@allOk, sehen wir uns doch einmal das Szenario eines Angriffs mit der Bordkanone an. Ziel ist es, nach Auffassung vieler Befürworter dieser These, die B-777 durch den Angriff auf das Cockpit quasi zu "enthaupten", also einen schlagartigen Ausfall der Piloten und aller Systeme zu provozieren, wie er durch den FDR auch bestätigt wird.
Wir müssen aber dazu erst einmal klären, wie die Kanone eingebaut und justiert ist.
Grundsätzlich sind alle Bordwaffen starr eingebaut, d.h., ein Zielen erfolgt mit dem ganzen Flugzeug, eine Steuerung durch Radar oder Laser, wie ein paar Postings weiter vorn behauptet wurde, gibt es nicht, auch nicht bei den anhängbaren Kanonenbehältern (da gibt es zwar welche, die bis zu einem Winkel von 30° abwärts schiessen können, die dienen aber zum Bodenangriff).
Der Flugverlauf der Granate ist eine (Wurf)Parabel, d. h., in Abhängigkeit von der Mündungsgeschwindigkeit mehr oder weniger stark gekrümmt. Die Waffe wird so eingebaut, dass die Flugbahn der Geschosse auf eine bestimmte "Kernschussweite" die Visierlinie (nicht die Längsachse der Maschine!!!) schneidet, bei Jagdmaschinen sind das gewöhnlich 500m.
Moderne Maschinen, wie MiG-29, Su-27 oder entsprechende westliche Muster haben einen Feuerleitrechner, der per Laser oder Radar die Entfernung zum Ziel bestimmt, und dem Piloten auf dem HUD anzeigt, wo seine Granaten in Zielentfernung einschlagen werden, ältere Maschinen (wie meine MiG-21) oder solche für den Bodenangriff (Su-25) haben so etwas nicht.
Vielleicht ahnt schon jemand ein grundlegendes Problem: Sobald die Maschine aus Schräglage schiesst, stimmt diese Justage des Visierwinkels nicht mehr, die Kanone schiesst bei Schräglage links mit einer Ablage links neben das Ziel und zu tief.
Gut, nehmen wir einmal an, der Angriff erfolgte mit einer geeigneten Maschine, also einer MiG-29.
Gehen wir davon aus, dass beide Maschinen etwa 800km/h flogen, dann hatten sie eine Annäherungsgeschwindigkeit von 1600 km/h, das sind etwa 440m/s.
Ein Ziel wie die Boeing lässt sich im Frontalangriff etwa aus 4-5km Entfernung auffassen, der Pilot hat dann etwa 9 Sekunden Zeit, um die Maschine auszurichten.
Die Feuerrate der Bordkanone beträgt 1500 Schuss/min (25 Schuss/sec), an Bord sind 150 Patronen, d.h., der Pilot kann 6 Sekunden feuern.
Die effektive Reichweite, d.h., die maximale Entfernung, bei der eine realistische Chance auf einen Treffer besteht, ist 800m.
Damit ein Zusammenstoß verhindert wird, muss der Pilot spätestens (aber allerspätestens!) in einer Entfernung von 500m (also genau da, wo seine Waffe eigentlich drauf justiert ist) abdrehen, sonst wird das eine Kamikazemission...
Natürlich beginnt unser Pilot nicht erst in 800m Entfernung zu feuern, sondern schon vorher - sagen wir also, eine Trefferwahrscheinlichkeit bestand etwa eine Sekunde lang. In dieser einen Sekunde jagt die Kanone 25 Schuss raus - selbst wenn wir den unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass alle Geschosse getroffen haben, zähle ich da allein auf den gefundenen Trümmern irgendwie mehr Einschüsse?
Warum halte ich diese Trefferrate für unwahrscheinlich?
Die Geschosse fliegen in einem Bogen auf das Ziel zu, d.h., die MiG müßte zuerst in einem größeren Winkel nach oben schießen und diesen dann mit abnehmender Entfernung verringern. Wir erinnern uns, gezielt wird mit dem ganzen Flugzeug, man müsste also den Bug über die Zeit des Feuerns kontinuierlich senken - dummerweise haben die Dinger die Eigenart, Anstellwinkeländerungen sofort in vertikale Bewegungen umzusetzen, die Maschine taucht also, statt in gleichbleibender Höhe zu fliegen, nach unten weg...
