@kannnichsein kannnichsein schrieb:Der Konsument soll das alles nur "glauben" - ist das nun "bewusste Strategie" oder milde ausgedrückt "ein Versehen" - was denkst du?
Ich denke dass die wirkliche Welt um ein vielfacheres komplizierter ist, als Verschwörungstheorien sie darstellen.
Man macht dabei den Fehler anzunehmen, dass das Vorkommen eines bestimmten Ereignisses in der Vergangenheit ein Beleg dafür wäre, dass ein Ereignis in der Gegenwart gleicher Natur sein muss.
Golf von Tonkin, Sender Gleiwitz, Lawon-Affäre, Gladio, Plutonium-Affäre, Journalistenüberwachung etc. hat irgendwann mal stattgefunden und kam an die Öffentlichkeit.
Bedeuten diese Ereignisse, dass z.B. ein Bombenattentat in Deutschland nun automatisch eine Gladio-Operation sein muss?
Oder dass der Angriff eines Landes auf ein anderes grundsätzlich eine Täuschungsaktion zur Schaffung eines Kriegsgrundes ist?
Selbstverständlich nicht. Das widerspräche sämtlicher bekannter Logik.
Im Falle von Rumsfeld und den Höhlen denke ich, dass es eine Mischung aus "Versehen" und "Strategie" war.
Strategie:
Rumsfeld wusste von Höhlen in Afghanistan, das bezweifle ich nicht. Wenn die Russen bereits seit den 80ern davon wussten, dann kann man eigentlich davon ausgehen, dass den Amerikanern die Höhlen zwanzig Jahre später auch bekannt waren. Die Annahme dass besagte Höhlen innerhalb der vergangenen Jahrzehnte besser ausgebaut wurden, halte ich nicht für völlig abwegig.
Wohlgemerkt: "Höhlen". Nicht "High-Tech"-Höhlen oder "Bondbösewicht-Bergfestung mit Artillerie und Piranha-Wassergraben", sondern einfach nur "Höhlen" im Sinne von "Aus strategischen Gründen in den Berg gegrabene Stollen mit mehr oder weniger gutem Ausbau, Unterkünften und Lagerstätten".
Das wusste Rumsfeld und wollte die Gefährlichkeit solcher Höhlen kommunizieren.
Das "Versehen" besteht meiner Meinung nach darin, die britische Konzeptzeichnung als Vorlage anzunehmen in der Annahme, es handle sich um eine wahrheitsgemäße Wiedergabe echter Höhlen. Ich weiß nicht ob Rumsfeld glaubte, dass die ihm präsentierte Zeichnung die Wahrheit widerspiegelt oder ob er wusste, dass das nur eine Konzeptzeichnung war. Ich weiß auch nicht, warum das im Nachhinein überhaupt wichtig sein soll.
Was aber auch eine Mischung aus Strategie und Versehen ist, ist die Taktik, Rumsfeld aus der Erwähnung besagter Höhlen und der Annahme der Konzeptzeichnung einen Strick drehen zu wollen.
Man stellt es so dar, als würden Politiker, Militärs, Geheimdienstler, etc. niemals Fehler machen.
Das alles was sie tun und sagen
ganz genau so geplant ist und nicht anders.
Gab und gibt es Höhlen in Afghanistan? Ja. Schon seit mindestens den 1980ern.
Sahen die gefundenen Höhlen
genau so aus wie auf der Konzeptzeichnung? Nein. Sahen sie nicht.
Was man mir jetzt erklären müsste ist, warum es so unglaublich furchtbar wichtig sein soll, dass die Höhlen anders ausgehen haben, wenn das Aussehen für den strategischen Daseinszweck an sich doch keine Rolle spielt.
Dann gab es eben keine sechsstöckigen, über ausgebaute Treppen verbundenen Berghöhlen in denen Panzer standen. Na und?
Eine Bodenoffensive fand doch sowieso statt und dass Feinde in Höhlen gefährlich sind, wissen die Amerikaner spätestens seitdem sie im 2. Weltkrieg im Pazifik gegen die Japaner gekämpft haben.
Die Frage dich ich mir also stelle ist, warum das Aussehen von Höhlen wichtiger sein soll als deren Existenz an sich? Zielt die Implikation, dass die Höhlen nicht genau so ausgesehen haben und/oder nicht so zahlreich waren auf einen bestimmten Zweck ab? Möchte man Rumsfeld mit allen Mitteln etwas unterstellen? Wenn ja, warum? Um ihn noch schlechter aussehen zu lassen als ohnehin schon? Was würde das helfen?
Als letzte Einlassung zum "Strategie oder Versehen"-Thema möchte ich zwei Prinzipen anbringen, die die menschliche Natur im Bezug auf Informationsverarbeitung gut beschreiben:
Ockhams Rasiermesser:
Von mehreren möglichen Erklärungen desselben Sachverhalts ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.
Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält, die in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt.
Hanlons Rasiermesser:
Schreibe nichts der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist.
:DNicht alles was nach Strategie aussieht ist auch eine. Genau so, wie alles was nach einem Versehen aussieht, ebenfalls ein sein muss.
Die Welt ist nicht schwarz-weiß und speziell Geopolitik eines der kompliziertesten, schmutzigsten, unvorhersehbarsten Geschäfte dies es gibt.
Ich glaube nicht, dass eine geheime Elite in einem Hinterzimmer die Weltgeschicke lenkt. Sondern dass die Wahrheit viel gruseliger ist. Nämlich das niemand die Weltgeschicke lenkt.
It’s certainly true that governments lie, and that media outlets are partial. It is far more often true that people, good and bad, acting under pressure and with incomplete information, bugger things up. Jon Ronson’s terrific study of conspiracy fans, Them, was framed as a quest to find “the room”. By that he meant the room, almost certainly smoke-filled, in which some insist that our overlords, almost certainly extraterrestrial and reptilian, plan our destiny and/or doom. But there isn’t a room. There are many, many rooms. And any study of history – or any off-the-record conversation with anyone who has participated in such a conclave at a time of crisis – will confirm that these rooms are populated by nervous, uncertain people, many of whom will be holding throbbing heads in sweaty hands, muttering things to the effect of “What the hell do we do now?”
https://newhumanist.org.uk/articles/4733/the-scary-truth-theres-nobody-in-charge