Beim Lesen des Beitrags von
@Fedaykin kam ich nicht umhin, das zitiete Stück aus Proklossens Beitrag zu lesen. Mir fiel dies ins Auge: "
s hätte damals auch keiner spontan vermutet, dass die 9000 Jahre eine Erfindung sein müssen, denn jeder lebte in dem Glauben, dass Ägypten sogar noch älter ist. Die Leute damals nahmen keinen Anstoß an den 9000 Jahren."
Für wie alt hielten die antiken Griechen die Erde, die Menschheit, die Staaten wie z.B. das pharaonische Ägypten? Waren Angaben wie 8...9000 Jahre bei Plato oder 11.340 Jahre bei Herodot unter den Griechen geläufig und allgemein akzeptiert? Fangen wir mal damit an: Was läßt Plato über Solon erzählen?
Tim22a
da er Erkundigungen über die Vorzeit bei denjenigen Priestern einzog, welche hierin vorzugsweise erfahren waren, so war er nahe daran zu finden, daß weder er selbst noch irgend ein anderer Grieche, fast möchte man sagen, auch nur irgend Etwas von diesen Dingen wisse.
Offensichtlich war Solon überrascht, was er erfuhr. Wie das kam, wird im folgenden dann detailliert erzählt:
Tim22a-b
einst habe er, um sie zu einer Mitteilung über die Urzeit zu veranlassen, begonnen, ihnen die ältesten Geschichten Griechenlands zu erzählen, ihnen vom Phoroneus, welcher für den ersten gilt, und von der Niobe, und wie nach der Flut Deukalion und Pyrra übrig blieben, zu berichten und das Geschlechtsregister ihrer Abkömmlinge aufzuzählen und habe versucht, mit Anführung der Jahre, welche auf jedes Einzelne kamen, wovon er sprach, die Zeiten zu bestimmen. Da aber habe einer der Priester, ein sehr bejahrter Mann, ausgerufen: O Solon, Solon, ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, und einen alten Hellenen gibt es nicht! Als nun Solon dies vernommen, habe er gefragt: Wie so? Wie meinst du das? Ihr seid alle jung an Geiste, erwiderte der Priester, denn ihr tragt in ihm keine Anschauung, welche aus alter Überlieferung stammt, und keine mit der Zeit ergraute Kunde.
Solon zeigt sich überrascht, daß der Saite der von ihm vorgetragenen Erinnerung das Prädikat "alt" abspricht. Er ging
nicht davon aus, daß es noch eine längere Zeit vor den von ihm angeführten Gestalten gab. Ausdrücklich wird Phoroneus mit "welcher für den ersten gilt" beschrieben. Gemeint ist, Phoroneus ist der erste Mensch, quasi ein griechischer Adam.
Wikipedia: Phoronis (Epos)Im Folgenden schildert der saitische Priester, wie die Welt von verschiedenen Naturkatastrophen heimgesucht wurde und wie dabei in den Kulturen das alte Wissen verloren ging und quasi jede Kultur wieder "auf Anfang" gesetzt wurde und erneut ein "junges Geschlecht" war. Ebenso, warum Ägypten hiervon nicht betroffen war, sodaß sich hier das echte alte Wissen bewahrte.
Tim23e
Als nun Solon dies hörte, da habe er, wie er erzählte, sein Erstaunen bezeugt und angelegentlichst die Priester gebeten, ihm die ganze Geschichte der alten Bürger seines Staates in genauer Reihenfolge wiederzugeben. Der Priester aber habe erwidert: Ich will dir Nichts vorenthalten, mein Solon, sondern dir Alles mitteilen, sowohl dir als eurem Staate, vor Allem aber der Göttin zu Liebe, welche euren so wie unseren Staat gleichmäßig zum Eigentume erhielt und beide erzog und bildete, und zwar den euren tausend Jahre früher aus dem Samen, den sie dazu von der Erdgöttin Ge und dem Hephästos empfangen hatte, und später eben so den unsrigen. Die Zahl der Jahre aber, seitdem die Einrichtung des letzteren besteht, ist in unseren heiligen Büchern auf achttausend angegeben. Von euren Mitbürgern, die vor neuntausend Jahren entstanden, will ich dir also jetzt im Kurzen berichten
Man beachte die Formulierung, daß die Menschen Griechenlands vor 9000 Jahren "entstanden". Sie wurden von der Erdgöttin Gê/Gaia (zusammen mit Hephaistos) hervorgebracht. Zu deren Zeiten kam Griechenland als Besitz an Athene.
