Dr. Böttiger: "...Seit der Menschwerdung war das Fehlen oder die Unerschwinglichkeit von Energie (neben der Kontrolle des Bodens und seiner Schätze) zunehmend die reale Ursache für Not und Elend, denn die zur Behebung der Not erforderlichen Versorgungsgüter lassen sich ohne Energie nicht herstellen. Wird der Energiepreis angehoben oder sein Anstieg in Kauf genommen, dann werden Bevölkerungen „unter Lebensbedingungen gestellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“.So definiert unser Strafgesetzbuch (§ 220a, Ziffer 3) Völkermord. Natürlich sind Energie-Verknappung und Energiekostensteigerung die Folge vielfältiger Manipulationen. Die Anhebung der Energiekosten durch den Ausstieg aus der Kernenergie wäre damit ebenso wie die Umwandlung von Lebensmittel in Treibstoff eigentlich „Beihilfe zum Völkermord“.
Der Irakkrieg war (wie jetzt der Libyenkrieg) sicherlich nicht nur ein Raubkrieg um knapper werdende Öl-Reserven zu requirieren. Doch spielt die Kontrolle der Energiereserven eine wichtige Rolle im Bestreben, die Macht über die Welt auszuweiten und diese Kontrolle zu festigen. Energie ist für die Gesellschaft das, was die Nahrung für den einzelnen Menschen ist. Wer die entsprechende Versorgung kontrolliert, kann den einzelnen oder der Gesellschaft auch ein bestimmtes Verhalten abpressen. Was aber ist Machtausübung anderes als die Nötigung, sich so zu verhalten, wie der Macht Ausübende es verlangt? Der Ausstieg aus der Kernenergie dient unter anderem dieser Art der Machtverfestigung.
Die Rolle der Kernenergie ist in diesem Zusammenhang sogar besonders wichtig. Die hohe Energiedichte der nuklearen Bindungskräfte (bei der Spaltung eines Uran-Atoms oder der Fusion zweier Wasserstoffatome wird mehrere millionenfach mehr Energie freigesetzt als beim Verbrennen eines Wasserstoff oder Kohlenstoffatoms) und der relativ geringe Anteil der direkten Brennstoffkosten bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie ermöglicht es – anders als im Fall von Öl, Kohle und Gas – allen Nationen, sich relativ große Energievorräte auf engem Raum anzulegen und sich dadurch unabhängiger zu machen. Der Ausstieg aus der Kernenergie verknappt nicht nur die verfügbaren Energiereserven mit entsprechendem Preisanstieg, sondern macht als Folge der Knappheit auch Verteilungskämpfe um die Ressourcen wahrscheinlicher. Das gilt vor allem auch für Wasser. Ein Blick auf die Erdkarte zeigt, dass es auf der Erde keineswegs an Wasser fehlt, wohl aber an Energie, um das reichlich vorhandene Wasser in einen für den Menschen und seine Landwirtschaft verwendbaren Zustand zu bringen.
Ähnliches gilt für Rohstoffe aller Art: In einem Kubikkilometer normalen Erdreichs sind alle Rohstoffe und Materialien enthalten, welche die Menschheit benötigt. Die noch vorherrschende Energieknappheit ist der einzige Grund, weshalb immer noch nach Lagerstätten Ausschau gehalten wird, in denen einzelne Stoffe in besonders hoher Konzentration vorhanden sind. Ein systematisches Rohstoffmanagement, dem eine sehr hohe Energiedichte zur Verfügung stünde, könnte mit höherer Energieeffizienz die Rohstoffbeschaffung aus normalem Oberflächengestein bewältigen. Die dafür benötigte Energiequelle stünde spätestens mit der Beherrschung der Kernfusion zur Verfügung. Damit nämlich ließe sich dieses Gestein in den Plasmazustand bringen und unter direkter Gewinnung elektrischen Stroms in die einzelnen Elemente aufteilen.
