@Cricetus Daß Gott mit den Menschen im Garten lebt, davon gehe ich nicht aus. Steht nicht im Text. Dort ist nur die Rede davon, daß Gott im Abendwind durch den Garten geht. Wie gesagt, Gott legt den Garten eigens an, um den Menschen dort hineinzusetzen; es war da nicht Gottes Wohnung.
Die klassische mythische Wohnstatt Gottes ist der Gottesberg (siehe auch den von mir erwähnten Psalm24).
Der Ort des Heiligen ist ein Ort, an dem Profanes nicht sein darf. Profaner als die menschliche Wohnstatt geht es kaum! Überall, wo Du im Alten Orient hinsiehst, ist das Heilige abgesondert vom Profanen. So auch in Israel. Niemand darf auf den Berg der Offenbarun, niemand darf in das Allerheiligste des Tempels. Zwar darf Mose auf den Berg und der Hohepriester ins Allerheiligste, doch nicht, um dort zu leben, sondern um Offenbarung zu empfangen und zu dienen. Die Menschliche Wohnung ist
stets, immer und überall vom Wohnsitz des Gottes getrennt.
Kain lockt seinen Bruder Abel eigens aufs Feld hinaus, weg vom Altar, auf dem sie geopfert hatten, um Abel dort in der Gottesferne zu töten, damit Gott es nicht sieht. Auch Adam und Eva mußten erst beim Einsetzen des Abendwindes damit rechnen, von Gott in ihrer Nacktheit gesehen zu werden, sodaß sie sich versteckten. Nein, Gottes ständige Anwesenheit im Garten zu Eden wird in der Geschichte ganz bestimmt nicht vorausgesetzt.
Gott zog zu Salomos Zeiten zwar in den Tempel, aber nicht von Eden oder vom Götterberg her. Sondern von der Lade her, mit der Lade zusammen. Die Lade war sein Ort der Anwesenheit vor dem Tempel. Das war ja der Schock der Israeliten zu Elis und Samuels Zeiten, als die Philister die Israeliten besiegt und die Lade nach Philistäa verschleppten. Daher die Erzählungen davon, wie die Lade in Philistäa dann den Hauptgott der Philister unterwarf und den Philistern die Beulenpest verschaffte, sodaß die Philister die Lade ins israelitische Grenzland zurückschickten. Historisch hingegen war es von den Philistern Kalkül, die Lade in ein israelitisch bewohntes Grenzland, das unter philistäischer Oberhoheit stand, zu bringen. Das besänftigte und beruhigte die Israeliten, aber garantierte den philistäischen Zugriff für eventuelle weitere Aufmüpfigkeiten.
Ein Tempel ist die Wohnstatt Gottes. Letztlich aber ist der Tempel eine Art "Pforte" zur Welt des Mythischen, zum eigentlichen Wohnort. In Gen30 schläft Jakob während einer Reise und sieht im Traum die Himmelsleiter, an deren oberen Ende Gott steht. Am Morgen sagt er "hier ist das Haus Gottes" und errichtet den Altar von Betel ("Haus Gottes"). Jeder Tempel ist der Götterberg, sozusagen.
Die altorientalische Weltzeitvorstellung ist in etwa die von der Urzeit und der Geschichte. In der Urzeit entsteht die Welt in der Schöpfung, und in den nachfolgenden Ereignissen werden noch bestimmte allgemeingültige Besonderheiten installiert (Ungerechtigkeit der Geschlechter, anstrengende Arbeit, Tod, Vielzahl von Sprachen und Völkern usw.). Oft endet die Urzeit mit etwas wie der Sintflut. Erst, wenn sämtliche Bedingungen so geworden sind, wie sie heute sind, fängt die eigentliche Menschheitsgeschichte an, in der über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg alles so ist wie heute.
"Heute" ist es so, daß man Gott nur im Tempel begegnen kann. Nur in einer Offenbarung durch Orakel oder Propheten oder im Traum. In der Urzeit hingegen, da geht Gott durch die Wohnstatt der Menschen, da wandelt ein Mensch wie Henoch mit Gott, da kommt Gott zu Abraham in Mamre zu Besuch (und ja: Abraham ist noch "Urzeit", nicht Geschichte; noch entstehen Völker, noch leben die Menschen länger als 120 Jahre; anders also als "heute"). Eden gehört eindeutig in die Zeit des Mythos, konkret in die Urzeit. Hier ist Eden zwar nicht Gottes Wohnstatt, wohl aber sind Eden und Gottes Wohnstatt noch zwei Orte der selben Sphäre. In der "Geschichte" hingegen muß erst ein Altar bzw. ein Tempel oder die Offenbarung die zwei getrennten Sphären Gottes und der Menschen miteinander verbinden. Der Götterberg im Norden als Heimstatt der Götter mag zwar auf der Erde liegen, aber er ist für die Menschen unerreichbar, in diesem Sinne mythisch dann doch eine separate Sphäre. Das Dilmun der Götter aus Schöpfungstagen wie das Dilmun Utnapischtims des Unsterblichen, das ist nicht das von Menschen besiedelte Land Dilmun aus historischen Sumererzeiten. Es mag ihnen zwar lokal identisch gelten, aber als es die Wohnstatt der Götter war, war es die mythische Zeit, nicht die "Geschichte"/Historie. Entsprechend kann Dilmun sogar "zeitgleich" sowohl der historische Ort voller Menschen als auch der mythische Ort voller Götter bzw. einzig von Utnapischtim bewohnt sein. Es mag uns schwerfallen, wie die Menschen damals zu denken, den Mythos und seine Orte getrennt von der historischen Welt und doch zusammenhängend zu sehen.
Jedenfalls läßt sich daher kein mythisches Eden je finden.
Pertti