Dies ist eine unägyptische Vorstellung, es ist hingegen typisch griechische Vorstellung. Der griechische Begriff autochthôn auf Menschen bezogen meint in einem weitgefaßten Sinn die Urbevölkerung einer Region. So sind die Hellenen erst nach Attika etc. eingewandert, also nicht autochthon. Autochthon waren die sogenannten Pelasger, wie die Griechen die vorgriechische Urbevölkerung nannten. Aber Autochthone im engeren Sinne, das waren die absolut ersten Menschen, die direkt aus der Erde hervorgegangen waren. Also die Ureltern der autochthonen Bevölkerung. Sie werden auch gêgenes genannt, Erdgeborene. In dieser Weise dachten sich die Griechen die Entstehung der Menschheit, im Gegensatz zu den Ägyptern, bei denen die Menschen von Göttern geschaffen (getöpfert) wurden und sich dann über die Erde verteilten.
Wikipedia: Autochthon (ancient Greece)Ein berühmter Autochthoner der Griechen war Kekrops I. Er wurde nach Aktaios König über Attika, gründete Städte und ließ die Akropolis des späteren Athen errichten, in welcher er herrschte und schließlich begraben wurde. Kekrops war dann auch Schiedsrichter zwischen Poseidon und Athene, als es darum ging, welchem der beiden Götter Attika zugehören solle. Es handelt sich also um die selbe Szenerie, von der der alte Saite dem Solon erzählt, nur daß nach dem Saiten dieses Ereignis sich neuntausend Jahre vor Solon ereignet haben soll. Und nichts, woran Solon sich erinnert, woran sonst ein Grieche sich erinnert, stammt aus dieser Urzeit saitischer Erzählung. Auch Kekrops nicht.
Zumindest bis Solon ist also die Vorstellung von einer neuntausend Jahre alten Menschheit jenseits allgemeingriechischenVorstellungsvermögens. Daß die Welt schon 8...9000 Jahre oder älter sei, war eben
keine gängige griechische Sicht.
Und war es auch später nicht. In der Parischen Chronik, einer Steintafel mit Altersangaben für historische wie mythische Ereignisse gemessen ab der Gegenwart des Herstellers (wahrscheinlich 264/263 v.Chr.), wird als erstes Kekrops genannt. Zu lesen ist:
Seit Kekrops König von Athen wurde und der Ort Kekropia genannt wurde, der zuvor nach dem Eingeborenen Aktaion Aktika genannt wurde, 1318 Jahre.
Wikipedia: Parische ChronikDemnach wurde Kekrops König um 1582/81 v.Chr. Hinter "Eingeborener" dürfte wieder das griechische autochthôn stehen. Also selbst nach Herodot und Plato begegnet uns noch die Vorstellung, daß das von Gaia hervorgebrachte Menschengeschlecht (in Griechenland, aber sicherauch weltweit), nicht mal 2000 Jahre alt sei. Dies muß nicht die Hauptsichtweise im 3.Jh. gewesen sein. Aber es war
eine Sichtweise, neben der auch andere Sichtweisen, etwa einer viel älteren Menschheit, vorgekommen sein mögen. Ob aber diese zur Zeit der parischen Chronik Mainstream-Sicht war, sollte wenn nicht bloß behauptet, sondern schon ordentlich belegt werden. Zu Solons Zeit, so Platos Darstellung, waren für einen Griechen 9000 Jahre Menschheit jedenfalls etwas Unerwartetes. Nochmals:
Tim22a
da er Erkundigungen über die Vorzeit bei denjenigen Priestern einzog, welche hierin vorzugsweise erfahren waren, so war er nahe daran zu finden, daß weder er selbst noch irgend ein anderer Grieche, fast möchte man sagen, auch nur irgend Etwas von diesen Dingen wisse.
"Irgend Etwas von diesen Dingen" - z.B. die 9000 Jahre.