ayashi schrieb:Warum fordert Gott, auch wenn er es später verhinderte, solche Opfer? Das ist doch...entschuldigt....krank.
Das kann ich gut verstehen. Diesen Zwiespalt erleben Christen genauso. "Wäre ich fähig, so weit zu gehen, bin ich so stark in meiner Überzeugung? - Wäre ich fähig, so weit zu gehen, bin ich so fanatisch, unmenschlich und krank?"
Seit ich die Geschichte von der Opferung Isaaks kenne, ringe ich mit ihr. Anfangs dachte ich, sie müsse schlicht aus der Schrift rausgeschmissen werden. Mittlerweile seh ich das nicht mehr so. Diese Geschichte ist mir ein steter Stachel im Fleisch. Ich kann nicht davon ab, mich daran zu ärgern. Diese Geschichte zwingt mich, mich immer wieder damit bewußt auseinanderzusetzen, daß die beste Absicht, radikal gesteigert, zum Monster werden kann.
Vergleichbar sind die radikalen Forderungen Christi. Auch hier bin ich gefragt, ob das noch gut sein kann, wirklich alles aufzugeben, Besitzstand, Familie, einfach alles?
Manche versuchen, diese Sache damit aufzulösen, daß Gott, wenn er von einem Unmenschliches odgl. fordert wie "töte Dein eigenes Kind", es ja gar nicht so meint, sondern nur testen will. Er hat die Opferung Isaaks ja rechtzeitig verhindert. Und wenn Gott heute fordern würde "töte alle Ungläubigen", müßte man's zwar ausführen, wenn man wahrhaft gläubig ist, aber Gott wird sowas nicht fordern. Das aber ist keine Lösung. Gott hat Abraham aufgefordert. Und auch wenn er die Opferung Isaaks verhindert hat, so hat er dennoch Abraham dazu gebracht, so weit gehen zu
wollen.
Wie soll ich mich entscheiden? Soll ich zu allem Ja und Amen sagen? Wenn Jesus, wenn Gott sowas fordert, und wenn ich glaube, dann mache ich es auch gefälligst? Und wenn ich mich verweigere, habe ich mich dann von Gott abgewendet, Gott zu meinem Feind erklärt, und verdiene die Hölle?
Erzvater Jakob, so erzählt das Alte Testament, erlebte im Verlaufe seines Lebens einige Schicksalsschläge. Zu Hause verdarb er sichs mit seinem Bruder Esau, sodaß seine Mutter ihn ins Ausland schicken mußte, damit er überlebt. Dort fand er eine neue Heimat, heiratete, wurde Vater, und verscherzte es sich erneut mit seiner dortigen Sippschaft, sodaß er erneut fliehen mußte. Und so kam er an die Grenze zwischen Ferne und alter Heimat an den Fluß Jabbok, kann nicht vor und nicht zurück. Hinter ihm Ärger, vor ihm Ärger. Die Bibel schreibt "Da wurde es Nacht". Jakob hadert mit seinem Schicksal. Mit seinem Gott. Dieser, in Gestalt des Engels des HERRN, tritt ihm dort am Jabbok entgegen. Und was macht Jakob? Er erklärt diesen Gott zu seinem Feind und bekämpft ihn. Sie ringen miteinander die ganze Nacht.
Hat Jakob Gott aufgegeben? Am Ende der Nacht kämpfen beide noch immer gegeneinander, Jakob und sein Gott. Nur daß Jakob wohl halb auf dem Boden liegend, mit zerschmetterter Hüfte, zu nichts anderem mehr in der Lage war, den kämpfenden Engel festzuhalten. Wer gegen Gott kämpft, zieht nun mal den Kürzeren. Der Engel will gehen, aber der geschlagene Kerl am Boden hält ihn fest. "Laß mich gehen" spricht er, (Du willst mich ja eh nicht). "Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!"
Jakob versteht seinen Gott nicht mehr, empfindet ihn als Feind, der sein Leben verpfuscht hat, und drischt auf diesen Gott ein. Aber nicht, indem er sich von ihm abwendet. Er läßt ihn nicht los. Sein Kampf gegen Gott ist ein Kampf um Gott. "Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!" Und so segnet der Engel des HERRN den Jakob "Denn Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist Sieger geworden". Und Jakob erhält einen neuen Namen: Israel, wie das Volk, zu dem seine Nachkommen werden. "Da ging die Sonne auf". Nein, wörtlich steht da im Text: "Da ging
ihm die Sonne auf".
Und am nächsten Tag versöhnte Jakob sich mit seinem Bruder, wie er sich auch mit seinem Schwiegervater versöhnt hatte.
Ebenso sehe ich das mit Texten wie der Opferung Isaaks oder Jesu radikalen Forderungen. Ich geb mich da nicht demütig drein und sag, "wenn er sowas fordert, dann mach ichs auch", aber ich wende mich ebensowenig einfach nur davon ab. Ich kämpfe mit solchen Stellen, ja ich "dresche auf Gott ein" wegen solcher Sachen. Aber ich "ringe um Verständnis", ich lasse nicht los. Und ich glaube, "darauf liegt Segen".
Jesu Forderungen, Die Erzählung von der Opferung Isaaks, all das fordert mich stets heraus. So extrem radikal kann und will ich nicht sein, aber zugleich bin ich auch noch nicht radikal genug. Diese Texte zwingen mich, meine ethischen Grenzen neu auszuloten, mit nichts zufrieden zu sein. Und sie verhindern, daß ich mich für einen "einfachen Weg" entscheide.
Deswegen ist die Schrift für mich vollständig Gottes Wort und gut für mich. Auch die Sachen, die mich zutiefst verärgern und verstören und meiner Ethik zuwiderlaufen; sie verhindern, daß ich "zur Ruhe komme". Jedenfalls, solange ich mich ihnen ausliefere, mich mit ihnen befasse, sie mich ansprechen lasse.
OK, is schon wieder ne Predigt geworden, tschuldigung. Aber es war mir ein Bedürfnis, das auch mal (wieder) für mich selbst zu formulieren.