Tripane schrieb:Das ist der Punkt. Was bedeutet das denn, es "braucht mehr Geld oder Zeit"? Das ist ja im Grunde dann eine Einschränkung des Lebensstandards. Soll dann jemand der bisher eine 40 Stunde Woche gearbeitet hat, auf 50 oder 60 Stunden aufstocken? Da kann man doch nicht mehr von einer Beibehaltung des Lebensstandards reden.
Lebensstandard wird neu definiert werden müssen.
Aktuell ist unser Begriff von Lebensstandard vor allem an Konsum(verfügbares Einkommen und verfügbare Konsumgüter) geknüpft.
Dass Konsum aber nur ganz rudimentär mit subjektiv empfundenem Glück("das gute Leben") korreliert weiß man schon sehr lange.
Unser aktuelles Weltwirtschaftssystem ist darauf ausgelegt so viele Konsumgüter wie möglich zu schaffen und sie mit so viel Profit wie möglich zu verkaufen. Das ganze System funktioniert nur solange es permanent wächst und dieses Wachstum lässt sich nur generieren durch die Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen.
Dieses globale System produziert, wie gesagt extrem viele Konsumgüter und auch extrem viel Profit.
Die Konsumgüter sind ungleich verteilt. Nur etwas 1 Milliarden Menschen(das sind 1000 Millionen) auf diesem Planeten leben in sogenannten Konsumgesellschaften. Sie teilen praktisch den gesamten Konsum unter sich auf.
Die restlichen 7 Milliarden Menschen konsumieren praktisch nicht über das zum überleben notwendige Niveau hinaus.
Der Profit(bzw. das Kapital) ist aber noch deutlich ungleicher verteilt. Weniger als 0,01 Milliarden Menschen (unter 10 Millionen) besitzen 50% des gesamten global verfügbaren Kapitals. Weniger als 0,1 Milliarden Menschen (unter 100 Millionen) besitzen 85% des gesamten global verfügbaren Wohlstands. Die Restlichen 7.5 Milliarden Menschen (7500 Millionen) haben praktisch keinen Anteil an diesem ganzen System. Ihr Arbeitskraft und ihre Umwelt wird ausgebeutet, aber sie haben nichts davon.
Wenn wir also darüber reden, dass der Lebensstandard sinken könnte, dann muss man gut darauf achten was das bedeutet und für wen.
Grundsätzlich sind wir mit zwei Problemen konfrontiert:
1. Die mit unseren Wirtschaftsaktivitäten verknüpften Emissionen zerstören unsere Lebensgrundlage mit rasanter Geschwindigkeit.
2. Unser Finanzsystem funktioniert nicht ohne Wachstum
Welche Lösungsansätze gibt es?
1. Unsere Wirtschaftsaktivitäten von Emissionen befreien (decarbonization)
Hier gibt es viel Potential, allerdings werden entsprechende Veränderungen von Ländern und Konzernen, die mit fossilen Brennstoffen viel Geld verdienen und ihre Macht darauf Fußen, seit Jahrzehnten erfolgreich blockiert.
Das Problem an dieser Lösung ist die Ressourcenverteilung. Nachhaltigkeit mit hohem Konsum und hohen Emissionen lässt sich erreichen, wenn einfach nur sehr, sehr wenige Menschen so viel Konsumieren während die große Mehrheit praktisch nichts konsumiert und emittiert.
In einem solchen System ist die Unterdrückung vorprogrammiert. Wohlstand darf nicht für alle erreichbar sein, Chancengleichheit darf es nicht geben, denn dann wäre das System nicht mehr nachhaltig.
Das ist auch unser aktuelles Dilemma.
2. Ein Finanzsystem, dass auch ohne Wachstum stabil funktioniert und sich statt auf Profit und Wachstum auf Nachhaltigkeit, gerechte Umverteilung und Subsistenz konzentriert.
Die interessante Frage hier ist, welcher Lebensstandard in einer gerechten und nachhaltigen Welt realistisch ist.
Umgekehrt frage ich mich was am aktuellen System so attraktiv ist, dass so viele Leute es verteidigen.
Wir generieren extremen Wohlstand für eine winzige Minderheit der Weltbevölkerung, während über 80% praktisch gar nichts haben.
Dieser obszöne Luxus einiger Weniger ist so teuer, dass dafür Milliarden Menschen ausgebeutet und unsere globale Lebensgrundlage nachhaltig zerstört wird. Was ist daran so toll?
Ich persönlich bin überzeugt, dass der Lebensstandard in einer Welt die nachhaltig und gerecht funktioniert deutlich höher ist als der Lebensstandard in einer Welt, die auf selbstzerstörerischer Ausbeutung von Mensch und Natur basiert.