Naja, da würd ich jetzt nicht viel darauf geben. Issn bisserl so wie mit der Frage, wann Amerika für die Alte Welt entdeckt wurde. Ganz klar: 1492! Daß die Isländer schon 500 Jahre früher da waren, ist zwar richtig, doch war dies nur eine Episode ohne dauerhafte Besiedlung, die sogar weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand.
In den letzten Jahrzehnten verschob sich die Datierung, seit wann der Homo sapiens in Europa lebte, immer wieder mal, auch durch Neufunde, vor allem aber durch Nachjustierung der Funddatierungen. Jetzt nun fand man nen Einzelfund, der gut 10.000 Jahre älter ist als die bisher ältesten Funde.
Es ist aber nicht so, daß wir bisher nur so wenig Sapiensfunde (direkte wie indirekte, in Form von eindeutig dem Sapiens zuordenbarer Artefakte) hätten, sodaß da auch mal Lücken von mehreren tausend Jahren drin wären. So dünn gesät ist es dann doch nicht. Hier nun aber haben wir genau solch einen Fall. Heißt das nun, da begann die Sapiens-Besiedlung Europas? Oder nicht vielmehr, hier hatten schon rüher mal Sapiense versucht, sich hier anzusiedeln, ganz wie die Isländer auf Neufundland, scheiterte dann aber und gelang erst rund 10.000 Jahre später.
Es ist ja nicht mal so, daß wir sagen könnten, daß die Sapiens-Besiedlung Europas wirklich mit den bisher ältesten Sapiens-Funden losgegangen sei. Dazu zitiere ich mal aus
diesem Spektrum.de-ArtikelDie ältesten Vertreter des anatomisch modernen Menschen, die vor rund 45 000 Jahren in das damals nur von Neandertalern bewohnte Europa einwanderten, hinterließen praktisch keine genetischen Spuren in den heutigen Europäern. Erst Gruppen, die vor 37 000 Jahren lebten, zählen zu einem gewissen Grad zu den Ahnen heutiger Europäer. Diese frühen Gruppen lassen sich kulturell dem Aurignacien zuordnen.
Dessen Angehörige wurden jedoch von einer Population abgelöst, die sich kulturell – und wie sich nun zeigt – auch genetisch von ihnen erkennbar unterschied und der Kulturstufe des Gravettien zugeordnet wird. Ihren Beginn legen die Wissenschaftler auf 33 000 Jahre vor heute, ihren Ausgangspunkt auf Südosteuropa.
Demnach gäbe es erst eine dauerhafte Besiedlung ab dem Gravettien, einsetzend vor ca. 33.000 Jahren. Immerhin aber waren die vorherigen jetztmenschlichen Siedler ziemlich lange und wie's scheint kontinuierlich hier. Mehr als 10.000 Jahre, da kann man trotz ihres Verschwindens am Ende dann wohl doch von einer dauerhaften Besiedlung sprechen, nur eben von einer am Ende dennoch gescheiterten.
Bekannt ist dies übrigens nicht erst seit der Machbarkeit genetischer Analysen. Mitte der Nuller Jahre kam das Stage III Projekt bereits zu diesem Ergebnis. In jener Zeit, als die Neandertaler von der Landkarte verschwanden, verschwanden genauso, freilich etwas zeitversetzt, auch die Populationen des Homo sapiens. Die graphische Darstellung der geographischen Verteilung sowie der Häufung der Siedlungen beider Spezies, chronologisch sortiert, zeigte ziemlich deutlich, daß die Neandertaler immer mehr auf die südlichen und westlichen Regionen Europas beschränkt lebten, bis sie schließlich verschwanden. Das Projekt kam jedoch für die Sapiens-Siedlungsräume zum sehr vergleichbaren Ergebnis. Auch die beschränkten sich immer mehr, immer stärker auf den Südwesten Europas, bis auch ihre Siedlungen aufhörten und ihre materiale Hinterlassenschaft der Werkzeugtypen des Aurignacien sich in jüngeren Schichten nicht mehr fand. Nach einer Lücke von ca. 2000 Jahren gab es dann aber wieder Sapiens-Hinterlassenschaften, diesmal jedoch vom Jung-Aurignacien, auch Gravettien genannt.
Ob man die dauerhafte Besiedlung Europas durch den Sapiens nun vor 45.000 oder vor 33.000 Jahren ansetzen will, vor 56.800 Jahren gewiß nicht. Klar können wir noch weitere Siedlungsspuren finden, die die Lücke zwischen 56.800 und 45.000 Jahren auffüllen. Aber es ist wie gesagt nicht so, daß wir erst mit dem Spurensuchen angefangen haben. Wenn wir ne archäologische Lücke von 10.000 Jahren in der Siedlungsgeschichte des HS haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir da bloß noch nichts gefunden haben, doch arg gering, die Wahrscheinlichkeit hingegen, daß der Sapiens nur sporadisch in Europa lebte, weitaus größer.