@zweiter schön das du fragst :-)
von Osho:
Eine sehr kryptische Feststellung - ein Code, den es zu dekodieren
gilt. „Nur er und ich wissen", sagte Liehtse, indem er
auf einen hundertjährigen Totenschädel wies, „dass du nie
geboren wurdest und niemals sterben wirst."
Warum sagt er: „Nur er und ich"? Der Totenschädel ist
unwillentlich gestorben und Liehtse ist willentlich gestorben -
beide sind gewissermaßen tot. Liehtse ist durch Meditation
gestorben. Liehtse ist tot, weil er kein Ego mehr ist, weil er
nicht mehr vom Ganzen getrennt ist, weil er nicht mehr da ist.
Das ist der wahre Tod, letztlich tiefer als der Tod des Schädels.
Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob der tote Besitzer jenes
Schädels, der seit hundert Jahren dort liegt, erkannt hat. Das ist
ungewiss - vielleicht hat er erkannt, vielleicht auch nicht. Aber
fest steht, das Liehtse erkannt hat: Sein Tod ist bewusst. Aber er
hat die Situation zum Anlass genommen.
Ein Gleichnis bezieht sich immer auf eine Situation. Neben
ihm sitzt sein Schüler Pai Feng, dort liegt der Schädel, und so
zeigt er auf den Schädel: „Nur er und ich wissen, dass du nie
geboren wurdest und niemals sterben wirst."
Wer stirbt? Und wer wird geboren? Das Ego wird geboren
und das Ego stirbt. Tief drinnen, dort, wo das Ego zu sein aufhört,
bist du nie geboren und stirbst du nie, bist du ewig, bist du
Ewigkeit, bist du das eigentliche Substrat, der Stoff selbst, aus
dem die Existenz ist - wie könntest du da sterben? Aber das
Ego wird geboren und das Ego stirbt.
„Ist also nun er der wahrhaft Unglückliche, und sind wir die
wahrhaft Glücklichen?" Und dann stellt er seinem Schüler die
Frage: Wer ist glücklicher? Die, die leben, oder die, die tot sind?
Wer ist wirklich unglücklich? Die, die lebendig sind, oder die,
die tot sind? Wer ist wirklich glücklich? Und er belässt es bei
der Frage. Es ist ein Koan: Der Schüler soll darüber meditieren.
Das Gleichnis schweigt sich hierüber aus, es endet plötzlich.
Jetzt muss der Schüler schlau daraus werden. Jetzt muss er
meditieren, muss er sich klar werden, was Tod heißt, was
Leben heißt, oder Liebe und überhaupt alles andere.
Und er
muss über die Frage meditieren: Wer ist wirklich glücklich?
Seid ihr glücklich, einfach nur weil ihr lebt? Ihr seid es nicht;
die ganze Welt ist kreuzunglücklich.
Eines lässt sich also sagen, und zwar ohne Zweifel sagen: dass
man nicht schon deshalb zwangsläufig glücklich ist, weil man
lebt. Einfach nur lebendig zu sein genügt nicht, um glücklich zu
sein - es gehört noch etwas mehr dazu, um glücklich zu sein,
irgendein „Plus". Leben plus Bewusstheit ... dann steigt das
Glück auf: Denn in der Bewusstheit, im Licht der Bewusstheit,
verfliegt das Dunkel des Ego.
Und dann, wenn zum Leben das Plus der Bewusstheit dazukommt,
passieren tolle Sachen. Zunächst einmal verschwindet
das Ego, und mit dem Ego verschwindet der Tod, weil nur das
Ego sterben kann - weil das Ego geboren wurde. Ist erst einmal
das Ego verschwunden, ist auch die Geburt verschwunden, ist
auch der Tod verschwunden. Wenn das Ego verschwunden ist,
ist dein Abgetrenntsein von der Existenz verschwunden. Das ist
die tiefere Bedeutung der Kreuzigung. Das Ego stirbt am
Kreuz. Wenn Jesus gekreuzigt wird, kommt der Christus zur
Welt. Das ist die Bedeutung der Wiederauferstehung. Auf der
Vorderseite die Kreuzigung, auf der Rückseite die Wiederauferstehung.
Stirb, wenn du wirklich lebendig sein willst! Höchst paradox,
aber ungeheuer wahr, absolut wahr.
Sei total. Jemand, der schläft, kann nirgends total sein.
Wenn du isst, bist du nicht voll bei der Sache; du denkst an alles
Mögliche, hängst tausend Träumen nach und stopfst dich
währenddessen einfach nur mechanisch voll. Wenn du mit
deiner Frau oder deinem Mann im Bett bist, bist du im Grunde
woanders. Vielleicht denkst du an andere Frauen, schläfst gerade
mit deiner Frau und hast dabei irgendeine andere im Sinn.
Oder du denkst ans Einkaufen, oder daran, wie viel all die
Sachen kosten, die du dir kaufen möchtest, oder an ein Auto
oder an ein Haus oder was auch immer - schläfst dabei aber
mechanisch mit deiner Frau.
Sei in allem, was du tust, total; und wenn du total bist, musst
du aufpassen - niemand kann total sein, ohne höllisch aufzupassen.
Total sein heißt, restlos bei der Sache sein. Wenn du isst,
dann iss nur, und du bist total hier und jetzt. Es gibt für dich nur
das Essen: Du stopfst dich nicht einfach nur voll, sondern
genießt jeden Bissen. Körper, Sinne, Seele, alles ist in Einklang,
wenn du isst, da herrscht Harmonie, ein tiefer Rhythmus zwischen
den drei Schichten deines Seins. Dann wird das Essen zur
Meditation, wird das Gehen zur Meditation, wird das Holzhacken
zur Meditation, wird das Wasserholen vom Brunnen
zur Meditation, wird das Essenkochen zur Meditation. Dann
transformieren sich die kleinsten Handschläge und werden zu
leuchtenden Taten. Und all dein Tun wird so total, dass jegliches
Tun das Flair von Tao annimmt.
Dann, wenn du total bist, bist nicht mehr du es, der alles tut.
Dann ist Gott es, der es tut, oder meinetwegen das Ganze - du
jedenfalls bist nur ein Vehikel, ein Kanal. Und wer so zum
Kanal wird, der ist selig, ist gesegnet.
Osho - Tao - Das Herz der Freiheit ( Seite 49 )