Aus dem gleichen Grund ist Kernenergie der Schlüssel zu wirksamen Recycling aller Abfallstoffe und daher zum Umweltschutz. Umweltprobleme, soweit sie sich nicht auf die unmittelbare Bodennutzung beziehen, gehen auf das Problem zurück, dass im Zuge der Güterproduktion und ihre Verwendung chemische Verbindungen entstehen, die sich nicht weiter verwenden lassen (Abfälle) und sich an einzelnen Orten anreichern, bis sie einen schädlichen Dosis-Wert überschreiten. Wenn man bedenkt, dass alle Stoffe dieser Erde aus molekularen Verbindungen der nur rund 90 verschiedenen Elemente bestehen, dann wird deutlich, dass sich alle lästigen oder gefährlichen chemischen Verbindungen in ihre Bestandteile – nämlich diese Elemente – zerlegen lassen. Sie können im Gegenzug dann wieder zu den gewünschten Verbindungen zusammengebracht werden, die als Werkstoffe gebrauch werden. Hinzu kommt die Einsicht, dass stofflich gesehen die Erde ein weitgehend geschlossenes System ist. Das heißt, Stoffe können im nennenswerten Umfang weder von außen hinzukommen noch nach außen abgegeben werden. Der Schlüssel, um Fehlentwicklungen zu begegnen, liegt in der Verfügbarkeit von Energie. Mit ihrer Hilfe lassen sich gefährliche oder nicht mehr benötigte chemische Verbindungen wieder in ihre Bestandteile zerlegen, um daraus nützliche Stoffe zu bilden.
Nur chemische Bindungen mit molekularen Bindungskräften zerlegen zu wollen käme dem Versuch gleich, den Teufel durch Beelzebub austreiben zu wollen. Die Spaltung der Moleküle in ihre Elemente, ist erst sinnvoll, wenn eine andere, wesentlich dichtere Energiequelle als die der chemischen Bindungskräfte kostengünstig zur Verfügung steht. Nur wenn dies nicht der Fall ist, bleiben Abfälle liegen. Erst die millionenfach dichteren Kernbindungskräfte machen es sinnvoll, die molekularen Verbindungen aufzubrechen und die frei gewordenen Elemente zu neuen Werkstoffen zu verbinden.
Die dazu benötigte hohe Energiedichte lässt erkennen, warum der oft vorgetragene Hinweis auf die reichlich vorhandenen erneuerbaren Energien keinen Ausweg aus der Energieknappheit bietet. Sie haben den Nachteil, zu wenig dicht zur Verfügung stehen. Der eigentliche Aufwand ihrer Nutzung besteht darin, diese Energie einzusammeln und zu verdichten. Das gleiche, was für Walderdbeeren gilt, trifft auch auf die Sonnenenergie zu. Obwohl diese im Wald kostenlos zur Verfügung stehen, erzielen sie auf dem Wochenmarkt hohe Preise und niemand käme freiwillig auf die Idee, die Nahrungsversorgung der Menschen wieder auf die „von Natur“ kostenlos angebotenen Waldbeeren zu gründen.
Warum versucht man Ähnliches im Bereich der erneuerbaren Energie? Die Errichtung der Anlagen, sie zu sammeln und zu verdichten verschlingt in den meisten Fällen mehr Energie, als mit ihnen schließlich gewonnen wird. In Geld ausgedrückt wird es verständlicher: Wer eine Energieanlage für hundert Euro kauft, um dann in Cent-Beträgen Energie zu erzeugen, und schließlich, wenn die Anlage verbraucht ist und verschrottet werden muss, gerade 80 Euro zurückgewonnen hat, hat ein schlechtes Geschäft gemacht. Höhere Energiepreise mildern dieses Missverhältnis nicht, sondern verschärfen es für die Allgemeinheit sogar. Wenn die entsprechenden Anlagen dann nur noch mit Hilfe erneuerbarer Energien her zustellen wären, wird der trügerische Charakter der Hoffnung auf diese Energiequelle vollends offensichtlich: die Erweiterung des Produktionsapparates ließe sich nur durch drastische Senkung der Versorgung erzielen. Hinter der Propaganda erneuerbarer Energien versteckt sich das politische Ziel, eine stationäre (statische) Gesellschaft mit einer streng begrenzten Anzahl von Menschen durchzusetzen.