Um das auszugleichen, müsste unser Pilot gleichzeitig den Schub erhöhen, damit die höhere Geschwindigkeit den Auftriebsverlust durch den kleineren Anstellwinkel aufhebt - selbst moderne Triebwerke haben aber Reaktionszeiten auf Bewegungen des Schubhebels im Sekundenbereich, das ist also nicht machbar.
In der Praxis ist es also nahezu unmöglich, im Anflug auch nur eine Sekunde auf eine Stelle zu zielen (aus den meisen anderen Schusswinkeln übrigens auch nicht).
Bei einem Angriff aus 90° von links, beispielsweise, nähert sich meine Maschine dem Ziel mit 220m/s dem Ziel seitlich, während dieses mit ebenfalls 220m/s vor mir vorbeifliegt. Unser Pilot müsste also aus größerer Entfernung so weit vorhalten, dass die Granate genau in dem Moment die Flugbahn der Boeing schneidet, wenn diese dort ankommt. Selbst, wenn das für die erste Granate gelingt, müsste er nun für jede weitere Abschusswinkel vertkal und horizontal kontinuierlich so anpassen, dass die Granaten der Boeing auf ihrem Weg folgen. Er müsste also den Bug senken (Folgen wie bereits besprochen) und gleichzeitig nach links steuern (Kanone starr eingebaut), um dem Ziel zu folgen.
"Nach links steuern" geht aber nur mit Schräglage links - mit der Folge, dass, wie oben beschrieben, die Justage nicht mehr stimmt.
Da die Winkelgeschwindigkeit des Zieles mit der Annäherung rapide steigt, wäre eine ständige Schräglagenvergrößerung nötig - verbunden mit dosierter Höhenruderbetätigung, da Schräglage allein den Bug nicht schnell genug "herumbekommt". Da unsere Schräglage aber nicht 90° beträgt, hebt sich dabei der Bug über die Zielebene...
Praktisch ist es so, dass man eine Stelle vor dem Ziel anvisiert, das Feuer eröffnet und das Ziel sozusagen durch den Geschosshagel fliegen lässt. In diesem Fall hat man aber ein völlig anderes Trefferbild, da die einzelnen Einschläge sich über die Länge der Zielmaschine verteilen und nicht in einem relativ kleinen Areal konzentriert sind.
In diesem Zusammenhang interessant: Die Feuerrate westlicher Flugabwehrrohrwaffen und der Bordkanonen diverser Jäger ist so abgestimmt, dass beim Sperrfeuerschießen auf ein Ziel der Größe eines Jagdflugzeuges im wahrscheinlichsten Geschwindigkeits(differenz)bereich (also etwa 800-1100km/h) wenigstens zwei Geschosse treffen, niemand hat auch nur eine Hoffnung, dass ein ganzer Feuerstoss "sitzt".
Weiter haben wir ein Problem mit der Munition: Der Einschlag einer Splitter/Sprenggranate in einem Flugzeug sieht völlig anders aus, als die Einschüsse bei MH17, ich hatte solche Bilder bei Gulli mal geposted. Die panzerbrechende Munition, deren Einschüsse in etwa hinkämen, ist für den Luftkampf ungeeignet, sie durchschlägt ein "weiches" Ziel, wie ein Flugzeug, einfach. Abgesehen davon weichen die ballistischen Eigenschaften der panzerbrechenden Munition von der der Brisanzmunition ab, d.h., die Berechnungen des Visiers stimmen nicht mehr. Die MiG kann meines Wissens nicht den Visiermodus umstellen, da eine Ausrüstung mit panzerbrechender Munition nicht vorgesehen ist.
Vielleicht noch ein paar Werte aus der Praxis: Beim Schiessen auf Erdziele war mein bestes Ergebnis eine Trefferrate von 8 bei 20 verschossenen Granaten.
Beim Schiessen auf das Schleppziel in der Luft aus bester Position von hinten war es noch 1 Treffer bei 50 Granaten...
paco