@Aperitif Wie gesagt, die konkreten Umstände, wie Leben entstanden ist, wissen wir noch nicht. Das bedeutet jedoch nicht zugleich, dass es solche konkreten Umstände nicht gegeben hat bzw. jemals gegeben haben kann. Um so etwas behaupten zu können, müsstest Du die Verhältnisse von vor etwa 4 Milliarden Jahren komplett im Labor simulieren und - um die Zeit zu beschleunigen - in Richtung Komplexitätszunahme selektieren (also nicht mit simulierten Asteroideneinschlägen alle paar Jahre alles wieder zerschreddern, was sich zuvor mühsam aufgebaut hat).
Eine solche komplette Simulation würde nicht nur einige Gase wie im Miller-Urey-Experiment erfordern, sondern darüber hinaus mineralische Oberflächen, vulkanische Aktivitäten, Gezeitenwechsel, Niederschläge, Blitzeinschläge, Strahlungsinput, Temperaturwechsel, usw. usf. - also alles, was sich damals so auf der Erde befunden hat. Zwischendurch müsste man Proben entnehmen und diese im Hinblick auf Polymerlänge und Reaktionskreisläufe hin untersuchen.
Mit etwas Glück (denn auch der Zufall spielt hier eine nicht unwichtige Rolle, bevor sich stabile Systeme etabliert haben, die das Resultat einer Auslese sind!) gelangt man dann vielleicht nach einigen Jahrzehnten zu zellähnlichen Stoffwechselsystemen in einer kommunalen Matrix (siehe dazu den Essay "Primal Eukaryogenesis" von Richard Egel), die zwar noch keinen vertikalen Gentransfer "erfunden" haben, aber mit einem horizontalen Gentransfer - wenn auch nur im Rahmen einer RNA-Welt, die noch ohne Aufspaltung in Genom und Proteom funktioniert - bereits einen Komplexitäts-Zuwachs hinbekommen, ohne ausschließlich auf einen Zustrom von Makromolekülen aus Nachbarbereichen angewiesen zu sein.
Und bei einer derart schwierigen Ausgangslage für experimentelle Tests verweist Du allen Ernstes auf den Umstand, dass es bislang im Labor noch nicht gelungen ist, Leben spontan entstehen zu lassen? Und weiterhin bemühst Du das Miller-Urey-Experiment als Beleg dafür, dass da nicht mehr als ein paar Aminosäuren herausgekommen sind?
Hierbei verkennst Du, dass dieses Experiment überhaupt nicht dazu geeignet sein konnte, Leben zu erzeugen, weil sich hier überhaupt keine Reaktionskreisläufe hätten etablieren können. Wie auch? 85 Prozent der Ausgangsstoffe setzten sich zu Teer um, und der Rest von 15 Prozent entkam den Teer erzeugenden Bedingungen in der Funkenstrecke, indem sie sich in Wasser lösen konnten - und das waren nun mal in der Mehrzahl Ameisensäure, einige andere Carbonsäuren und eben einige Aminosäuren, wobei erstaunlich war, dass die, die entstanden waren (Glycin, Alanin, Asparaginsäure und Glutaminsäure) zugleich die sind, die sich auch in unseren Proteinen finden.
Damit hatte man vor dem Experiment nämlich nicht gerechnet. Man ging davon aus, dass ein willkürliches Sammelsurium von x-beliebigen organischen Verbindungen entsteht, nicht aber eine Auswahl von 4 aus mehreren Hundert möglichen Aminosäuren, die zudem eine biologische Bedeutung haben. Deshalb war dieses Experiment ein Durchbruch - und nicht, weil jemand ernsthaft erwogen hätte, künstlich Leben zu erzeugen. Dafür wäre es dann doch zu billig gewesen.
Um Leben zu erzeugen, muss man Bedingungen schaffen, damit
a) Reaktionskreisläufe entstehen, die
b) sich miteinander vernetzen, so dass
c) komplexere Reaktionsketten mit komplexeren Zwischenprodukten entstehen, die
d) auf die bestehenden Reaktionsnetzwerke rückkoppeln und damit
e) einen Zuwachs an Komplexität des Gesamtsystems bewirken.
Erst wenn man solche sich selbst stabilisierenden Reaktionssysteme etabliert hat, kann man über gezielten selektiven Druck so etwas wie Protozellen entstehen lassen, in denen vielleicht (allerdings ist dies nicht vorab kalkulierbar!) eine Art Proteom entsteht, das mit einer Art Genom auf eine Art und Weise wechselwirkt, die dem entspricht, was wir von der Wechselwirkung zwischen DNA, RNA und Proteinen kennen (also: Replikation, Transkription und Translation).
Allerdings ist die Erfolgschance eines solchen Experiments äußerst ungewiss, weil - wie gesagt - die konkreten Umstände, unter denen Leben entsteht, unbekannt sind. Es besteht immer die Gefahr, dass scheinbar hoffnungsvolle Zwischenstadien irgendwann stagnieren und letztlich retardieren.
Von daher: Das Nichtwissen um den konkreten Ablauf der Lebensentstehung ist nicht Wissen um einen Schöpfer, der das Leben hat entstehen lassen.