Not – vor allem die unnötig verlängerte und sinnlos beibehaltene – lenkt uns von uns selbst ab, vor allem von der Herausforderung, „wesentlich“ zu werden. Seit der Menschwerdung gehört es zum Wesen des Menschseins, sich zu entwickeln, über sich (seine Grenzen) hinweg zu steigen. Es ist dem Menschen „eigentümlich“, durch seinen ureigenen Beitrag, den jeder einzelne einzigartig zur Besserung der Lebensumstände unserer Mitmenschen oder der Biosphäre insgesamt besteuern kann und will, erst „er selbst“ zu werden. Ein solch eigener, schöpferischer Beitrag für andere – und sei es der geglückte Versuch, in traurigen Augen eines anderen wieder den Schimmer von Freude zu wecken oder einen Engpass, der andere in Notlagen bringt, zu überwinden – ist das einzige wirkliche „Eigentum“, das wir uns im Unterschied zu unwesentlichem Besitz erwerben können (der Glück und Freude statt „Spaß“ bringt). Kreativität, Weiterentwicklung ist aber, religiös ausgedrückt, immer verbunden mit dem Tod des „alten“ und der Geburt eines „neuen“ Menschen, denn wo werden größere Ängste frei als in diesem „wesentlichen“ Zusammenhang des Menschseins?
Es wird behauptet, Technik habe mit Moral nichts zu tun, es käme nur darauf an, was der Mensch mit seinen technischen Möglichkeiten anfängt. Das mag in manchen Fällen stimmen, trifft aber nicht auf die Ablehnung oder gar Verhinderung technischer Möglichkeiten zu, welche die Menschen von materiellem Mangel und Not befreien könnten – durch deren Verhinderung anderen eine menschenwürdigere Existenz oder der sog. „Überbevölkerung“ sogar die nackte Existenz verweigert wird. Eine solche Ablehnung ist eine grundlegende Frage der Moral. Ist es doch kaum verwerflicher, einen Menschen zu erschlagen, als ihn durch aufgezwungene Lebensumstände – wie es heute weltweit aus politischen und wirtschaftlichen und angeblichen umweltbedingten Gründen geschieht – verhungern zu lassen oder dies doch billigend in Kauf zu nehmen. Es wird ohne die Nutzung der Kerntechnik in Zukunft weder eine Industriegesellschaft noch eine menschenwürdige Zivilisation geben.
Moral wurde früher zu Recht immer auch mit Mut in Verbindung gebracht. Angst ist die „Moral“ hilfloser Sklaven. Der Mensch bleibt in gewisser Weise noch menschlich, wenn ihm materiellen Einschränkungen verwehren, sich zu entwickeln. Wenn er sich aus Ängstlichkeit, Faulheit oder Schlechtigkeit selbst der Entwicklungsmöglichkeit beraubt, wird er unmenschlich und sinkt moralisch noch unter die Stufe des „bewusstlos unschuldigen“ Tieres hinab.
Die Frage der Kernenergie – nicht nur der Kernspaltung, sondern mehr noch der Kernfusion, der Materie-Antimaterie-Reaktion und anderer Nutzenergie freisetzender Kernreaktionen – ist aus diesem Grunde eine Schicksalsfrage der Menschheit. Und das macht sie neben all den wissenschaftlichen und technischen Fragen, die im Zusammenhang mit der sicheren und verantwortungsvollen Handhabung der Kernenergie zu lösen sind, zu einer Frage der Moral. Die Kernenergie zu meistern, ist also nicht nur eine technische, auch nicht nur eine politische, sondern vor allem eine menschliche Aufgabe.
Wir stehen an der Schwelle zu Produktionsverhältnissen, die es wegen unserer technischen Produktivkräfte unmöglich machen könnten, Menschen weiterhin durch Androhung von Not und Mangel zu einem fremdbestimmten Handeln zu zwingen, das heißt an der Schwelle einer Gesellschaft, die nicht mehr durch Macht und wirtschaftliche Gewalt, sondern durch kluge, kreative, weiterführende Einfälle und Strategievorschläge überzeugt und zu führen wäre: eine Horrorvorstellung sowohl für die heute mehr und mehr verkommene (Geld-)Elite wie für deren verängstigte und verblödete Gefolgschaft. Zugleich stehen wir an der Schwelle, an der wir Menschen entscheiden müssen, ob wir die Evolution der Biosphäre führend und gestaltend weiter entwickeln und dafür die Verantwortung übernehmen, oder uns aus Angst vor der Verantwortung zu Objekten der biologischen Evolution – zu Tieren also – zurück entwickeln (worauf unsere sogenannte „avantgardistische Kultur“ hinzudeuten scheint) und damit die Verantwortung an eine metaphysische „Mutter Natur“ (beziehungsweise deren Macht-Priester) abgeben wollen. Diese unsere Schwellensituation gleicht daher derjenigen der Anthropoiden an der Schwelle zum bisher erreichten Grad der Menschwerdung."
http://www.spatzseite.com/2011/04/wo-bleibt-die-moral/#more-312