Bünde und Porta Westfalica hin, "immer in der Nähe von Bordellen", wie der Kriminaler im Prozess sagt. Eine Zeugin will Meyer außerdem in Begleitung von Frau und Kind an einem Spaßbad in Herford gesehen haben. "Die Hinweise passten zuerst darauf, dass er sich abgesetzt hatte", so der Beamte weiter. Doch dann ermittelt er einen örtlichen Jagdpächter mit baugleichem Fahrzeug, der offenbar gesehen wurde. "Die Hinweise haben sich alle zerschlagen", sagt der Kommissar. Zu diesem Zeitpunkt - Ende Januar 2013 - ist Karl Friedrich Meyer seit einem Vierteljahr verschwunden.
Am 23. November 2012, einen Monat nach der Vermisstenanzeige, nimmt ein Anwalt aus Hüllhorst seine Arbeit auf. Als Abwesenheitspfleger vom zuständigen Amtsgericht Lübbecke bestellt, soll er sich um die vermögensrechtlichen Dinge des Verschwundenen kümmern. Darunter fällt vor allem das Haus im Schnathorster Holz, dass noch nicht abbezahlt ist. Die Sparkasse hatte die Konten Meyers gesperrt. Am Nachmittag seines ersten Arbeitstages findet er ein Bankschließfach leer vor, ebenso den Tresor im Schnathorster Holz. "Die Lebensgefährtin machte nicht den Eindruck einer verzweifelten Frau. Sie drückte auf die Tränendrüse und wollte Geld von mir", sagte der Anwalt vor Gericht. Da immer mehr Rechnungen auflaufen, lässt er am 10. Januar 2013 Meyers Porsche Cayenne abholen, um den Wagen zu verkaufen. Außerdem will er die Einrichtung des Hauses Anfang Januar von einem Sachverständigen bewerten lassen. Christiane R. verschiebt den Ortstermin dreimal. Monatelang kommt es zu keinem Treffen.
Am 16. März 2013 stehen die Mutter und Schwester Meyers vor dem Haus Schnathorster Holz. Als sie die Jalousien ein Stück hochschieben, sehen sie nur noch leere Räume hinter der Fensterscheibe. Die Familie informiert den Abwesenheitspfleger, der am 22. März 2013 tatsächlich einen Ortstermin mit Christiane R. hat. "Im Haus befand sich nur noch ein Wohnzimmerschrank und bergeweise Klamotten. Selbst die Küche war weg", sagt der Anwalt, der die Polizei informiert. Drei Tage später wird Christiane R. auf der Wache Lübbecke vernommen - als Zeugin, nicht als Beschuldigte. "Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sie mit dem Verschwinden Meyers etwas zu tun hat", sagt der Kripobeamte. "Die Verdachtsmomente waren nicht ausreichend." Kurze darauf nimmt eine achtköpfige Ermittlungskommission die Arbeit auf. Zu diesem Zeitpunkt ist Karl Friedrich Meyer seit fünf Monaten spurlos verschwunden.
Christiane R. lernt Meyer vor etwa zehn Jahren bei der Arbeit kennen. Im Club Steinegge, einem Bordell zwischen Vlotho und Bad Oeynhausen, geht sie der Prostitution nach, Meyer ist ihr Kunde. Wegen der Markentreue bei seinen Fahrzeugen und dem großzügigem Auftreten wird er von der Belegschaft nur "Porschemann" genannt. Auch im Café Wien nahe der Autobahn A 30 in Löhne-Gohfeld ist er Stammgast.
Meyer, der seit vielen Jahren mit einer Frau aus Hüllhorst zusammen lebt, beendet diese Beziehung und lässt die dann Ex-Prostituierte Christiane R. bei sich im Hüllhorster Heideweg einziehen. Dort ist auch die Massagepraxis, wo schon Meyers Vater Patienten behandelte. Der Sohn erarbeitet sich seit Anfang der 1990-er Jahre nicht nur einen exzellenten Ruf, er scheint auch ein Arbeitstier zu sein. Zehn Stunden Tage ohne Mittagspausen sollen die Regel gewesen sein. "Er hat so um die 1.000 Euro am Tag eingenommen", sagt Christiane R. zu den Ermittlern - nahezu alles in bar und offenbar weitgehend unversteuert. Als Karl Friedrich Meyer zwei Jahre vermisst wird, erlässt das Finanzamt Lübbecke im Oktober 2014 eine Pfändungsverfügung über Steuerschulden in Höhe von knapp 600.000 Euro.
Nach ihrem Einzug bei Meyer geht Christiane R. auf seinen Wunsch hin keiner Tätigkeit mehr nach. Von ihm erhält sie zwischen 50 - 100 Euro pro Tag - für die Dinge des Lebens, wie sie sagt. Angaben zur Höhe ihres Taschengeldes variieren während des Prozesses.
Christiane R. erzählt der Kripo auch von gemeinsamen Swingerclubbesuchen, die an den Wochenenden zur Regel werden. Dabei kommt es zu einer kuriosen Begegnung. Im Bielefelder Club "Why not" treffen beide auf den Ex-Mann von Christiane R., Jörg S., mit dem sie zwei nahezu erwachsene Söhne hat. Jörg S. erscheint im Club mit neuer Freundin, die er seinem älterem Sohn ausgespannt hat. Auch sie arbeitet als Prostituierte, die Hochzeit findet im Oktober 2012 statt. Jörg S. soll von Hartz IV und den Einkünften seiner Frau leben.
Wie schon am Tag der Vermisstenanzeige spricht Christiane R. immer wieder Meyers sexuelle Neigung zu Männern an. Man habe regelmäßig Parkplätze angefahren, wo sich Menschen zum Sex verabreden würden, auch homosexuelle Männer. Darunter war auch der Parkplatz unterhalb des Kaiser Wilhelm Denkmals in Porta Westfalica. In ihrer Anwesenheit, so Christiane R. bei den Vernehmungen, sei man jedoch nur als Voyeure aufgetreten. "Ich wollte mich nicht von Fremden anfassen lassen" sagte sie laut Protokoll.
Auch am 21. Oktober 2012 - am Tag des Verschwindens - hätten Karl Friedrich Meyer und Christiane R. bei einer Ausfahrt am Parkplatz Togdrang in Bielefeld gehalten. "Am Mercedes-Autohaus in Brackwede links hoch", so ihre Beschreibung. Der Waldparkplatz an der Osningstraße gilt als Treffpunkt schwuler Männer. Monate später meldet sich ein Zeuge nach der Sendung Aktenzeichen XY bei der Polizei. Er will Meyers Jeep Wrangler am 23. Oktober auf genau diesem Parkplatz gesehen haben - also zwei Tage nach seinem Verschwinden. Die Kripo findet ein baugleiches Fahrzeug mit Osnabrücker Kennzeichen, dass heute noch in der Gegend unterwegs sein soll - die Sichtung des Jeeps verliert an Bedeutung. Über einen Antrag der Verteidigung, den Zeugen im Prozess noch einmal zu befragen, hat das Gericht noch nicht entschieden.
Aus den Reihen der Ermittler heißt es, die Hinweise von Christiane R. auf Meyers Bisexualität seien nur ein Störfeuer, um vom tatsächlichen Täter abzulenken (siehe Kasten). Jörg Z. stammt aus Bad Oeynhausen, beendet dort die Hauptschule und schmeißt später eine Dachdeckerlehre. Vor dreißig Jahren, im Oktober 1984, steht er zum ersten Mal vor Gericht. Bis heute folgen über 70 Straftaten, meist für Diebstahl und Fahren ohne Führerschein. 1988 wird er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Über sieben Jahre seines Lebens verbringt er hinter Gittern.
Seine Straftaten begeht er nicht sonderlich geschickt - eine Streife erwischt ihn in Bad Lippspringe in flagranti, als er die Fensterfront eines Sonnenstudios mit einem gestohlenen Pkw zerstört und im Innern nach Bargeld sucht - doch in der Haft kommt Jörg Z. deutlich besser klar, als außerhalb des Gefängnisses. Die Anstaltsleitung attestiert ihm ein "beanstandungsfreies Vollzugsverhalten".
Als Jörg Z. im Frühjahr 2012 die damals noch teuer gekleidete Christiane Z. in ihrem weißen BMW Z4 kennen lernt, "passt sie in sein Schema", wie der Inhaber einer Schnathorster Grillstube aussagt, wo sich beide öfters trafen. Ein Statussymbol wird Jörg Z. schließlich auch zum Verhängnis.
Karl Friedrich Meyers "Rolex Submariner", die er am Tag seines Verschwindens trug, wurde über einen Mittelsmann an einen Händler verkauft. Die Ermittler können nachweisen, dass Jörg Z. der eigentliche Verkäufer war. Das Geschäft wird am 2. November 2012 abgewickelt - nur zehn Tage nach Meyers Verschwinden. Seit dem 22. Januar 2014 sitzt Jörg Z. in Untersuchungshaft - ohne Probleme zu machen.
Indizienprozess bringt kaum Greifbares
Das Urteil des Landgerichts wird am 16. Februar erwartet.
Faustschlag auf verlassenem Parkplatz
Manni H., Mohammed K. und ein weiterer Häftling aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede sind die einzigen Menschen, die an 17 Prozesstagen über die eigentliche Tat sprechen. Nach seiner Verhaftung soll Jörg Z. ihnen die Tötung Meyers geschildert haben. Für die Aussagen der Häftlinge spricht, dass sie in einem anderen Mordfall so detaillierte Ortsangaben lieferten, dass die Polizei die Leiche eines seit 2007 verschwundenen Mädchens in einem Wald bei Wunstorf nahe Hannover fand.
Die Tat in Hüllhorst soll wie folgt geschehen sein: Am Abend des 21. Oktober 2012, einem Sonntag, will Jörg Z. für einen Grillimbiss in Hüllhorst-Schnathorst Bestellungen ausgefahren haben. Während einer Pause trifft er sich mit seiner Geliebten Christiane R. an einem nahen Verbrauchermarkt. Als sie gerade zu ihm ins Auto steigt, erscheint Meyer auf dem ansonsten leeren Parkplatz. Anscheinend war er seiner Lebensgefährtin gefolgt. Mit seinem Jeep blockiert er den Wagen von Jörg Z. und reißt die Beifahrertür an dessen Wagen auf. Nach einem Wortgefecht sei er dann auf die Fahrerseite gewechselt. Die Konfrontation mit Jörg Z. habe mit einem Faustschlag geendet. Meyer sei „unglücklich gestorben“, soll Jörg Z. gesagt haben. Der Jeep samt Leiche liege im blauen See (oder einem unmittelbar daneben befindlichem Gewässer) in Lehrte östlich von Hannover. Doch dort kann die Polizei nichts entdecken. Es gibt jedoch drei Seen rund um Hannover, die als „Blauer See“ bezeichnet werden.
Was ist also mit der Leiche Meyers geschehen? Einige Ermittler glauben, dass Jörg Z. Kontakte in die Unterwelt hat und sich dort Hilfe holte – die aber nur gegen Bargeld zu haben ist. Das könnte erklären, warum die Rolex und kurz darauf drei weitere Luxusuhren hastig versetzt wurden.